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100 Jahre Augsburger Synagoge
Eine Tankstelle war ihre Rettung

Die Nazis verschonten die Augsburger Synagoge in der Reichspogromnacht. Aus Angst um die benachbarten Häuser ließ der Gauleiter das Feuer löschen. Die gegenüberliegenden Zapfsäulen einer Tankstelle waren die Rettung. So kann die Synagoge in Augsburg ihren 100. Geburtstag feiern.

Von Burkhard Schäfers |
    Ein Blick in die hell erleuchtete Synagoge von Augsburg vor dem Festakt zur 100-Jahrfeier
    Die Synagoge in Augsburg feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. (Ruth Plössel)
    "Was man sieht, ist in der Mitte das Wahrzeichen von Augsburg, der Pinienzapfen. Genau dieses Zeichen hat sich die Jüdische Gemeinde gewählt. Aber es ist kombiniert mit einem anderen Symbol. Und das ist der Davidstern, der hier in leicht jugendstiliger Verbrämung angebracht ist."
    Benigna Schönhagen vom Jüdischen Museum zeigt auf das Symbol - draußen vor der Synagoge, eingelassen in den Boden. Als die jüdische Gemeinde den Bau plante, wollte sie damit ausdrücken: "Wir sind Augsburger - deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens". 1917 fertiggestellt, wird die Augsburger Synagoge jetzt 100 Jahre alt. Ein monumentaler Bau. Von der Straße geht es durch das linke der drei schmiedeeisernen Tore in eine überdachte Vorhalle, dahinter erstreckt sich ein offener Hof.
    "Hinter diesem Brunnenhof sieht man eine Wand mit durchbrochenen Fenstern und kann nur ahnen, dass es noch sehr viel höher geht, dass sich dahinter ein Kuppelraum von fast 30 Metern Höhe erhebt."
    800 Jahre jüdische Geschichte
    Im Brunnenhof stehen einige Männer in schwarzen Anzügen, auf dem Kopf eine Kippa. Sie gehören zur Gemeinde - und mischen sich mit den Besuchern des Jüdischen Museums. Denn der Bau ist beides, Ausstellung und Gemeindezentrum. Eine seltene Kombination mit einer ungewöhnlichen Dramaturgie: Schritt für Schritt durchstreifen die Besucher 800 Jahre jüdische Geschichte in Augsburg und Schwaben, um dann den monumentalen Betsaal zu betreten. Unter der Kuppel, verkleidet mit grünem und goldenem Mosaik, finden hier 700 Menschen Platz.
    "Hier erlebe ich immer wieder, dass alle sagen: Wow - sie sind ergriffen und beeindruckt, weil es so eine ganz besondere Atmosphäre hat. Wir kommen ja jetzt in einen Raum, der sehr geschlossen wirkt, geprägt ist durch diese große, hohe Kuppel. Die aber, weil sie nur einen niedrigen Fensterkranz hat, das Ganze auch ein wenig deckt und schützt und einschließt."
    Von der Empore blickt der Besucher auf den Thora-Schrein im Zentrum, davor die Bima, das Lesepult mit halbrunder Marmor-Balustrade. Darüber, umrahmt von einem Bogen: Der goldene, siebenarmige Leuchter. Dass es sich um eine Reformsynagoge handelt, ist an den Bildern zu erkennen, sagt Museumsleiterin Benigna Schönhagen:
    "Dieses Bildprogramm ist in vielerlei Hinsicht einzigartig, weil man sich schon mal über das Bilderverbot hinwegsetzt. Weil man zum Beispiel an der Emporen-Brüstung in sechs Medaillons die Zwölf Stämme mit Figuren dargestellt hat. Und am Ostbogen, den jeder der Betenden vor Augen hat, haben Sie in fünf Medaillons die fünf großen Hauptfeste im Judentum noch einmal symbolisch dargestellt."
    "SA und SS haben ein Feuer mitten im Kultraum gelegt"
    Als einzige Großstadtsynagoge in Bayern und als eine von wenigen in Deutschland überstand der Bau die Reichspogromnacht von 1938.
    "Auch hier sind SA und SS eingedrungen und haben ein Feuer mitten im Kultraum gelegt. Aber weil auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Tankstelle war, und man Sorge hatte, dass die Häuser in der Umgebung, die nicht Juden gehört haben, sondern sogenannten Ariern, dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden, hat der Gauleiter selber dafür gesorgt, dass das Feuer wieder gelöscht wird."
    So hat Augsburg heute ein Wahrzeichen, das von der Geschichte jüdischen Bauens vor 100 Jahren erzählt - einer Hochphase des Synagogenbaus in Deutschland. Das Ensemble entstand zentral am Rande der Altstadt. Die liberale Erbauer-Gemeinde wollte damit ihr Selbstbewusstsein ausdrücken. Schließlich durften Synagogen erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts im Bild der Städte sichtbar werden, erklärt der Braunschweiger Architekturhistoriker Ulrich Knufinke.
    "Ein wegweisendes Bauwerk"
    "Bei der Augsburger Synagoge ist es belegt, dass die Menschen sie als angemessen und eingebunden ins Stadtbild empfunden haben. Was auch daran liegt, dass dieses Gebäude gleich zwei historische Stile anspielt. Einmal an der Straße eine Architektur, die sich stark an dem orientiert, was die Stadt ausmachte - die Renaissance und den Barock. Die Synagoge selbst ist in einem Stil gehalten, der eher an byzantinische Formen erinnert."
    Die noch leeren Bänke harren der Gäste zum Festakt anlässlich der 100-Jahres-Feier der Einweihung der Großen Synagoge Augsburg.
    Im Inneren der Synagoge herrscht ein byzantinischer Baustil vor (Ruth Plössel)
    Was macht jüdisches Bauen aus? Obwohl Anfang des 20. Jahrhunderts manche danach strebten, setzte sich in der Synagogen-Architektur kein einheitlicher Stil durch. Vielmehr fanden sich orientalische, romanische oder gotische Anleihen - oder wie in Augsburg byzantinische, sagt Ulrich Knufinke.
    "Auf den ersten Blick deutlich wird es eigentlich mit dem Raumschema. Man hat einen kreuzförmigen Grundriss mit einer großen, flachen Kuppel, die eindeutig an byzantinische Vorbilder erinnert. Also wenn man da nicht an die Hagia Sophia denkt, dann, glaube ich, kennt man diese Bauten nicht."
    Die Pläne stammen von den Architekten Fritz Landauer und Heinrich Lömpel. Sie konzipierten ein Gemeindezentrum, das verschiedene Zwecke erfüllte.
    "Die Synagoge wurde nicht nur als ein Gebetshaus gebaut, es sind dort auch viele Gemeindefunktionen untergebracht: die Büros, die Rabbiner-Wohnung, Schulräume, es gibt eine Wochentagssynagoge, ein Trauzimmer. Es war vorher ja nicht unbedingt üblich, dass diese Funktionen in einem Gebäude vereinigt waren. Das war eine Neuerung, die im Laufe des späten 19. Jahrhunderts und vor allem dann im 20. Jahrhundert immer weiter entwickelt wurde. Augsburg ist da in der architektonischen Durchgestaltung sicherlich ein wegweisendes Bauwerk gewesen und deswegen wurde es auch immer wieder rezipiert und weiter entwickelt."
    Museum und zugleich Gottesdienstraum
    Und dennoch wurde der Bau erst 1985 wieder eingeweiht. Erst bis dahin konnten die Schäden der Pogromnacht beseitigt werden. Damals hatte die Gemeinde etwa 200 Mitglieder. Seither ist sie, vor allem bedingt durch den Zuzug aus der früheren Sowjetunion, um das siebenfache gewachsen - auf 1.500 Mitglieder. Integration ist also - wie in allen jüdischen Gemeinden in Deutschland - ein großes Thema.
    Heute ist die Augsburger Synagoge Museum und zugleich Gottesdienstraum. Das bringt auch Spannungen mit sich, gibt Benigna Schönhagen zu. Einerseits darf die Leiterin das Museum an jüdischen Feiertagen nicht öffnen. Andererseits muss sich die Israelitische Kultusgemeinde mit all den Schulklassen arrangieren, die Museum und Synagoge besuchen.
    "Schwierig ist es einfach, weil ein Museum andere sachliche Bedürfnisse hat als eine Gemeinde. Andererseits wird, glaube ich, von vielen aus der Gemeinde gesehen, dass das ganz stark auch dazu beiträgt, dass die Gemeinde wahrgenommen wird, und dass sich das Haus öffnen kann."
    Mit ihren 100 Jahren ist die Augsburger Synagoge ein historischer Bau - und zugleich eine Gemeinde, die in die Zukunft denkt.