Susanne Fritz: Vor ziemlich genau 100 Jahren – am 21. Dezember 1917 wurde der deutsche Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll in Köln geboren. Der rheinische Autor war Zeit seines Lebens ein Kritiker der jungen Bundesrepublik. In seinen Romanen, Kurzgeschichten, Hörspielen und Essays nahm er eine Gegenposition zum restaurativen Zeitgeist der Adenauer-Ära ein. Im Studio begrüße ich dazu jetzt meine Kollegin Christiane Florin. Guten Morgen. In unserer Sendung geht es um Religion und Gesellschaft. Warum sprechen wir jetzt zum 100. Geburtstag über Heinrich Böll?
Christiane Florin: Er steht zwischen allen Ressorts. Der Satiriker Robert Gernhardt hat über Böll gespottet: "Er wär' überhaupt erste Sahne, wären da nicht die Romane". Wenn er als "guter Mensch von Köln" bezeichnet wurde, dann war das nicht freundlich gemeint. Das hieß: menschlich nett, literarisch naja. Jetzt, zum 100. Geburtstag, wird Böll als Gesamtkunstwerk wiederentdeckt, ist mein Eindruck: sein literarisches Vermächtnis, sein politisches Engagement, seine Modernität. Leben und Werk sind nicht zu verstehen ohne seine Auseinandersetzung mit dem Krieg, mit der Nazi-Diktatur einerseits und mit dem Christentum und der katholischen Kirche andererseits. Hakenkreuz und Kreuz - diese Motive durchziehen sein Werk. Böll war nicht nur geprägt, er hat auch geprägt. Er war wirkungsvoll und er war gefürchtet, gerade der kritische Christ Böll.
Fritz: Inwiefern gefürchtet?
Florin: Er hat die Harmonie zwischen katholischer Kirche und katholisch geprägter Adenauer-Regierung gestört. Adenauer, ein Kölner Katholik wie er. 1958, also auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders, schrieb Böll einen Brief an einen jungen Katholiken, eine Abrechnung mit dem deutschen Nachkriegskatholizismus, mit dem konservativen wie mit dem fortschrittlichen. Dieser Text sollte eigentlich im Süddeutschen Rundfunk zu hören sein, aber der Intendant intervenierte und so wurde der Brief in den "Werkheften katholischer Laien" veröffentlicht. Für die Schriftstellergeneration, der Böll angehörte, war der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein wichtiger Auftraggeber, aber Kirchenkritik war wohl dort damals zu gefährlich.
Fritz: Bevor wir näher auf Bölls Kritik an der katholischen Kirche eingehen, lassen sie uns erst noch über Bölls religiöse Wurzeln sprechen. Er ist im "hillige Köln" geboren, wie es so schön heißt - und typischerweise - in einer katholischen Familie aufgewachsen. Dazu sagte er einmal in einem Radiointerview Folgendes:
Heinrich Böll: "Ich bin natürlich geprägt von den religiösen Erlebnissen und Eindrücken meiner Kindheit und Jugend. Das war die Lektüre des Neuen Testaments, die verbotene Lektüre des Alten Testaments - ich habe mich also gegen den Index versündigt, schon als junger Mensch - und das war ganz entscheidend das Erlebnis der Liturgie, was auch in allem, was ich schreibe, sichtbar wird. Durch Rhythmus, durch Wiederholung. Es hat einen litaneihaften Zug".
Florin: In Köln können Sie dem Katholizismus nicht entkommen. Das ist bis heute schwierig und war es für Menschen des Jahrgangs 1917 erst recht. Bölls Vater war Schreiner, arbeitete viel im Auftrag von Kirchen und Klöster. Ein konventionell katholisches Milieu, möchte man meinen, aber Heinrich Böll hat es anders empfunden. "Was soll aus dem Jungen bloß werden?" heißt ein autobiografischer Text. Darin schreibt er, seine Familie sei irgendwie dazwischen: nicht Arbeiterklasse, nicht Bürgertum, ein bisschen Bohème, aber in Künstlerkreisen akzeptiert war ein Schreiner nicht.
Böll geht aufs Gymnasium und der Lehrer, mit der am meisten streitet, ist der Religionslehrer. Denn der lehrt das, was Böll verachtet: ein bürgerliches Christentum. Böll fliegt aus dem Religionsunterricht. Aber er sieht, wie die braven katholischen Jungs in der Kirche mit HJ-Uniform auftauchen. Böll ist 15, als die Nazis an die Macht kommen. Er nimmt an Prozessionen teil, demonstrativ, er zeigt also keine Hakenkreuzfahne, sondern eine Prozessionsfahne. Für ihn war das Christentum etwas Widerständiges. Das war die nicht heilende Wunde: dass die katholische Kirche nicht widerständig war in der NS-Zeit und dass sie sich - wie er es sah – später der CDU an den Hals warf.
Fritz: Katholische Rituale, Litaneien und Heiligenbildchen lassen ihn nicht los, das sagte er selbst. Hören wir einen Auszug aus einem seiner bekanntesten Romane "Ansichten eines Clowns" von 1963, gelesen von Heinrich Böll selbst. Hauptfigur ist Hans Schnier, ein Clown mit sinkendem Marktwert. Die Auftragslage wird schlechter, die Hotels, in denen er unterkommt, werden billiger. Darüber denkt er gerade nach:
In der Badewanne lese ich Zeitungen, lauter unseriöse, bis zu sechs, mindestens aber drei, und singe mit mäßig lauter Stimme ausschließlich Liturgisches: Choräle, Hymnen, Sequenzen, die mir noch aus der Schulzeit in Erinnerung sind. Meine Eltern, strenggläubige Protestanten, huldigten der Nachkriegsmode konfessioneller Versöhnlichkeit und schickten mich auf eine katholische Schule. Ich selbst bin nicht religiös, nicht einmal kirchlich, und bediene mich der liturgischen Texte und Melodien aus therapeutischen Gründen: Sie helfen mir am besten über die beiden Leiden hinweg, mit denen ich von Natur belastet bin: Melancholie und Kopfschmerz. Seitdem Marie zu den Katholiken übergelaufen ist (obwohl Marie selbst katholisch ist, erscheint mir diese Bezeichnung angebracht), steigert sich die Heftigkeit dieser beiden Leiden, und selbst das Tantum Ergo oder die Lauretanische Litanei, bisher meine Favoriten in der Schmerzbekämpfung, helfen kaum noch. (Aus: Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns).
Florin: Choräle gegen die Kopfschmerzen eines abgehalfterten, noch dazu nicht religiösen Clowns, gesungen in der Badewanne. Das ist in den 1960ern noch provokant. Dieser Hans Schnier, aus evangelischer Familie, verliert seine große Liebe Marie ausgerechnet an einen Reformkatholiken. Es ist auch ein Roman über die heilige Liebe zu einer Maria, diese Liebe ist aber nach den Maßstäben der katholischen Moral schmutzig.
Fritz: Das klingt ziemlich fromm. Eigentlich eine Auseinandersetzung mit dem Sakrament Ehe.
Christiane: Ja. Böll nimmt überhaupt die Sakramente viel ernster als diejenigen Katholiken, die formal alles brav und richtig machen. Das gilt für die Ehe, das gilt auch für Buße und Vergebung.
Kürzlich fand an der Katholischen Akademie in Freiburg eine Tagung zu Bölls Hunderstem statt. Der Theologe Karl-Josef Kuschel hat in seinem Vortrag das Katholische an Böll so bestimmt:
Karl-Josef Kuschel: "Dieser Autor hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er scharf zu unterscheiden weiß zwischen der "Körperschaft Katholische Kirche", der er sich verweigert, und dem "Körper der Kirche," dem corpus Christi mysticum, dem er sich zugehörig fühlt: einer Gemeinschaft von Menschen, die die Nachfolge des Nazareners ernst nehmen und sich dem Ethos dieses Menschgewordenen verpflichtet fühlen, weil sie die Arbeit an der Menschwerdung des Menschen nicht der bleiernen Resignation geopfert oder in der Säure des Zynismus zersetzt haben. Denn "Katholizismus" als gesellschaftlich-organisiertes System ist das eine und eine soziologische Kategorie, das andere ist das Ideal von Katholizität, das sich spirituell und ethisch aus der Grundhaltung des jesuanischen Ethos speist. An nationalen Grenzen macht es nicht halt und transzendiert auch die Mauern einer rechtlich und dogmatisch abgesicherten Institution Kirche."
Fritz: Das war Karl-Josef Kuschel. Er ist der Literaturexperte unter den katholischen Theologen. Wir hatten ihn kürzlich zu Johann Peter Hebel hier in der Sendung. Was meint er genau mit Katholizismus und Katholizität?
Florin: Böll unterschied zwischen dem Christus, der angeblich eine Institution begründete, eine Hierarchie, eine Lehre, eben einen -Ismus. Ihn aber faszinierte Jesus, der Nazarener, der sich den Leidenden zuwandte, den Kranken, Aussätzigen, den Armen. Der Jesus, der nach den gesellschaftlichen Maßstäben seiner Zeit scheiterte, der störte.
Die Protagonisten in Bölls Romanen sind Leidende, Verwundete, er selbst war verwundet, nicht nur durch den Krieg. Böll-Protagonisten sind keine Heldinnen und Helden, die im Nachkriegsdeutschland Karriere machen. Es sind Menschen, die um Haltung ringen, die seitlich umgeknickt sind, aber nicht vor Autoritäten einknicken. Böll wurde oft vorgeworfen, seine Romane seien zeitbedingt. Das stimmt meiner Ansicht nach so pauschal nicht. Böll war ein feinsinniger Beobachter des Menschlichen und Unmenschlichen, auch dieser Kriechströme des Angepasstseins. Wer sich nirgendwo zugehörig fühlt, hat einen schärferen Blick als derjenige, dem alle auf die Schulter klopfen.
Bereit, etliche Augen zuzudrücken, wenn es der Macht nützt
Fritz: Rheinisch-katholisch ist Böll dann also nicht!
Florin: Wenn damit das Laut-Lustige gemeint ist, dann nicht. Es gibt im laut-lustigen Katholizismus die Weisheit: Moral ist nur gut, wenn sie doppelt ist. Das lässt Böll nicht durchgehen.
Heinrich Böll: "Übertrieben ausgedrückt ist die Amtskirche in der Bundesrepublik eigentlich die institutionalisierte Lieblosigkeit. Notwendigerweise weil sie an einer bestimmten Macht festhalten will und muss. Andererseits ist sie bereit, etliche Augen zuzudrücken, was die Heuchelei und die Fäulnis, wenn es um Personen und Probleme geht, die ihrer Macht nützen."
Florin: Zum Personaltableau seiner Romane gehören die schmallippigen verbissenen Katholiken, die brutal in ihrer Doppel-Moral sind, gerade den kleinen Leuten gegenüber. Diese Allianz von Moral und Macht verachtet Böll. Seine Katholizität ist keine Folklore. Sein Thema ist das Menschsein, das Menschenwerden, die Würde trotz widriger Umstände, die Liebe trotz katholischer Sexualmoral, das Christliche trotz CDU.
Fritz: Sie sagen trotz CDU. Was war für Böll so schlimm an der Partei?
Florin: Das C. Die CDU war für ihn das bourgeoise, das entschärfte, das politisch nutzbar gemachte Christentum. Er mochte weder die autoritären Katholiken, die keine Probleme mit der NS-Diktatur hatten, noch die Reformkatholiken. In dem schon erwähnten "Brief an einen jungen Katholiken" von 1958 kritisiert er scheinbar modernen Theologen, die sich der Politik andienen. 1966 schreibt er dann einen Brief an einen Nicht-Katholiken. Da fragt er: Was nützen die innerkirchlichen Freiheiten des Konzils, wenn die deutschen Katholiken politisch so brav bleiben? Mit dem irischen Katholizismus war er wesentlich milder, obwohl der, wie wir heute wissen, schreckliche Seiten hatte.
Sprachlich war seine Kritik eher Säbel als Florett. In einem Text von 1967 bezeichnet er den deutschen Katholizismus als "miesen Verein", dessen Methoden als "dummdreist", Mitte der Siebziger sind er und seine Frau aus der Kirche ausgetreten.
Fritz: Wenn man bedenkt, wie kritisch und distanziert Böll gegenüber der Institution der katholischen Kirche war, ist es da nicht merkwürdig, dass er jetzt ausgerechnet an katholischen Akademien gewürdigt wird?
"Lieber in der schlechtesten christlichen Welt leben als in einer nichtchristlichen"
Florin: Ja, aber diese Spannung gibt es nicht nur mit der Kirche. Der Bundespräsident würdigt Böll mit einer Soiree, das Land Nordrhein-Westfalen würdigt Böll. Natürlich sitzen da CDU-Politiker in der ersten Reihe, obwohl Böll kein Freund der CDU war. Aber es ist schon richtig: Die katholische Kirche entdeckt ihn für sich.
Fritz: Sind Sie der Ansicht, dass er von der katholischen Kirche vereinnahmt wird?
Florin: So hart würde ich es nicht sagen. Die katholische Kirche hat einen großen Magen, sie verdaut viel. Auch Böll. Aber ich glaube, es hat einen anderen Grund, wenn ihn heute katholische Akademien ins Herz schließen. Er wird in den Programmen häufig mit dem Satz zitiert: "Ich möchte lieber in der schlechtesten christlichen Welt leben, als in einer nichtchristlichen, denn in einer christlichen Welt ist immer auch Raum für die Schwachen." Beide Kirchen sind dankbar für jeden Künstler, der sich ernsthaft damit auseinandersetzt, was Christsein heißt. Da gibt es nicht mehr so viele von Rang. Aber Böll hat sich gegen jede Vereinnahmung gewehrt, und er taugt nicht zur kirchlichen Werbefigur.
Bei der schon erwähnten Freiburger Tagung stellte der Theologe Magnus Striet eine interessante Frage:
Magnus Striet, Moraltheologe: "Würde Heinrich Böll heut wieder in die Institution römisch-katholische Kirche eintreten? Ich spekuliere und sage nein. Ich glaube nicht, dass Heinrich Böll in die deutsche institutionalisierte Kirche wieder eintreten würde. Aber ob er tatsächlich mit dem real existierenden Katholizismus die Schwierigkeiten hätte, die er gehabt hat, das weiß ich auch nicht zu beantworten."
Fritz: Böll war zeitlebens ein politisch engagierter Schriftsteller. Inwiefern hat ihn dabei sein Glaube beeinflusst?
Florin: Böll hat in seinen Texten nicht ständig die Frage gestellt: Was würde Jesus dazu sagen? Zur Wiederbewaffnung, zur RAF, zum NATO-Doppelbeschluss. So platt arbeitet er nicht. Er verstört, indem er zentrale Begriffe des Christentums in politische Debatten bringt, Barmherzigkeit, Gnade. Als der Terrorismus der RAF das Land schockiert und die BILD-Zeitung überall Sympathisanten wittert, in dieser aufgeheizten Stimmung schreibt er einen Artikel mit der Überschrift: "Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?". Gnade war in dieser Situation eine Provokation. Böll wurde vorgeworfen, die RAF zu unterstützen. Es gab eine Hetzkampagne gegen ihn, an der sich auch CDU-Politiker beteiligt haben. Heute würde man von Hate Speech sprechen.
Fritz: Wie ist Böll damit umgegangen?
"Jenes höhere Wesen, das wir verehren"
Florin: Wie würde er wohl heute auf Hass-Kommentare im Netz reagieren, die ihn als linken "Gutmenschen" verächtlich machen? Damals hat er erstaunt, geduldig und pädagogisch reagiert. Er hat immer wieder öffentlich geantwortet. Böll war scharf im Ton. "Hetze, Lüge, Dreck, Aufforderung zur Lynchjustiz" warf er der "BILD" vor. Er war zornig, aber nicht hasserfüllt, nicht zynisch. Ein Zyniker glaubt nicht eine bessere Welt, ein Christenmensch wie Böll hoffte darauf. Es ist nicht nur von rechts angegriffen worden. Böll wird zwar oft links einsortiert, aber auch dort störte er, weil er sich für die Verfolgten des Kommunismus engagierte, für Alexander Solschenizyn, für Lew Kopelew.
Fritz: Heinrich Böll ist 1985 gestorben. Da war er nicht mehr der einzige Kirchenkritiker. Die Welt war säkularer geworden. Was hat er über Atheisten gedacht?
Florin: Da sollte noch einmal der Theologe Karl-Josef Kuschel antworten. Er schildert auf der Freiburger Tagung eine Begegnung mit Heinrich Böll. Die beiden sprechen auch über Atheismus und Agnostizismus.
Karl Josef Kuschel: "Er trat mir entgegen, schon schwer gezeichnet von einer Krankheit, gestützt auf Krücken. Aber er war voll präsent, ein wunderbares Gespräch. Ich eröffnete das Gespräch mit der Beobachtung, dass seine literarischen Figuren entweder gottgläubig oder indifferent in Bezug auf die Gottesfrage seien. Ein kämpferischer Atheismus komme überhaupt nicht vor. Und Böll antwortete: "Vielleicht ist es ein intellektueller Mangel, aber ich hab eigentlich noch nie einen sensiblen, hochintelligenten Atheisten getroffen – und ich kenne einige –, der für mich nicht eigentlich ein Beweis dafür war, dass wir Menschen – sagen wir – von außerirdischen Kräften herkommen. Der Mensch ist ja ein Gottesbeweis."
Fritz: Einmal mehr zeigt sich wie stark Heinrich Böll durch den christlichen Glauben geprägt war. Aber, dass Atheisten nun die Existenz Gottes beweisen. Geht das nicht zu weit?
Florin: Ihm nicht. Er war aber nicht immer so galant gegenüber Atheisten. Böll kannte ja den Hochmut der Intellektuellen gegenüber den Gläubigen. So nach dem Motto: Wer glaubt, ist bloß zu dumm oder zu bequem, um selbst nachzudenken. Aber er selbst glaubt und denkt, glaubt und kritisiert. In seiner bekanntesten Satire spottet er über einen Akademiker, der seine religiösen Bedenken kultiviert. Es ist der Wissenschaftler Bur-Malottke aus der Satire Dr. Murkes gesammeltes Schweigen. Der erbringt keinen Gottesbeweis, sondern beweist seine Lächerlichkeit.
Fritz: Was meinen Sie würde Böll heute sagen, wenn er im Radio zu Papst Franziskus befragt würde?
Florin: Sicher nicht (wie in "Dr. Murke"): "Dieser Papst ist ein höheres Wesen, das wir verehren sollten". Obwohl: Kürzlich sind die Kriegstagebücher Bölls erschienen. Darin steht mehrmals auf einer Seite das Wort Barmherzigkeit. Das ist DAS Thema dieses Papstes. Die Kirche solle ein Feld-Lazarett sein, sagt Franziskus. Das passt zu den Verwundeten. Die Armen, Ohnmächtigen, Machtlosen - das Personaltableau des Papstes könnte einem Böll-Roman entnommen sein. Ich glaube trotzdem nicht, dass Böll das Oberhaupt dieser Institution verehren könnte.
Sein Sohn René Böll hat dazu dem Deutschlandfunk gesagt:
René Böll: "Der Reichtum der Kirche war ihm sehr fremd. Das war doch eher so franziskusartig. Das war doch ein Vorbild für ihn. Nicht der jetzige Papst, sondern der Heilige Franziskus: einfach, volksnah, bescheiden."
Fritz: Was verbindet Sie eigentlich mit Böll?
Florin: Zunächst etwas Banales: Sein Bruder Alfred Böll war mein Physiklehrer, in der 9. Und 10. Klasse. Und ich dachte: Da guckst du doch mal, was der Nobelpreisträger geschrieben hat. Ich habe dann mit 14, 15 viel Taschengeld in diese weißen Taschenbücher mit den markanten Titelbildern investiert, viel gelesen, wenig verstanden und mir später alles wieder vorgenommen. Eine lebensbegleitende Lektüre. Für mich ist dieser 100. kein nostalgischer Rückblick, sondern die ewige Frage nach einem Leben mit Haltung, mit aufrechtem Gang, mit Gewissen, mit Humor und Humanität.
Heinrich Böll: "Die uns angebotene Religion war das Christentum in seinen verschiedenen Konfessionen. Und diese verschiedenen Konfessionen, beide behaupte ich, haben bis heute nicht begriffen, was ein Mensch ist."