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100. Todestag des Malers Ferdinand Hodler
Lebenslanges Streben nach Perfektion

Ferdinand Hodler verkörpert heute die Schweizer Moderne um 1900 - dabei wollte er etwas Übernationales schaffen, eine ganz neue Kunst. Sein zwischen Post-Impressionismus, Symbolismus und Expressionismus changierendes Werk vereint die Strömungen einer widersprüchlichen Epoche.

Von Carmela Thiele |
    Der schweizer Maler (Symbolismus, Historienmalerei) in seinem Atelier (undatiert). Ferdinand Hodler wurde am 14. März 1853 in Bern geboren und ist am 19. Mai 1918 in Genf gestorben. |
    Der schweizer Maler Ferdinand Hodler in seinem Atelier. (dpa - Bildarchiv / Ullstein)
    In der Ferne der See, und im See die sich spiegelnden Berge, und Tupfen weißer Wolken, die hoch über den Gipfeln schweben. Ferdinand Hodler malt das Licht und die Luft, umtoste Gipfel, blassblaue Wände aus Dunst an trüben Tagen. Er malt den Genfer See von Chexbres aus oder den Thunersee mit Stockhornkette, mit symmetrischer Spiegelung oder rhythmischen Wolken, zum Greifen nah erscheinende Gebirgsformationen in Ultramarinblau. Konrad Bitterli, Direktor des Kunst Museum Winterthur:
    "Es ist einfach eine zupackende Malerei, sie ist gerade im Spätwerk enorm lichthaft. Es ist eigentlich eine sehr moderne Auffassung von Malerei, man kann die Bilder fast abstrakt lesen. Natürlich sieht man immer das Motiv, man sieht den Berg, man erkennt den Berg, aber gleichzeitig sind die rein malerisch aus dem Pinsel heraus entwickelt. Er baut die Berge mit dem Pinsel, mit der Malerei, und da ist er natürlich unglaublich modern."
    Ferdinand Hodler gilt als der bedeutendste Schweizer Maler um 1900. Seine Kunst war die Frucht lebenslangen Strebens nach Perfektion, er folgte aber auch einer Sendung. 1896 bekannte er:
    "Man gibt wieder, was man liebt, diese eher denn jene Figur; man gibt reizende Landschaften wieder, in denen man sich wohlgefällt. Die Ergriffenheit ist eine der ersten Ursachen, die einen Maler zur Schöpfung eines Werkes bestimmen."
    Zu Fuß nach Genf
    Der 1853 in Bern geborene Sohn eines Tischlers und einer Köchin begann seine Laufbahn als Lehrling bei einem Vedutenmaler in Thun. Beide Eltern waren an Tuberkulose erkrankt und gestorben. 1871 machte sich der 18-jährige zu Fuß auf nach Genf, wo er im Musée Rath die damals in der Schweiz führenden Landschaftsmaler kopieren wollte. Dazu gehörte auch Barthélemy Menn, Professor der Genfer Zeichenschule, der zu seinem Mentor wurde.
    "Barthélemy Menn hat ihm eigentlich die Türe zu einem zeitgenössischen Verständnis der Kunst geöffnet. Menn war eine ganz wichtige Figur in Genf. Er hat eigentlich die intime Landschaft für die Schweiz entwickelt, der war eng befreundet mit Corot, hatte enge Kontakte nach Paris."
    Menn ließ seinen Meisterschüler Schriften von Leonardo da Vinci und Dürer lesen, führte ihn in die Kunstgeschichte ein. Hodler reiste nach Paris, Madrid und München, studierte die Alten Meister im Louvre, im Prado und in der Alten Pinakothek. Seinen Durchbruch erreichte er erst zwanzig Jahre nach seiner Wanderung nach Genf mit seinem ersten modernen, symbolistischen Werk. Das Gemälde "Die Nacht" sorgte in Genf für einen Skandal und in Paris für seinen Ruhm. Das Bild war nicht nur ungewöhnlich komponiert, sondern stellte dar, wovon man nicht sprach: Todesangst, Panik ohne direkten Anlass, das Unbewusste.
    "Es sind ja mehrere Figuren in unterschiedlichen Konstellationen, eigentlich nackte oder halbnackte Körper, die da liegen auf einer Steinlandschaft, unwohnlich, unwirtlich. Und dann gibt es diese eine verhüllte Figur, die sich über eine zweite beugt, was man dann eben als Tod interpretiert oder als Selbstbildnis."
    "Blick ins Unendliche", "Lieder aus der Ferne" oder "Empfindung"
    In den folgenden Jahren entwarf Hodler zahlreiche Figurenbilder, die auf der variierenden Wiederholung eines Motivs innerhalb eines Bildes beruhten. Er malte nebeneinander auf einer Bank sitzende vergeistigte Greise und später Frauen, die sich wie Tänzerinnen in zeitlosen, blauen Gewändern auf einer Wiese bewegen. Die Titel dieser Bilder, "Blick ins Unendliche", "Lieder aus der Ferne" oder "Empfindung", spiegeln den spirituellen Zeitgeist der Epoche.
    "Aber ich glaube der Hodler, der uns heute wahrscheinlich viel näher liegt, ist natürlich der Hodler der Berge, der existentielle Hodler, der sich selber immer auch beobachtet, vom aufstrebenden, ambitionierten jungen Künstler bis zum erfolgreichen Künstler, bis zum Zweifler, der sich selbst nicht mehr glaubt, bis zu dem, der sich selbst auslacht, oder vielleicht ganz am Schluss, dort wo schon der Tod im eigenen Antlitz auftaucht."
    Nach seiner ersten großen Retrospektive im Kunsthaus Zürich ließ seine Kraft nach. Am 19. Mai 1918 starb Ferdinand Hodler im Alter von 65 Jahren. Zuletzt hatte er vom Balkon seiner Wohnung am Genfer See aus gemalt: meditative Landschaften. Gegenüber seinem Malerfreund Cuno Amiet soll er geäußert haben, dass er nun bald selbst "Teil der großen Einheit" werde.