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15 Jahre Bologna-Reformen
"Wir müssen zurück zur akademischen Persönlichkeitsbildung"

Der Vize-Chef der Hochschulrektorenkonferenz, Holger Burckhart, zieht eine durchwachsene Bilanz des Bologna-Prozesses, der europaweiten Universitätsreformen seit 1999. Durch Einführung von Schnellspur-Studiengängen sei die Bildung der Persönlichkeit auf der Strecke geblieben, kritisierte Burckhart im DLF.

Holger Burckhart im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Mobilität, Effektivität und Flexibilität – das waren die großen Forderungen über der Bologna-Reform, die die europäischen Bildungsminister 1999 beschlossen haben. Viel ist seitdem passiert, aber der angestrebte Idealzustand hat sich noch nicht eingestellt. Heute hat die Hochschulrektorenkonferenz zum Nachdenken über die Weiterentwicklung von Bologna eingeladen, einer der Teilnehmer ist der Vizepräsident der HRK Holger Burckhart. Guten Tag, Herr Burckhart!
    Holger Burckhart: Guten Tag, Herr Biesler!
    Biesler: Sie selbst haben Empfehlungen vorgelegt für die weitere Arbeit und es zeigt sich darin, aber auch in dem, was wir vorhin von Studierenden und Hochschullehrern gehört haben: Es bleibt noch viel zu tun! Warum eigentlich ist das so schwierig mit Bologna?
    Burckhart: Ich denke, dass wir mit Bologna die größte Umstrukturierung im Bereich Lehre an Hochschulen vorgenommen haben, seit es Hochschulen gibt. Es ist ein Paradigmenwechsel in der Hochschullandschaft durch Bologna angestoßen worden, wir wollten mit Bologna ja Anschluss finden an die europäische Entwicklung. Das ist in Deutschland mehr oder weniger in einem Hauruckverfahren von politischer Seite eingeführt worden. Und insofern muss ich Ihnen leider völlig recht geben, wir sind noch nicht da, wo wir den Ideen nach mit Bologna schon sein könnten.
    Biesler: Dieser Versuch, würde ich jetzt mal sagen, das international flexibler zu machen, sodass die Studierenden, aber auch womöglich auch die Hochschullehrer über Länder hinweg die Hochschulen wechseln können, das unterstellt ja doch, dass das auch alles irgendwie vergleichbar ist, was da passiert. Und das ist es ja früher nicht gewesen und das ist es heute auch nicht, die Hochschulen in den Mitgliedsländern sind höchst unterschiedlich!
    Burckhart: Da gebe ich Ihnen völlig recht und da kommen Sie auch zu einem entscheidenden Stichwort, was auch noch seiner Optimierung bedarf, nämlich Kompetenzorientierung. Die Nichtvergleichbarkeit resultiert ja daraus, dass wir als Hochschulen – da muss ich uns Hochschulen selber in die Pflicht nehmen – Studiengänge konfiguriert haben, die so profilscharf und so standortscharf waren, dass sie nicht mehr vergleichbar waren mit anderen Standorten. Und ich würde sogar mit dem heutigen Tag sagen, nach der Diskussion heute ist das Bewusstsein für dieses Problem durchaus da. Aber die einzelnen Techniken, die hochschulspezifischen Techniken, aber auch die Rahmenvorgaben – das bitte ich nicht zu vergessen –, die Rahmenvorgaben, die die Länder und der Bund geschaffen haben, also die KMK, behindern hier auch die Hochschulen.
    Biesler: Inwiefern?
    Burckhart: Sie behindern sie, indem sie eigene Strukturvorgaben machen, die sich mit einer solchen Kompetenzorientierung nicht unbedingt in Verbindung bringen lassen, indem sie kleinteilige Module, kleinteilige Punktevergabe bei Abschlussprüfung, starre Vergaben von 180 plus 120 Credits auf diese beiden Studienphasen vorgeben et cetera.
    Biesler: Was haben Sie denn für einen Eindruck jetzt von Ihrer Tagung in Berlin? Sind da alle so, dass Sie die Segel gefüllt sehen und das Schiff in die richtige Richtung fährt, oder hat sich doch Frust breitgemacht jetzt auch in der Zeit?
    Burckhart: Ich würde sagen, das Schiff ist auf dem richtigen Kurs, die Segel sind auch ganz gut gefüllt, aber wir segeln noch hart am Wind, um in Ihrem Bild zu bleiben!
    Biesler: Das heißt, Sie sind kurz vorm Umkippen?
    Burckhart: Nein, nein, nein! Es ist heute ganz klar geworden: Wir dürfen die Probleme auch in Zukunft nicht bagatellisieren, der Kern der Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz ist ja, wir müssen auch an die Mentalität, was Bologna angeht, herangehen, wir dürfen Bologna nicht reduzieren auf eine funktionalistische Reform von Lehre und Studium, sondern wir müssen sehen, dass hiermit auch eine bestimmte Idee von Hochschullehre und von individuellen Lernbiografien verbunden ist. Das ist, glaube ich, bei vielen angekommen, das sehen auch viele sehr positiv, aber wir dürfen auf der anderen Seite die technokratischen Probleme, die nach wie vor existieren, von denen wir ja eben schon einige angesprochen haben, auf keinen Fall bagatellisieren.
    Biesler: Dann kommen wir doch mal zu möglichen Lösungsansätzen! Also zum einen, was die Flexibilisierung, die Personalisierung vielleicht des Studiums angeht, was muss da noch passieren, dass wirklich jeder Student mit seinen speziellen Interessen – so ist ja ursprünglich die Planung gewesen –, dann auch am besten studieren kann?
    "Möglichkeiten der der Flexibilisierung zu wenig genutzt"
    Burckhart: Es mangelt daran, dass wir es im ersten Durchgang - ich sage mal, rund um 2005 – nicht verstanden haben, die Möglichkeiten der Flexibilisierung auch zu nutzen. Stattdessen haben wir kleinteilige Studiengangsmodelle entwickelt, der Student ist gezwungen, Veranstaltung nach Veranstaltung abzuhecheln. Hier brauchen wir viel mehr Freiräume, wir brauchen größere Module als Lerneinheiten, die müssen gleichzeitig so sein, dass sie kompetenzorientiert sind, dass der Studierende auch mal die Möglichkeit hat, mobil an anderen Standorten in seinem Themengebiet weiterzustudieren oder eine Schleife zu drehen. Das sind die primären Herausforderungen in diesem Segment.
    Biesler: Jetzt ist ja einer der Motoren auch die Wirtschaft gewesen, die gesagt hat, wir möchten eigentlich jüngere Berufsanfänger, die sollen mal ein bisschen früher von der Hochschule runterkommen, wir brauchen auch nicht jeden so qualifiziert, dass er gleich Diplomingenieur ist, sondern ganz viel Mittelbau. Jetzt sagt die Wirtschaft, mit den Bachelors können wir eigentlich überhaupt nichts anfangen, die in unsere Betriebe kommen. Das ist jetzt vergröbert, aber die Tendenz ist richtig, oder? Was muss da passieren?
    Burckhart: Ich glaube, das ist sehr stark vergröbert. Ich glaube, dass der Bachelor jetzt gerade erst bei der Wirtschaft ankommt.
    Biesler: Ja, wir haben aber Klagen.
    Burckhart: Wir haben durchaus Klagen, wir haben aber auch 80 Prozent der Wirtschaftsunternehmen, die Bachelor aufgenommen haben, die sagen, wir würden sie sofort wieder aufnehmen. Wir haben also auch Zufriedenheit, wir haben beide recht. Ich denke, dass die Wirtschaft sich in einem geirrt hat: Ein Fast-Track-Studium kann nicht das erfüllen, was früher der Diplomstudent hatte, was früher der Magisterstudent hatte, nämlich neben Fachlichkeit und neben Beruflichkeit auch noch eine Persönlichkeit zu haben. Und das ist einfach verlorengegangen unterwegs. Und die Kernbotschaft der Empfehlungen, auch die Kernbotschaft der heutigen Diskussion war: Wir müssen wieder zurück zu dieser akademischen Persönlichkeitsbildung und hierfür müssen wir Freiräume schaffen. Und das war einer der Kernkritikpunkte heute, in dem wir aber ein Einverständnis hatten als Kritik an dem, wie wir Bologna umgesetzt haben.
    Biesler: Holger Burckhart, Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, zu den bleibenden Herausforderungen der Bologna-Reform. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.