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15 Jahre CTM-Festival
"Klares Konzept für jedes Festival"

Ausstellungen, Debatten, Workshops und viele Konzerte: Das Berliner CTM-Festival für elektronische und experimentelle Musik gibt es nun schon seit 15 Jahren. Trotz des unsicheren Daseins freut sich Programmleiter Jan Rohlf über die Entwicklung des Festivals.

Jan Rohlf im Corso-Gespräch mit Oliver Schulz |
    Olaf Schulz: Herr Rohlf, das Berliner CTM-Festival für "Adventurous Music and Art" ist ein Festival, das die weltweite elektronische und experimentelle Musikszene beleuchtet. Dieses Jahr begibt es sich unter dem Motto "Dis Continuity" auf eine Forschungsreise in wenig bekannte und vergessene Gebiete der elektronischen und experimentellen Musik.
    Jan Rohlf: Ja, wir finden, dass es üblicherweise ja so läuft, wenn Geschichte dann geschrieben wird mit der Zeit, dass man sich einigt auf einen gewissen Kanon an herausragenden Ereignissen und Personen, die sich so verfestigen in den Köpfen der Menschen. Anhand derer wird dann immer wieder die Geschichte im Grunde erzählt und anschaulich gemacht. Wir wollen eben dieser Sache ein bisschen mehr gerecht werden. Wir glauben nicht, dass dieser eine große Strang von Entwicklung – also, dass man zum Beispiel immer erzählt, na ja, da war Kraftwerk und dann gab es in den USA Afrika Bambaataa und der hat dann einen Kraftwerk-Song gespielt und von da ist dann Hip-Hop losgegangen – dass die Erzählungen einfach nicht so einfach sind. Und wir wollen diesen Leuten auch gerechter werden, die an allen möglichen Orten, lokale Wissensproduktionen betrieben haben und die Ideen entwickelt haben und wieder andere beeinflusst haben. Diese unsichtbaren Transmissionen, Wege, wie sich Ideen halt fortpflanzen oder in bestimmten Fällen eben auch nicht, die genauer uns anzusehen.
    Schulz: Und welche Musiker, welche Bands und Projekte, die beim Festival auftreten, stehen für diese, meines Erachtens interessante Frage eines Dialogs zwischen Vergangenheit und Gegenwart?
    Rohlf: Ja, das zieht sich durch unser ganzes Festivalprogramm hindurch dieser Dialog zwischen Vergangenheit, zwischen Pionieren und zwischen der Künstlergeneration des Jetzt. Also, ein wichtiger Grundpfeiler unseres Programms ist die Ausstellung dieses Jahr – "Generation Z: ReNoise, Russian Pioneers of Sound Technology in the Early 20th Century" –, ein langer Titel. Und das ist eine Ausstellung, die wirklich anhand von Originaldokumenten, Originalklangmaschinen, -apparaten versucht zu rekonstruieren, was in dieser Umbruchzeit in Russland zwischen letztlich kurz vor der Revolution 1917 bis 1930 als dann Stalin im Grunde den totalitären Sowjetstaat installiert hat, was dort an Kreativen, Innovativen auch in puncto Klangkunst und Klangtechnik entstanden ist. Und das ist zum Beispiel so eine Geschichte, die wirklich in den Hintergrund gedrängt wurde ganz massiv. Also, Stalin hat im Grunde die Protagonisten dieser Avantgarde dann alle ihrer Aufgaben enthoben, interniert in Gulags und auch ermorden lassen. Und die Geschichte wurde dann einfach wirklich auch nicht mehr weitergeschrieben. Aber dort wurden viele Instrumente, Techniken, Ideen entwickelt, die bis heute eigentlich mit Grundlage sind, dessen wie wir elektronische Musik machen. Also, zum Beispiel Léon Theremin, der ganz bekannt ist wegen der Erfindung des Theremins, des ersten elektronischen, kommerziell erhältlichen Musikinstruments, der hat aber zum Beispiel auch die erste Rhythmusmaschine gebaut, also die Grundlage der heutigen Drumcomputer zum Beispiel.
    Schulz: Es ist ja ein insgesamt geradezu überbordendes, kaum zu überblickendes Programm, dass in den zehn Tagen des CTM-Festivals geboten wird. Können Sie uns ein wenig Ordnung in die vielgliedrige Struktur des CTM-Festivals bringen?
    Rohlf: Ja also, die Struktur ist überbordend, das ist richtig, weil wir eben diese Komplexität in den Blick nehmen wollen, aber man ganz es schon relativ leicht fassen: Es gibt eine Ausstellung, und dann gibt es ein Tagesprogramm mit Diskussionsrunden, Vorträgen, Gesprächen, Filmen, die dann einzelne Themenstränge im Festival genauer beleuchten. Es gibt ein Programm mit Workshops, in denen eben versucht wird, das Festival tatsächlich auch als Produktionsstätte zu denken. Also, nicht nur Fertiges zu präsentieren, sondern wirklich unterschiedlichste Leute zusammenzubringen, um neue Ideen zu entwickeln. Und dann gibt es ein sehr umfangreiches Konzertprogramm an verschiedenen Orten und das reicht eben von sehr experimentellen Konzerten bis hin zu Clubnächten, wo es eben um aktuelle Entwicklungen in Tanz- und Clubmusik geht.
    Schulz: Wie wählen Sie denn angesichts der heutigen Überfülle die Musiker des Festivals aus? Mehr aus einer, ja, Fan-Perspektive oder doch abgeleitet aus einem theoretischen Diskurs?
    Rohlf: Ja, beides spielt eine wichtige Rolle. Wir haben durchaus ja ein klares Konzept für jedes Festival, das uns inhaltlich dann leitet. Trotzdem sind wir natürlich auch Fans geblieben immer. Wir haben das Festival angefangen vor 15 Jahren und hatten dann immer explizit gesagt, das ist eine rein subjektive Sache, wir machen hier nur, was uns gefällt. Und ein Stück weit ist das natürlich auch noch so geblieben, aber das ist jetzt so eine Mischform im Grunde genommen. Und es muss natürlich einfach spannende, mutige Musik sein, die wirklich auch Hörgewohnheiten durchbrechen will, die auch Erfahrungen ermöglichen will, die dann wiederum nicht nur in dem Moment begeistern oder mitreißen will, sondern die dann auch wieder eine Basis liefern für ein Nachdenken über Musik, über Kunst, über Gesellschaft. Und das sind unsere Kriterien.
    Schulz: Herr Rohlf, das 1999 gegründete CTM-Festival feiert dieses Jahr 15-jähriges Jubiläum. Im Laufe der Jahre hat es sich – auch international – als ein wichtiges Festival für elektronische und experimentelle Musik etabliert. Wie sehen Sie die Entwicklung des Festivals?
    Rohlf: Ja, wir sind eigentlich ganz zufrieden mit der Entwicklung unseres Festivals. Insbesondere jetzt mit dem 15-jährigen Jubiläum und der Ausgabe diesen Jahres haben wir das Gefühl, dass wir so langsam da angekommen sind, wo wir von Anfang an hinwollten. Die Idee vom CTM-Festival war von Anfang an, unterschiedlichsten Szenen, Felder, Entwicklungslinien von Musik zusammenzubringen und auch von Kunst. Das sieht man dieses Jahr sehr schön an unserem Programm. Wir haben sowohl eben, ich sage jetzt mal in Anführungszeichen, Institutionen, die mit der akademischen Kunstmusik in Verbindung gebracht werden im Programm – so wie jetzt zum Beispiel die "Groupe des recherches musicales" aus Paris oder das elektronische Musikstudio Stockholm als auch zahllose junge Künstler aus dem, sagen wir mal, elektronischen Underground.
    Was ansonsten unser Festival anbelangt, wir sind nicht so glücklich darüber, dass wir nach 15 Jahren immer noch ein relativ unsicheres Dasein haben. Also, wir sind ein Festival, das ausschließlich auf Projektförderung angewiesen ist und natürlich auch auf Ticketverkäufe und so weiter. Wir haben jetzt keine Strukturförderung und wir glauben eigentlich, dass wir mit dem Festival wirklich ein Feld besetzen, dass sonst niemand bearbeitet, und würden uns natürlich schon freuen, wenn man das auch entsprechend unterstützen würde, damit wir da noch weitergehen können.
    Schulz: Kommen wir vielleicht zum Ende noch mal auf Erfreulicheres zu sprechen und das ist das Programm der diesjährigen Ausgabe des CTM-Festivals. Welche musikalischen Highlights, die Sie persönlich empfehlen können, werden in den nächsten Tagen auf dem Festival zu hören sein?
    Rohlf: Was mir sehr am Herzen liegt, ist Charles Cohen, der zum ersten Mal nach Deutschland kommt. Charles Cohen arbeitet seit jetzt 40 Jahren mit dem "Buchla Music Easel". Das ist ein ganz seltener Synthesizer von Donald Buchla, auch einer der wichtigsten Synthesizer-Bauer überhaupt. Und er kommt eigentlich vom Freejazz und spielt also diesen Music Easel mit so einer Freejazz-Sensibilität wie niemand sonst, es ist alles live improvisiert. Und er hat eigentlich auch in diesen 40 Jahren fast nichts veröffentlicht. Es kam jetzt 2013 eben erst mal eine CD-Box heraus mit Werken von ihm, herausgegeben von Morphosis, ein Musiker, der auch unter dem Namen Rabih Beaini auftritt. Und die beiden kommen dann eben auch zusammen in diesem Programm, spielen auch dann zusammen in einem Live-Jam und beide auch noch mal getrennt. Und Charles Cohen hat eben auch eine ganze Reihe junger Synthesizer-Musiker beeinflusst an der Ostküste der USA und auch da haben wir dann natürlich wieder welche im Programm an anderer Stelle. Also, "Outer Space" ist ein Musikprojekt, die auch ein Konzert geben. Das ist von John Elliott, und er wiederum betreibt ein Label, wo er eigentlich all diese jungen Leute irgendwie herausgibt, und so schließt sich dann wieder der Kreis. Und das ist so eine der Geschichten, die wir am Festival erzählen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.