
New York Mitte des 19. Jahrhunderts. Die aufstrebende Stadt an der US-Ostküste zählt schon eine Million Einwohner. Doch eine seriöse Tageszeitung mit nennenswerter Verbreitung gibt es nicht. Der Publizist George Jones und der republikanische Politiker Henry J. Raymond erkennen die Markt- und Informationslücke. Ihre "New York Daily Times" erblickt am 18. September 1851 das Licht der damals kulturell noch relativ provinziellen Metropole. Der junge Verleger Adolph Simon Ochs aus Cincinnati kauft den nach anfänglichen Erfolgen schwächelnden Titel 1896, verkürzt den Namen auf "New York Times" und wird zum Gründervater der Familiendynastie Ochs-Sulzberger, die noch heute die inzwischen bekannteste Tageszeitung der Welt leitet.
Konsequent richtet Ochs das Blatt aus auf die Interessen der Oberschicht der Stadt: zur Zeit der Jahrhundertwende besteht diese zu einem Großteil aus jüdischen Geschäftsleuten deutscher Abstammung. Ochs selbst gehört dazu. Wer in diese Kreise aufsteigen möchte, der braucht das nötige Knowhow, das die "New York Times" liefert: Informationen über die wichtigen Personen, wie man sie in den Heirats- und Verlobungsanzeigen findet oder über Finanzen und die Immobilienlage der City. Ochs erfindet den Slogan, der bis heute mit der NYT verbunden wird: "All the news that´s fit to print"
Nicht immer ist die "graue Dame" so unabhängig wie vermutet
Alle Nachrichten, die es wert sind, gedruckt zu werden – eine selbstbewusste Ansage. Die "Gray Lady", die graue Dame, so ihr Spitzname wegen der seitenfüllenden Texte, erwirbt sich parallel zum Aufstieg New Yorks zur Welt-Finanzhauptstadt den Ruf eines hart recherchierenden und unparteiischen Mediums. Die Lektüre der "New York Times" wird zum Statussymbol, nicht nur in den USA. Doch sie berichtet in ihrer langen Geschichte nicht immer so unabhängig, wie es der eigene Anspruch vermuten lässt. Einen der Gründe dafür sieht der Historiker Kai Burkhardt im Patriotismus des Blattes, der von Adolph Ochs forciert wird. In der Mediendatenbank des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik schreibt Burkhardt: "Die Zeitung wurde bewusst zu einer Agentur des US-amerikanischen Nationalbewusstseins ausgebaut." Das geht so weit, dass sogar jüdisch klingende Namen von Redakteuren anglisiert werden, und die Redaktion enge Kontakte ins Weiße Haus knüpft:
"Was auch deshalb leichtfiel, weil die "New York Times" ihre Redakteure aus dem gleichen akademischen Umfeld rekrutierte wie der Regierungsapparat. Journalisten und Politiker kamen aus derselben sozialen Schicht und kannten sich oft persönlich aus dem Studium."
Die Zeitung weiß von den Plänen einer Invasion von Kuba durch die USA, behält sie jedoch für sich. Dass das Blatt 1971 die geheimen "Pentagon Papers" des Verteidigungsministeriums veröffentlicht, ist vor allem der aggressiven Pressepolitik der Nixon-Regierung geschuldet. Hier fühlt sich auch die Times dazu aufgerufen, für die Unabhängigkeit der Medien zu kämpfen.
Die Zeitung weiß von den Plänen einer Invasion von Kuba durch die USA, behält sie jedoch für sich. Dass das Blatt 1971 die geheimen "Pentagon Papers" des Verteidigungsministeriums veröffentlicht, ist vor allem der aggressiven Pressepolitik der Nixon-Regierung geschuldet. Hier fühlt sich auch die Times dazu aufgerufen, für die Unabhängigkeit der Medien zu kämpfen.
Den größten politischen Skandal des 20. Jahrhunderts jedoch verpasst die "NYT". Außenminister Henry Kissinger persönlich überzeugt die Führungskräfte der Zeitung, nicht über die sich abzeichnende Watergate-Affäre zu berichten. Der große Triumph des amerikanischen Investigativ-Journalismus – er geht an die Konkurrenz von der "Washington Post".
Den digitalen Medienwandel geschickt genutzt
Dass die "New York Times" heute als wichtigste Zeitung der Welt gilt, hängt mit der geschickten Unternehmenspolitik ihrer Verleger zusammen. Die allgemeine Geschäftskrise der Tageszeitungen, die die Branche beutelt, ging an dem Blatt natürlich nicht vorbei. Aber mit einer geschickten Digitalstrategie wurde aus dem US-amerikanischen Zeitungsverlag ein Medienhaus, das mit seinen Onlineinhalten und eigenen Podcasts heute ein weltweites Publikum erreicht.
Wie die "NYT" vom "Trump Bump" profitierte
Die "New York Times" hat sich inzwischen mit dem permanenten Hinterfragen der eigenen publizistischen Rolle einen Vorbildstatus für andere Medienhäuser erarbeitet. Dass sie heute als Bollwerk der amerikanischen Demokratie angesehen wird, ist auch Donald Trump zu verdanken, der die Zeitung zu seinem Hauptfeind erklärt hat. Fast sieben Millionen Digital-Abos verkauft die "New York Times" heute. Ob dieser auch als "Trump Bump" bezeichnete Erfolg anhält, werden die nächsten Jahre zeigen.