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200 Stunden Beweisfilm müssen neu ausgewertet werden

Er hatte an einer Demonstration gegen Neonazis teilgenommen. Daraufhin wurde die Dienstwohnung des Stadtjugendpfarrers Lothar König von sächsischen Beamten durchsucht. Das Beweismaterial der Staatsanwaltschaft hat sich nun als unzureichend herausgestellt - der Prozess wurde ausgesetzt.

Von Wolfram Nagel |
    "Ich unterstütze die Initiative aus einer ganz einfachen Überzeugung... solches Engagement gegen Antidemokraten soll nicht, darf nicht in den ständigen Verdacht geraten, strafbar zu sein, darum geht’s mir. Immer unter der Voraussetzung, dass all unser Protest gewaltfrei, friedlich ist, aber es muss Protest sein dürfen."

    Wolfgang Thierse wurde selbst immer wieder dafür kritisiert, sich auf die Straße gesetzt zu haben, um Naziaufmärsche zu blockieren. Er sei ja nicht nur Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sondern auch Bürger eines demokratisch verfassten Landes, begründete der Veteran der christlichen Friedensbewegung in der DDR stets sein Handeln.

    Deshalb unterstützt Wolfgang Thierse auch den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König, der im Februar 2011 zusammen mit Jugendlichen seiner Kirchgemeinde an einer Demonstration gegen Rechtsextremisten in Dresden teilgenommen hatte. Nicht nur König wurde danach angeklagt, sondern auch einige Hundert junge Leute mussten oder müssen sich deshalb vor Gericht verantworten:

    "Also es gab ja schon ein paar Verurteilungen. Und meine Sorge ist, dass solche Prozesse einfach zu Einschüchterungen von jungen Leuten führen, zu Resignation, und wir wissen, Resignation, Einschüchterung kann umschlagen in Aggressivität. Es ist mir unendlich viel lieber, dass ein Pfarrer wie Lothar König junge Leute begleitet in ihrem Protest und sie davor hütet, gewalttätig zu werden. Ihnen dabei hilft, Regeln einzuhalten, das ist immer eine Gratwanderung, wenn man weiß, wie aufgeheizt eine Atmosphäre sein kann bei einer Demo."

    Schon in den ersten Prozesstagen hat sich gezeigt, dass die Anklage auf tönernen Füßen steht. Polizisten widersprachen sich in ihren Aussagen. Andere Aussagen stimmten nicht mit den Videoaufzeichnungen oder Zeugenaussagen überein. Und so konnte sich Lothar König auch von Anfang an der Unterstützung seiner Landeskirche sicher sein, der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands.

    "Lothar König ist unser Pfarrer. Er tut Dienst im Interesse unserer Landeskirche. Und nach unserem Urteil macht er dort eine gute und eine geradezu unverzichtbare Arbeit. Er findet Zugang zu Jugendlichen, die, ich sage mal, nicht Kunden der kirchlichen Kernangebote sind, und wenn wir nicht nur für bestimmte Milieus ansprechbar sein wollen, sondern eine Kirche für das ganze Volk sein wollen, dann ist es auch wichtig, dass es unter uns Pfarrer gibt, die Menschen erreichen, die von den normalen Angeboten der Kirche nicht erreicht werden."

    Sagt Oberkirchenrat Michael Lehmann. Der Erfurter Theologe hat den Prozess gegen Lothar König seit April begleitet. König hatte sich bereits in den Neunzigerjahren einen Namen gemacht, als er sich in Thüringen Neonaziorganisationen wie dem Nationalsozialistischen Untergrund, dem NSU, entgegen stellte. Dafür wurden er und seine Mitstreiter immer wieder tätlich angegriffen. Friedliche Proteste und auch Blockaden gegen Neonaziaufmärsche seien durch die Kirche gedeckt, so Lehmann:

    "Es gibt in unserer Landeskirche nach wie vor eine Kampagne, Nächstenliebe verlangt Klarheit, evangelische Kirche gegen Rechtsextremismus. Wir sehen natürlich mit Sorge, dass es in unserer Gesellschaft Meinungen und Stimmungen gibt, die ausländerfeindlich sind, die rassistisch sind, die dem christlichen Gebot von Nächstenliebe eklatant widersprechen. Und ich finde es ziemlich wichtig, dass wir als Kirche an den Stellen in den gesellschaftlichen Diskurs uns einmischen, wo die Frage der Nächstenliebe, die Frage der Toleranz und die Frage eines achtungsvollen Umgangs mit allen Menschen infrage steht."

    Also auch dort, wo Rechtsextremisten einen Gedenktag wie den 13. Februar, den Jahrestag der Bombardierung Dresdens, für ihre Zwecke missbrauchen. 2011 war es allerdings zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Rechten, Linken und der Polizei gekommen.

    Der Jugendpfarrer aus Jena widersprach den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft, zu Gewalt aufgerufen oder sie billigend in Kauf genommen zu haben. Er predige keinen Hass und keine Gewalt. Es sei ein Menschenrecht, nicht wegzuschauen.

    "Ja, wir haben ein Recht auf Demonstration, es ist wichtig, dass Leute Verantwortung übernehmen können für solche Demonstrationen und nicht in der Gefahr stehen, dafür angeklagt zu werden. Da kommt bei mir 40 Jahre Erfahrung inklusive DDR-Zeit kommt da rein. Das können doch junge Leute gar nicht leisten. Und die müssen doch genauso ein Recht haben, Demonstrationsrecht wahrzunehmen, ohne angeklagt zu werden. Das ist für mich das Entscheidende."

    Nachdem nun weiteres Videomaterial aufgetaucht ist, das Lothar König endgültig entlasten könnte, wurde das Verfahren gegen ihn ausgesetzt.

    "Es ist noch lange nicht zu Ende. Wir zielen auf einen vollen Freispruch hin. Nur das wird von mir akzeptiert, ansonsten sollen sie mich verurteilen."

    Der Vorsitzende Richter und auch die Staatsanwältin haben Defizite eingeräumt. 200 Stunden Filmaufnahmen müssen neu gesichtet und ausgewertet werden. Theologe Michael Lehmann fühlt sich durch den vorläufigen Prozessausgang in seiner Auffassung bestärkt:

    "Ich habe, und das ist ein persönlicher Satz, das Vertrauen, dass er die Grenzen der Gewaltlosigkeit nicht überschritten hat. Ich sehe nicht, dass er in irgendeiner Weise eskalierend in dieses komplizierte Demonstrationsgeschehen eingegriffen hätte. Aus meiner Sicht sind nur Momente zu sehen gewesen, in denen er deeskalierend tätig war. So wie wir das auch von einem Pfarrer unserer Landeskirche erwarten."