"Mauern zerteilen die Welt, und manchmal wird es einfach unerträglich - so erschien es mir, als ich als Jugendlicher gegen die allverordnete Volksverdummung in der DDR rebellierte", erinnert sich Dieter Vieweger, Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaften des Heiligen Landes in Jerusalem. Er flog von der Schule, begrub seinen Traum Mathematik zu studieren, wurde von der evangelischen Kirche aufgefangen und schließlich Doktor der Theologie. In Leipzig wurde er Pfarrer des Thomanerchores und habilitierte sich an der Karl-Marx-Universität.
Nach dem Fall der Mauer wurde er Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, später in Wuppertal. "Ich hatte einiges zu lernen: dass selbst im goldenen Westen nicht die Smarties durch die Luft fliegen; dass die Freiheit mit Verantwortung zu tun hat, dass Demokratie anstrengend, manchmal auch enttäuschend sein kann; und dass man als Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt nicht immer willkommen ist."
Blick auf die Mauer im Osten
Heute blickt Dieter Vieweger täglich auf eine Mauer, wenn er von seinem Haus auf dem Ölberg nach Osten schaut. "Ich kann als Gast im fremden Land den zerstrittenen ethnischen Gruppen nicht vorschreiben, wie sie sich versöhnen sollen", sagt Vieweger. "Diesen Weg müssen sie selbst finden und auch tatsächlich gehen wollen." Das einzige, was er tun könne, sei Menschen zusammenzuführen.
Freiheit und Frieden habe er im Demonstrationszug in Leipzig vor 25 Jahren nicht erwartet. "Das Wunder ist dennoch passiert." Vieweger entwickelt seine eigene Formel: "Noch lebe ich nur 25 Jahre in Freiheit. 31 Jahre hinter einer Mauer stehen dagegen. In sechs Jahren feiere ich ein großes Fest. Gleichstand. Und ich hoffe, dass bis dahin noch viele Menschen hinter einer der Mauern dieser Welt die Chancen und Mühen der Freiheit kennenlernen."
Der Beitrag über Dieter Vieweger lief in der Sendung "Am Sonntagmorgen". Sie können ihn im Audio-on-Demand-Player in voller Länge hören.