Die Begrüßungsrede von Intendant Willi Steul beim 3. Forum für Journalismuskritik in voller Länge. Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste,
zuletzt konnte ich Sie bei unserem Forum nur per Video begrüßen, ich freue mich sehr, dass ich hier im Deutschlandradio - als "Noch"-Hausherr - heute dabei bin. Ein Haus mit seinen Programmen "Deutschlandfunk", "Deutschlandfunk Kultur" und "Deutschlandfunk Nova" - so, jetzt habe ich als folgsamer Intendant auch den Wunsch der Kommunikationsabteilung erfüllt, dass wir ja immer und überall für unsere Namensänderungen werben müssen.
Wir erhalten Hass-Mails, unsere Moderatoren, auch ich, haben zweifelhafte "Brief-Freunde", die sich geradezu auf sie "einschießen", auch Kollegen von Zeitungen beklagen sich über zunehmenden "Druck", den sie da erhalten:
"Ich muss meinen Kropf leeren"
Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich kann einfach nicht anders: ich muss gleich zu Anfang erst `mal "meinen Kropf leeren".
Wer zu flattern anfängt, wer angesichts von Hass-Mails auch nur "stockt" bei seiner Arbeit, wer beginnt, eine Schere im Kopf zu bedienen, ja der ist für unseren schönen Beruf leider ungeeignet, der sollte lieber bei der Bundesliegenschaftsverwaltung anfragen.
Ich finde es auch seit vielen Jahren zunehmend befremdlich, dass in unserem Land Preise an Journalisten verliehen werden, wo dann bei der Laudatio immer "der Mut" gelobt wird. Verzeihen Sie, aber dieses Gerede, in diesem unseren freien Land, beleidigt Kolleginnen und Kollegen von Mexiko bis Pakistan, nicht nur Deniz Yücel oder meinen Freund Can Dündar.
Handwerk und Rückgrat
Man braucht hier keinen besonderen Mut, aber natürlich: gutes Handwerk, saubere Recherche, Belege für das, was man publiziert - die müssen im Zweifel gerichtsfest sein - und dann einfach Rückgrat.
Als Student und parallel als Volontär - das ging damals noch, sic transit gloria mundi - habe ich 1971 meine ersten Artikel in einer Lokalzeitung geschrieben, der "Nassauischen Landeszeitung" in Limburg an der Lahn, meiner Heimatstadt. Eine tolle Zeit, ich habe sehr viel gelernt, meinem Redakteur Bernd Lormann sei Dank. Der Lokaljournalismus ist ganz, ganz nahe bei den Menschen. Und mit ihnen im Gespräch. Mein Geld fürs Studium habe ich dann immer wieder mit Rundfunk, Fernsehen und Zeitungsartikeln verdient.
Aber zum Glück bin ich 1978 durch einen biographischen und historischen Zufall der absehbaren akademischen Karriere als Ethnologe dann doch endgültig entkommen.
Verachtung des Journalismus
Ich bin bis heute ein leidenschaftlicher Journalist geblieben. Das sind gute 40 Jahre - Kritik gab es immer. Aber noch nie in diesen 40 Jahren steht der professionelle Journalismus derart "im Feuer" der Kritik, ja teilweise der Verachtung.
Ich habe kürzlich in einer Umfrage gelesen, dass weit über 60 % der Menschen meinen, sie selbst könnten die Herausforderungen dieses Landes besser meistern als die Politiker, die sie gewählt haben. Was haben wir alle im professionellen Journalismus, was habe auch ich offenbar in den 40 Jahren falsch gemacht - in unserer Vermittlung von Politik und Gesellschaft und ihren Regelmechanismen, dass so ein Eindruck entstehen kann?
Was machen wir falsch in der Vermittlung der Komplexität der Dinge und vom Ringen um Lösungen, was ja unser demokratisches Gesellschaftsmodell auszeichnet?
Ich liebe politisch-satirische Sendungen, geradezu süchtig bin ich nach der "Heute-Show", noch mehr allerdings war ich es nach dem alten ZDF-Format "Neues aus der Anstalt". Aber oft bleibt mir das Lachen im Halse stecken bei dem Gedanken, dass Menschen glauben könnten, dass die Republik tatsächlich ausschließlich von Dummbeuteln regiert würde.
"In Deutschland wird großartiger Journalismus gemacht"
Ein Unbehagen beschleicht mich auch bei der wahrnehmbaren Tendenz, "salopper" zu formulieren, ja sogar "hämisch". Dies zieht sich durch alle Medien. Natürlich ist dies auch Teil einer Verunsicherung, die den professionellen Journalismus erreicht hat, es ist sicher Teil auch der Suche nach einem "jungen" Publikum! Vorsicht, Leute.
Aber, trotz allem: in Deutschland wird großartiger Journalismus gemacht. Dies gilt für Zeitungen wie für Zeitschriften, das gilt für Radio wie für Fernsehen und das gilt auch für den online-Bereich. Und gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch nicht - bei aller in Teilen auch berechtigter Kritik: man müsste ihn erfinden, vor allem in diesen Zeiten, in denen viele Köpfe sich verwirren und sogar gerne verwirren lassen.
Auch und gerade angesichts populistischer Parolen, die mit ihren Unterstellungen gezielt Zweifel säen - nicht nur an unserer professionellen journalistischen Zunft, sondern die auf unser gesamtes demokratisches, offenes, liberales Gesellschaftsmodell zielen.
Es ist jetzt hier nicht meine Aufgabe, dies detaillierter auszuführen. Sie können z.B. in veröffentlichten Papieren die Strategie der AfD nachlesen, nämlich als Ziel die Legitimierung des Journalismus. Sie erkennen diese Strategie auch unschwer im Twitter-Gewitter von Donald Trump.
Und: ganz offensichtlich sind die ideologischen Bezüge zu Oswald Spengler, zu Carl Schmitt und einer ganzen Reihe anderer Autoren des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Eine autoritäre Denke, die mit zur Zerstörung der ersten deutschen Demokratie beigetragen hat - und auch dem Mussolini- und Franco-Faschismus den ideologischen Unterbau lieferte.
Stephen Bannon, der Mephisto des 45. amerikanischen Präsidenten - er bezieht sich sogar ausdrücklich in seinem kruden Breitbart-Weltbild auf diese "Vordenker". Am Dienstagabend habe ich auf ARTE eine glänzende Doku gesehen, in der die abenteuerliche Gedankenwelt dieses Strippenziehers und sein Werdegang analysiert wurden. Ich kann sie Ihnen nur empfehlen, bei ARTE + Sept können Sie sie noch sehen.
"Nicht jeder Mensch kann Journalismus"
Es sind in erster Linie die institutionellen Korsettstangen unserer Demokratie, die dieser Denke wehren können und - ich sage dies völlig ohne jedes Pathos - und es ist daneben auch der professionelle Journalismus.
Nein, nicht jeder Mensch kann Journalismus, das ist ein Handwerk, das muss man lernen. Drei zentrale Begriffe stehen, standen für mich in den vergangenen 8 Jahren als Intendant von Deutschlandradio als "Leitmotive" über meiner Arbeit mit den Programmen:
- Relevanz - "Alles von Relevanz", das ist auch das werbliche Motto vom Deutschlandfunk, d.h.: was sollte ein an Politik, Gesellschaft und Kultur besonders interessierter Mensch wissen, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können
- Akzeptanz - also das "Ankommen" bei einem Publikum und das heißt nicht:
auf Teufel komm' raus "Quote" und - Glaubwürdigkeit - dies ist sogar der wichtigste Begriff: ich muss darauf vertrauen können, dass die Dinge, die mir Journalisten von Deutschlandradio mitteilen, dass die - im weitesten Sinne - "richtig" sind. Und dass sie, bei aller Begrenztheit menschlichen Tuns, dass sie keine "Fake News" sind.
Wir müssen uns - als journalistische Profis - permanent selbstkritisch prüfen, ob wir die Handwerksregeln unseres Berufes beachten. Und auch, ob wir uns genug bemühen, ob wir auch gegen einen "mainstream" schwimmen, den es ja auch gibt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle die ZDF-Kollegin Dunya Hayali zitieren, Mitte März aus der epd, zur Berichterstattung über Martin Schulz und die SPD: "Kritisch äußerte sich Hayali zur Berichterstattung über die SPD in den vergangenen Wochen. Sie habe es "sehr befremdlich" gefunden, Zitat: "wie viele Journalisten ihrer persönlichen Freude über die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz in ihrer Berichterstattung freien Lauf gelassen haben. Wenn überhaupt, dann kann man so etwas vielleicht in einem Kommentar machen, aber auf keinen Fall in der Berichterstattung". Zitat Ende
Dem ist nichts hinzu zu fügen.
Schulz-Effekt und Piraten-Hype
Kaum 14 Tage später hatte die SPD im Saarland die Erwartungen unserer allgemeinen Begeisterung nicht erfüllt, schweigen wir über Schleswig-Holstein und schweigen wir über Nordrhein-Westfalen. Der journalistische Hype um Martin Schulz in den vergangenen Monaten war genauso bizarr wie die Frage am NRW-Wahlabend im Fernsehen, "ob er denn jetzt überhaupt noch der richtige SPD-Kandidat sei".
Haben wir es nicht eine Nummer kleiner, differenzierter?
Und, erinnern Sie sich noch an die Piraten? Was war das vor ein paar Jahren für ein Medien-Hype ! Da wurde vielfach die Neu-Erfindung der Demokratie mit einem ja so frischen, unverbrauchten, modernen Ansatz der "2.0-Welt" gefeiert und geradezu herbei analysiert.
Kann es sein, dass wir in unserer professionellen Sehnsucht nach Neuem, ja, auch nach Sensationellem oder sogar im boulevardesken "Krawall", dass da Kollegen gelegentlich den gesunden journalistischen Menschenverstand und die distanzierte, unaufgeregte Analyse-Fähigkeit an der Redaktions-Garderobe abgeben?
Ich rede gerne mit Volontären. Und dann gebe ich ihnen meist einen zentralen Rat: "Wenn Sie in eine Redaktion gehen, treffen Sie vielleicht auf eine "redaktionelle Meinung". Wenn aber alle in dieselbe Richtung laufen, müssen Sie sofort stehen bleiben. Selbst nachdenken. Kann das sein? Ja, vielleicht, aber guter Journalismus entsteht auch immer im Zweifel - und im "Gegen-den-Strich-bürsten" und im "die-Sache-auch-anders-Betrachten".
Wir zählen uns ja gerne zu den Intellektuellen. Wirkliche Intellektuelle zeichnet unter anderem aus, dass sie auch ihre eigenen Urteile - und ihre Vorurteile - immer wieder aufs Neue kritisch-selbstkritisch hinterfragen und prüfen. Und dass sie abwägend im Urteil sind.
"Journalisten sind ein wichtiger Resonanz-Raum der Demokratie"
Die Reflexe unserer politischen Kultur - und wir Journalisten sind ein wichtiger Resonanz-Raum dieser Demokratie - sie funktionieren glücklicherweise gegen Rechts. Anders als vor 100 Jahren bis zum moralischen Untergang des alten Deutschlands in der Nazi-Barbarei.
Aber die Reflexe funktionieren oft geradezu "automatisch". Ja, im "Pegida"-Phänomen, auch innerhalb der AfD, ist autoritäres, ist neo-faschistisches, ja ist selbst "alt"-faschistisches Gedankengut unterwegs. Aber die Reduzierung darauf wird den Phänomenen nicht gerecht.
Im gesunden Abwehrreflex gegen "Rechts", präziser wäre "rechtsextrem" werden zu oft auch die rechts-konservativen Ansätze "untergepflügt" und im Mainstream des medialen Reißwolfes sogar delegitimiert, die innerhalb des demokratischen Spektrums unserer Verfassung sehr wohl legitim sind.
Aber: bei aller notwendigen Selbstkritik haben wir als professionelle Journalisten dennoch keinen Anlass, zerknirscht "in Sack und Asche" zu gehen und uns mit dem diffamierenden Vorwurf "Lügenpresse" selbst zu quälen. Auch wir Öffentlich-Rechtlichen nicht.
Fake News-Kritik ernst nehmen, aber...
Ich warne davor, dass wir "Lügenpresse" und "Fake News" als Warnschild in die Redaktionen hängen. Wir müssen Kritik ernst nehmen, aber "die Kirche im Dorf lassen".
Die Gesellschaft weiß sehr wohl, was sie an uns hat.
Jüngstes Beispiel: eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der HörZu, vom 3. März. Auf die so genannte "Insel-Frage", welchen Fernsehsender sie wählen würden, wenn er der einzige wäre, antworteten die meisten: Das Erste. Auf Platz zwei kam das ZDF und auf Rang drei die Dritten Programme der ARD. Erst danach folgten, neben den öffentlich-rechtlichen Spartensendern, auch private Kanäle.
Diese hohe Zustimmung gilt übrigens in allen Altersgruppen: Bei den 14- bis 39-Jährigen sind es 74 Prozent, der höchste Wert beträgt 90 Prozent bei den 40- bis 59-Jährigen.
Noch genießen auch die Tageszeitungen eine hohe Glaubwürdigkeit, gerade auch die Lokalzeitungen. Und über 80 % der Menschen kennen den Deutschlandfunk, das ist damit die stärkste Radio-Marke überhaupt. Und sie ordnen ihm höchste Glaubwürdigkeit zu.
Wir alle aber müssen ein großes Interesse daran haben, über vielfältige Wege unseren Nutzern die Mechanismen und die Regeln unseres Handelns zu vermitteln. Auch Fehler einzugestehen und zu korrigieren.
Einen Teil der Menschen, die an unserer Glaubwürdigkeit zweifeln, werden wir nicht erreichen. Das Internet ist da wie ein Brandbeschleuniger - Timothy Garton Ash hat es im vergangenen Jahr griffig als "die größte Kloake der Menschheitsgeschichte" bezeichnet. So schön das Bonmot ist, es geht mir zu weit, trifft aber dennoch in Teilen zu.
Die "Lauten" machen die Politik nervös
Ich verzichte darauf, aus den unfassbar beleidigenden Posts und E-Mails zu zitieren, die an Deutschlandradio, an Mitarbeiter und auch an mich persönlich gerichtet werden. Die Übelsten verklagen wir übrigens - und wir hatten vor Gericht auch schon Erfolg damit. In Zeiten des Populismus wächst die Gefahr, dass die "Lautesten" das meiste Gehör erhalten.
Und schließlich schafft die Besetzung von Themen mit Begriffen und der Spin, den sie mit griffigen Schlagworten erhalten, in vielen Köpfen eine Realität: so ist es mit "Lügenpresse", so ist es - pardon - auch mit "Zwangsabgabe" für den Rundfunkbeitrag.
Ja, auch die Verwendung der Begriffe "Flüchtlingskrise" oder "Türkei-Deal" oder "Gen-Manipulation" sind in meinen Augen höchst problematisch, da sie bereits eine eindeutig negative Konnotation beinhalten. Auch dies ist ein "Spin".
Apropos "Zwangsabgabe": wir könnten für Deutschlandradio mit dem Slogan werben: "48 Cent im Monat: Ihr Demokratie-Beitrag". Denn diese Demokratie - da bin ich fest davon überzeugt - braucht gerade in diesen Zeiten und mehr denn ja einen unabhängigen, öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit ausreichender Finanzierung. Bei aller möglichen Kritik und unserer Pflicht, so wirtschaftlich und ökonomisch wie irgend möglich zu handeln, natürlich geht da `noch was.
Wo aber die "Lauten" den Diskurs prägen, wird in aller Regel die Politik nervös. Natürlich hat Geert Wilders Positionen der anderen Parteien in den Niederlanden beeinflusst, genauso wie Marine Le Pen in Frankreich. Mein geliebtes Frankreich hat mit dem Wahlsieg von Emanuel Macron gerade einmal 5 Jahre gewonnen.
Der Spuk des Front National bleibt uns erhalten. Vielleicht unter neuem Namen: "Alliance des Patriotes". Klingt schöner. Weniger aggressiv. Die Wölfin frisst einfach Kreide.
Noch sind wir in Deutschland nicht so weit - aber die allgemeine Verunsicherung hinterlässt bereits ihre Spuren in der politischen Rhetorik und im medialen Diskurs. Wobei aber ja das Hantieren mit rein emotional besetzten Schlüsselbegriffen und Reizwörtern nicht alleine nur zum Handwerkszeug der Rechten gehört.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ich freue mich darauf, heute sicherlich wieder etwas zu lernen. Vielen Dank.