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500 Jahre arabische Geschichte

Eugene Rogan erzählt in seinem Buch die Geschichte der arabischen Welt der vergangenen 500 Jahre. Besonderes Augenmerk legt der Oxford-Historiker dabei auf die Dominanz ausländischer Mächte und drei Kräfte: den arabischen Nationalismus, das Öl und den politischen Islam.

Von Jan Kuhlmann |
    Nicht nur etliche Kriege haben die arabische Welt in den vergangenen 100 Jahren erschüttert. Die Region leidet auch unter Armut, mangelnder Bildung, Diktaturen und Unfreiheit. Der libanesische Journalist Samir Kassir schrieb 2005 einen Essay über die "arabische Krankheit", wie er es nannte:

    Es ist heutzutage nicht angenehm, Araber zu sein. Manche fühlen sich verfolgt, andere empfinden Selbsthass; eine tiefgreifende Unruhe hat die arabische Welt erfasst.

    Nachzulesen ist das Zitat in dem Buch "Die Araber" des US-Amerikaners Eugene Rogan. Der Historiker aus Oxford erzählt die Geschichte der arabischen Welt in den vergangenen 500 Jahren. Dabei macht er vier große Perioden aus: die Herrschaft der Osmanen, den europäischen Imperialismus, den Kalten Krieg und die einseitige US-Vormachtstellung in der Zeit danach. Schon bei dieser Einteilung ist zu erkennen: Rogan will vor allem zeigen, wie sich die Dominanz ausländischer Mächte in der Region ausgewirkt hat.

    Die Araber sind bei ihm Reagierende, keine Agierenden. Man kann bemängeln, dass dieser Ansatz nicht originell ist. Rogan hat ihn aber aus gutem Grund gewählt. Die neokonservative US-Politik habe die arabische Welt unter massiven Druck gesetzt, vor allem der Irak-Krieg, meint Rogan. Er hält das vergangene Jahrzehnt für einen Tiefpunkt der arabischen Geschichte. Für ihn ein wesentliches Motiv, dieses Buch zu schreiben:

    "Es schien mir, als hätten die Menschen im Westen keine Ahnung, unter welchem Druck die Araber standen. Mir ging es darum, das gegenseitige Missverstehen zwischen arabischer Welt und dem Westen zu überbrücken, indem ich versuche, die moderne Geschichte so zu vermitteln, wie die Araber sie sehen."

    Mit seinem Buch hat sich Eugene Rogan eine gewaltige Aufgabe vorgenommen – nicht zuletzt weil er sich an Koryphäen der Nahostgeschichte messen lassen muss: etwa an dem britisch-amerikanischen Historiker Bernard Lewis mit seiner Geschichte des Nahen Ostens. Oder an Albert Hourani, einer von Rogans Vorgängern in Oxford. Hourani legte Anfang der 90er-Jahre seine "Geschichte der arabischen Völker" vor – bis heute ein Standardwerk. Rogan sieht sein Buch nicht als Alternative zu Hourani, sondern als eine Ergänzung. Hourani erzählt vor allem von Machtstrukturen, Gesellschaft und Wirtschaft – Rogan konzentriert sich vor allem auf die klassische politische Geschichte. Auch im Tonfall unterscheidet sich das Buch von dem Werk seines eher akademisch dozierenden Vorgängers.

    "Ich habe keinen enzyklopädischen, sondern einen erzählerischen Ansatz gewählt. Das Buch ist fast wie ein Kinofilm. Man hat das Gefühl, dass man sieht, wie sich die Kamera über eine dramatische Landschaft bewegt, bevölkert mit reichen und mannigfaltigen Charakteren."

    So beschreibt Rogan immer wieder Szenen, die dem Leser die Vergangenheit vor Augen führen sollen. Und er lässt arabische Stimmen aus der jeweiligen Zeit zu Wort kommen. Sie geben einen unmittelbaren Eindruck davon, wie die Araber selbst ihre Geschichte einschätzen. Rogan setzt die gute alte angloamerikanische Tradition fort, Geschichte mehr zu erzählen als wissenschaftlich trocken darzustellen. Rund die Hälfte des Buches widmet er dem 20. Jahrhundert. Unter dem Druck ausländischer Mächte sieht Rogan in der arabischen Welt vor allem drei Kräfte am Werk: den arabischen Nationalismus, das Öl und den politischen Islam. Dieser griff erstmals in die arabische Geschichte ein, als ein Radikaler 1981 den ägyptischen Präsidenten Sadat tötete:

    Der Mord an Sadat, der im Fernsehen live übertragen wurde, erschütterte die ganze Welt. Ein kleiner Islamist, der im Grunde auf eigene Faust handelte, hatte den Präsidenten Ägyptens ermordet, den Präsidenten des mächtigsten arabischen Staates. Die Aussicht auf eine islamische Revolution konnte nicht länger auf den Iran begrenzt werden, weil in der ganzen arabischen Welt islamische Bewegungen aus dem Boden schossen und weltliche Regierungen herausforderten.

    Bis heute sind die Islamisten beliebt – was sich Rogan vor allem dadurch erklärt, dass sie wie niemand sonst den USA die Stirn geboten hätten. Hier macht sich wie in vielen anderen Passagen die kritische Haltung des Autors gegenüber der US-Politik, aber auch gegenüber Israel bemerkbar. Der arabische Aufstand könnte jedoch als der Anfang vom Ende der totalen ausländischen Dominanz in die arabische Geschichte eingehen, meint Rogan.

    Das Jahr 2011 markiert das Ende des schlimmsten Jahrzehnts der arabischen Geschichte. Wir sehen, wie die arabische Welt als Ganzes einen Wendepunkt erreicht. Wir haben es mit einem Datum zu tun, von dem wir sagen: vor 2011 und nach 2011. Die Region ist nicht mehr dieselbe und wird es nie wieder sein.

    So taugt Rogans Buch auch als Erklärungshilfe für den arabischen Aufstand. Allerdings leidet es an zwei Mängeln: Es vernachlässigt die innere Entwicklung der arabischen Staaten. Wenig ist darüber zu lesen, wie sich Tunesien, Ägypten oder Syrien zu Diktaturen entwickelt haben, gegen die das Volk schließlich aufbegehrte. Ebenso kümmert sich der Autor kaum um gesellschaftliche Strukturen, Armut und Perspektivlosigkeit. Ohne Blick auf die Soziologie und Wirtschaft lassen sich aber die arabischen Revolutionen nicht in Gänze verstehen, wie Rogan beim Ausblick am Ende des Buches zumindest indirekt einräumt:

    Die neuen arabischen Regierungen werden danach beurteilt werden, wie erfolgreich sie darin sein werden, für wirtschaftliches Wachstum zu sorgen, Arbeitsplätze zu schaffen und zentrale öffentliche Dienste wie Gesundheits- und Bildungswesen sowie Wohnungsbau zum Funktionieren zu bringen. Angesichts der schweren Rezession, in die die Weltwirtschaft 2011 geraten ist und in der sie wohl noch einige Zeit bleiben wird, ist dies eine wahre Herkulesaufgabe.

    Trotz dieser Mängel ist Rogan ein großer Wurf gelungen. Er führt seinen Ansatz konsequent aus. Er gewichtet die Ereignisse richtig. Und er leitet den Leser souverän durch 500 Jahre arabische Geschichte, ohne sich im Gestrüpp der Daten und Akteure zu verheddern. So ist ein neues Standardwerk zur modernen arabischen Geschichte entstanden, das den Vergleich mit seinen berühmten Vorgängern von Albert Hourani und Bernard Lewis nicht scheuen muss.


    Eugene Rogan: Die Araber. Eine Geschichte von Unterdrückung und Aufbruch
    Propyläen
    736 Seiten, 26,99 Euro
    ISBN: 978-3-549-07425-1