Mit den Händen können ja alle möglichen Emotionen und Aussagen getätigt werden. Victory, das Zeichen des Siegs, oder der nach oben ausgestreckte Daumen. Zeichen, die man durchaus in der zwischenmenschlichen Kommunikation bei Olympischen Spielen erwartet. Als Signal an den Trainer, alles okay, oder: Freude - ich war erfolgreich!
Selbstbestätigung durch den Mittelfinger
Man sollte den Einsatz der Finger aber weise wählen. Bei diesen Spielen wird es einen Sportler geben, der vermutlich mit seiner Gestik irritieren wird. Der kanadische Schwimmer Santo Condorelli zeigt, wann immer er am Startblock steht, seinen Mittelfinger Richtung Tribüne - dorthin, wo sein Vater sitzt. Condorelli hatte in seiner Kindheit häufiger gegen ältere Konkurrenten verloren. Daraufhin gab ihm sein Vater den Rat, seinen Gegnern symbolisch den Finger zu zeigen, um so sein Selbstvertrauen aufzubauen.
Seither zeigen sich Vater und Sohn gegenseitig den Mittelfinger - Ärger von Veranstaltern gab es deshalb auch schon. Deshalb will Condorelli es bei den Olympischen Spielen etwas dezenter machen - und den Finger vor seine Stirn halten.
Condorellis Geste ist nicht besonders fein und seinen Gegnern gegenüber unsportlich, die gegen ihn im fairen Wettbewerb antreten. Aber immerhin nimmt der Kanadier seinen Mut zusammen, um für seine Sache einzustehen. Von daher ist die Haltung, die hinter dem Mittelfinger steht, eine, die man durchaus einnehmen kann. Allgemein gesagt: der Impuls, Menschen, die sich idiotisch verhalten, zu zeigen, was man von ihnen hält.
Politische Symbolik verboten, Mittelfinger nicht
Und während alle politische Symbolik verboten ist, wie zum Beispiel die Regenbogenflagge als Zeichen der Solidarität mit LGBT-Sportlern, ist der Mittelfinger, auch wenn er dem IOC sicher nicht gefallen wird, nicht ausdrücklich in dessen Charta verboten. Also wäre er doch ein gutes Mittel, um Kritik zu äußern - am IOC, an korrupten Regierungen, an mutmaßlich gedopten Sportlern, man hat ja die freie Wahl bei diesen Spielen. Und die Mittelfinger-Attitüde kann man durchaus auch verbal vertreten, das haben zuletzt einige Personen des Sports bewiesen. Hier drei Beispiele zum Nachmachen.
1. Robert Harting. Nachdem das IOC entschieden hatte, die russische Mannschaft nicht komplett auszuschließen, kritisierte er den deutschen IOC-Boss Thomas Bach in unverblümter Manier: "Er ist für mich Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn", sagte der Diskuswerfer aus Berlin über den deutschen Spitzenfunktionär. Bach war so erbost, dass man befürchten musste, dass er kurz vor der Abschaffung des entsprechenden Paragrafen Harting wegen Majestätsbeleidigung anzeigt.
Kritik von deutscher Schützin an Spielen in Brasilien
2. Die Schützin Barbara Engleder. Nach ihrem vierten Platz am ersten Wettkampftag kritisierte sie im Deutschen Haus, dass die Spiele in Brasilien ausgerichtet wurden - und damit indirekt das IOC. Sie sagte: "Der Bevölkerung hier wird nichts geschenkt. Und dann macht man so große tolle Aktionen wie Olympische Spiele in einem Land, in dem es den Leuten so schlecht geht und wo die Menschen unter der Brücke schlafen. Damit habe ich ein riesengroßes Problem." Die eigene Wahrnehmung so zu äußern, scheint gar nicht so schwierig, wenn man Engleder so hört, aber noch lange nicht jeder Athlet tut das auch.
3. Sir Philip Craven. Der Chef des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) verkündete gestern die Entscheidung, dass die russischen Athleten nicht an den Paralympics im September teilnehmen dürfen - wegen des staatlichen systematischen Dopings, das durch die WADA-Berichte nachgewiesen wurde. Seiner Meinung nach habe die russische Regierung ihre Sportler katastrophal im Stich gelassen. "Ihre Mentalität, die Medaillen über die Moral stellt, ekelt mich an." Wenn der Brite Sir Philip "disgusts me" sagt, ist das immer noch eine sehr höfliche Art des Mittelfingers.
Craven und Bach: Mittelfingergefühle?
Das IPC entschied übrigens auf der gleichen Faktenlage wie das IOC - und kam doch zu einem ganz anderen Schluss. Nicht übermittelt ist, welche Gefühle Sir Philip Craven dem IOC-Chef Thomas Bach gegenüber hegt - und umgekehrt.
Klar kann man auch mit dem verbalen Mittelfinger danebenliegen. Das hat am Wochenende Britta Steffen bewiesen. Auch die ehemalige deutsche Schwimmerin teilte aus, und zwar der russischen Whistleblowerin Julia Stepanowa gegenüber. Dass Stepanowa nicht starten dürfe, sei richtig so: "Sie hat gedopt, Punkt." Dass Stepanowa sich anders als alle russischen Athleten, die jetzt in Rio am Start sind, gegen das Doping-System gestellt hat, war in Steffens kritischer Würdigung nicht ausschlaggebend.
Aber das ist wohl die Gefahr, wenn man den verbalen Mittelfinger zeigt - man denkt manchmal einfach nicht genug nach, bevor man redet.
Unter "Abgefackelt" bildet die DLF-Sportredaktion Hintergründiges, Humorvolles, Abseitiges rund um die Olympischen Sommerspiele in Rio ab.