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Adriana Altaras
"Es wird immer komplizierter mit der Religion"

Sie bezeichnet sich selbst als "jüdische Berlinerin": Die Regisseurin und Schauspielerin Adriana Altaras wurde in Zagreb geboren und wuchs in Gießen auf. Dort gründeten ihre Eltern 1978 die jüdische Gemeinde. Ihr Mann ist katholisch sozialisiert, die beiden Söhne haben eine jüdische Schule besucht. Die 56-jährige Adriana Altaras pendelt zwischen den Welten.

Von Burkhard Schäfers |
    Schauspielerin und Autorin Adriana Altaras beim RadioEins Berlinale-Nighttalk am Rande der 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin.
    Schauspielerin und Autorin Adriana Altaras bekennt sich zu "so etwas wie religiösen Wurzeln" (imago / Seeliger)
    Manchmal ist es zum Verzweifeln mit der Religion: Weil da immer wieder dieser tiefe Graben klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Für "mickrig" und "dürftig" hält sie manchmal ihre eigene jüdische Identität, lässt Adriana Altaras in ihrem Buch ‚doitscha‘ durchblicken. Ein guter Freund gibt ihr daraufhin den Rat: 'Macht nichts. Man muss nicht an Gott glauben. Man muss nur so leben, als ob es ihn gäbe.'
    Suche nach religiöser Heimat
    Adriana Altaras versucht es: "613 Regeln hat das Judentum. Ich würd mal sagen, zwei davon befolge ich tagtäglich. Andere, keine Ahnung. Ich finde, das ist absurd. Aber ich habe mir die Regeln genommen, die mir wichtig sind. Die Zehn Gebote finde ich ziemlich klug. Wenn man die zehn mehr oder weniger schafft, ist man sein Leben lang beschäftigt, das reicht."
    Adriana Altaras hat ein bewegtes Leben: Sie führt Regie, steht selbst auf der Bühne und vor der Kamera, schreibt Bücher. Darin bearbeitet sie auch ihre eigene Biografie: Die Eltern – jüdische Partisanen – verließen die Heimat, das damalige Jugoslawien, als Altaras ein kleines Kind war. Anschließend lebte sie drei Jahre lang bei ihrer Tante in Italien, ehe sie 1967 nach Deutschland kam. Damals war das mit der religiösen Zugehörigkeit so eine Sache:
    "Ich erinnere mich, als ich angefangen hab, meine Eltern zu fragen, wieso die in der Schule sagen, ich sei Israelitin. Was das denn genau sei? In der Schule hat nie jemand gesagt Jude in den 60er Jahren. Das war noch unangenehm behaftet. Und dann sind wir nach Brüssel gefahren zu einem Pessachfest. Das war unendlich lang und langweilig, weil die sprachen alle hebräisch oder flämisch. Ich dachte mir: Also wenn das meine Religion ist – das wird nichts."
    Wurde es dann aber doch. Obwohl sie kein Hebräisch versteht, wird das Judentum ihre religiöse Heimat. Ist Altaras ein gläubiger Mensch?
    "Glaube klingt ja so, als würde ich immer beten. So nicht. Aber ich gehe sehr gern in die Synagoge, weil ich dem Kantor sehr gern zuhöre. Ich verstehe kein Wort hebräisch. Mich entspannt das und beruhigt das. Ist das schon Glauben?"
    Adriana Altaras gibt die Antwort selbst: Der Besuch in der Synagoge, das Feiern von Pessach, Jom Kippur und Rosch ha-Schana sei Teil ihrer jüdischen Identität. Die sich im Übrigen auch in ihrer Arbeit als Regisseurin wiederfindet.
    "Auch ich habe mal Anatevka inszeniert – wer nicht. Und dann habe ich es in der Synagoge spielen lassen. Weil für mich dieses Schtetl und die Synagoge sind so ähnlich, ein Biotop, ein Ort, ein Schtetl. Wie ich das erzählt habe, hätte nur eine Jüdin erzählen können, weil ich weiß, wie es da wirklich zugeht. Meine Bilder sind auch jüdisch geprägt, auch beim Schreiben natürlich."
    "Dinge immer wieder in Frage stellen"
    Vor einiger Zeit sprach die Künstlerin beim offiziellen Gedenken an die Reichspogromnacht in der Frankfurter Paulskirche. Ausgerechnet dort bekannte sie, sie sei kein Freund von verordneter Trauer, von starrem Ritual. Denn dadurch werde religiöse Identität eng geführt. Dabei kann Adriana Altaras durchaus trauern, genauso wie sie humorvoll und selbstironisch über ihre Religion sprechen kann. Und was ist nun der Wesenskern des Jüdischen?
    "Der Versuch, Dinge immer wieder in Frage zu stellen, liegt wirklich in unserer Religion. Du machst dir kein Bild, aber du kannst alles immer wieder erörtern, diskutieren. Ich hab mal gelesen, dass man in der Schule, also in der Synagoge, früher zu zweit gelernt hat. Also einer hat gesagt: ‚Gott ist groß‘, und der andere hat gesagt: ‚Ja, aber.‘ Also nicht ein Gesetz als Gesetz nehmen, sondern es sofort hinterfragen, möglichst sogar aushebeln."
    Vielleicht, weil sie ihr Geburtsland Jugoslawien so früh verlassen musste, hat sich Altaras später auf eine lange Suche nach ihren Wurzeln begeben. Sie besuchte Verwandte in Kroatien, Südamerika, Israel. Versuchte herauszufinden, woher sie kommt. War traurig darüber, dass sie und ihre Eltern in Deutschland keine Familie hatten. Irgendwann jedoch wurde aus der Leerstelle eine Bereicherung: Sie lernte mehrere Sprachen, arbeitete an vielen Orten. Als Berlinerin mit einem katholisch sozialisierten Mann feiert die 56-Jährige neben den jüdischen Festen auch Weihnachten und Ostern. Ist das nun ein beliebiges Religions-Patchwork? Manche dürften bei ihr die vielbeschworene Leitkultur vermissen.
    "Das ist doch eine Leitkultur, was ich mache. Nicht nur Orthodoxie ist eine Leitkultur. Deshalb ist es auf keinen Fall beliebig. Beliebig ist: Religion ist mir egal, Tradition ist mir egal. Das ist ein Weg, den ich gegangen bin, das ist eine Entscheidung zu sagen, ich versuche, das mal so zu leben, dass wir die Bereiche zusammen bringen. Dabei sind wir uns ja nicht immer einig. Das war ja kein einfacher Weg, dahin zu kommen."
    Adriana Altaras ringt mit und um ihre religiöse Identität. Und ist sich sicher: Die Mühe lohnt - gerade angesichts wachsender Unübersichtlichkeit.
    "Es ist sehr viel komplizierter geworden mit der Religion. Zum einen ist sie hohler, weil viele Menschen das nur noch tun, aber nicht daran glauben. Auf der anderen Seite wird sie immer militanter, was genau so schwierig ist. Parallel wird vieles aufgeklärt, was in den diversen religiösen Strömungen passiert ist. Also: Religion an sich hat's nicht einfach."