Archiv

Ägypten
Brantner: Deutlich mehr Gewalt gegen Frauen

Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner war in Ägypten und hat sich dort mit zahlreichen Frauen getroffen. Deren Forderungen seien eindeutig: zurück zum Dialog und der Einhaltung von Menschenrechten, weg von der Gewalt.

    Friedbert Meurer: Viele hatten sich große Sorgen gemacht, Anfang der Woche, als es hieß, der deutsch-ägyptische Publizist Hamed Abdel-Samad ist in Kairo entführt worden. Gegen Abdel-Samad gibt es eine sogenannte Fatwa. Für die Islamisten ist er ein rotes Tuch, unter anderem wegen solcher Äußerungen:
    O-Ton Hamed Abdel-Samad: ”Die Experten haben uns seit Jahrzehnten mit dem Begriff "moderater Islamismus" bombardiert. Ich habe immer gesagt, das ist eine Legende. Moderate Islamisten sind so lange moderat, bis sie die Macht ergriffen haben."
    Meurer: Abdel-Samad, bekannt bei uns auch aus dem Fernsehen, ist wieder frei. Seine Entführung hatte auch gar keinen politischen Grund. Er hat sich offenbar mit den falschen Geschäftspartnern eingelassen.
    So glimpflich geht es nicht immer aus.
    Wer sich in Ägypten für Freiheit und Demokratie engagiert, muss mit heftiger Verfolgung rechnen. Muslimische Frauen sind jetzt zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil sie an Demonstrationen teilgenommen haben, und die Militärs gehen auch gegen liberale Demonstranten und Demonstrantinnen vor.
    Die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner ist gerade gestern Abend aus Kairo zurückgekommen. Dort hat sie an einem Treffen von Frauen teilgenommen. Guten Morgen, Frau Brantner!
    Franziska Brantner: Guten Morgen.
    Meurer: Hat sich Hamed Abdel-Samad, um mit dem Publizisten anzufangen, durch diese Aktion ein wenig politisch desavouiert?
    Brantner: Ich glaube schon, dass es ihm nicht wirklich geholfen hat. Er hat die aufgeheizte, polarisierte Stimmung in Ägypten genutzt, um für seinen Fall Aufmerksamkeit zu bekommen. Es war auch natürlich komplett vorstellbar, dass er von den Islamisten entführt wurde, weil Entführung und Gewalt an der Tagesordnung steht. Aber es hat bestimmt nicht geholfen, weil es ja de facto dann doch ein wirtschaftlicher Hintergrund war.
    Meurer: Inwiefern hat er die Aufmerksamkeit sozusagen missbraucht, weil er seinen Bruder eingeschaltet hat und der dann vor die Presse ging, oder was meinen Sie?
    Brantner: Ja genau, und weil natürlich, sage ich mal, trotzdem der Druck dann auch extrem groß war und viele natürlich sofort in Alarmbereitschaft waren, und andererseits es wirklich viele Menschen gibt, die wegen politischer Verfolgung und ihrer Aussagen gerade entführt werden und denen dann gerade vielleicht sogar etwas weniger geholfen wird.
    Meurer: Haben Sie eigentlich einen Leibwächter, wenn Sie in Kairo unterwegs sind? Abdel-Samad hatte einen, aber nicht in dem Moment. Er wollte dann alleine sein für eine Zeit.
    Brantner: Nein, wir sind noch nicht mit Leibwächtern oder Leibwächterinnen unterwegs. Aber die Stimmung ist sehr angespannt. Von daher, glaube ich, kann man das natürlich auch immer nie wissen, durch wen jemand jetzt gerade entführt wurde, und die Polarisierung ist so groß in Ägypten, dass alles möglich ist. Ich glaube, dieses Gefühl der Unsicherheit ist schon einer der Faktoren, der einfach sofort dazu führt, dass es sehr viele Gerüchte gibt und man sich wirklich kaum noch anschauen kann, was gerade die Fakten sind.
    Militärs wollen "ein abschreckendes Zeichen setzen"
    Meurer: Eine ganze Reihe von Frauen, Islamistinnen, sind jetzt von einem Militärgericht zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil sie an einer Demonstration teilgenommen haben. Die Justiz sagt allerdings, sie hätten Messer dabei gehabt und mit Steinen geworfen. Ist das eine Schutzbehauptung der Militärs?
    Brantner: Es sind ja Mädchen auch unter 18 Jahren, 14, 15 Jahre, die jetzt Jahre ins Gefängnis geschickt werden, weil sie morgens demonstriert haben. Angeblich hatten sie Messer dabei. Ich glaube, selbst wenn das der Fall wäre, würde in einer Demokratie sonst nirgends ein 15-jähriges Mädchen für drei Jahre ins Gefängnis geschickt. Ich glaube, es ist ein klares Zeichen, das jetzt gerade die Militärregierung setzen und senden will, wir akzeptieren keine Demonstrationen, wir akzeptieren auch nicht und gerade, dass Frauen demonstrieren und ihre Meinung äußern, und das knallhart beantworten wollen, um auch ein abschreckendes Zeichen natürlich zu setzen und weitere Demonstrationen zu verhindern.
    Meurer: Die Gegner der Islamisten sagen ja, wenn die Muslimbrüder an der Macht sind, dann sperren die uns ein. Haben Sie Sympathie mit den Islamistinnen, die auf die Straße gehen?
    Brantner: Ich habe erst mal Sympathie mit all jenen, die sich für Menschenrechte einsetzen und für ihre Rechte auch demonstrieren. Ich stelle mich nicht auf die eine oder die andere Seite, sondern ich sage, alle müssen die Menschenrechte einhalten und demokratische Grundregeln, und dazu gehört, dass es eine faire Justiz gibt, dass es die Möglichkeit zu demonstrieren, seine Meinung zu äußern, auch wenn sie einem nicht unbedingt gefällt. Das ist ja nun das Schwierige in einer Demokratie, auch jene Meinungen auszuhalten, die einem nicht so gefallen. Aber man muss natürlich von allen einfordern, dass sie dann auch diese Menschenrechte einhalten und gewaltlos bleiben.
    Meurer: Sie haben, Frau Brantner, an einem Treffen in Kairo teilgenommen die letzten Tage mit, wie Sie auf Ihrer Homepage schreiben, liberalen Frauen islamistischer Parteien. Abdel-Samad, um ihn noch mal zu zitieren, sagt, es gibt keine liberalen Islamisten. Was sind das für Frauen, die Sie als liberale Islamistinnen bezeichnen?
    Brantner: Na ja, ich weiß nicht. Es waren Liberale und Islamistinnen und jene Islamistinnen, die bereit sind, überhaupt in den Dialog heute noch einzutreten. Es war ein Treffen von Frauen, die allesamt sagen, momentan fährt unser Land gegen die Wand, die Männer machen es kaputt, die Gewalt bringt uns nicht weiter und wir müssen wieder einen Dialog finden, miteinander reden. Und jene, die überhaupt bereit sind zum Dialog, zeigen natürlich schon ein bisschen, sage ich mal, Offenheit. Wie gesagt: Ich denke, man muss von allen einfordern, dass sie nachrangig die jeweilige Meinung für alle aufstempeln und umsetzen. Aber es ist schon wichtig, dass der Dialog geführt wird. Es gibt doch in Ägypten ein Drittel der Bevölkerung, die stark muslimisch ist, das politisch auch will. Man kann nicht glauben, dass sie alle verschwinden werden.
    Meurer: Nennen Sie uns ein Beispiel, wenn Sie zugehört haben. Was war liberal an Äußerungen, die Sie von Islamistinnen gehört haben?
    Brantner: Liberal im Sinne von, dass sie bereit sind, in einem demokratischen Rahmen zu spielen und auch demokratische Regeln zu akzeptieren und eben nicht die Anforderung oder die Ziele zu haben, einen islamischen Staat an sich à la Iran zu etablieren, sondern einen demokratischen Staat, in dem sie aber ihre Politik aus muslimischen Hintergründen machen wollen. Da trafen sie sich wie gesagt mit den säkularen Frauen, die ja gerade auch stark unter Attacke stehen.
    Mona Seif wurde diese Woche festgenommen, sie wurde sexuell belästigt, geschlagen und dann mitten in der Wüste von den Polizisten mit anderen Frauen alleine gelassen. Das sind, sage ich mal, Gewalterlebnisse und Erfahrungen von diesen Frauen, die sie schon zusammenbringt, dass sie sagen, egal wie wir politisch motiviert sind, wie wir denken, momentan kann keine von uns gerade ihre Position äußern, und das bringt die dann zusammen.
    Gewalt gegen Frauen hat deutlich zugenommen
    Meurer: Das was Sie gerade gesagt haben, ist es in Ägypten weniger ein Kampf Islamisten gegen Liberale, sondern Männer gegen Frauen?
    Brantner: Na ja, sagen wir so: Wenn sich die beiden dann irgendwann mal annähern, ist es meistens zu Lasten der Frau. Die Gewalt in Ägypten gegen Frauen ist seit Beginn der Revolution extrem gewachsen, auch gerade im öffentlichen Raum, und darunter leiden die Frauen schon sehr. Ich glaube, viele, auch die Militärs, haben momentan kein Interesse daran, dass Frauen demonstrieren. Andererseits haben die Muslimbrüder natürlich auch Regeln versucht umzusetzen, die die Frauenrechte klar beschränkt haben, und jetzt zum Beispiel im verfassungsgebenden Prozess ist schon als Erstes wieder die Frauenquote gefallen für die Wahlen. Ich glaube nicht, dass Frauen bis jetzt die Gewinnerinnen dieser Auseinandersetzungen sind.
    Meurer: Geht es ihnen schlechter als unter Mubarak?
    Brantner: Ja das ist eine große Frage. Es ist schwierig zu sagen. Viele haben das auch befürchtet unter den Muslimbrüdern, unter Mursi. Da gab es auch wirklich Gesetze, die ganz klar Frauenrechte weiter beschränkt hätten. Momentan ist es wie gesagt so, dass die Quote gefallen ist und dass die Gewalt sehr stark gestiegen ist. Von daher, sage ich mal, ist da keine positive Tendenz. Andererseits können sie natürlich momentan auch demonstrieren. Mal sehen, wie lange es noch möglich ist. Ich glaube, es ist auf jeden Fall nicht garantiert, dass wir da in eine richtige Richtung gehen.
    Meurer: Die grüne Außenpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner sieht die Frauen in Ägypten nicht als Gewinner bisher der Arabellion. Sie hat an einer Tagung in Kairo teilgenommen. Frau Brantner, danke schön und auf Wiederhören.
    Brantner: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Franziska Brantner, geboren 1979. Mitglied des Deutschen Bundestags aus Heidelberg. Bis vor kurzem war sie Europaabgeordnete und außenpolitische Sprecherin der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament.
    Franziska Brantner, Abgeordnete der Grünen im EU-Parlament