Ein belebter Stadtteil im Großraum Kairos, breite Straßen, hohe Gebäude mit Geschäften und Cafés, zugeparkte Gehwege. Vor einem Laden ist gerade angeliefert worden, überall stehen Kartons herum: Kartoffelchips, Getränke und Süßigkeiten. Inmitten des Durcheinanders hat sich eine Gruppe junger Leute häuslich niedergelassen, in den Händen Poster und Aufkleber, unter dem Arm ein Laptop. Die jungen Leute gehören zu "Harassmap", eine NGO, die in diesem Land Erfolgsgeschichte geschrieben hat. Die Aktivisten sprechen mit dem Ladeninhaber, der wirkt aufgeschlossen, obwohl sein Geschäft sichtlich behindert wird.
"Entschuldigen Sie", sagt Nouran, eine hochgewachsene hübsche Frau aus der Gruppe, "entschuldigen Sie, dass wir hier so einfach reinplatzen" - und weicht dabei gerade noch rechtzeitig einem Karton mit Schokoladenkeksen aus: "Doch wir haben ein Anliegen, wir müssen etwas Wichtiges mit ihnen besprechen ..."
"Wussten Sie," fährt Nouran fort, "dass Ägypten weltweit einen Spitzenplatz einnimmt? Zusammen mit Afghanistan und Saudi-Arabien? Weil es in diesen Ländern die meisten sexuellen Übergriffe auf Frauen gibt?" Der Ladeninhaber will es nicht glauben, das treffe doch sicher nur dann zu, wenn sich die Frauen unschicklich kleideten... Die Aktivistin schüttelt den Kopf, "Was tragen die Frauen in diesen Ländern", hakt sie nach, "die meisten tragen den Hidschab oder sie müssen sich vollständig verhüllen." Und dann verweist sie auf eine Studie der Vereinten Nationen von 2013. Die belegt, dass im Falle Ägyptens fast jede Frau, die befragt wurde, in der Öffentlichkeit bereits Opfer von Übergriffen wurde, verbal belästigt, betatscht oder gar vergewaltigt. Ganz unabhängig vom Alter, vom Auftreten, von der Kleidung.
"Die Medien verbreiten Lügengeschichten"
Der Ladeninhaber lässt das Gesagte auf sich wirken, ist dann bereit, an der Wand seines Ladens Poster und Sticker anzubringen. Auf den bunten Aufklebern steht geschrieben: "Wir passen auf. Wir greifen ein, wenn eine Frau belästigt wird!"
Die Aktivisten sind mit dem Ergebnis zufrieden, ziehen weiter, biegen ab in eine Nebenstraße.
Hier wird gearbeitet, auch vor der Werkstatt im Staub des Fahrweges. Junge Männer polstern Sessel auf. Der Chef der Truppe ist ein älterer Mann, seine Zähne sind schlecht, er trägt das lange traditionelle Gewand, die Dschallabija. Er mustert die jungen Leute, die auf ihn zukommen, mustert ein wenig missbilligend die Jeans, das offene Haar, den Ring, den einer der jungen Männer im Ohrläppchen trägt.
Als der Polsterer hört, dass es gerade in seinem Bezirk so viele Übergriffe geben soll, geht er in Abwehrhaltung, "kann gar nicht sein", sagt er, "seit drei Jahren wohne ich hier, nichts habe ich mitbekommen, hier kennt doch jeder jeden, wer sagt das, alles nur Gerede, die Medien verbreiten Lügengeschichten..."
Die Aktivisten lässt das unbeeindruckt. Amir, der junge Mann mit dem Ring im Ohrläppchen, eilt herbei, klappt den mitgebrachten Laptop auf und geht online.
"Schauen Sie," sagt Nouran, "so arbeiten wir, das ist eine Karte, da ist Kairo und hier, das ist Euer Viertel. Sehen Sie, wie es hier blinkt! Lauter rote, große Punkte ..."
Tatsächlich ist die NGO "Harassmap" im Internet präsent, mit einer Karte von ganz Ägypten, auf der sexuelle Übergriffe vermerkt sind, - und die Häufigkeit, in der sie verübt werden. Die Informationen stammen aus erster Hand, von betroffenen Frauen und Mädchen, die Karte wird ständig aktualisiert.
Unterscheiden zwischen Komplimenten und Belästigung?
Der Mann in der Dschallabija, mittlerweile umringt von Passanten, die die Karte auch gerne sehen wollen, ist noch immer nicht ganz überzeugt, doch er wirkt weniger selbstbewusst, hält sich fest am Arm eines anderen Aktivisten. Der lässt es zu, weiß, wie schwer das Umdenken fällt, er will den Alten überzeugen.
Im Hauseingang nebenan steht eine Frau in langem Gewand, die Haare bedeckt. Auf den ersten Blick scheint sie schüchtern, doch nach und nach wird auch sie zugänglich. Es stellt sich heraus, dass sie drei Söhne hat, geschieden ist, als Dienstmädchen arbeitet, und: mehrfach belästigt wurde. Trotzdem geht auch sie davon aus, dass es die Kleidung der Frauen ist, die die Männer verführt.
"Aber nein, sie tun es doch immer - Hauptsache Frau," wird ihr entgegengehalten, doch sie will die Männer nicht schlecht reden. Vielleicht müsse man unterscheiden: zwischen Komplimenten und 'taharrush' - sexueller Belästigung. Sie verspricht, ihre Söhne gut zu erziehen, dass sie keine Frau bedrängen werden.
Aufbruchstimmung, Zeit für traditionelle Abschiedsrituale. Die Aktivisten danken für die Aufmerksamkeit, danken für: "fursa sa'ida auwi" - die gute Gelegenheit, miteinander gesprochen zu haben. Und dann stimmen sie darin überein, ihr Land gemeinsam nach vorne zu bringen, zum besten aller Länder zu machen, nach und nach, so Gott es will, und sie wünschen sich, dass Männer und Frauen sicher und in Würde miteinander leben können.