Dirk-Oliver Heckmann: Bisher hatte sich die neue Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen von der CDU, ja so ein wenig den Vorwurf zugezogen, sie wolle weiter Familienpolitik, wenn auch mit anderen Mitteln betreiben, mit ihrem Vorstoß, die Bundeswehr familienfreundlicher zu machen. Jetzt aber steht sie womöglich früher als gedacht vor ihrer ersten Bewährungsprobe. Wenn nicht alles täuscht, dann steht die Bundeswehr vor einer Ausweitung eines Militäreinsatzes in Mali und vor einer neuen Mission in Zentralafrika. Die Außenminister der EU haben sich gestern grundsätzlich darauf geeinigt.
- Und darüber wollen wir jetzt sprechen mit Stefan Liebich, er ist Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten Tag, Herr Liebich.
Stefan Liebich: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Die Linke ist gegen die Pläne. Ist es aber angemessen, immer nur Nein zu sagen, ohne sich ein genaueres Bild von der Lage zu machen?
Liebich: Das wäre nicht angemessen. Aber wir sagen ja Nein, weil wir uns ein Bild der Lage gemacht haben. Und wir fürchten, dass es hier bei diesem Einsatz mehr darum geht, dass die Bundesrepublik Frankreich unterstützt, als dass wir den bedrohten Zivilisten in Mali und der Zentralafrikanischen Republik wirklich helfen. Und deshalb ist das kein guter Einsatz.
Heckmann: Wie kommen Sie darauf?
Liebich: Sie kennen ja sicherlich die Überlegungen, die beim letzten EU-Gipfel geäußert wurden, als Frankreich den Wunsch geäußert hat, dass sich die Bundesrepublik und andere europäische Staaten an der Finanzierung ihrer Einsätze, also der Einsätze Frankreichs in ihren ehemaligen Kolonien beteiligt. Und völlig zurecht hat unsere Bundesregierung gesagt, das käme überhaupt nicht infrage. Frankreich trifft Entscheidungen, allein, und wir sollen sie im Nachhinein mit bezahlen. So funktioniert das nicht. Und jetzt durch die Hintertür wird genau das gemacht; ich glaube, das ist keine gute Idee.
Heckmann: Aber dann müssten Sie doch begrüßen, dass die Bundesregierung jetzt bereit ist, der Bitte aus Paris Folge zu leisten, nämlich sich auch aktiv und militärisch zu beteiligen?
Liebich: Es bleibt ja dabei, dass das Einsätze sind, die Frankreich im Alleingang beschlossen hat, wo es darum geht, dass Frankreich seine Interessen in seinen ehemaligen Kolonien vertritt. Und das ist nicht die Aufgabe der Bundesrepublik und der Bundeswehr, dabei mitzumachen.
Heckmann: Wie kommen Sie denn darauf, dass Frankreich dort die eigenen Interessen vertritt und es eben nicht um die Stabilisierung der Länder dort geht?
Liebich: Wenn man sich anschaut, was jetzt geplant ist, beispielsweise in der Zentralafrikanischen Republik, dann wird dieser Einsatz lediglich dazu führen, dass ein kleines Gebiet um die Hauptstadt Bangui im Flughafenbereich unterstützt und geschützt wird. Damit wird in der Weite des sehr, sehr großen Landes den Zivilisten, die dort weiter unter Gewalt zu leiden haben, überhaupt nicht geholfen. Das ist kein Einsatz, der den Menschen, die dort tatsächlich zu leiden haben, hilft, sondern es geht darum, dass Frankreich seine Interessen vertritt. Und das ist nicht unsere Aufgabe.
Heckmann: Die Hauptstadt zu stabilisieren, das wäre ja zumindest ein erster Schritt, um auch in anderen Regionen eine Stabilisierung vornehmen zu können. Zentralafrika versinkt ja in der Tat in Chaos und Anarchie. Die UNO, die spricht schon von einem drohenden Völkermord und erinnert an Ruanda, an Bosnien. Da kann man doch nicht mit Gesprächskreisen reagieren, oder?
Liebich: Nein, das ist wohl wahr. Aber wir geraten hier auch an die Grenze des UN-Systems. Sehen Sie, das Problem ist, dass in der Zentralafrikanischen Republik und übrigens auch in Mali diejenigen, die dort kommen, um zu helfen, eben nicht mit Jubel und Blumensträußen begrüßt werden, weil sie nicht als unparteiische Schlichter eines Konflikts, wegen mir auch mit militärischen Mitteln, wahrgenommen werden. Es werden zum Beispiel in der Mission der Afrikanischen Union in Zentralafrika auch Soldaten vom Tschad eingesetzt. Und die waren Bestandteil des Konflikts. Die werden demzufolge nicht begrüßt, sondern man fürchtet, und das passiert auch real, dass sie die Auseinandersetzungen verstärken. Ich verstehe schon: Wenn man aus deutscher Sicht sich das hier anschaut und sagt, dort passieren schreckliche Dinge, dann muss doch etwas getan werden. Das ist ein total menschliches und nachvollziehbares Gefühl. Nur wenn im Ergebnis die Lage schlimmer ist als vorher, dann sollte man sich daran nicht beteiligen.
Heckmann: Das Ergebnis kennen wir natürlich jetzt noch nicht. Was sollte man denn aus Ihrer Sicht tun, um Abhilfe zu schaffen?
Liebich: Zunächst einmal wäre es richtig gewesen, und da muss man einfach als Parlamentarier darauf pochen, dass sich unsere Bundesregierung mit dem Parlament dazu auseinandersetzt. Wir hatten in der letzten Woche unsere allererste Parlamentssitzungswoche, die erste richtige seit langer, langer Zeit. Die Verteidigungsministerin und auch der Außenminister haben mehrmals gesprochen, es gab Beratungen der Obleute und es ist kein Wort von den gesamten Planungen gesagt worden. Wir haben in Deutschland nach dem Grundgesetz eine Parlamentsarmee und keine Ministerarmee. Und das geht so überhaupt nicht.
Heckmann: Das heißt, Sie fühlen sich da in einer gewissen Hinsicht hintergangen?
Liebich: Es ist schon so. Es gab Überlegungen, wie wir dann der Zeitung entnommen haben, als pünktlich alle Abgeordneten wieder in ihre Wahlkreise entschwunden sind. Nun wurde uns gesagt, ja, das waren die zeitlichen Abläufe, aber das geht so nicht. Da hätte man schon mit den Abgeordneten sprechen können. Da kann man nicht erwarten, dass wir hier einen Blankoscheck erteilen. So läuft das nicht.
Heckmann: Über Zentralafrika haben wir gerade kurz gesprochen; schauen wir mal nach Mali. Da hat ja Frankreich auch Truppen entsandt, vor einem Jahr, die dann in der Lage waren, die Islamisten zurückzudrängen. Wenn man Ihrer Linie folgt, dann hätte Frankreich diese Soldaten gar nicht schicken dürfen, und man hätte zusehen sollen, wie die Islamisten Mali überrennen?
Liebich: Nein! Das wäre natürlich falsch. Und damals gab es auch aus durchaus linken Kreisen Leute, die gesagt haben, es war schon gut, dass hier ein Stoppzeichen gesetzt wurde. Niemand von uns ist dafür, einfach Islamisten gewähren zu lassen. Aber was sich da leider wieder rächt, ist, dass man einen Einsatz planlos nach dem nächsten macht. Wir haben in Libyen die Situation gehabt, dass man versucht hat, mit militärischen Mitteln, was ja auch real passiert ist, Gaddafi zu entmachten. Guido Westerwelle und die Bundesregierung haben damals klugerweise gesagt, sie beteiligen sich daran nicht. Und der eine Konflikt zieht den nächsten nach sich. Die, die dort vertrieben wurden, sind dann im nächsten Land gelandet. Ich glaube, wenn es leider irgendwo Fälle gibt, wo auch Militär eingesetzt werden muss, dann müsste man mal zu dem Punkt kommen, der in der UN-Charta in Artikel 43 festgeschrieben wurde, nämlich, dass es tatsächlich internationale Truppen unter dem Dach der UNO gibt. Dann wird man nämlich auch den Verdacht los, dass ehemalige Kolonialmächte – und das ist leider so in Afrika – wie Frankreich in diesem Fall immer wieder ihre eigenen Interessen dort vertreten. Was man so macht, ist ein planloses Agieren. Man greift in dem einen Land ein und erzeugt einen Konflikt im nächsten Land. Das ist nicht vernünftig.
Heckmann: Dass die malische Regierung um militärische Hilfe gebeten hat und dass es ein UNO-Mandat geben soll für Zentralafrika, das spielt für Sie keine Rolle?
Liebich: Ich finde, dass es ohne ein UNO-Mandat natürlich überhaupt nicht ginge, weil es dort völkerrechtswidrig wäre. Nun ein UNO-Mandat zu haben, das ist sicherlich völkerrechtsgemäß, aber deswegen nicht sinnvoll. Und dass die jeweiligen Regierungen darum bitten, na ja, dann müssen Sie sich anschauen, wie die Regierungen ins Amt und aus dem Amt herauskommen. Fast alle Regierungswechsel, die in dieser Region stattgefunden haben, haben letztlich immer auch mit Frankreich zu tun. Ich bleibe dabei: Es kann nicht sein, dass eine ehemalige Kolonialmacht die Führungsaufgabe bei solchen Militäreinsätzen übernimmt und die Bundesregierung dann dabei mitmacht. Sie versucht, sich herauszureden, unsere Regierung, indem sie sagt, es ginge hier nur um Ausbilder und logistische Unterstützung. Wenn man Truppen transportiert, wenn man Luftbetankung von französischen Kampffliegern vornimmt, dann ist man integraler Bestandteil eines Militäreinsatzes, den wir nicht entschieden haben und der auch nicht richtig ist.
Heckmann: Sie sagen, Herr Liebich, es kann nicht sein, dass eine ehemalige Kolonialmacht da militärisch immer noch aktiv ist. Jetzt ist es aber so, dass außer Frankreich offenbar kein anderes Land bereit ist, da die Initiative zu ergreifen. Und Deutschland schickt ja auch keine Kampftruppen in die beiden Länder. Man könnte also auch sagen, Deutschland macht sich mal wieder einen schlanken Fuß und lässt andere die Drecksarbeit machen.
Liebich: Das sehe ich genau anders herum. Ich glaube, dass Deutschland sich hier durch die Hintertür an Einsätzen beteiligt, die wir nicht entschieden haben und die wir auch nicht richtig finden sollten. Und das sollte man nicht machen.
Heckmann: Die Entscheidung, die wird aber im Bundestag, denke ich, kommen, oder?
Liebich: Na ja, wie ich am Anfang sagte: Eigentlich haben wir eine Parlamentsarmee. Wenn Sie mich als Parlamentarier fragen, ich würde so einem Einsatz nicht zustimmen. Und ich gehe davon aus, meine Fraktion würde dem auch nicht zustimmen. Wir sind bisher noch nicht gefragt worden. Leider habe ich schon von Kollegen der Großen Koalition, von Herrn Arnold im Gespräch mit Ihnen, mit Ihrem Sender gehört, dass sie das nachvollziehbar und richtig finden. Das deutet darauf hin, dass mit dem Regierungseintritt der SPD die Politik der militärischen Zurückhaltung, die zumindest im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP verabredet war, nicht mehr gilt. Und das ist schon ganz schön traurig.
Heckmann: Die Bundeswehr steht vor einer Ausweitung ihrer Einsätze in Afrika. Darüber haben wir gesprochen mit Stefan Liebich, er ist Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Liebich, und einen schönen Tag.
Liebich: Gern geschehen, auf Wiedersehen.
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