
Die Ahr hat ihr Potenzial mit der Flut vom Sommer 2021 noch nicht ausgeschöpft. Dieses Urteil des Bonner Hochwasserexperten Thomas Roggenkamp vor dem Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe des Mainzer Landtags schockiert. Man hätte es den Entscheidungsträgern in Bund und Ländern einhämmern sollen, bevor sie an der Fördersystematik des 30 Milliarden Euro schweren Aufbauhilfefonds strickten.
Denn diese führt mit dazu, dass 99 Prozent aller flutverwüsteten Gebäude in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen an alter Stelle flussnah wiederaufgebaut werden. Teils, weil Betroffene den privaten Raum in ihrer Heimat schnell zurückhaben wollen – verständlich angesichts der großen Belastungen. Teils aber auch, weil Geschädigte sich gezwungen sehen, trotz unguter Gefühle am selben risikoreichen Ort wiederaufzubauen.
Ziel war eine "Modellregion" für Nachhaltigkeit
Denn nur, wenn sie einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung mit Trauma-Gutachten oder ähnlichem begründen, wird ihnen eine neue Bleibe anderswo finanziert. Und so sind Restmauern und Erdaushub als gefährliche Hemmnisse für den Wasser-Abfluss noch nicht mal von den Ahr-Ufern entfernt, da wird im Überschwemmungsgebiet schon wieder auf- und neugebaut. Das Ahrtal als nachhaltige „Modellregion“ zu gestalten, war anfangs mal als Ziel formuliert worden.
Doch was man sieht, wirkt vielerorts ganz und gar nicht modellhaft: Parkplätze und Schottergärten statt Grün in Flussnähe. Nagelneue Kunstrasenplätze, die in einer erneuten Flut als Matten wegschwimmen und Wasserstau verursachen könnten. Abgerissen werden auch sanierungsfähige Fachwerkhäuser und historische Wirtschaftsgebäude.
Der Ruf von Architekten und Naturschutzverbänden nach einem bundesweiten Abrissmoratorium und mehr Kreislaufwirtschaft, um der Klimakrise zu trotzen – auch im Ahrtal verhallt er ungehört. Oft aus finanziellen Gründen oder weil nicht bekannt ist, wie stark Ehrenamtliche und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz Eigentümer historischer Gebäude unterstützen – finanziell und mit Manpower.
Modellhafter Neuaufbau bräuchte Zeit, und die ist knapp, wo Menschen ihre Bleibe verloren haben und schnell wieder zurückwollen. Anfänglich riefen einige Wissenschaftler nach einem Bau-Moratorium, um sorgfältiger planen zu können. Der Appell blieb folgenlos. Stadträte müssen jetzt entscheiden, ob sie Neubaugebiete im Überschwemmungsgebiet aufgrund einer Bauleitplanung von vor der Flut genehmigen. Noch bevor ein Hochwasserschutzkonzept für das gesamte Ahrtal mit 900 Quadratkilometern Einzugsgebiet vorliegt. Das soll frühestens Ende 2024 der Fall sein.
Flussauen sind der günstigste Schutz
Es wäre gut, wenn Kommunen bis dahin Vorkaufsrechte ausüben könnten, um naturnahe Versickerungsflächen zu erwerben. Damit diese nicht versiegelt werden. Denn Flussauen zu erhalten, wäre der schnellste und günstigste Hochwasserschutz. Doch aus dem Wiederaufbaufonds dürfen die klammen rheinland-pfälzischen Kommunen solche Käufe nicht bezahlen.
Der Klimawandel forciert Extremwetterlagen, sagen Experten. Er dürfte die Abfolge von schweren Hochwassern beschleunigen. Mögen auch die Alarmketten besser funktionieren und keine Menschen mehr sterben: Bei erneuten verheerenden Sachschäden müssten sich die Verantwortlichen in Bund und Ländern vorwerfen lassen, berechtigte Forderungen nach einer klimaresilienteren Fördersystematik überhört zu haben. Wiederaufbau ohne Hochwasserschutzkonzept – gewagt.