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Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte
Eine Sisyphosaufgabe

Ob in Textilfabriken in Bangladesch oder beim Einkauf seltener Metalle im Kongo: Immer wieder verletzen transnationale Konzerne Menschenrechte. Jetzt sollen die Firmen mehr Verantwortung für ihre Produktions- und Beschaffungsketten übernehmen, das sehen Leitprinzipien der UNO vor. In Deutschland werden diese gerade konkretisiert: mit einem nationalen Aktionsplan. Für diverse NGOs geht der aber nicht weit genug.

Von Caspar Dohmen |
    Textilarbeiter in Indonesien
    Textilarbeiter in Indonesien (dpa / picture alliance / Guido Meisenheimer)
    "Did they know or should they have known"
    Ein ICE-Abteil im November 2015. Die Juristin Miriam Saage-Maaß von der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights – kurz ECCHR - diskutiert mit drei Sudanesen über den Lahmeyer-Fall. Es geht um die Frage, ob Mitarbeiter des hessischen Ingenieursbüros Lahmeyer im Zusammenhang mit dem Bau des Merowe-Staudamms im Sudan in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren. Wortführer des Trios ist Ali Askouri, der die Volksgruppe der Manansir vertritt, die am Nil traditionell vom Dattelanbau und der Viehzucht lebte, bevor ihre Dörfer geflutet wurden.
    "Mehr als 80.000 Leute sind vertrieben worden. Sie wurden nicht entschädigt. Die Regierung wollte sie in die Wüste umsiedeln. Auf dem Höhepunkt der Proteste gab es eine Menge Menschenrechtsverletzungen: Drei Leute sind erschossen worden und Dutzende wurden verhaftet. Die Menschen sind in ihren Häusern geflutet worden."
    Niemand hatte diese Menschen über die Schließung des Staudamms informiert. Die drei Männer werden am nächsten Tag bei der Polizei in Gießen als Zeugen aussagen. Sie sind unzufrieden, weil das Verfahren gegen die deutsche Firma auf der Stelle tritt. Strafanzeige haben Betroffene und der ECCHR bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bereits 2010 eingereicht. Sie werfen dem Unternehmen Lahmeyer - in deren Hand die technische Leitung lag - vor allem in der Schlussphase des Projekts Fehlverhalten vor. Saage-Maaß:
    "Sie hätten schlicht und ergreifend das Projekt aussetzen sollen für einen gewissen Zeitraum, bis die Umsiedlung geklärt ist."
    Lahmeyer sieht das erwartungsgemäß anders und betont, dass die Projektbeteiligten stets korrekt gehandelt hätten. Dies ist kein Einzelfall. Menschenrechtliche Konflikte zwischen Unternehmen und lokalen Bevölkerungen oder Beschäftigten gibt es immer häufiger irgendwo auf der Welt, ob in Textilfabriken in Bangladesch, auf Baustellen in Katar oder beim Einkauf seltener Metalle im Kongo. Es ist die logische Konsequenz des heutigen Geschäftsmodells transnationaler Konzerne mit ihren global verästelten Beschaffungs- und Produktionsketten.
    Transnationale Konzerne sind die großen Gewinner der Globalisierung, die seit Ende der 80er-Jahre einen enormen Schub bekam, ausgelöst durch die Öffnung neuer Märkte nach dem Ende des real existierenden Sozialismus und bahnbrechende technische Neuerungen wie Computer und Internet. Jetzt sollen die Konzerne mehr Verantwortung für ihre globalen Produktions- und Beschaffungsketten übernehmen. Das sehen die UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte vor. Sie werden gerade in Deutschland konkretisiert, mit einem nationalen Aktionsplan. Die Bundesregierung wirbt dafür:
    "Das 21. Jahrhundert steht im Zeichen einer vernetzten Weltwirtschaft, dadurch ergeben sich auch für Unternehmen Chancen, aber mit den Chancen wächst auch die Verantwortung. In Deutschland genießen die Menschenrechte hohe Achtung, die Verantwortung dafür soll jetzt wirkungsvoll auf die globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten deutscher Unternehmen ausgeweitet werden, weltweit. Deutschland erstellt dafür einen Aktionsplan."
    Den Leitprinzipien hatten 2011 alle Staaten im UN-Menschenrechtsausschuss zugestimmt und damit erstmals einen globalen Rahmen für die Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht und der unternehmerischen Verantwortung in Bezug auf Wirtschaft und Menschenrechte geschaffen. Von einem "historischen Kompromiss" sprach die internationale Handelskammer, eine der wichtigsten Lobbyorganisationen der Wirtschaft. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Brot für die Welt, ECCHR oder Germanwatch reagierten skeptisch, weil der Ansatz – anders als von ihnen gefordert – viele Lücken aufweist und völkerrechtlich unverbindlich ist.
    33 Länder arbeiten derzeit an Aktionsplänen
    Jeder einzelne Staat ist aufgerufen, die Leitprinzipien in einem Nationalen Aktionsplan umzusetzen. Die Bundesregierung ließ sich damit Zeit. Den Startschuss gab sie erst im November 2014, mit einer Veranstaltung im Auswärtigen Amt. Dort machte der damalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, klar:
    "Die Pflicht für die Umsetzung menschenrechtlicher Standards liegt in erster Linie bei den Staaten, aber die Leitprinzipien verdeutlichen, dass Unternehmen als Akteure der Wirtschaft eine Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte im Rahmen ihres Handlungs- und Einflussbereiches haben."
    Christoph Strässer
    Christoph Strässer (dpa picture alliance/ Daniel Naupold)
    Eineinhalb Jahre diskutierten Vertreter von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft über die richtigen Maßnahmen. Es gab diverse Expertenanhörungen. Noch im März will die Bundesregierung nun einen Entwurf vorlegen. Verabschiedet werden soll der Aktionsplan möglichst noch vor der Sommerpause.
    "Im Moment arbeiten 33 Länder an solchen Nationalen Aktionsplänen, die ersten zehn oder elf, die vorgelegt wurden, kamen alle aus Europa, das hat damit zu tun, dass die EU-Kommission in einer Richtlinie 2011 die Länder gebeten hat, solche Aktionspläne auch zu machen, aber inzwischen arbeiten auch andere Länder daran, von den USA bis Malaysia, von Mexiko bis zu einigen afrikanischen Ländern."
    Michael Windfuhr begleitet das Thema Wirtschaft und Menschenrechte schon sein ganzes Berufsleben, heute als Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, das bei dem Prozess für die Erstellung eines Nationalen Aktionsplans eine beratende Funktion hat. Schon 1995 hatte Windfuhr mit einem Kollegen das Buch "Welthandel und Menschenrechte" geschrieben. Geändert habe sich seitdem am Grundproblem nichts: Das Menschenrechtsregime hinke dem globalen Handelsregime hinterher, sagt Windfuhr.
    "Im Handels- und Investitionsschutzbereich gibt es durchsetzungsstärkere Instrumente, wo man mit Sanktionen oder auch mit einfach normalen Regularien andere Länder sozusagen bestrafen kann oder Präferenzen entziehen kann. Im Menschenrechtsbereich haben wir im Grunde international keine Durchsetzungsinstrumente und dieses Ungleichgewicht bestand vor 20 Jahren und besteht heute immer noch."
    Wie weitreichend die Rechte der Konzerne im Handelsrecht heute verankert sind, ist vielen Bürgern im Zusammenhang mit der Diskussion über TTIP bewusst geworden, dem geplanten Handelsabkommen zwischen der EU und den USA. Ursprünglich wollten die Industrieländer auch Umwelt- und Sozialstandards in internationale Handelsverträge aufnehmen, beispielsweise bei Gründung der Welthandelsorganisation WTO. Dagegen wehrten sich die Entwicklungsländer.
    Genaue Zahlen über die Verwicklung von Konzernen in Menschenrechtsverletzungen gibt es nicht. Einen Hinweis liefert eine Studie der Universität Maastricht. Forscher haben 1.800 öffentlich zugängliche Beschwerden über Menschenrechtsverstöße ausgewertet. Spitzenreiter mit 511 Beschwerden waren Unternehmen aus den USA. Dann folgten Firmen aus Großbritannien, Kanada und China. Firmen aus Deutschland belegten mit 87 Beschwerden Platz fünf in diesem Negativranking.
    In den meisten Fällen wurde Konzernen angekreidet, die Rechte von Arbeitnehmern oder von Angehörigen indigener Bevölkerungen verletzt zu haben. Es gab deutlich weniger Fälle, bei denen es um die Menschenrechte von Verbrauchern ging. Wenn beispielsweise Firmen durch extrem hohe Preise für ein Medikament, Menschen faktisch ihres Rechts auf Gesundheit beraubten.
    Schon heute müssen Unternehmen Aktionäre und Öffentlichkeit über diverse Risiken wirtschaftlicher Art informieren. Laut den UN-Leitprinzipien sollen Firmen künftig auch menschenrechtliche Auswirkungen ihrer Tätigkeiten identifizieren, Schäden vorbeugen und eingetretene Schäden beheben. Für Windfuhr ist das nur konsequent.
    In sieben von zehn Ländern sind Streiks verboten
    "Weil die Globalisierung natürlich dazu geführt hat, dass wir zum einen sehr viel längere Lieferketten haben als noch vor 30 Jahren. Wir haben dadurch eine größere Möglichkeit outzusourcen, aber wir haben eben auch mehr Risiken eingekauft. Und das ist, glaube ich, das Thema, um das es geht: Wie kann man die Risiken, die dadurch entstanden sind, dass die Lieferketten so komplex geworden sind, in irgendeiner Weise auch in Unternehmen, in Firmen managen, damit man sicherstellen kann, es kommt nicht zu Schädigungen von Menschenrechten."
    In vielen Staaten gibt es kein Arbeitsrecht, das menschenwürdige Bedingungen definiert. Zum Beispiel gibt es in sechs von zehn Ländern keine Tarifverhandlungen und in sieben von zehn Ländern sind Streiks verboten. Beim Thema Menschenrechte gebe es weltweit keinen juristisch eindeutigen Standard, warnen Juristen. Unternehmen agierten deswegen häufig in Räumen der Rechtsunsicherheit. Das gilt übrigens nicht nur für international agierende Konzerne, sondern praktisch für jede Firma, die Produkte oder Bauteile aus aller Welt zukauft.
    "Moderne Bordnetzsysteme, komplexe Elektrik und Elektronikkomponenten sowie elegantes Interieur: Über 50 Standorte in mehr als 20 Ländern bilden ein globales Entwicklungs- und Fertigungsnetzwerk", wirbt Dräxlmaier in einem Imagefilm. Der Automobilzulieferer mit Hauptsitz im niederbayerischen Vilsbiburg, ist ein Paradebeispiel für ein Unternehmen mit vernetzten Lieferketten, angesichts von mehr als 1.000 direkten Lieferanten. Kann man die alle kennen?
    "Wir machen da eine Art Risikobetrachtung. Also wir schauen schon, beziehen wir kritische Materialien aus schwierigen Ländern?, nenne ich das mal. Dann geht man runter und sticht durch die Lieferkette durch und dann haben wir Projekte, dass wir tatsächlich bis in die Entwicklungsländer reingehen und dort die Rohstoffproduzenten kennenlernen und mit denen sprechen, aber ansonsten ist das so komplex, die kann man gar nicht alle kennen, persönlich schon gar nicht."
    Preisdruck der Firmen: ein Argument?
    Georg Barfuß hat eine Doppelrolle, er arbeitet drei Tage die Woche bei Dräxlmaier als Leiter Unternehmensverantwortung und lehrt in der restlichen Zeit an der Fachhochschule Ingolstadt zum gleichen Thema. Die Firma ist eine Technologieschmiede, bei der neben den Herstellern von Luxusautos wie Mercedes, BMW und Audi auch der US-Konzern Tesla Teile bestellt. Trotzdem muss die Firma immer billiger produzieren.
    "Wir müssen jedes Jahr Kostenreduktionen liefern, bei gleicher Qualität und dann führt das dazu, dass wir die Lieferketten global machen. Da gibt es den schönen Satz 'Je weiter in den Osten, desto billiger die Kosten'. Aber inzwischen sind wir halt in Ländern wie Moldawien angekommen, inzwischen sind wir in Tunesien und Ägypten und auch in Südostasien."
    Über Risiken habe man lange hinweggesehen, sagt Barfuß selbstkritisch.
    "Da hat man gesehen, es gibt einen Lohnkostenvorteil, die Qualität kriegt man auch hin, aber die ganzen Risiken, die man sich mit global verteilten Lieferketten einkauft, als Rucksack hinten drauf spannt, die haben wir am Anfang gar nicht gesehen. Da war nur das kurzfristige positive, günstig, günstig, günstig."
    Die Autokonzerne machen weiter Druck, unter anderem indem sie die Kosten ihrer Zulieferer vergleichen. Dafür verlangen sie sogar Einblick in Geschäftsgeheimnisse.
    "Wir haben teilweise gläserne Kalkulationen mit den OEMs. Die gucken rein und schauen unsere Kostenstrukturen an und dann kriegst du als Zulieferer gesagt: 'Pass auf, als Beispiel, Deine Logistikkosten, das muss viel besser gehen, da musst du was machen, Standort verlegen oder deine Lohnstückkosten sind viel zu hoch, die Konkurrenz macht das für den und den Preis.'"
    Schaffen können Unternehmen dies häufig nur, indem sie den eigenen Kostendruck an Lieferanten weitergeben. Die Lieferketten umfassen in der Automobilindustrie oft 5 bis 15 Schritte. Die Firmen ganz am Anfang der Produktionskette kommen häufig nur über die Runden, indem sie Beschäftigte ausbeuten.
    Dazu gehört in der Textilbranche beispielsweise die Fabrik Florenzi in El Salvador, bei der Isabel Mengivar arbeitet. Die Arbeiterin wohnt in einem mit Wellblech bedeckten Ein-Raum-Haus mit Lehmboden. Sie hat Leinen gespannt und Stoffe darüber gehängt und so winzige Bereiche abgetrennt: Küche, Matratzen oder das Waschbecken. Mengivar bringt ihre fünf Kinder allein durch. Den Mindestlohn von 211 Dollar, der unter der Armutsgrenze liegt, bekommt sie nur, wenn sie keinen Arbeitstag in der Fabrik fehlt.
    "Ich kann niemandem die Fabrik, die Maquila, empfehlen. In einer Fabrik leidest du. Die Maquila ist in El Salvador die schlimmste Form der Ausbeutung."
    Wenn die Kinder schlafen, sitzt sie oft noch bis tief in die Nacht zusätzlich an der uralten Triumph-Nähmaschine zu Hause und fertigt Kleider für Nachbarn. Trotzdem langt das Geld oft nicht. Sie müht sich, drei Dinge da zu haben: "Zucker, Bohnen und Tortillas. Aber für die Tortillas reicht es nicht immer."
    Florenzi hat eine Zeit lang auch Produkte für Puma hergestellt. Die Aufträge kamen nicht direkt von dem Unternehmen, sondern ein offizieller Puma-Zulieferer reichte die Order einfach weiter. Dieses Zwei-Klassen-Produktionssystem mit vorzeigbaren Zulieferern, die auf prekäre Sublieferanten zugreifen, ist weit verbreitet.
    Die Forderung nach verbindlichen menschenrechtlichen Vorgaben für grenzüberschreitend tätigte Konzerne wird schon seit mehr als einem halben Jahrhundert erhoben. Darauf macht Sarah Lincoln aufmerksam, Referentin bei Brot für die Welt und Mitglied im Steuerungskreis für die Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplans.
    "Wo wir heute stehen, ist eigentlich so eine Art Kompromissversuch. 2011 hat man gesagt, gut, wir wollen keine verbindlichen Regeln. Wir versuchen es noch einmal mit einem Soft-law-Ansatz, also freiwilligen Empfehlungen und, ja, der Harvard-Professor John Ruggie hat da ein Konzept vorgestellt, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Inhaltlich ist das gar nicht schlecht. In der Durchsetzung hapert es etwas, weil es die Nichtbeachtung nicht sanktioniert wird. Es ist eben nicht verbindlich und die Unternehmen setzen es aktuell nicht wirklich um. Die Regierungen schaffen aktuell aber eben auch keine Gesetze, die die Unternehmen dazu zwingen würden."
    Arbeiterinnen in einer Fabrik der Firma TCL in der vietnamesischen Provinz Dong Nai. 
    Arbeiterinnen in einer Fabrik in der vietnamesischen Provinz Dong Nai. (Imago / Xinhua)
    Abhilfe schaffen wollen hier für Deutschland die fünf NGOs Brot für die Welt, Amnesty International, Oxfam, evangelischer Entwicklungsdienst und Germanwatch. Sie haben in die Beratungen über den Nationalen Aktionsplan einen Gesetzentwurf eingereicht, welcher größeren Unternehmen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten und eine Risikoanalyse vorschreiben würde. Grobe Verstöße sollten geahndet werden, findet Lincoln.
    "Das ist natürlich für alle ein rotes Tuch, denn gleich denken alle, sie sollen entlang der gesamten Lieferkette haften, so ist es nicht, aber wenn es zu einem Schaden kommt und das Unternehmen zumutbare Maßnahmen nicht getroffen hat, dann soll es auch für diesen Schaden haften, ja. Das heißt nicht, dass ein Unternehmen für die nicht bezahlten Überstunden an der zehnten Stelle in der Lieferkette aufkommen soll."
    Ernüchterung bei NGOs
    Den Unternehmensverbänden gehen solche Ideen der Zivilgesellschaft zu weit. Sie pochen darauf, dass die unternehmerischen Sorgfaltspflichten laut den Leitprinzipien freiwillig sind und wollen verhindern, dass durch die Hintertür bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans verbindliche Elemente eingeführt werden.
    Deutliche Kritik haben die Unternehmensverbände auch an der Bestandsaufnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte geübt, welche in die Beratungen eingeflossen ist. 246 mögliche Umsetzungslücken hatte das Institut aufgezeigt und entsprechende Prüfaufträge formuliert. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände reagierte unwirsch:
    "Dies ist sachlich falsch, weil von den 246 Prüfaufträgen viele weit über die UN-Leitprinzipien hinausreichen und mit deren Umsetzung nichts
    zu tun haben."
    Offene Kritik an der Haltung ihrer Verbände üben Unternehmen nicht. Aber hinter vorgehaltener Hand zeigt sich manche Firma durchaus offener für die Forderungen der Zivilgesellschaft. Andere Firmenvertreter haben sogar eigene Ideen in den Beratungsprozess eingebracht. Georg Barfuß von Dräxlmaier plädiert beispielsweise für die Einrichtung von speziellen Sonderwirtschaftszonen, in denen die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards durch die Staaten selbst oder internationale Akteure wie der Internationalen Arbeitsorganisation gewährleistet würde.
    "Dann haben wir als Lieferanten nicht mehr den Superaufwand, die ganze Lieferkette durch zu exerzieren, um in den pikanten Ländern zu schauen: Ist da alles in Ordnung? Sondern wer aus diesen Zonen liefert, da garantiert mir das Zonenmanagement, dass die Produkte sauber sind und dass die Menschenrechte geachtet werden und die Mindestlöhne bezahlt werden und keine Kinderarbeit, keine Sklavenarbeit, all die Themen, finde ich eine wunderbare Idee."
    Mit Elan war Sarah Lincoln in den Prozess für einen Nationalen Aktionsplan gestartet, jetzt ist sie ernüchtert. "Leider sieht es im Moment nach aktuellem Diskussionsstand nicht so aus, als würde da ein wirklich substanzielles Ergebnis bei rauskommen."
    Der Entwurf wird jetzt von den beteiligten Ministerien erarbeitet.
    "Was wir gefordert haben, eine gesetzliche menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, wird es sicher nicht werden."
    "Der Menschenrechtsbeauftragte Strässer ist mit sehr viel Optimismus an die Sache ran gegangen", sagt der grüne Entwicklungspolitiker Uwe Kekeritz.
    "Ich habe ihn neulich gesprochen, er sagte mir, er ist immer noch sehr optimistisch, aber worin dieser Optimismus heute begründet ist, das konnte ich nicht erfahren."
    Strässer sagt ein vereinbartes Interview für diese Sendung ab, wenige Tage später tritt er im Februar zurück, wegen Überarbeitung und aus Protest gegen das Asylpaket II, wie er sagt. Für den Prozess des Nationalen Aktionsplans ist dies ein Rückschritt.
    Unterdessen gibt es eine neuen Anlauf von Ecuador, Südafrika und einigen anderen Staaten für ein verbindliches völkerrechtliches Abkommen zum Schutz der Menschenrechte im Wirtschaftsbereich. An den Verhandlungen nehmen viele Industrieländer jedoch nicht teil, auch nicht die EU. Der Versuch, verbindliche völkerrechtliche Regeln für transnationale Unternehmen zu erreichen, erweist sich einmal mehr als Sisyphos-Aufgabe.