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Al Qaidas deutsche Kämpfer
Herausragend gutes Sachbuch - für eine spezielle Leserschaft

Das Vorrücken der Terrorgruppe Islamischer Staat in Syrien und dem Irak wirft auch ein Schlaglicht auf den Dschihadismus in Deutschland und Europa. Terrorismusexperte Guido Steinberg setzt sich in seinem Buch "Al-Qaidas deutsche Kämpfer" damit auseinander - und richtet klare Forderungen an die deutsche Sicherheitspolitik.

Von Susanne El Khafif |
    Unterstützer der Terrorgruppe IS während einer Demonstration in Syrien.
    Unterstützer der Terrorgruppe IS in Syrien - auch in Deutschland wächst die Zahl der Sympathisanten. (afp / Karam Al-Masri)
    Im Spätsommer 2010 verdichten sich in Deutschland Hinweise auf ein neues Terrorkomplott. Die führenden Sicherheitsbeamten debattieren hitzig über das tatsächliche Ausmaß der Bedrohung. Niemand aber, so Guido Steinberg, Autor des vorliegenden Buches, habe zu diesem Zeitpunkt noch eines infrage gestellt:
    "Dass Deutschland bereits seit einigen Jahren ein hochrangiges Angriffsziel für Dschihadisten war und (dass) die deutsche Dschihadisten-Szene - obwohl noch klein - seit 2007 die größte Dynamik in Europa aufwies."
    Ein brisantes Thema, ein wichtiges Thema, ein ausgesprochen schwieriges, weil komplexes Thema - Guido Steinberg macht es zum Gegenstand seines Buches: Er beschreibt die Entstehung und die Entwicklung des deutschen Dschihadismus. Doch das Buch auf das'‚Deutsche' im Dschihadismus zu reduzieren, wäre falsch. Denn die deutsche Dschihadisten-Szene ist Teil einer weit größeren Szene, die sich ständig verändert und weiterentwickelt. Was einst als Kampf gegen das jeweils eigene Regime begann, ob nun in Afghanistan, Usbekistan oder Tschetschenien und sich da noch als 'nationaler' dschihadistischer Widerstand definierte, hat Staatsgrenzen längst überschritten, hat sich, so die These Steinbergs, seit 2001 in rasanter Weise internationalisiert.
    Immigranten und Konvertiten
    Wenn aber der deutsche Dschihadismus Teil einer weit größeren Szene ist, dann kann er auch nur in diesem größeren Kontext verstanden werden, - erst in Abhängigkeit, dann in Interaktion. Guido Steinberg beschreibt den Weg, den die jungen Deutschen gehen. Es sind Immigranten und Konvertiten, die von radikalen Predigern in deutschen Moscheen aufgehetzt werden - oder von blutrünstigen Propaganda-Videos, die im Internet kursieren. Auch der Deutsche Eric Breininger, den Steinberg zitiert, ließ sich auf diese Weise radikalisieren:
    "Wir verfolgten die Geschehnisse in den Regionen des Jihad und sahen uns Filme an, wie Mujahidin (die Gotteskrieger) gegen die Kreuzzügler kämpften. Uns entsetzten vor allem die Nachrichten aus den Gefängnissen und wie diese Kreuzzügler mit unseren Brüdern umgehen, wie sie sie foltern und unterdrücken. Auch die Tatsache, dass diese Ungläubigen unschuldige Frauen in Gefängnisse stecken, sie Tag für Tag vergewaltigen, (...) schürte den Zorn auf die Kuffar (die Ungläubigen) in mir."
    Es sind junge Deutsche wie Breininger, die sich - mehr oder weniger gut vorbereitet, mehr oder weniger naiv - auf den Weg machen. Sie werden von islamistischen Netzwerken über die Grenzen geschmuggelt, sie werden militärisch ausgebildet und schließen sich dschihadistischen Terrorgruppen an. Mit dem Ziel, all die, die sie als 'Kuffar' ausmachen, zu vernichten: in Tschetschenien, in Afghanistan und Pakistan, heute auch in Syrien und im Irak. Wenn sie überleben und nach Deutschland zurückkehren, stellen sie eine Gefahr dar: Sie können kämpfen, sie wissen, wie man Sprengsätze baut, und sie nehmen jetzt die 'Kuffar' zuhause ins Visier (...) oder aber sie haben ihr Land, Deutschland, niemals verlassen und bekriegen es dennoch - beseelt von einer Ideologie, die nichts bestehen lässt als sich selbst.
    "Die Schwäche der deutschen Sicherheitsbehörden muss beunruhigen"
    Guido Steinberg belässt es nicht bei der Darstellung der Deutschen als Produkt, später als Akteure einer mittlerweile globalen Szene. Ausführlich beschreibt er die dschihadistischen Organisationen in der arabischen Welt und Zentralasien, deren interne Querelen, Machtkämpfe und wechselnde Koalitionen. Sein besonderes Augenmerk gilt auch der Darstellung der unzähligen Konflikte in der Region, ohne die der nationale Dschihadismus wohl nicht entstanden wäre. Er beschreibt ferner die Interessenpolitik westlicher Mächte in der Region, ihr militärisches Engagement und kolossales Scheitern: in Afghanistan, im Irak, in Syrien - eine Politik, ohne die es wohl zu keiner Internationalisierung des Dschihadismus gekommen wäre.
    "Die Schwäche der deutschen Sicherheitsbehörden - die auch im Umgang mit der Terrorzelle NSU in ihrer ganzen Tragweite deutlich wurde -, muss beunruhigen, wenn man sich die wachsende Zahl deutscher Dschihadisten in den letzten Jahren ins Bewusstsein ruft."
    Guido Steinbergs Fazit am Ende seines Buches ist ernüchternd: Die Gefahr terroristischer Anschläge wird zunehmen, Deutschland aber ist nicht vorbereitet, das Land weitgehend schutzlos. Seine Botschaft ist klar.
    "Deutschland braucht (...) sehr viel stärkere Sicherheitsbehörden und vor allem Nachrichtendienste, um die terroristischen Gefahren der nächsten Jahre abzuwehren."
    Für eine spezielle Leserschaft
    'Al Qaidas deutsche Kämpfer – die Globalisierung des islamistischen Terrorismus' ist ein Buch, das ein Fachpublikum ansprechen dürfte. Es ist deskriptiv, akribisch genau, zwar einfach und klar in seiner Sprache, doch inhaltlich zu wenig gestrafft, zu wenig einordnend und analytisch - eben zu schwere Kost auf zu vielen Seiten für den durchschnittlich interessierten Leser, der sich wohl mehr für die emotionalen Beweggründe und den Werdegang der deutschen Dschihadisten interessieren dürfte.
    Als Fachbuch für eine spezielle Leserschaft verfasst, ist 'Al Qaidas deutsche Kämpfer' jedoch ein herausragend gutes Buch. Aus zweierlei Gründen: Zum einen, weil es aufbaut auf den Ergebnissen umfassender Recherchen. Diese Recherchen beziehen nicht nur die übliche Fachliteratur in den gängigen Sprachen mit ein, nein, die Quellen sind vielsprachig und vielfältig, dem anspruchsvollen Thema angemessen: dschihadistisches Propaganda-Material, eigene Interviews und Vernehmungsprotokolle, US-amerikanische Ausschussberichte, Gerichtsurteile und unveröffentlichte Berichte des BKA.
    Zum anderen, weil es von einem der besten Kenner dieser Szene geschrieben wurde: Guido Steinberg, Islamwissenschaftler, Gutachter, über viele Jahre Terrorismus-Referent im Bundeskanzleramt. Sein Wissen vereint damit Theorie und Praxis auf ganz ungewöhnliche Weise. Und so bietet das Buch eben das, was diese besondere Mixtur aus umfassender Recherche und prädestiniertem Autor ausmacht. Steinberg versammelt eine Fülle unschätzbarer Informationen und Details über die dschihadistische Szene, außerdem spezifisches Wissen über die Konfliktherde, ohne welches das Phänomen nicht zu erklären ist. Und er macht deutlich: Auf ein Phänomen wie den Dschihadismus, das derart komplex und vielschichtig ist, kann es keine einfachen Antworten geben.
    Sachlichkeit und Fundiertheit zeichnen das vorliegende Buch aus. Auch in seiner Kritik an deutschen Behörden und deutscher Politik, an Fehlern und Versäumnissen, am Scheitern in Afghanistan bleibt es unaufgeregt und unprätentiös. Gerade deshalb muss der Appell seines Verfassers ernstgenommen werden.
    "Deutschland sollte nicht auf den ersten großen Terroranschlag hierzulande warten, bis es seine Sicherheitsarchitektur auf den Stand bringt, den die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts notwendig machen."
    Guido Steinberg: "Al-Qaidas deutsche Kämpfer"
    Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus"
    Edition Körber-Stiftung, 452 Seiten, 18 Euro