Wir Amerikaner gehen ebenso selbstverständlich davon aus, dass wir in Freiheit leben, wie davon, dass wir Luft zum Atmen haben. Wir Amerikaner nehmen unsere Freiheiten ebenso als selbstverständlich wie unsere natürlichen Ressourcen, als würden beide sich auf magische Weise immer wieder von selbst erneuern. Beide Systeme sind dabei, in sich zusammenzubrechen,
warnt Naomi Wolf in ihrem Buch "Wie zerstört man eine Demokratie". Seit den Anschlägen vom 11. September sieht die amerikanische Regierung ihre Nation bekanntlich im Krieg gegen den Terror. Einem Krieg im Namen der Freiheit - die dabei aber bald bluten musste: In den westlichen Staaten ist es zur Mode geworden, die Bürgerrechte zu beschneiden, und George W. Bush spielte den Trendsetter. Naomi Wolf belegt das mit einer erdrückenden Fülle von Beispielen, mal lexikalisch knapp zusammengefasst, dann anekdotisch lebhaft geschildert. Hausdurchsuchungen, Flughafenkontrollen, Foltergeständnisse, Reiseverbote - über die gesammelten Nachrichtenhäppchen setzt sie eine Schlagzeile, die provoziert wie kaum eine andere: Faschismus!
Der Übergang zum Faschismus erfolgt in Form zahlreicher gleichzeitiger Angriffe auf die Demokratie, die irgendwann eine kritische Masse erreichen - einen Kipppunkt. Sind bestimmte Kontrollen und Gegengewichte erst einmal zerstört und bestimmte Institutionen eingeschüchtert, entwickeln sich die Ereignisse auf einmal sehr schnell, und es kommt bald ein Punkt, von dem aus eine Rückkehr zu den bisherigen Ereignissen kaum noch möglich ist.
In Amerika ist dieses Buch bereits im letzten Jahr, zu Beginn des Vorwahlkampfes, erschienen, und auf diesen zielt es offenkundig auch ab. Mit dem Alarmruf "Faschismus" schreckt Naomi Wolf auf und gewinnt Aufmerksamkeit für ihr Anliegen: ihre Mitbürger dafür zu sensibilisieren, dass sie der Schwund der demokratischen Freiheitsrechte irgendwann auch persönlich treffen kann - und dass es dann womöglich schon zu spät ist, um noch als Staatsbürger zu reagieren. Wolf ist in den Neunzigern mit feministischen Büchern bekannt geworden, insbesondere einem kritischen Bestseller zum Schönheitswahn; später hat sie als Beraterin den Demokraten Bill Clinton und Al Gore bei ihren Wahlkämpfen geholfen. Im Umgang mit den Medien hat sie dabei eine Lektion gelernt: Klappern gehört zum Handwerk. "Faschismus!" - das ist in der politischen Debatte ein Feueralarm, der alle aufhorchen lässt. Was nicht ausschließt, dass Naomi Wolf, die aus einer jüdischen Familie stammt, den Warnruf ernst meint:
Viele Menschen sind verständlicherweise sehr aufgewühlt, wenn in einer Debatte Begriffe wie "Nationalsozialismus" oder der Name "Hitler" fallen. Als jemand, der im Holocaust Verwandte von beiden Seiten der Familie verloren hat, weiß ich um solche Gefühle. Und ich weiß auch, dass es eine Art intellektuelle Etikette gibt, der zufolge der Nationalsozialismus und Hitler als historisch einmalig zu behandeln sind. Meiner Meinung nach hindert uns diese Regel jedoch daran, etwas zu erkennen, was wir gerade heute unbedingt sehen müssen.
Dass nämlich die Bush-Administration mit vielen kleinen Maßnahmen die bürgerlichen Freiheitsräume immer mehr beengt hat. Und dass dies - davon ist Naomi Wolf überzeugt - das Potential hat, die offene Gesellschaft in eine geschlossene zu verwandeln. Eine, aus der es irgendwann kein Zurück mehr geben kann. Mit dieser Ansicht steht Wolf in Amerika übrigens keineswegs allein da. Im Ton etwas zurückhaltender, inhaltlich aber in dieselbe Richtung zielt beispielsweise John Dean, früher Präsidentschaftsberater unter Nixon, heute ein bekannter liberaler Publizist:
"Ich bin besorgt, weil ein protofaschistisches Verhalten zu erkennen ist, ein Verhalten mit faschistischen Grundmustern. Sind wir deswegen jetzt also auf dem Weg in den Faschismus? Nein. Aber wir sind nicht sehr weit davon entfernt. Menschen, die davon etwas verstehen, sagen, dass der Faschismus bei uns mit einem lächelnden Antlitz auftritt und uns dazu bewegt, dort freiwillig Rechte aufzugeben, wo wir vielleicht einmal sagen werden: "Hätten wir das doch nie getan!""
"Das 10-Punkte-Programm" heißt Wolfs Buch im Untertitel, gemeint sind Bushs Maßnahmen zur Unterminierung der bürgerlichen Freiheiten, die die Autorin in zehn politischen Bereichen bemüht ist nachzuweisen. Sie schöpft aus einer Vielzahl von Zeitungsberichten und Internetnachrichten. Der kritische Leser mag sich daran stören, dass viele ihrer Quellenverweise dünn wirken. Wolfs Recherche kann unter journalistischen oder wissenschaftlichen Kriterien nicht immer als sorgfältig gelten. Das schlägt sich auch stilistisch nieder: Die Autorin will die Töne nicht genau anschlagen, sondern möglichst laut. Naomi Wolf hat aber auch gar nicht den Anspruch, eine Fachpublikation vorzulegen - sondern eine Kampfschrift. Dies schließt auch einige gewagte inhaltliche Kapriolen ein. In ihrem Bemühen, das faschistische Potential zu entlarven, das nach ihrer Ansicht dem Handeln amerikanischer Sicherheitsbehörden innewohnt, versucht sie sich beispielsweise des öfteren als Sprachwissenschaftlerin und führt politische Begrifflichkeiten der Gegenwart auf Nazi-Redewendungen zurück. Das klingt bisweilen schlicht hanebüchen. Naomi Wolf wird sich von solcher Kritik in ihrer Mission gewiss nicht stören lassen - den Durchschnittsamerikaner aus dem Dösen aufzuschrecken:
Selbst gebildete Amerikaner glauben, alles sei gut, solange nur Zeitungen erscheinen und der Kongress Gesetze erlässt. Weil wir uns nicht bewusst sind, dass eine Diktatur schleichend entstehen kann, sind wir unglaublich verwundbar.
"Wie zerstört man eine Demokratie" heißt dieses Buch, dass - natürlich - nicht von einem Deutschen geschrieben wurde. Zu behaupten, der US-Präsident Bush stampfe in den Fußstapfen von Hitler und Mussolini in Richtung einer faschistischen Diktatur, würde keinem deutschen Publizisten zugestanden werden. Einer Amerikanerin jüdischer Herkunft aber schon.
Daniel Blum über Naomi Wolf: Wie zerstört man eine Demokratie. Das 10-Punkte-Programm, Riemann-Verlag, 282 Seiten, Euro 16,00.
warnt Naomi Wolf in ihrem Buch "Wie zerstört man eine Demokratie". Seit den Anschlägen vom 11. September sieht die amerikanische Regierung ihre Nation bekanntlich im Krieg gegen den Terror. Einem Krieg im Namen der Freiheit - die dabei aber bald bluten musste: In den westlichen Staaten ist es zur Mode geworden, die Bürgerrechte zu beschneiden, und George W. Bush spielte den Trendsetter. Naomi Wolf belegt das mit einer erdrückenden Fülle von Beispielen, mal lexikalisch knapp zusammengefasst, dann anekdotisch lebhaft geschildert. Hausdurchsuchungen, Flughafenkontrollen, Foltergeständnisse, Reiseverbote - über die gesammelten Nachrichtenhäppchen setzt sie eine Schlagzeile, die provoziert wie kaum eine andere: Faschismus!
Der Übergang zum Faschismus erfolgt in Form zahlreicher gleichzeitiger Angriffe auf die Demokratie, die irgendwann eine kritische Masse erreichen - einen Kipppunkt. Sind bestimmte Kontrollen und Gegengewichte erst einmal zerstört und bestimmte Institutionen eingeschüchtert, entwickeln sich die Ereignisse auf einmal sehr schnell, und es kommt bald ein Punkt, von dem aus eine Rückkehr zu den bisherigen Ereignissen kaum noch möglich ist.
In Amerika ist dieses Buch bereits im letzten Jahr, zu Beginn des Vorwahlkampfes, erschienen, und auf diesen zielt es offenkundig auch ab. Mit dem Alarmruf "Faschismus" schreckt Naomi Wolf auf und gewinnt Aufmerksamkeit für ihr Anliegen: ihre Mitbürger dafür zu sensibilisieren, dass sie der Schwund der demokratischen Freiheitsrechte irgendwann auch persönlich treffen kann - und dass es dann womöglich schon zu spät ist, um noch als Staatsbürger zu reagieren. Wolf ist in den Neunzigern mit feministischen Büchern bekannt geworden, insbesondere einem kritischen Bestseller zum Schönheitswahn; später hat sie als Beraterin den Demokraten Bill Clinton und Al Gore bei ihren Wahlkämpfen geholfen. Im Umgang mit den Medien hat sie dabei eine Lektion gelernt: Klappern gehört zum Handwerk. "Faschismus!" - das ist in der politischen Debatte ein Feueralarm, der alle aufhorchen lässt. Was nicht ausschließt, dass Naomi Wolf, die aus einer jüdischen Familie stammt, den Warnruf ernst meint:
Viele Menschen sind verständlicherweise sehr aufgewühlt, wenn in einer Debatte Begriffe wie "Nationalsozialismus" oder der Name "Hitler" fallen. Als jemand, der im Holocaust Verwandte von beiden Seiten der Familie verloren hat, weiß ich um solche Gefühle. Und ich weiß auch, dass es eine Art intellektuelle Etikette gibt, der zufolge der Nationalsozialismus und Hitler als historisch einmalig zu behandeln sind. Meiner Meinung nach hindert uns diese Regel jedoch daran, etwas zu erkennen, was wir gerade heute unbedingt sehen müssen.
Dass nämlich die Bush-Administration mit vielen kleinen Maßnahmen die bürgerlichen Freiheitsräume immer mehr beengt hat. Und dass dies - davon ist Naomi Wolf überzeugt - das Potential hat, die offene Gesellschaft in eine geschlossene zu verwandeln. Eine, aus der es irgendwann kein Zurück mehr geben kann. Mit dieser Ansicht steht Wolf in Amerika übrigens keineswegs allein da. Im Ton etwas zurückhaltender, inhaltlich aber in dieselbe Richtung zielt beispielsweise John Dean, früher Präsidentschaftsberater unter Nixon, heute ein bekannter liberaler Publizist:
"Ich bin besorgt, weil ein protofaschistisches Verhalten zu erkennen ist, ein Verhalten mit faschistischen Grundmustern. Sind wir deswegen jetzt also auf dem Weg in den Faschismus? Nein. Aber wir sind nicht sehr weit davon entfernt. Menschen, die davon etwas verstehen, sagen, dass der Faschismus bei uns mit einem lächelnden Antlitz auftritt und uns dazu bewegt, dort freiwillig Rechte aufzugeben, wo wir vielleicht einmal sagen werden: "Hätten wir das doch nie getan!""
"Das 10-Punkte-Programm" heißt Wolfs Buch im Untertitel, gemeint sind Bushs Maßnahmen zur Unterminierung der bürgerlichen Freiheiten, die die Autorin in zehn politischen Bereichen bemüht ist nachzuweisen. Sie schöpft aus einer Vielzahl von Zeitungsberichten und Internetnachrichten. Der kritische Leser mag sich daran stören, dass viele ihrer Quellenverweise dünn wirken. Wolfs Recherche kann unter journalistischen oder wissenschaftlichen Kriterien nicht immer als sorgfältig gelten. Das schlägt sich auch stilistisch nieder: Die Autorin will die Töne nicht genau anschlagen, sondern möglichst laut. Naomi Wolf hat aber auch gar nicht den Anspruch, eine Fachpublikation vorzulegen - sondern eine Kampfschrift. Dies schließt auch einige gewagte inhaltliche Kapriolen ein. In ihrem Bemühen, das faschistische Potential zu entlarven, das nach ihrer Ansicht dem Handeln amerikanischer Sicherheitsbehörden innewohnt, versucht sie sich beispielsweise des öfteren als Sprachwissenschaftlerin und führt politische Begrifflichkeiten der Gegenwart auf Nazi-Redewendungen zurück. Das klingt bisweilen schlicht hanebüchen. Naomi Wolf wird sich von solcher Kritik in ihrer Mission gewiss nicht stören lassen - den Durchschnittsamerikaner aus dem Dösen aufzuschrecken:
Selbst gebildete Amerikaner glauben, alles sei gut, solange nur Zeitungen erscheinen und der Kongress Gesetze erlässt. Weil wir uns nicht bewusst sind, dass eine Diktatur schleichend entstehen kann, sind wir unglaublich verwundbar.
"Wie zerstört man eine Demokratie" heißt dieses Buch, dass - natürlich - nicht von einem Deutschen geschrieben wurde. Zu behaupten, der US-Präsident Bush stampfe in den Fußstapfen von Hitler und Mussolini in Richtung einer faschistischen Diktatur, würde keinem deutschen Publizisten zugestanden werden. Einer Amerikanerin jüdischer Herkunft aber schon.
Daniel Blum über Naomi Wolf: Wie zerstört man eine Demokratie. Das 10-Punkte-Programm, Riemann-Verlag, 282 Seiten, Euro 16,00.