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Algerien
Agonie und Zukunftsangst

Auch nach dem Ende des Bürgerkriegs und nach der nationalen Aussöhnung durch das Amnestiegesetz 2005 blieb bei der Bevölkerung Algeriens die Angst vor entgrenzter Gewalt. Zwar ist das Land inzwischen auf dem Papier eine Demokratie, doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Zukunft des Staates im Nordwesten Afrikas ist ungewiss.

Von Hans Stallmach |
    Blick über Algiers
    Algier steht vor gewaltigen Herausforderungen. (dpa - picture alliance / Mohamed Messara)
    Das Zentrum Algiers ist abends voller Leben - auf der Avenue Didouche Mourad, auf der Rue Khettab, auf dem Platz vor der Großen Post - überall sind die Straßencafés gut gefüllt. Menschen flanieren vor den Geschäften, und auch nach Einbruch der Dunkelheit sind noch ganze Familien unterwegs. Ein – so möchte man meinen – ganz normales mediterranes Großstadt-Leben.
    Doch so selbstverständlich, wie es scheint, ist das nicht, nicht in Algier, und auch nicht in den anderen großen Städten des Landes. Denn noch vor einem Jahrzehnt waren die Straßen abends leer; nach Geschäftsschluss zog man sich zurück in die eigenen vier Wände. Die Straße, das war ein gefährlicher Ort. In den 90er-Jahren, im "schwarzen Jahrzehnt", in der Zeit des Bürgerkrieges, vollstreckten militante Islamisten auf den Straßen Todesurteile, kämpften in den Straßen Armee und Geheimdienst gegen die Aufständischen.
    Symptome der Krisen in Algerien
    Annähernd 150.000 Algerier sind in dem Krieg ums Leben gekommen, in einem Konflikt, der sowohl von den militanten Islamisten als auch von der Armee mit großer Unbarmherzigkeit geführt wurde. Auch nach dem Ende des Bürgerkriegs und nach der nationalen Aussöhnung durch das Amnestiegesetzt im Jahr 2005, blieb die Angst vor der entgrenzten Gewalt auf der Straße in der Gesellschaft tief verankert.
    Heute herrscht ein Aufatmen, eine spürbare Erleichterung darüber, dass diese Epoche der Vergangenheit angehört. Aber, fragen sich viele Algerier, sind nicht schon wieder die Schatten der Vergangenheit zu erkennen? Häufen sich nicht wieder die Probleme und Konflikte, die das Land schon einmal in einen blutigen Bürgerkrieg geführt haben?
    Krisen-Symptome gibt es in Algerien derzeit gleich mehrfach. Da ist zum einen die ungeklärte Situation an der Spitze des Staates: Präsident Bouteflika, seit 1999 im Amt, ist schwer krank. Nach mehreren Schlaganfällen ist er an den Rollstuhl gefesselt und zeigt sich nur noch äußerst selten in der Öffentlichkeit. Hinter den Kulissen hat der Kampf um seine Nachfolge längst begonnen. Dabei bleibt die herrschende Klasse weitgehend unter sich: die Funktionäre des seit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich regierenden "Front de Libération Nationale" FLN, die führenden Gruppen des Militärs und des Geheimdienstes, sowie einflussreiche private Clans.
    Zwar ist Algerien auf dem Papier eine Demokratie – die Wirklichkeit aber sieht völlig anders aus. Der aktuelle Amnesty-International-Bericht kritisiert Folter und Misshandlungen durch den Militär-Geheimdienst, Repression gegenüber kritischer Pressearbeit, Verbote von Demonstrationen und Versammlungen, sowie die massive Behinderung der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen.
    Die Presse hat zwar einen gewissen Handlungsspielraum, und es gibt durchaus offene Kritik in den zahlreichen Tageszeitungen des Landes, aber - sagt Adlene Meddi, leitender Redakteur der regierungskritischen Tageszeitung "Al Watan" – es gibt auch rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Nur: Wer diese Linien setzt, wer wirklich die politische Macht ausübt, das ist in Algerien schwer zu sagen.
    "Da gibt es zwei parallele Strukturen: Zu einen die klassischen Institutionen – der Präsident, die Armee, die Geheimdienste, die Verwaltung usw.; zum anderen gibt es dann aber auch eine informelle Art des Regierens: Es geht da um die Macht von Personen, um die Macht von familiären und regionalen Netzwerken, die ein Parallel-System schaffen. Von daher ist es so schwierig, zu erklären, wer wirklich regiert."
    Wer immer aus dem Gerangel um die Macht als Sieger hervorgeht, er steht vor gewaltigen Problemen. Algerien befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise. Hauptproblem ist die nahezu völlige Abhängigkeit des Landes von den beiden wichtigsten Exportgütern: Öl und Gas. 98 Prozent der Ausfuhrerlöse Algeriens gehen auf Öl und Gas zurück, 60 Prozent des Staatshaushaltes stammen aus dieser Quelle. Die gesamte Ökonomie des Landes basiert auf diesen Einnahmen: die öffentlichen Investitionen, die Ausgaben für Verwaltung und Armee, die Subventionen für Grundnahrungsmittel – alles ist abhängig davon, wie viel die staatliche Erdölgesellschaft Sonatrach fördert, vor allem aber: Wie viel sie dafür auf dem Weltmarkt erhält.
    "Alles dreht sich immer ums Erdöl"
    Der Ölpreis aber ist seit Jahren unter Druck. Im Sommer 2014 lag er bei rund 100 Dollar pro Barrel – bis heute hat er sich praktisch halbiert. Alternative Einnahmequellen jenseits von Öl und Gas aber sind nicht in Sicht; dazu ist die gesamte Ökonomie viel zu wenig entwickelt, meint Adlene Meddi.
    "Das war immer der Schwachpunkt der algerischen Ökonomie: Alles dreht sich immer ums Erdöl. Das algerische System ist ein soziales System: Man muss den Leuten etwas zu essen geben, kostenlose Bildung usw. Man ist immer in der Logik dieses Systems geblieben. Das Einfachste ist, Öl und Gas zu verkaufen, die Menschen zu versorgen, und einiges für sich zu behalten. Diese Logik hat ungefähr 60 Jahre gut funktioniert. Jetzt ist es zu spät, das zu ändern. Man hat die Ökonomie zu lange ums Öl gruppiert, hat Macht- und Interessengruppen gebildet, und da ist es sehr schwierig, einen Weg zurückzufinden."
    "Rentenökonomie" nennen Wirtschaftswissenschaftler dieses System: die Erträge aus einer einzigen, ständig sprudelnden Einnahmequelle tragen Staat und Gesellschaft - der Aufbau einer breiten produktiven wirtschaftlichen Basis wird darüber vernachlässigt. Dabei hätte Algerien eigentlich alle Voraussetzungen, um sich aus der Abhängigkeit von Öl und Gas zu befreien. Marko Ackermann, Geschäftsführer der Deutsch-Algerischen Industrie- und Handelskammer in Algier, beobachtet die Entwicklung des Landes seit Jahren.
    "Algerien war für Frankreich zum Beispiel der Getreidelieferant; heute ist Algerien ein großer Getreide-Importeur. Das Potenzial ist da, man könnte Selbstversorger werden, sogar in den Export gehen. Aber zum Teil fehlt das Know-how; auch die Bodenverhältnisse sind nicht geklärt; und dann müsste man noch die Investoren finden, die das machen wollen."
    Aber da liegen die Hürden hoch: Eine starre Bürokratie, eine undurchsichtige Vergabepraxis werden von ausländischen Interessenten oft beklagt. Dazu kommt eine grassierende Korruption, und: Es ist schwierig, geeignete Mitarbeiter zu finden:
    "Die Ausbildung, nicht nur die akademischen, sondern auch die praktischen Ausbildungen, sind doch weitestgehend theoretisch und bisher nicht sehr stark an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes angepasst. Es gibt Bewegungen es gibt den Schritt hin zu sogenannten Exzellenz-Zentren, die man versucht mit Firmen zusammen zu errichten, aber aufgrund auch des starken Bevölkerungswachstums müsste da sicher noch sehr viel getan werden."
    Junge Bevölkerung, Anstieg der Arbeitslosigkeit
    Die demografische Entwicklung ist wohl die größte Herausforderung, vor der die algerische Gesellschaft steht. Das Straßenbild in den großen Städten unterscheidet sich völlig von dem europäischer Metropolen: Überall sind Jugendliche und Kinder zu sehen; die Jungs spielen Fußball, wo immer es geht: in den Nebenstraßen, in den Winkeln der engen mittelalterlichen Kasbah, selbst auf den großen Plätzen im Zentrum, den von Autos verstopften Verkehrsknotenpunkten. Fliegt ein Ball einmal auf eine Windschutzscheibe, dann kümmert das niemand - die Kinder stürzen sich ins Verkehrs-Chaos, und erobern ihn zurück; das Spiel geht weiter.
    Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 18 Jahre. Aber die algerische Wirtschaft ist nicht annähernd in der Lage, für sie ausreichend Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen. Mit der ökonomischen Krise steigt die Arbeitslosenzahl wieder bedrohlich an: Offiziell liegt die Arbeitslosenquote der 18- bis 25-Jährigen bei 20 Prozent. Die meisten Beobachter gehen aber davon aus, dass mindestens ein Drittel der jungen Leute keine Arbeit hat, und dass viele von denen, die als beschäftigt gelten, sich in Wirklichkeit mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs über Wasser halten. So wie die junge Luiza aus Algier. Die 24-Jährige jobbt in einer kleinen Internet-Firma.
    "Ich habe einen Universitätsabschluss in Biologie. In Algerien ist die Mehrheit der diplomierten Opfer einer schlechten Orientierung des gesamten Ausbildungs-Systems. Nach dem Studium findet man überhaupt keinen Arbeitsplatz, der der Ausbildung entspricht. Also sind die jungen Leute arbeitslos, oder machen ganz andere Jobs, prekäre Jobs, mit denen man vielleicht am Ende des Monats seine Rechnungen bezahlen kann. Ich wollte schon mal nach Frankreich auswandern. Ich habe dann aber auch verstanden, dass unser Land seine Jugend braucht, weil wir die Zukunft Algeriens repräsentieren. Dieses Land braucht uns."
    Mit fast 1,5 Millionen Studenten hat Algerien einen vergleichsweise hohen Anteil an Akademikern. Perspektiven ergeben sich daraus aber nur sehr selten, weiß auch die 20-jährige Bouaké, die einmal Ozeanografie studieren will. Ihre Zukunftsperspektive ist klar:
    "Ich will im Ausland studieren. Wenn ich in Algerien studiere, bin ich sicher arbeitslos. Ich würde nach La Rochelle oder nach Bordeaux gehen. Dort gibt es auch spezielle Studiengänge in Ozeanografie. Das ist mein Projekt für die Zukunft. Vielleicht werde ich zehn Jahre später nach Algerien zurückkommen. Bei uns wollen viele ins Ausland gehen, um dort zu studieren. In meiner Schule sind es mehr als 50 Prozent, die dieses Jahr nach Frankreich gegangen sind."
    Kleine und größere Proteste in den Städten
    Boutaka und Louiza engagieren sich seit Jahren bei Rassemblé Association pour la Jeunesse, kurz RAJ, einer unabhängigen Jugendorganisation. RAJ will den Jungen in Algerien eine Stimme geben, in einem Land, das von einer überalterten und verkrusteten Führungsriege regiert wird. Von den Behörden kritisch beäugt, organisiert RAJ überall im Land sogenannte Sommer-Universitäten, bei denen hunderte junger Menschen zusammenkommen und über Politik sowie die Chancen eines gesellschaftlichen Wandels diskutieren – manchmal genehmigt, manchmal verboten.
    Aber politische Aktivitäten dieser Art sind selten und sie erreichen nur einen sehr kleinen Teil der Jugendlichen. Die meisten, hat Adlene Meddi beobachtet, sind heute viel unpolitischer als noch vor 20 Jahren.
    "Das ist eine junge Generation, die die 90er-Jahre nicht mehr erlebt hat, die heute auch nicht durch politische Organisationen eingebunden ist, denn das hat der Staat alles zerstört: die politischen Parteien, die Gewerkschaften. Der Staat hat die eine Hälfte davon korrumpiert, die andere hat er verboten. Und so ist eine nicht kontrollierbare Masse entstanden, und die wird durch die Polizei kontrolliert oder durch den Imam. Durch den Imam in der Moschee, durch die Polizei auf der Straße. Und diese große Masse an Leuten wird noch viele Probleme schaffen."
    Der weitverbreitete Unmut führt heute schon zu vielen kleineren und größeren Protesten überall im Land. In den Vorstädten, auch in den kleineren Städten in der Provinz ist es unruhig, sagt der Politologe Werner Ruf, der sich seit Jahren mit der schwierigen ökomischen und gesellschaftlichen Lage Algeriens befasst.
    "Die jungen Leute sind einfach nur sauer, sie sind nur destruktiv. Es gibt eben fast jeden Tag irgendwelche Straßensperren, brennende Reifen, abgefackelte Bürgermeisterämter. Das ist eine rein destruktive Wut, und das Problem Algeriens ist, dass es eben keine strukturierte Opposition mehr gibt, die in der Lage wäre, eine Alternative anzubieten. Ich erinnere mich an eine Szene in Tizi-Ouzou, der Hauptstadt von der Kabylei. Da war mal wieder auf einer Polizeiwache ein Jugendlicher totgeschlagen worden, und am nächsten Morgen standen an die 10.000 Jugendliche vor der Polizeiwache mit einem riesigen Transparent, darauf stand: Schießt doch, wir sind schon tot! Und das charakterisiert die Stimmung in der Jugend: Verzweiflung, Elend, Perspektivlosigkeit."
    Predigten, Koran-Rezitationen und fromme Vorträgen
    Das Regime antwortet auf die Proteste mit Repression; eine politische Alternative ist nicht in Sicht. Allerdings gibt es eine Alternative ganz anderer Art, und die wird in Algerien derzeit sehr kontrovers diskutiert. Es geht um einen Prozess, den Beobachter als die "schleichende Islamisierung der Gesellschaft" beschreiben.
    Hunderte von Fernseh- und Radiosendern berieseln heute die Algerier in allen Teilen des Landes mit einem beständigen Strom von Predigten, Koran-Rezitationen und frommen Vorträgen. Dass das öffentliche Leben heute deutlich religiösere Züge trägt als noch vor einem Jahrzehnt, bestreitet niemand. Es gibt Gebiete – wie etwa das große Arme-Leute-Viertel Bab El Oued im Norden Algiers -, in denen sich kaum noch eine Frau ohne Kopftuch auf der Straße zeigt.
    Die Meldungen über Gewaltakte gegen Restaurants, in denen Alkohol ausgeschenkt wird, häufen sich. Und für erhebliches Aufsehen sorgt der Versuch des früheren Chefs der "Armee des Islamischen Heils", Madani Mezrag, eine radikal-islamistische Partei zu gründen und bei den Wahlen anzutreten; bislang haben ihm das die Behörden zwar untersagt, aber der Ex-Terrorist wirbt weiterhin in aller Öffentlichkeit für sein Vorhaben.
    Droht in Algerien also eine Rückkehr des militanten, terroristischen Islam der Bürgerkriegsjahre? Tauchen hier die Schatten einer längst überwunden geglaubten Vergangenheit wieder auf? Die meisten Beobachter winken ab: Nein, sagt etwa Adlene Meddi, aktuell gehe es vor allem bei der Jugend um etwas ganz anderes.
    "Da gibt es eher einen Konservatismus, eine Religiosität à la mode. So, wie es von den Golfstaaten vorgegeben wird, von den Satelliten-Stationen wie Al Jazeera, die einem ganz anderen Modell folgen als dem Westlichen, die der muslimisch-arabischen Identität näher stehen. Das ist aber, glaube ich, eher Konservatismus als eine Islamisierung der Gesellschaft. In dem Sinne, dass man Wurzeln in einer Welt sucht, in der die Identitätsfindung so schwierig ist."
    Andere sehen das kritischer. Wie zum Beispiel Nadia Sebkhi, Unternehmerin, Schriftstellerin und Verlegerin des Literaturmagazins "Livresque". In den 90er-Jahren ging sie für einige Jahre nach Frankreich, weil das Leben als unabhängige, in der Öffentlichkeit agierende Frau in Algerien viel zu gefährlich geworden war. Heute sagt sie:
    "Natürlich habe ich Angst. Schon seit drei Jahren bin ich nicht mehr zum Baden an den Strand gegangen. Weil alle Frauen dort verschleiert sind – und das soll nicht gefährlich sein? - Es gab drei Perioden des Kopftuches: die Zeit der Unabhängigkeit nach 1962, als die Frauen das Kopftuch weggeschmissen haben; es gab die 90er-Jahre, als die Frauen große Angst hatten getötet zu werden, wenn sie das Kopftuch nicht trugen; und jetzt das Jahr 2016, in dem Frauen das Kopftuch freiwillig tragen. Das ist bizarr, absurd! Nein, auf einer symbolischen Ebene ist das gefährlich! Und ich bin trotzdem muslimisch, aber für mich ist das ein intimer Akt; das ist nur meine Angelegenheit."
    Wachsender Einfluss islamistischer Gruppen
    Das Regime nimmt gegenüber dem wachsenden Einfluss islamistischer Gruppen eine ambivalente Haltung ein: Zum einen gibt man sich religiös, betont die Bedeutung des Islam für die algerische Gesellschaft, andererseits dient der radikale Islamismus aber auch als Drohgebärde, erklärte Adlene Meddi.
    "Der Diskurs lautet heute immer: Achtung! Seht euch Libyen an! Oder Syrien! Das ist aber eine Form der Erpressung durch Angst, nach dem Motto: Auch wenn es bei uns schlecht ist, bleibt ruhig! Wenn ihr euch erhebt, dann geht es hier los wie in Libyen. Und das ist ein unglücklicher Diskurs, denn er ist nicht konstruktiv. Aber ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt das Trauma der 90er-Jahre und die Angst vor libyschen und syrischen Verhältnissen die Leute noch ruhig halten wird."
    Eine Bilanz der aktuellen algerischen Politik fällt somit ernüchternd aus: politische Erstarrung, wirtschaftliche Talfahrt, eine desillusionierte Jugend sowie eine Gesellschaft, die mit den Traumata der Vergangenheit hadert, prägen das Szenario. Gesellschaftliche Kräfte, die eine demokratische Alternative formulieren und vertreten könnten, sind nicht zu erkennen.
    Und das Ausland, der Westen? Bislang hüten sich die europäischen Länder davor Druck auszuüben, denn viel zu groß ist die Angst, dadurch die zerbrechliche Stabilität des Landes zu gefährden. Ein politischer Umbruch, an dessen Ende vielleicht "syrische Verhältnisse" im größten Land Afrikas stehen könnten, nur 150 Kilometer südlich der spanischen Mittelmeerküste? Solch ein Schreckens-Szenario will niemand heraufbeschwören. So trägt man lieber dazu bei, den Status quo zu stützen – und das geht am besten durch Rüstungsexporte. Und da mischt auch Deutschland seit einigen Jahren kräftig mit.
    All das sind keine guten Voraussetzungen für ein Land, das vor gewaltigen Herausforderungen steht. Und so stößt man, wenn man sich heute in Algerien über die Zukunft des Landes unterhält, auf wenig Optimismus. Was bleibt ist Hoffnung, oder, wie Adlene Meddi sagt: der Traum eines zukünftigen Algerien:
    "Mein Traum ist es, dass Algerien ein starkes Land wird. Meine größte Hoffnung ist die, dass unsere Kinder in einem Land aufwachsen, das sich mit seiner Geschichte und mit seiner Identität versöhnt, mit einem politischen System, das von der Gesellschaft ausgeht. Und nicht mit einer Regierung, die weit entfernt in den Wolken lebt und sich das Land von oben ansieht. Voilà."