Mich fasziniert die Realität, also diese Dokumentation von echtem Leben. Ich denke es gibt nichts Phantastischeres als die Wirklichkeit. Und diesen lebendigen Figuren nachgehen, glaube ich, gibt mir was für meine Gegenwart.
Zwei ihrer Liebhaber machten sie schon zu Lebzeiten zur Romanfigur: Aline Rosenbaum, die 1889 geboren wurde, in Bern aufwuchs und in Zürich und im Tessin mit dem legendären jüdischen Rechtsanwalt Wladimir Rosenbaum ein großes Haus und eine liberale Ehe führte. Aline Rosenbaum war eine in jeder Hinsicht großzügige Frau. In ihrem Zürcher Haus wie in ihrem Palazzo im Tessiner Onsernone-Tal bot sie in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts ungezählten literarischen Emigranten und politisch Verfolgten Unterschlupf und Hingabe. Und während sie selbst heute nur noch wenigen ein Begriff ist, sind ihre Gäste und Geliebten aus dem Kreis der künstlerischen Avantgarde im Gedächtnis geblieben:
Natürlich Kurt Tucholsky und James Joyce, und all diese bildenden Künstler wie Hans Arp, Max Ernst usf. Aber sie selbst - ich glaube, das ist ein bißchen das Schicksal von Frauen - das man sie gerne auch wieder vergißt, dass sie so etwas werden wie ein ausgesparter Raum.
In diesem ausgesparten Raum kann sich die literarische Figur der aparten, lebenslustigen und toleranten Aline nun ungehindert entfalten. Mit ihrem Charme, ihrer frischen Intelligenz und ihrem großen Interesse an allen künstlerischen und kulturellen Strömungen ihrer Zeit ist sie nicht nur eine beliebte Gesprächspartnerin. Sie ist zugleich eifersüchtig umworbene Vertraute und erotische Gespielin vieler ihrer Gäste.
Aline lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, das Gesicht im Schatten der Taxushecke verrät keine Emotion. Man glaubt in ihr ein neues Geschöpf zu sehen, frei, geistreich, klug, stolz, von keinem Schuldgefühl belastet oder überschattet. Werbende Blicke spannen unsichtbare Fäden.
Vorsichtig nähert Eveline Hasler sich Aline Rosenbaum an, tritt ihr niemals zu nahe, dringt nicht in sie ein. Nur die knappen, erfrischenden Tagebuchzitate geben Aufschluß über das, was die junge Frau denkt, fühlt, träumt. Wonach oder nach wem sie sich sehnt und wie sehr sie ihren Mann liebt - trotz aller Eskapaden:
Ich spüre, dass um Menschen immer ein Geheimnis ist, eine dreizehnte Kammer, die man nicht öffnen darf. Und dass es nicht gut wäre, wenn eine Autorin oder ein Autor so tut, als ob die Figuren in seiner Tasche sind und er weiß alles über sie. Und dieses menschliche Geheimnnis, glaube ich, das wird immer deutlicher, je näher wir an unsere Gegenwart kommen, das ist die erste Figur aus dem 20.Jahrhundert, die ich beschreibe.
Auch dem mutigen und uneigennützig Wladimir Rosenbaum läßt Eveline Hasler sein Geheimnis. In den dreißiger Jahren unterstützt er in Zürich unzählige jüdische Flüchtlinge, läßt sich im Krieg von Aline scheiden und ist im Tod, im Grab, doch wieder mir ihr vereint. Und auch alle die illustren Freunde und Gäste wie Canetti und Musil, Toller und Tucholsky, Else Lasker-Schüler und Ignazio Silone, auch sie werden lebendig vor allem im Umgang mit und in Bezug auf Aline. Oder besser: In Beziehung zu ihr - was in vielen Fällen heißt, in der Liebe zu ihr.
Sie nannte ihn nicht Geliebter, sondern Freund.
Sie nannte ihn nicht Humm, sondern Muhr.
"Warum erfindest du Muhr?" fragte er erstaunt.
Sie blickte ihn vergnügt an: "Jede Liebe ist eine Neuerfindung." Und später dachte sie: Die Menschen bekommen durch die Liebe eine bisher ungekannte Leuchtkraft und neue Namen.
Dazu Hassler: Diese Art von Erotik hat mich auch sehr fasziniert. Ich denke, das ist uns etwas verloren gegangen, wo heute der Erotik-Begriff ein ganz anderer ist, sich bald auf einen Erotikmarkt beschränkt. Also dieses sehr subtile Wechselspiel von Intelligenz, von Emotion, von Lebensschicksal, das fand ich sehr faszinierend, und ich denke, das könnte wegweisend werden für das nächste Jahrtausend.
Ein erotischer Zauber liegt über Eveline Haslers Buch. Ein Flair, das durch den leisen, manchmal auch sehnsüchtigen Erzählton entsteht, durch die zarten, ja poetischen Bilder und eine sinnliche Perspektive, sensibel für Gerüche, Farben und Töne. Und nicht zuletzt durch die Figur des Jungen Luca. Am Anfang des Buches dreizehn Jahre alt, am Schluß ein junger Mann, beobachtet und verehrt er Aline aus der Ferne, vom Kirchturmversteck herab, wenn sie in flatternden Gewändern durch den Garten ihrer "Barca", ihres Bergpalazzo wandelt. Luca, das ist, wie die Autorin erklärt, eine fiktiv gestaltete Figur, die aber ihre Wurzeln in der Realität hat. Authentisches und Erfundenes, Fakten und Fiktion bedingen, beflügeln sich gegenseitig - wie in allen Romanen der Autorin:
Ich denke die Eveline Hasler als Autorin ist sehr stark vorhanden im Aufstöbern von Fakten. Fakten, das ist etwas, was mir unter die Haut geht, und ich habe hunderte von Tagebuchblättern gelesen, von Korrespondenz gelesen, von literarischen Zeugnissen aus der Zeit .... Und fiktiv ist dann die Art des Blickes, also wie halte ich diesen Kosmos von Leben eigentlich zusammen.
Lucas Blick hält die vielen kleinen Erzählabschnitte zusammen: und Kriegswirren in der Stadt und auf dem Dorf, alle Arten von kulturellen und politischen Strömungen, die zahllosen Portraits befreundeter Künstler, die Rückwendungen in Alines Kindheit und die Vorausdeutungen auf die zweite, sehr ruhige Hälfte ihres Lebens als Schriftstellerin, Künstlerin und Therapeutin. Nicht chronologisch, sondern spielerisch assoziativ folgen die einzelnen Szenen aufeinander, was gerade im Fall von Alines Biographie logisch - psychologisch erscheint. Waren doch Unterbewußtsein und Intuition die Lieblingskinder der damals jungen Disziplin der Psychologie und Aline eine begeisterte Anhängerin und Patientin von C.G.Jung. Hasler:
Die Zeit....ist für mich eigentlich der Hauptagent in diesem Buch. Es war für mich faszinierend, diesen Zeitbewegungen nachzugehen, weil da findet ja auch jetzt die Frühpsychologie statt .. es beginnen neue Experimente mit dem Mann-Frau-Zusammenleben... dann die neue Kunst, die neue Art zu wohnen, es bricht etwas auf in diesen zwanziger Jahren, und ich denke, dass das Ende unseres Jahrhunderts eigentlich sehr lethargisch war.
Man spürt die Faszination, die Aline Rosenbaums Persönlichkeit, ihr Leben und ihre Zeit auf Eveline Hasler ausüben. Eine Faszination, die sich unmittelbar auf den Leser überträgt. Wenn die Autorin in ihrem Roman dann nur sehr sporadisch auf die Zeit nach dem Krieg und Alines literarisches Werk eingeht, dann hat auch das seinen guten Grund:
Es ist halt einfach diese Zeit,.. die in meinen Lichtkegel fiel, und dann käme noch einmal eine so lange Lebensstrecke, wo es recht ruhig wird, wo sie nach innen geht, wo sie schreibt, ihre Tiere hegt und den Garten pflegt. Eine wunderschöne Lebensphase ebenfalls, aber vielleicht für Romane weniger verlockend als diese erste sehr turbulente Zeit.
Zwei ihrer Liebhaber machten sie schon zu Lebzeiten zur Romanfigur: Aline Rosenbaum, die 1889 geboren wurde, in Bern aufwuchs und in Zürich und im Tessin mit dem legendären jüdischen Rechtsanwalt Wladimir Rosenbaum ein großes Haus und eine liberale Ehe führte. Aline Rosenbaum war eine in jeder Hinsicht großzügige Frau. In ihrem Zürcher Haus wie in ihrem Palazzo im Tessiner Onsernone-Tal bot sie in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts ungezählten literarischen Emigranten und politisch Verfolgten Unterschlupf und Hingabe. Und während sie selbst heute nur noch wenigen ein Begriff ist, sind ihre Gäste und Geliebten aus dem Kreis der künstlerischen Avantgarde im Gedächtnis geblieben:
Natürlich Kurt Tucholsky und James Joyce, und all diese bildenden Künstler wie Hans Arp, Max Ernst usf. Aber sie selbst - ich glaube, das ist ein bißchen das Schicksal von Frauen - das man sie gerne auch wieder vergißt, dass sie so etwas werden wie ein ausgesparter Raum.
In diesem ausgesparten Raum kann sich die literarische Figur der aparten, lebenslustigen und toleranten Aline nun ungehindert entfalten. Mit ihrem Charme, ihrer frischen Intelligenz und ihrem großen Interesse an allen künstlerischen und kulturellen Strömungen ihrer Zeit ist sie nicht nur eine beliebte Gesprächspartnerin. Sie ist zugleich eifersüchtig umworbene Vertraute und erotische Gespielin vieler ihrer Gäste.
Aline lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, das Gesicht im Schatten der Taxushecke verrät keine Emotion. Man glaubt in ihr ein neues Geschöpf zu sehen, frei, geistreich, klug, stolz, von keinem Schuldgefühl belastet oder überschattet. Werbende Blicke spannen unsichtbare Fäden.
Vorsichtig nähert Eveline Hasler sich Aline Rosenbaum an, tritt ihr niemals zu nahe, dringt nicht in sie ein. Nur die knappen, erfrischenden Tagebuchzitate geben Aufschluß über das, was die junge Frau denkt, fühlt, träumt. Wonach oder nach wem sie sich sehnt und wie sehr sie ihren Mann liebt - trotz aller Eskapaden:
Ich spüre, dass um Menschen immer ein Geheimnis ist, eine dreizehnte Kammer, die man nicht öffnen darf. Und dass es nicht gut wäre, wenn eine Autorin oder ein Autor so tut, als ob die Figuren in seiner Tasche sind und er weiß alles über sie. Und dieses menschliche Geheimnnis, glaube ich, das wird immer deutlicher, je näher wir an unsere Gegenwart kommen, das ist die erste Figur aus dem 20.Jahrhundert, die ich beschreibe.
Auch dem mutigen und uneigennützig Wladimir Rosenbaum läßt Eveline Hasler sein Geheimnis. In den dreißiger Jahren unterstützt er in Zürich unzählige jüdische Flüchtlinge, läßt sich im Krieg von Aline scheiden und ist im Tod, im Grab, doch wieder mir ihr vereint. Und auch alle die illustren Freunde und Gäste wie Canetti und Musil, Toller und Tucholsky, Else Lasker-Schüler und Ignazio Silone, auch sie werden lebendig vor allem im Umgang mit und in Bezug auf Aline. Oder besser: In Beziehung zu ihr - was in vielen Fällen heißt, in der Liebe zu ihr.
Sie nannte ihn nicht Geliebter, sondern Freund.
Sie nannte ihn nicht Humm, sondern Muhr.
"Warum erfindest du Muhr?" fragte er erstaunt.
Sie blickte ihn vergnügt an: "Jede Liebe ist eine Neuerfindung." Und später dachte sie: Die Menschen bekommen durch die Liebe eine bisher ungekannte Leuchtkraft und neue Namen.
Dazu Hassler: Diese Art von Erotik hat mich auch sehr fasziniert. Ich denke, das ist uns etwas verloren gegangen, wo heute der Erotik-Begriff ein ganz anderer ist, sich bald auf einen Erotikmarkt beschränkt. Also dieses sehr subtile Wechselspiel von Intelligenz, von Emotion, von Lebensschicksal, das fand ich sehr faszinierend, und ich denke, das könnte wegweisend werden für das nächste Jahrtausend.
Ein erotischer Zauber liegt über Eveline Haslers Buch. Ein Flair, das durch den leisen, manchmal auch sehnsüchtigen Erzählton entsteht, durch die zarten, ja poetischen Bilder und eine sinnliche Perspektive, sensibel für Gerüche, Farben und Töne. Und nicht zuletzt durch die Figur des Jungen Luca. Am Anfang des Buches dreizehn Jahre alt, am Schluß ein junger Mann, beobachtet und verehrt er Aline aus der Ferne, vom Kirchturmversteck herab, wenn sie in flatternden Gewändern durch den Garten ihrer "Barca", ihres Bergpalazzo wandelt. Luca, das ist, wie die Autorin erklärt, eine fiktiv gestaltete Figur, die aber ihre Wurzeln in der Realität hat. Authentisches und Erfundenes, Fakten und Fiktion bedingen, beflügeln sich gegenseitig - wie in allen Romanen der Autorin:
Ich denke die Eveline Hasler als Autorin ist sehr stark vorhanden im Aufstöbern von Fakten. Fakten, das ist etwas, was mir unter die Haut geht, und ich habe hunderte von Tagebuchblättern gelesen, von Korrespondenz gelesen, von literarischen Zeugnissen aus der Zeit .... Und fiktiv ist dann die Art des Blickes, also wie halte ich diesen Kosmos von Leben eigentlich zusammen.
Lucas Blick hält die vielen kleinen Erzählabschnitte zusammen: und Kriegswirren in der Stadt und auf dem Dorf, alle Arten von kulturellen und politischen Strömungen, die zahllosen Portraits befreundeter Künstler, die Rückwendungen in Alines Kindheit und die Vorausdeutungen auf die zweite, sehr ruhige Hälfte ihres Lebens als Schriftstellerin, Künstlerin und Therapeutin. Nicht chronologisch, sondern spielerisch assoziativ folgen die einzelnen Szenen aufeinander, was gerade im Fall von Alines Biographie logisch - psychologisch erscheint. Waren doch Unterbewußtsein und Intuition die Lieblingskinder der damals jungen Disziplin der Psychologie und Aline eine begeisterte Anhängerin und Patientin von C.G.Jung. Hasler:
Die Zeit....ist für mich eigentlich der Hauptagent in diesem Buch. Es war für mich faszinierend, diesen Zeitbewegungen nachzugehen, weil da findet ja auch jetzt die Frühpsychologie statt .. es beginnen neue Experimente mit dem Mann-Frau-Zusammenleben... dann die neue Kunst, die neue Art zu wohnen, es bricht etwas auf in diesen zwanziger Jahren, und ich denke, dass das Ende unseres Jahrhunderts eigentlich sehr lethargisch war.
Man spürt die Faszination, die Aline Rosenbaums Persönlichkeit, ihr Leben und ihre Zeit auf Eveline Hasler ausüben. Eine Faszination, die sich unmittelbar auf den Leser überträgt. Wenn die Autorin in ihrem Roman dann nur sehr sporadisch auf die Zeit nach dem Krieg und Alines literarisches Werk eingeht, dann hat auch das seinen guten Grund:
Es ist halt einfach diese Zeit,.. die in meinen Lichtkegel fiel, und dann käme noch einmal eine so lange Lebensstrecke, wo es recht ruhig wird, wo sie nach innen geht, wo sie schreibt, ihre Tiere hegt und den Garten pflegt. Eine wunderschöne Lebensphase ebenfalls, aber vielleicht für Romane weniger verlockend als diese erste sehr turbulente Zeit.