"Alle sechs Sekunden verhungert ein Kind."
"Tag für Tag sterben 25.000 Menschen an den Folgen von Unterernährung – neun Millionen im Jahr."
Das Buch "Mordshunger" beginnt mit bedrückenden Fakten. Der Diplomat Jean Feyder unterscheidet zwischen Haupt- und Sekundär-Verantwortlichen. Letztere sind die Eliten der Entwicklungsländer und alle Experten, die meinten, Entwicklungsländer könnten Investitionen in die Landwirtschaft vernachlässigen. Die Hauptverantwortung für den Hunger tragen nach Feyder jedoch Internationaler Währungsfonds und Weltbank – und damit auch die Regierungen des Nordens, die dort den Kurs bestimmen. Alle zusammen zwangen die Entwicklungsländer bereits in den 80er-Jahren, Subventionen für die eigene Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zu streichen. Außerdem mussten die Regierungen Zölle und Importbeschränkungen für die jedoch hoch subventionierten Agrarprodukte aus dem reichen Norden radikal abbauen. Damit begann ein Wettbewerb, den die meisten Landwirte aus dem Süden nur verlieren konnten:
"Dort gibt es Betriebsflächen, die in der Regel unter zwei Hektar liegen. Der einzelne Bauer, und das ist hauptsächlich eine Frau, hat nur eine Hacke und eine Schere, um das Gras zu schneiden und damit hat es sich. In anderen Worten: Wenn der Bauer in dem Entwicklungsland eine Tonne Getreide produziert, produziert der mechanisierte Bauer bei uns etwa 1000 Tonnen. Dieser Schere in der Produktivität müsste unbedingt in den Handelsspielregeln der Welt Rechnung getragen werden."
Wird es aber bis heute nicht. Feyder ist kein Anhänger von Verschwörungstheorien, er diagnostiziert eher mangelhaftes Mitdenken der Experten: Hauptsache, die städtische Bevölkerung in Accra oder Port-au-Prince wird von dem billigen Importreis, den Tomaten oder dem Gefriergeflügel aus Europa oder Nordamerika satt. Haiti beispielsweise wurde so zum viertwichtigsten Absatzmarkt für US-Reis, seine Bauern gaben auf. Aber die Masse der Hungernden wird auch von diesen Importen zu Dumpingpreisen nicht satt, sie lebt verarmt auf dem Land – es sind Kleinbauern, Landlose oder Landarbeiter. Sie sind die am wenigsten Gebildeten, schlecht bis gar nicht organisiert - und häufig zu schwach, um zu rebellieren. Dabei könnten sie für sich und andere produzieren – wenn sie nur Unterstützung und Schutz erhielten, glaubt Feyder unter Berufung unter anderem auf den Weltagrarrat. Zollschranken hoch, empfiehlt der Handelsexperte deshalb den Entwicklungsländern, das sei zudem eine Frage der Gerechtigkeit zwischen Landwirten im Norden und im Süden:
"Wir schützen unsere Landwirtschaft auch mit Zöllen, die im Moment weit über denen liegen, was die meisten Entwicklungsländer haben. Das ist eine Ungerechtigkeit und eine Politik der zwei Maße. Und ich glaube, wir müssen mit dieser Doppelzüngigkeit aufhören und den Bauern in den Entwicklungsländern eine neue Chance geben."
Der Leser erfährt, dass anders als IWF und Weltbank die Regeln der WTO den Entwicklungsländern durchaus Schutzräume erlauben würden. Aber auch bei der WTO sieht Feyder viel Reformbedarf. Und die als entwicklungs- und armutsorientiert gerühmte Doha-Runde, mit der die Agrarmärkte weltweit geöffnet werden sollen, hält Feyder für pure Interessenpolitik zugunsten hochproduktiver Agrarschwellenländer wie Brasilien und der Industriestaaten. Vernichtend ist seine Kritik auch an den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, in denen die Europäische Union derzeit versucht, mit ihren Ex-Kolonien - den AKP-Staaten – eine weitgehende Marktöffnung auszuhandeln:
"Was wir derzeit mit AKP-Staaten versuchen durchzukriegen, ist glaube ich nicht sehr vorteilhaft für die Kleinbauern und die mittleren Betriebe in den Entwicklungsländern. Ich glaube, das große Problem ist, dass diese Märkte schon jetzt viel zu weit geöffnet worden sind."
Während die Bundesregierung die Massentierhaltung und deutsche Agrarexporte unterstützt und Landwirtschaftsministerin Aigner für ein Weiterso der milliardenschweren EU-Agrarförderung plädiert, spricht sich Jean Feyder explizit gegen eine Subventionierung der industriellen Landwirtschaft aus. Unter anderem wegen des Klimawandels müssten sich auch die europäischen Verbraucher auf Veränderungen einstellen:
"Wir können nicht mehr die großen produktivistischen Methoden weiter gebrauchen, wir müssen der Natur besser Rechnung tragen, wir müssen die Gewässer schützen, uns um die Bodenerosion kümmern, die Artenvielfalt schützen."
Nicht im Weltmarkt, sondern in regionalen, geschützten Binnenmärkten sieht Feyder die Lösung gegen den Hunger und zitiert hierfür ausgerechnet den heutigen Binnenmarktkommissar Michel Barnier als Kronzeugen – einstmals Agrarminister Frankreichs. Da zuckt der Leser etwas: Geht es vielleicht nur darum, die französischen und deutschen Produzenten zu schützen? Jean Feyder jedenfalls ist glaubwürdig in seinem Engagement. Die Entwicklung in China und Südkorea zeige, wie der Schutz der eigenen Märkte den Hunger bekämpfen, aber auch letztlich den Interessen der Europäer dienen könne:
"Wir haben ein Interesse daran, dass es auch die ärmsten Länder in Afrika fertigbringen, ein Netz von Klein- und Mittelbetrieben in der Landwirtschaft, in der Industrie aufzubauen, und so die Bedingungen geschaffen werden, um mit uns mehr Handelsbeziehungen anknüpfen zu können."
"Mordshunger" enthält viele Detailinformationen auch für diejenigen, die sich mit dem Hunger schon beschäftigt haben. Feyder ist zweifelsfrei parteilich, doch meistens argumentiert er sachlich, außer bei einem Thema. Die finanzstarken Investoren haben mangels Alternativen die Rohstoffe entdeckt – die Preise schießen an den Weltagrarmärkten derzeit nicht nur wegen der Überschwemmungen in Agrarland Australien in die Höhe. Solche Spekulation und die damit verbundenen Achterbahnbewegungen der Preise dürften die Regierungen nicht dulden:
"Einfach verbieten, ja! Man sollte nicht mit Produkten spekulieren, die das einfache Überleben von Menschen bedingen, und das ist der Fall von Hunderten von Millionen von Leuten in den Entwicklungsländern."
Jean Feyder: "Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder?" Westend Verlag, Frankfurt 2010, 336 Seiten, Euro 24,95. ISBN 978-3938060537
"Tag für Tag sterben 25.000 Menschen an den Folgen von Unterernährung – neun Millionen im Jahr."
Das Buch "Mordshunger" beginnt mit bedrückenden Fakten. Der Diplomat Jean Feyder unterscheidet zwischen Haupt- und Sekundär-Verantwortlichen. Letztere sind die Eliten der Entwicklungsländer und alle Experten, die meinten, Entwicklungsländer könnten Investitionen in die Landwirtschaft vernachlässigen. Die Hauptverantwortung für den Hunger tragen nach Feyder jedoch Internationaler Währungsfonds und Weltbank – und damit auch die Regierungen des Nordens, die dort den Kurs bestimmen. Alle zusammen zwangen die Entwicklungsländer bereits in den 80er-Jahren, Subventionen für die eigene Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zu streichen. Außerdem mussten die Regierungen Zölle und Importbeschränkungen für die jedoch hoch subventionierten Agrarprodukte aus dem reichen Norden radikal abbauen. Damit begann ein Wettbewerb, den die meisten Landwirte aus dem Süden nur verlieren konnten:
"Dort gibt es Betriebsflächen, die in der Regel unter zwei Hektar liegen. Der einzelne Bauer, und das ist hauptsächlich eine Frau, hat nur eine Hacke und eine Schere, um das Gras zu schneiden und damit hat es sich. In anderen Worten: Wenn der Bauer in dem Entwicklungsland eine Tonne Getreide produziert, produziert der mechanisierte Bauer bei uns etwa 1000 Tonnen. Dieser Schere in der Produktivität müsste unbedingt in den Handelsspielregeln der Welt Rechnung getragen werden."
Wird es aber bis heute nicht. Feyder ist kein Anhänger von Verschwörungstheorien, er diagnostiziert eher mangelhaftes Mitdenken der Experten: Hauptsache, die städtische Bevölkerung in Accra oder Port-au-Prince wird von dem billigen Importreis, den Tomaten oder dem Gefriergeflügel aus Europa oder Nordamerika satt. Haiti beispielsweise wurde so zum viertwichtigsten Absatzmarkt für US-Reis, seine Bauern gaben auf. Aber die Masse der Hungernden wird auch von diesen Importen zu Dumpingpreisen nicht satt, sie lebt verarmt auf dem Land – es sind Kleinbauern, Landlose oder Landarbeiter. Sie sind die am wenigsten Gebildeten, schlecht bis gar nicht organisiert - und häufig zu schwach, um zu rebellieren. Dabei könnten sie für sich und andere produzieren – wenn sie nur Unterstützung und Schutz erhielten, glaubt Feyder unter Berufung unter anderem auf den Weltagrarrat. Zollschranken hoch, empfiehlt der Handelsexperte deshalb den Entwicklungsländern, das sei zudem eine Frage der Gerechtigkeit zwischen Landwirten im Norden und im Süden:
"Wir schützen unsere Landwirtschaft auch mit Zöllen, die im Moment weit über denen liegen, was die meisten Entwicklungsländer haben. Das ist eine Ungerechtigkeit und eine Politik der zwei Maße. Und ich glaube, wir müssen mit dieser Doppelzüngigkeit aufhören und den Bauern in den Entwicklungsländern eine neue Chance geben."
Der Leser erfährt, dass anders als IWF und Weltbank die Regeln der WTO den Entwicklungsländern durchaus Schutzräume erlauben würden. Aber auch bei der WTO sieht Feyder viel Reformbedarf. Und die als entwicklungs- und armutsorientiert gerühmte Doha-Runde, mit der die Agrarmärkte weltweit geöffnet werden sollen, hält Feyder für pure Interessenpolitik zugunsten hochproduktiver Agrarschwellenländer wie Brasilien und der Industriestaaten. Vernichtend ist seine Kritik auch an den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, in denen die Europäische Union derzeit versucht, mit ihren Ex-Kolonien - den AKP-Staaten – eine weitgehende Marktöffnung auszuhandeln:
"Was wir derzeit mit AKP-Staaten versuchen durchzukriegen, ist glaube ich nicht sehr vorteilhaft für die Kleinbauern und die mittleren Betriebe in den Entwicklungsländern. Ich glaube, das große Problem ist, dass diese Märkte schon jetzt viel zu weit geöffnet worden sind."
Während die Bundesregierung die Massentierhaltung und deutsche Agrarexporte unterstützt und Landwirtschaftsministerin Aigner für ein Weiterso der milliardenschweren EU-Agrarförderung plädiert, spricht sich Jean Feyder explizit gegen eine Subventionierung der industriellen Landwirtschaft aus. Unter anderem wegen des Klimawandels müssten sich auch die europäischen Verbraucher auf Veränderungen einstellen:
"Wir können nicht mehr die großen produktivistischen Methoden weiter gebrauchen, wir müssen der Natur besser Rechnung tragen, wir müssen die Gewässer schützen, uns um die Bodenerosion kümmern, die Artenvielfalt schützen."
Nicht im Weltmarkt, sondern in regionalen, geschützten Binnenmärkten sieht Feyder die Lösung gegen den Hunger und zitiert hierfür ausgerechnet den heutigen Binnenmarktkommissar Michel Barnier als Kronzeugen – einstmals Agrarminister Frankreichs. Da zuckt der Leser etwas: Geht es vielleicht nur darum, die französischen und deutschen Produzenten zu schützen? Jean Feyder jedenfalls ist glaubwürdig in seinem Engagement. Die Entwicklung in China und Südkorea zeige, wie der Schutz der eigenen Märkte den Hunger bekämpfen, aber auch letztlich den Interessen der Europäer dienen könne:
"Wir haben ein Interesse daran, dass es auch die ärmsten Länder in Afrika fertigbringen, ein Netz von Klein- und Mittelbetrieben in der Landwirtschaft, in der Industrie aufzubauen, und so die Bedingungen geschaffen werden, um mit uns mehr Handelsbeziehungen anknüpfen zu können."
"Mordshunger" enthält viele Detailinformationen auch für diejenigen, die sich mit dem Hunger schon beschäftigt haben. Feyder ist zweifelsfrei parteilich, doch meistens argumentiert er sachlich, außer bei einem Thema. Die finanzstarken Investoren haben mangels Alternativen die Rohstoffe entdeckt – die Preise schießen an den Weltagrarmärkten derzeit nicht nur wegen der Überschwemmungen in Agrarland Australien in die Höhe. Solche Spekulation und die damit verbundenen Achterbahnbewegungen der Preise dürften die Regierungen nicht dulden:
"Einfach verbieten, ja! Man sollte nicht mit Produkten spekulieren, die das einfache Überleben von Menschen bedingen, und das ist der Fall von Hunderten von Millionen von Leuten in den Entwicklungsländern."
Jean Feyder: "Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder?" Westend Verlag, Frankfurt 2010, 336 Seiten, Euro 24,95. ISBN 978-3938060537