Der letzte Stuhl ist schon lange belegt. Alle warten. Warten auf Wolfram König, den Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, des BfS. Heute will er bekannt geben, was aus dem einsturzgefährdeten Atommülllager Asse II werden soll.
"Und das Ergebnis ist, dass die Rückholung der Abfälle aus der Schachtanlage Asse nach dem jetzigen Kenntnisstand die beste Variante beim weiteren Umgang mit den dort eingelagerten radioaktiven Abfällen ist."
In der Asse lagern 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll. Das BfS will sie nun also ans Tageslicht holen, aus bis zu 750 Metern Tiefe. Zehn Jahre soll das dauern. Drei Optionen hatten die Strahlenschützer prüfen lassen: Die Abfälle in der Grube zu lassen und sie mit Lauge und Beton vollzufüllen, den Müll noch tiefer in den Berg einzugraben – oder ihn herauszuholen. König:
"Keine der drei Varianten ist optimal, das haben wir gewusst, wir haben Randbedingungen vorgefunden, die es erforderlich machen, den aktuellen Wissensstand laufend zu verbessern."
Vieles ist unsicher: Wieviel Strahlung ist in den Behältern? – Die alten Inventarlisten sind mangelhaft, die Tonnen möglicherweise durchgerostet - liegt radioaktives Material lose herum? - Sämtliche Fässer sind inzwischen mit Salz überdeckt und fest eingemauert. Seit 40 Jahren hat sie niemand mehr gesehen. Und die Zeit drängt. Wasser dringt in die Grube ein, 12.000 Liter täglich. Wird es plötzlich mehr, könnte die Asse in sich zusammenstürzen.
"Das ist die Entscheidung, die ich auch wollte, ich bin Anlieger, ich wohne in Groß-Vahlberg, nördlich vom Asse-Schacht…"
"wir denken, dass alle anderen Optionen, vor allem die Vollverfüllung, für uns eine Katastrophe wären. Das wird über kurz oder lang dazu führen, dass die Radionuklide nach oben kommen, und zwar in heftiger Menge."
"Es ist Wut, dass die Entscheidung schnell gefällt werden musste, und dass ich persönlich den Eindruck habe, dass sie nicht ausgereift ist. Sie musste her, aber es ist nicht das, was funktionieren wird."
Nichts an der Asse ist einfach. Und nichts geht schnell. Das Bundesamt will erst einmal Stichproben machen: Müllkammern öffnen und einige Tausend Fässer untersuchen lassen. In diesem Jahr wird jedoch keine der Tonnen mehr angefasst, macht das BfS klar. Erst muss ein Konzept ausgearbeitet werden, wie die Rückholung technisch überhaupt zu schaffen ist. Eventuell muss das BfS seine Entscheidung sogar wieder kippen. Dann könnte es doch noch zur Option "Vollverfüllung" kommen, bei der die Asse mit Beton und Schutzlauge vollgepumpt wird. Das ginge viel schneller als das komplizierte Mammutprojekt Rückholung, für das Erfahrungswerte fehlen. Noch nie wurde ein untertägiges Endlager geräumt. Und die Asse ist ein Berg voller Probleme.
"Bitte nirgendwo reingreifen!"
Morgens, kurz vor neun, Schachtanlage Asse. Ulrich Kleemann stapft in weißer Bergarbeiterkluft die Metallstufen des Förderturms hinauf. Die Schultern hochgezogen, der Atem bildet weiße Wölkchen. Bei minus 15 Grad.
"Wir haben jetzt hier in der aufgehenden Sonne einen sehr schönen Blick über das Betriebsgelände, man sieht also hier die Eisenbahnanlage, man sieht den sehr schönen Asse-Höhenzug, man sieht aber auch, dass die Verhältnisse hier auf dem Betriebsgelände sehr beengt sind, also ein Großteil des Geländes ist bebaut. Wir haben aber dennoch Möglichkeiten sondiert, wo ein Zwischenlager und eine Konditionierungsanlage errichtet werden könnten."
Ulrich Kleemann zählt zu den Optimisten in der Asse-Debatte. Er ist technischer Geschäftsführer der Asse-GmbH, die für das BfS den Betrieb auf der Schachtanlage regelt. Im eisigen Ostwind auf dem Förderturm hat Kleemann bereits das Ziel vor Augen. Wenn der Müll erst an der Oberfläche ist, soll er in ein Endlager. Doch darauf müssen die Fässer vorbereitet werden, zum Beispiel, indem sie gepresst und mit Beton umhüllt werden. Eine kerntechnische Fabrik wird dafür gebaut werden müssen und ein großes Zwischenlager. Kleemann zeigt auf einen kleinen Parkplatz jenseits des Zauns um das Asse-Gelände, dort könnte beides einmal stehen. Wenn der Platz reicht. Und wenn überhaupt alles klappt.
"Jetzt müssen wir hier ein bisschen aufpassen ... So, jetzt bewegt sich gerade die Förderanlage."
Da ist zum Beispiel das Problem mit dem Förderturm. 100 Jahre ist das Gerüst alt, Farbe und Rost blättern von den Metallstreben. Und die Förderkapazität ist für die anstehenden Mülltransporte zu klein. Ulrich Kleemann:
"Wir müssen in jedem Fall die Förderanlage hier sanieren und haben uns überlegt, dass es Sinn macht, dann gleich eine neue Förderanlage zu beplanen. Zeitrahmen für die Realisierung: etwa zwei Jahre."
20 statt zehn Tonnen könnte der Aufzug dann auf einmal nach oben hieven. Das würde die Räumung beschleunigen. Doch selbst dann steht in den Sternen, ob sie in den veranschlagten zehn Jahren zu schaffen ist. Denn der Berg hat seine eigene Zeitrechnung. Wann es zu spät sein wird, den Müll zu bergen, entscheidet sich in den Tiefen des brüchigen Salzgesteins.
"Schnell rein, es ist nämlich sehr zugig."
In der engen Stahlkabine des Aufzugs rücken die Bergleute zusammen. Die Lichtkegel ihrer Grubenlampen tanzen über den Boden, während die Kabine in die Tiefe saust. Die Reise ins Herz der Asse ist auch eine Reise in die Vergangenheit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden hier Kalisalze abgebaut, vor allem für Dünger. Später kam Steinsalz dazu. Über 100 Kammern trieben die Bergleute damals in den Berg, zum Teil groß wie Lagerhallen. Was entstand, war ein Hochhaus mitten im Berg. 13 Stockwerke gewaltiger Kavernen bis zu einer Tiefe von 750 Metern.
Auf 490 Metern hält der Aufzug. Von hier aus geht es in einem offenen Wagen weiter. Die Tunnel unter Tage sind so groß, dass mühelos selbst Bagger und Lader fahren können. Eine Rampe führt zickzackförmig immer weiter in die Tiefe. Dorthin, wo die Atomindustrie in den 60er und 70er Jahren ihren Müll preisgünstig ablud. Probeweise, wie es damals hieß. Doch dann blieb der Abfall. Das Forschungsbergwerk wurde zum Endlager.
Offiziell ist nicht bekannt, was genau in der Asse liegt. Die Inventarlisten, die die Anlieferer führten, sind nicht richtig. So sickerte inzwischen durch, dass in den Assefässern auch einbetonierte Tierkadaver und Pestizide entsorgt wurden. 1978 war Schluss mit der Einlagerung. Damals wurde das Atomrecht geändert. Bald darauf schon zeigte sich, dass das Bergwerk völlig ungeeignet war als Endlager. Zwischendecken und Wände im Schacht wurden brüchig. Große Brocken fielen von den Kammerdecken und durchschlugen mehrere Etagen. Eilig füllte man loses Salz in die Kammern, auch über den Atommüll. Es sollte sich verfestigen und so den Schacht stabilisieren. Doch die Asse sackte weiter zusammen. Und dann kam das Wasser.
Auf 658 Metern Tiefe hält der Wagen an. Ulrich Kleemann klettert heraus und steigt die hölzernen Stufen zu einer schwarzen Tür empor.
"Das ist eine große Abbaukammer, 60 mal 40 Meter von den Dimensionen her, und man hat hier unten eine Folie ausgelegt und darüber dann eine Kiesschicht, um sicher zu stellen, dass man möglichst viel von den eindringenden Wässern dann hier auch erfasst, man kann an einigen Stellen hier Stalaktiten sehen, wo also wirklich hier aus dem darüber liegenden Gebirge dann die Wässer zutreten."
Etwa 100 Badewannen voll Wasser sickern täglich durch den Kies. Von dort fließt es in einen etwas tiefer liegenden Vorraum der Drainage-Kammer. Ulrich Kleemann steigt die Stufen hinab und geht zu einem großen Speicherbecken aus schwarzem Plastik. Hier wird das Wasser gesammelt und schließlich aus dem Bergwerk gepumpt.
Insgesamt sind es 12.000 Liter, die pro Tag in den Schacht laufen. Über welche Wege das Wasser kommt, ist unbekannt. Es muss irgendwo durch die Risse laufen, die sich im brüchigen Gestein gebildet haben. Das Beunruhigende dabei: Jeden Tag ist es dieselbe Menge. Im Berg muss es einen Mechanismus geben, der aus einem größeren Wasserreservoir oberhalb der Salzschicht immer das gleiche Volumen freigibt. Wie eine Drossel. Kleemann:
"Die große Sorge, die wir haben, ist, dass diese Drossel ihre Funktion irgendwann nicht mehr ausfüllt. Wie sie aussieht, wissen wir auch nicht. Und das wäre natürlich dann ein Punkt, wo man sagt, also hier ist eine Entwicklung, die in Richtung eines unbeherrschbaren Zutritts führt."
Der "unbeherrschbarer Zutritt" ist der Super-Gau für die Asse: Die Grube säuft ab. Dann wäre der schöne Plan vom Rausholen des Atommülls Geschichte.
"Die Frage ist: Wie viel krieg ich bis dahin heraus? Und wenn ich 50 Prozent draußen habe, dann ist die Hälfte der Gefahr noch dort unten. Es kann kein Mensch heute sagen, ob der Schacht morgen oder in ein paar Jahren absäuft. Aber warum soll man es denn nicht versuchen?"
"Alles, was man einlagern kann, kriegt man auch wieder raus. Man muss es nur wollen."
"Ich würde einmal sagen, die brauchen gar nicht fluten, das stürzt von selbst ein. Dann gibt es nur noch eins: Retten, was zu retten ist. Und ich sage mir immer: Hoffentlich ist dann zur Zeit keiner unten."
Ein Fahrlader, ein gelber Stahlkoloss mit mannshohen Rädern, rammt seine Schaufel in das Salz auf der 637-Meter Sohle der Asse. Er gräbt eine bereits zugeschüttete Strecke wieder frei, um an die Kammern dahinter zu kommen. Sie waren auch verfüllt. Doch weil das lose Salz darin in sich zusammengesunken ist, hat sich unter der Decke ein großer Spalt gebildet. Genau dort, wo sie eigentlich aufliegen sollte, damit die Etagen darüber nicht noch weiter absinken. Die Asse-Betreiber wollen all diese Firstspalte nun mit Beton verfüllen. 86 Kammern innerhalb von zwei Jahren. Ulrich Kleemann:
"Es gibt Schätzungen, die sagen, dass die Tragwirkung, die ohnehin bei dem Salz mal auftreten würde, um 8,5 Jahre vorgezogen wird. Das heißt, wir haben schneller diese Bremswirkung als bei dem normalen Verlauf. Und je schneller hier das Gebirge zum Stoppen gebracht wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass neue Klüfte aufreißen, und damit auch eben, das Hauptproblem des unbeherrschbaren Lösungszutrittes gemindert wird."
Sicher wägt sich das Bundesamt trotzdem nicht. Wenn das Wasser doch hereinbricht, will es nicht kampflos aufgeben. Kräftige Pumpen und dicke Rohre will es jetzt unter Tage bereit legen. Damit sollen auch wesentlich größere Flüssigkeitsmengen als bisher noch aus der Grube befördert werden können – die Arbeit an der Rückholung könnte mit etwas Glück weitergehen. So optimistisch ist Jürgen Kreusch nicht. Er gehört zu den Wissenschaftlern, die die Schließung der Asse auf Einladung des BfS kritisch begleiten.
"Ich vermute, dass genug Grundwasser im Deckgebirge der Asse ist, um die Grube relativ schnell volllaufen zu lassen."
Andere Salzbergwerke liefen binnen Wochenfrist voll. Große Wassermengen würden das Salzgestein der Asse auflösen wie Zucker im Kaffee, die Stabilität wäre dahin. Kreusch:
"Dann kann man nur noch versuchen, zu retten, was man retten kann, also raus aus dem Schacht, und dann wird das Ding absaufen."
Zehn Jahre sei die Grube noch standsicher, besagt das letzte Gutachten – genau so lange, wie das BfS für die Rückholung des Mülls veranschlagt. Doch das sind theoretische Berechnungen. Das Wasser könnte jeden Tag kommen. Im Extremfall bliebe gerade noch Zeit, die Asse mit einer chemischen Mixtur, einer Magnesiumchlorid-Lösung zu fluten, um zu verhindern, dass sich das Salz auflöst. Die Grube bliebe dann – vollgepumpt mit Lauge – stabil. Doch Geologe Kreusch hegt auch hier Zweifel. Die Schutzflüssigkeit ließe sich kaum schneller einleiten als das Wasser aus dem Deckgebirge in die Grube stürzen würde. Der Anteil des Grundwassers bliebe vermutlich groß genug, um Decken und Stützen des Grubengebäudes zu zersetzen.
"Und wenn das der Fall ist, dann ist auch natürlich nicht auszuschließen, dass es zu einem Zusammenbruch des Grubengebäudes kommen könnte, bis hin zu einem Tagesbruch. Also die Hohlräume brechen von oben zusammen und das setzt sich fort stapelweise bis an die Erdoberfläche, da hat man nachher einen Krater oben, das hat es bei Salzbergwerken auch schon mal gegeben, das weiß man auch. Das ist extrem unangenehm."
Für die Anwohner der Asse ein Horrorszenario. Denn läge die Asse erst einmal offen, wäre die Gefahr für Umwelt und Menschen kaum mehr kalkulierbar.
"Ich bin eine Tonne, hol mich hier raus! Schönen guten Abend!"
Ein Dutzend Aktivisten stehen auf der breiten Treppe vor dem Eingang der Wolfenbütteler Lindenhalle. Sie stecken in gelben Tonnen aus Stoff und verteilen Flugblätter. Drei Tage nach der offiziellen Ankündigung hat das Bundesamt für Strahlenschutz die Bevölkerung eingeladen, um zu erklären, wie genau die Räumung der Asse nun vonstatten gehen soll.
"Nach derzeitigem Kenntnisstand kann nur für die Option Rückholung die Langzeitsicherheit nachgewiesen werden. Die Rückholung ist daher die beste Option…"
Der Festsaal quillt über. Die Sitzplätze reichen nicht, viele müssen stehen. Oberhalb der Bühne haben die Experten des Bundesamtes eine große Leinwand aufgehängt. In sauberen Animationssequenzen ist zu sehen, wie Roboter Atommüllkammern aufmeißeln, wie ferngesteuerte Greifer gelbe Tonnen aus losem Salzstreu klauben und sie in eine Presse bugsieren, damit sie dann, handlich zusammenquetscht und akkurat verpackt, an die Oberfläche gebracht werden können. 75 Prozent der Arbeiten unter Tage sollen ferngesteuerte Maschinen erledigen. Nur so lassen sich die Strahlenschutzgrenzwerte für die Arbeiter einhalten. Die Asse-Anrainer im Publikum sind skeptisch, dass das mit den Maschinen so einfach ist. Einer fragt bei den BfS-Experten auf der Bühne nach:
"Habe ich das richtig verstanden, dass diese Maschinen auch schon bestellt sind, oder wird dann, wann auch immer die Entscheidung gefallen ist, jetzt können wir das erste Fass hochholen, festgestellt: Au Mist, dann bestellen wir die jetzt erst und warten noch mal ein paar Monate oder Jahre?"
"Die Maschinen sind beschaffbar, sie sind noch nicht da. Das ist eine spätere Phase des Umsetzungsprozesses, jetzt müssen wir zuerst mal genau in die Planungen einsteigen, welche Maschinen wir genau brauchen, und dann werden wir die schnellstmöglich beschaffen."
"Ja, wir befinden uns jetzt auf der 725-Meter-Sohle vor der Kammer 7, das ist eine der Einlagerungskammern, das ist die einzige, wo man im Prinzip noch bis an die Kammer herankommt, wobei auch hier der Zutritt natürlich nicht möglich ist, Das ist ein Strahlenschutzbereich."
Durch ein Metallgitter richtet Ulrich Kleemann seine Grubenlampe auf einen Berg aus gepresstem Salz, das man über die Fässer geschaufelt hat. Hier wurden die Tonnen gegen Ende der Einlagerungszeit in den 70er-Jahren schon nicht mehr gestapelt, sondern nur noch eilig in die Tiefe gekippt. Wahrscheinlich sind sie aufgebrochen, das Salz, das sie umgibt, ist vermutlich kontaminiert. Was, wenn ein Bergungsroboter mit dem Brei aus Müll und Salz nicht zurechtkäme?
"Es darf kein Mensch rein. Dann müssen andere Roboterfahrzeuge dann entsprechend die Reparaturarbeiten vornehmen. Auch das gibt es. Es gibt ja aus dem militärischen Bereich dann solche Fahrzeuge, die auch in solchen Gebieten dann eingesetzt werden, wo kein Mensch hindarf, und diese Technik kann man sich ja zunutze machen."
Ulrich Kleemann hat solche Maschinen selbst gesehen. Er glaubt fest, dass sie die schwierige Situation unter Tage meistern können. Geologe Jürgen Kreusch ist skeptisch:
"Im Bergbau, das muss man wissen, da geht es auch immer wieder mal zur Sache, das ist nicht alles normierbar, das ist nicht alles planbar, im Bergbau treten immer wieder Probleme auf, und da muss man damit rechnen, dass man die Menschen auch vorne hinschickt, an die Front sozusagen, und das kann man nicht alles maschinell machen. Ich glaube, das ist ein Irrglaube."
Wenn die Maschinen in den Sperrbereichen vor den Lagerkammern versagen, dann scheitern auch die Rückholungspläne. Weil sie niemand mehr durchführen kann.
"Reinhängen alles. Ganz nackig machen, Schuhe, alles rein da. Dann gehen wir durch die Schleuse und da ziehen wir uns dann an."
Wer sich im Zwischenlager der Energiewerke Nord, dem ZLN in Lubmin bei Greifswald, die Atommüllpresse ansehen will, muss sich die hauseigene Feinripp-Unterwäsche und einen orangefarbenen Overall anziehen. Strahlenschutz.
""Da sind die Socken, Schlüpfer, Hemd, und dann: Overall über."
Das ZLN ist eines der größten Zwischenlager für schwach- und mittel-radioaktiven Müll in Deutschland. Der meiste Müll hier hat die gleiche Gefahrenklasse wie der in der Asse. Vieles am Schacht dürfte in ähnlichen Dimensionen benötigt werden wie hier an der Ostsee: Eine riesige Betonhalle als Zwischenlager, Konditionierungsanlagen, einen doppelten Stacheldrahtzaun um die Anlage, Wachleute, Personenkontrollen.
"So, hier drinne Sachen immer in der Hand behalten, nichts ablegen, nichts anfassen."
Die Müllpresse ist ein blaues Stahlungetüm von 48 Tonnen. Aus Sicherheitsgründen ist sie mit Wänden umbaut, durch große Glasfenster kann man hineinblicken. In dem Schutzgehäuse könnte man gut einen LKW parken, die Presse ragt fast fünf Meter in die Höhe. Mit einer Kraft von 1200 Tonnen quetscht sie hüfthohe Fässer zusammen, bis sie nur noch halb so flach sind wie ein Autoreifen.
"Wir haben hier Betriebsabfälle, sogenannte Mischabfälle in diesen Fässern, also das können Arbeitsschutzbekleidungen sein, Filter sein, es kann aber auch Reste von Putzlappen sein, die nicht weiter verwertet werden können. Verpressen dient ja dazu: Wir verringern das Volumen, wir haben dadurch hier weniger Lagervolumen, aber auch für eine spätere Endlagerung brauchen wir weniger Lagervolumen dafür."
Marlies Philipp hat im ZLN früher als Ingenieurin gearbeitet. Jetzt führt sie Besucher herum. Eine ähnliche Presse wie hier will das Bundesamt für Strahlenschutz auch in der Asse aufbauen. Unter Tage. Dort sollen die gepressten Fässer nach ersten Plänen auch in Beton gegossen werden, bevor sie die Grube verlassen dürfen. Je besser der strahlende Abfall abgeschirmt ist, ehe er nach oben kommt, um so sicherer für Umwelt und Anwohner.
Im Besprechungsraum des Verwaltungsgebäudes gießt sich Dieter Rittscher, der Chef der Energiewerke Nord, einen Kaffee ein. Mit der Konditionierung von radioaktivem Müll kennt er sich aus wie kein anderer und er sieht die BfS-Pläne zur Räumung der Asse kritisch. Zum Beispiel, dass unter Tage große Maschinen wie Müllpressen aufgebaut werden sollen. Technisch sei das zwar möglich. Aber nur mit riesigem Aufwand. Die Maschinen erzeugten feinen radioaktiven Staub, der aufwändig abgeschirmt und kontrolliert werden müsste. Denn stets bestehe die Gefahr, dass er Menschen unter Tage kontaminiere.
"Ich bin ziemlich sicher, wenn das einem Genehmigungsverfahren unterliegt, wird das alles nicht machbar sein. Es ist ja nicht so, dass man sagt, das machen wir mal so nebenbei. Das ist ein Mammutprojekt, das da auf die Beine kommt, und ich bin ziemlich sicher, wenn die nächsten Papiere vom BfS vorliegen, wird man auch von der Konditionierung unter Tage schon Abstand nehmen."
Dieter Rittscher weiß recht gut, wie es im Schacht Asse aussieht. Während seiner Laufbahn in der Kerntechnikbranche hat er mehrfach für Gesellschaften gearbeitet, die Müll im Bergwerk einlagerten. Im Oktober 2009 sagte Rittscher vor dem niedersächsischen Untersuchungsausschuss zur Asse aus: Die Einlagerer hätten oft billige gebrauchte Behälter gekauft, sie geflickt, neu angestrichen und dann mit strahlendem Abfall befüllt. Die Qualität der Fässer sei mangelhaft, die Wände zum Teil keinen Millimeter dick. Aus anderen Lagern weiß man, dass solche Tonnen in kurzer Zeit durchrosten. Von außen und innen gleichzeitig. Für den Asse-Müll hieße das: Die Fässer dürften heute so gut wie zerfallen sein, der Müll mit dem Salz vermischt. Beides müsste zusammen geborgen werden. Die Konsequenz: Man bräuchte ein entsprechend großes Zwischenlager. Rittscher:
"Wenn wir 100.000 Kubikmeter rechnen, dann hätten wir 25.000 Container. Eins ist mir relativ klar, das sind schon ein paar Fußballfelder. Oder Sie stapeln extrem hoch."
Auf das Asse-Gelände passt eine solch große Halle nicht mehr. Auch nicht auf den benachbarten Parkplatz, der noch zum Areal gehört. Wohin also mit dem Zwischenlager? Die Frage dürfte sich klären lassen – auch wenn dann eine kerntechnische Anlage größter Ausmaße wahrscheinlich direkt vor der Nase der Asse-Anwohner steht. Womöglich für lange Zeit. Nur ein unterirdisches Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll ist bisher zugelassen: Schacht Konrad, wenige Kilometer von der Asse entfernt. Doch weder ist dort genügend Platz, um den Abfall aus dem Schacht neben dem ohnehin anfallenden Müll der Kernkraftwerke aufzunehmen, noch besitzt Schacht Konrad eine ausreichende Zulassung für die speziellen Radionuklide und Gifte in der Asse. Zwar ließe sich eine erweiterte Genehmigung beantragen. Doch bis sie rechtlich durchgeboxt ist, dürften Jahre vergehen. Nicht zuletzt, weil die Anwohner massiven Widerstand leisten.
"Ja, das wollen sie jetzt mit Schacht Konrad machen, da könnte ich so einen Hals kriegen. Muss ich ganz ehrlich sagen."
"Wir können nicht sagen, ach, wir sind froh, dass wir es aus der Asse raus haben und nach dem Sankt-Florians-Prinzip, dann sollen es die in Schacht Konrad nehmen. Und in 30 Jahren stehen dann meine Enkel hier und machen die gleiche Arbeit. Also das ist keine Lösung."
"Es ist uns ganz wichtig, dass wir nicht gegeneinander ausgespielt werden, Asse – Schacht Konrad. Wir ziehen nach wie vor an einem Strang. Das ist nicht so, der eine hat’s der andere hat es nicht. Nein, so sehen wir das nicht, Sie müssen über die Folgen nachdenken, wenn Sie das jetzt wieder endlagern wollen in Schacht Konrad."
Das Bundesamt für Strahlenschutz umgeht die Endlagerfrage in seinen bisherigen Asse-Plänen. Eine Unsicherheit mehr, an der das Mammutprojekt Rückholung letztendlich scheitern könnte, glaubt Atommüll-Fachmann Dieter Rittscher.
"Die Abfälle müssen so konditioniert und so vorbereitet werden, dass sie dann in das Endlager Konrad verbracht werden. Wenn das nicht klappen sollte aus verschiedenen Gründen, ja, dann muss ich dazu sagen: Da wird keiner an das Rausholen der Abfälle gehen, das ist kein ganzheitlicher Weg."
Dieter Rittscher ist Mitglied in der Entsorgungskommission des Bundesumweltministeriums, der ESK. In verschiedenen offenen Briefen hat das Beratungsgremium die Pläne des BfS zur Asse-Räumung kritisiert. Dieter Rittscher bezweifelt sogar, dass die Optionsentscheidung des Bundesamtes haltbar ist: Dass sich nämlich die Langzeitsicherheit der Asse nicht beweisen ließe, bliebe der Müll doch im Berg.
"Ich bin schon der Meinung, das man diese Konzepte noch mal um das Langzeitverhalten, sprich Langzeitsicherheit noch mal genauer untersuchen muss, da bin ich ziemlich sicher, das wird auch getan."
Allein für die Rückholung des Mülls, so hatte das BfS bei seiner Entscheidung argumentiert, lasse sich nachweisen, dass die Umwelt auch in 100.000 Jahren nicht kontaminiert werde. Rein rechnerisch hätte ansonsten die Vollverfüllung im Optionenvergleich gesiegt, bei der die Asse mit Beton und Lauge vollgepumpt würde. Vier von fünf der von BfS und Bürgern zusammen aufgestellten Bewertungskriterien sprachen eigentlich für diese Variante. Sie wäre nicht nur schneller, sondern auch einfacher und sicherer für das Asse-Personal. Und billiger als die für die Rückholung veranschlagten 3,7 Milliarden Euro vermutlich auch. Die Entscheidungsfindung des BfS ist für viele schwer nachvollziehbar. Auch für Klaus-Jürgen Röhlig, Professor für Endlagerung an der TU Clausthal und stellvertretender Vorsitzender der ESK. Er kritisiert,
"dass man sagt: Vollverfüllung ist eigentlich das Beste im Hinblick auf alle Beurteilungsfelder, bis auf eines. Aber dieses eine ist mir das Wichtigste. Dadurch ist letzten Endes auch eine Wertentscheidung vorgenommen worden. Und ich habe das Gefühl, dass diese Tatsache nicht so richtig kommuniziert worden ist."
Ließe sich doch nachweisen, dass die Vollverfüllung langzeitsicher ist, spräche nichts mehr dafür, den Müll aus der Asse zu holen. Dann könnte das Bundesumweltministerium doch noch die Flutung der Asse durchsetzen. Das BfS müsste dem folgen, es untersteht dem Ministerium. Doch die Vollverfüllung fürchtet die Bevölkerung wie der Teufel das Weihwasser. Seit Jahren richtet sich ihr Widerstand gegen diese Option – mit dem Ziel, die Asse zu räumen. Die Entscheidung des Bundesamtes ist auch eine Entscheidung, die der Bevölkerung ihren Willen gibt – und sie beruhigt. Die Bürger mit in die Entscheidung einzubinden, stand und steht auf der Agenda der Strahlenschützer in Salzgitter ganz oben. Zu weit oben, fragt ESK-Experte Klaus-Jürgen Röhlig.
"Es geht ja nicht darum, die Bevölkerung glücklich zu machen, sondern es geht darum, hier möglichst einen sicheren und möglichst unproblematisch und technisch gut durchführbaren Ausweg aus einer verfahrenen Situation zu finden. Ich weiß auch nicht, ob das Glück, oder dieses Glücklichmachen der Bevölkerung im Sinne von Zufriedensein jetzt das Motiv sein kann."
Von Glück und Zufriedenheit ist in der Wolfenbütteler Lindenhalle nicht mehr viel zu spüren. Die Diskussion mit dem Bundesamt für Strahlenschutz verläuft eher ernüchternd. Dass erst einmal Probefässer aus dem Berg geholt werden müssen, um deren Zustand zu prüfen, akzeptieren die meisten am Ende noch. Aber nicht, dass damit erst nächstes Jahr begonnen werden soll. Und die Stimmung im Saal steigt auch dann nicht, als das Publikum die Experten auf dem Podium zum ersten Mal persönlich fragen darf, wie sicher sie sich ihrer Sache überhaupt sind.
"Also, ich bin Frau Huss aus Sottmar und ich möchte gerne wissen, wie die Optionen aussehen, wenn Sie es nicht schaffen, die ganzen Fässer da rauszuholen."
"Wir gehen die Rückholung an, wir werden - wir gehen das jetzt an mit der Rückholung. Wir gehen die Rückholung an. Für den Fall, dass man die Fässer nicht zurückholen kann, also wenn dieser Fall wirklich eintritt, dass man die Fässer nicht zurückholen kann, dann müssen sie drin bleiben – so einfach ist das Leben!"
Was, fragen sich viele Anwohner in der Lindenhalle, nachdem die Bühne geräumt und das Bundesamt abgezogen ist, sollen sie von dessen Ankündigungen eigentlich halten?
"Augenwischerei, in einem Wort gesagt. Das, was die da teilweise bringen, ist nur Bevölkerung beruhigen, und eigentlich an der Realität vorbeiquatschen. Und das tun die Jungs und Mädels der Regierung seit 30 Jahren."
Die emotionalen Wellen schlagen hoch in der Diskussion um die Asse. Doch von welcher Warte aus man es auch betrachtet: Mit der Einlagerung des Atommülls wurde dort einst ein Problem geschaffen, für das es eine "gute" Lösung nicht gibt. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat eher eine Hoffnung geäußert als eine Entscheidung getroffen: Der Müll soll raus aus der Asse.
"Und das Ergebnis ist, dass die Rückholung der Abfälle aus der Schachtanlage Asse nach dem jetzigen Kenntnisstand die beste Variante beim weiteren Umgang mit den dort eingelagerten radioaktiven Abfällen ist."
In der Asse lagern 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll. Das BfS will sie nun also ans Tageslicht holen, aus bis zu 750 Metern Tiefe. Zehn Jahre soll das dauern. Drei Optionen hatten die Strahlenschützer prüfen lassen: Die Abfälle in der Grube zu lassen und sie mit Lauge und Beton vollzufüllen, den Müll noch tiefer in den Berg einzugraben – oder ihn herauszuholen. König:
"Keine der drei Varianten ist optimal, das haben wir gewusst, wir haben Randbedingungen vorgefunden, die es erforderlich machen, den aktuellen Wissensstand laufend zu verbessern."
Vieles ist unsicher: Wieviel Strahlung ist in den Behältern? – Die alten Inventarlisten sind mangelhaft, die Tonnen möglicherweise durchgerostet - liegt radioaktives Material lose herum? - Sämtliche Fässer sind inzwischen mit Salz überdeckt und fest eingemauert. Seit 40 Jahren hat sie niemand mehr gesehen. Und die Zeit drängt. Wasser dringt in die Grube ein, 12.000 Liter täglich. Wird es plötzlich mehr, könnte die Asse in sich zusammenstürzen.
"Das ist die Entscheidung, die ich auch wollte, ich bin Anlieger, ich wohne in Groß-Vahlberg, nördlich vom Asse-Schacht…"
"wir denken, dass alle anderen Optionen, vor allem die Vollverfüllung, für uns eine Katastrophe wären. Das wird über kurz oder lang dazu führen, dass die Radionuklide nach oben kommen, und zwar in heftiger Menge."
"Es ist Wut, dass die Entscheidung schnell gefällt werden musste, und dass ich persönlich den Eindruck habe, dass sie nicht ausgereift ist. Sie musste her, aber es ist nicht das, was funktionieren wird."
Nichts an der Asse ist einfach. Und nichts geht schnell. Das Bundesamt will erst einmal Stichproben machen: Müllkammern öffnen und einige Tausend Fässer untersuchen lassen. In diesem Jahr wird jedoch keine der Tonnen mehr angefasst, macht das BfS klar. Erst muss ein Konzept ausgearbeitet werden, wie die Rückholung technisch überhaupt zu schaffen ist. Eventuell muss das BfS seine Entscheidung sogar wieder kippen. Dann könnte es doch noch zur Option "Vollverfüllung" kommen, bei der die Asse mit Beton und Schutzlauge vollgepumpt wird. Das ginge viel schneller als das komplizierte Mammutprojekt Rückholung, für das Erfahrungswerte fehlen. Noch nie wurde ein untertägiges Endlager geräumt. Und die Asse ist ein Berg voller Probleme.
"Bitte nirgendwo reingreifen!"
Morgens, kurz vor neun, Schachtanlage Asse. Ulrich Kleemann stapft in weißer Bergarbeiterkluft die Metallstufen des Förderturms hinauf. Die Schultern hochgezogen, der Atem bildet weiße Wölkchen. Bei minus 15 Grad.
"Wir haben jetzt hier in der aufgehenden Sonne einen sehr schönen Blick über das Betriebsgelände, man sieht also hier die Eisenbahnanlage, man sieht den sehr schönen Asse-Höhenzug, man sieht aber auch, dass die Verhältnisse hier auf dem Betriebsgelände sehr beengt sind, also ein Großteil des Geländes ist bebaut. Wir haben aber dennoch Möglichkeiten sondiert, wo ein Zwischenlager und eine Konditionierungsanlage errichtet werden könnten."
Ulrich Kleemann zählt zu den Optimisten in der Asse-Debatte. Er ist technischer Geschäftsführer der Asse-GmbH, die für das BfS den Betrieb auf der Schachtanlage regelt. Im eisigen Ostwind auf dem Förderturm hat Kleemann bereits das Ziel vor Augen. Wenn der Müll erst an der Oberfläche ist, soll er in ein Endlager. Doch darauf müssen die Fässer vorbereitet werden, zum Beispiel, indem sie gepresst und mit Beton umhüllt werden. Eine kerntechnische Fabrik wird dafür gebaut werden müssen und ein großes Zwischenlager. Kleemann zeigt auf einen kleinen Parkplatz jenseits des Zauns um das Asse-Gelände, dort könnte beides einmal stehen. Wenn der Platz reicht. Und wenn überhaupt alles klappt.
"Jetzt müssen wir hier ein bisschen aufpassen ... So, jetzt bewegt sich gerade die Förderanlage."
Da ist zum Beispiel das Problem mit dem Förderturm. 100 Jahre ist das Gerüst alt, Farbe und Rost blättern von den Metallstreben. Und die Förderkapazität ist für die anstehenden Mülltransporte zu klein. Ulrich Kleemann:
"Wir müssen in jedem Fall die Förderanlage hier sanieren und haben uns überlegt, dass es Sinn macht, dann gleich eine neue Förderanlage zu beplanen. Zeitrahmen für die Realisierung: etwa zwei Jahre."
20 statt zehn Tonnen könnte der Aufzug dann auf einmal nach oben hieven. Das würde die Räumung beschleunigen. Doch selbst dann steht in den Sternen, ob sie in den veranschlagten zehn Jahren zu schaffen ist. Denn der Berg hat seine eigene Zeitrechnung. Wann es zu spät sein wird, den Müll zu bergen, entscheidet sich in den Tiefen des brüchigen Salzgesteins.
"Schnell rein, es ist nämlich sehr zugig."
In der engen Stahlkabine des Aufzugs rücken die Bergleute zusammen. Die Lichtkegel ihrer Grubenlampen tanzen über den Boden, während die Kabine in die Tiefe saust. Die Reise ins Herz der Asse ist auch eine Reise in die Vergangenheit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden hier Kalisalze abgebaut, vor allem für Dünger. Später kam Steinsalz dazu. Über 100 Kammern trieben die Bergleute damals in den Berg, zum Teil groß wie Lagerhallen. Was entstand, war ein Hochhaus mitten im Berg. 13 Stockwerke gewaltiger Kavernen bis zu einer Tiefe von 750 Metern.
Auf 490 Metern hält der Aufzug. Von hier aus geht es in einem offenen Wagen weiter. Die Tunnel unter Tage sind so groß, dass mühelos selbst Bagger und Lader fahren können. Eine Rampe führt zickzackförmig immer weiter in die Tiefe. Dorthin, wo die Atomindustrie in den 60er und 70er Jahren ihren Müll preisgünstig ablud. Probeweise, wie es damals hieß. Doch dann blieb der Abfall. Das Forschungsbergwerk wurde zum Endlager.
Offiziell ist nicht bekannt, was genau in der Asse liegt. Die Inventarlisten, die die Anlieferer führten, sind nicht richtig. So sickerte inzwischen durch, dass in den Assefässern auch einbetonierte Tierkadaver und Pestizide entsorgt wurden. 1978 war Schluss mit der Einlagerung. Damals wurde das Atomrecht geändert. Bald darauf schon zeigte sich, dass das Bergwerk völlig ungeeignet war als Endlager. Zwischendecken und Wände im Schacht wurden brüchig. Große Brocken fielen von den Kammerdecken und durchschlugen mehrere Etagen. Eilig füllte man loses Salz in die Kammern, auch über den Atommüll. Es sollte sich verfestigen und so den Schacht stabilisieren. Doch die Asse sackte weiter zusammen. Und dann kam das Wasser.
Auf 658 Metern Tiefe hält der Wagen an. Ulrich Kleemann klettert heraus und steigt die hölzernen Stufen zu einer schwarzen Tür empor.
"Das ist eine große Abbaukammer, 60 mal 40 Meter von den Dimensionen her, und man hat hier unten eine Folie ausgelegt und darüber dann eine Kiesschicht, um sicher zu stellen, dass man möglichst viel von den eindringenden Wässern dann hier auch erfasst, man kann an einigen Stellen hier Stalaktiten sehen, wo also wirklich hier aus dem darüber liegenden Gebirge dann die Wässer zutreten."
Etwa 100 Badewannen voll Wasser sickern täglich durch den Kies. Von dort fließt es in einen etwas tiefer liegenden Vorraum der Drainage-Kammer. Ulrich Kleemann steigt die Stufen hinab und geht zu einem großen Speicherbecken aus schwarzem Plastik. Hier wird das Wasser gesammelt und schließlich aus dem Bergwerk gepumpt.
Insgesamt sind es 12.000 Liter, die pro Tag in den Schacht laufen. Über welche Wege das Wasser kommt, ist unbekannt. Es muss irgendwo durch die Risse laufen, die sich im brüchigen Gestein gebildet haben. Das Beunruhigende dabei: Jeden Tag ist es dieselbe Menge. Im Berg muss es einen Mechanismus geben, der aus einem größeren Wasserreservoir oberhalb der Salzschicht immer das gleiche Volumen freigibt. Wie eine Drossel. Kleemann:
"Die große Sorge, die wir haben, ist, dass diese Drossel ihre Funktion irgendwann nicht mehr ausfüllt. Wie sie aussieht, wissen wir auch nicht. Und das wäre natürlich dann ein Punkt, wo man sagt, also hier ist eine Entwicklung, die in Richtung eines unbeherrschbaren Zutritts führt."
Der "unbeherrschbarer Zutritt" ist der Super-Gau für die Asse: Die Grube säuft ab. Dann wäre der schöne Plan vom Rausholen des Atommülls Geschichte.
"Die Frage ist: Wie viel krieg ich bis dahin heraus? Und wenn ich 50 Prozent draußen habe, dann ist die Hälfte der Gefahr noch dort unten. Es kann kein Mensch heute sagen, ob der Schacht morgen oder in ein paar Jahren absäuft. Aber warum soll man es denn nicht versuchen?"
"Alles, was man einlagern kann, kriegt man auch wieder raus. Man muss es nur wollen."
"Ich würde einmal sagen, die brauchen gar nicht fluten, das stürzt von selbst ein. Dann gibt es nur noch eins: Retten, was zu retten ist. Und ich sage mir immer: Hoffentlich ist dann zur Zeit keiner unten."
Ein Fahrlader, ein gelber Stahlkoloss mit mannshohen Rädern, rammt seine Schaufel in das Salz auf der 637-Meter Sohle der Asse. Er gräbt eine bereits zugeschüttete Strecke wieder frei, um an die Kammern dahinter zu kommen. Sie waren auch verfüllt. Doch weil das lose Salz darin in sich zusammengesunken ist, hat sich unter der Decke ein großer Spalt gebildet. Genau dort, wo sie eigentlich aufliegen sollte, damit die Etagen darüber nicht noch weiter absinken. Die Asse-Betreiber wollen all diese Firstspalte nun mit Beton verfüllen. 86 Kammern innerhalb von zwei Jahren. Ulrich Kleemann:
"Es gibt Schätzungen, die sagen, dass die Tragwirkung, die ohnehin bei dem Salz mal auftreten würde, um 8,5 Jahre vorgezogen wird. Das heißt, wir haben schneller diese Bremswirkung als bei dem normalen Verlauf. Und je schneller hier das Gebirge zum Stoppen gebracht wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass neue Klüfte aufreißen, und damit auch eben, das Hauptproblem des unbeherrschbaren Lösungszutrittes gemindert wird."
Sicher wägt sich das Bundesamt trotzdem nicht. Wenn das Wasser doch hereinbricht, will es nicht kampflos aufgeben. Kräftige Pumpen und dicke Rohre will es jetzt unter Tage bereit legen. Damit sollen auch wesentlich größere Flüssigkeitsmengen als bisher noch aus der Grube befördert werden können – die Arbeit an der Rückholung könnte mit etwas Glück weitergehen. So optimistisch ist Jürgen Kreusch nicht. Er gehört zu den Wissenschaftlern, die die Schließung der Asse auf Einladung des BfS kritisch begleiten.
"Ich vermute, dass genug Grundwasser im Deckgebirge der Asse ist, um die Grube relativ schnell volllaufen zu lassen."
Andere Salzbergwerke liefen binnen Wochenfrist voll. Große Wassermengen würden das Salzgestein der Asse auflösen wie Zucker im Kaffee, die Stabilität wäre dahin. Kreusch:
"Dann kann man nur noch versuchen, zu retten, was man retten kann, also raus aus dem Schacht, und dann wird das Ding absaufen."
Zehn Jahre sei die Grube noch standsicher, besagt das letzte Gutachten – genau so lange, wie das BfS für die Rückholung des Mülls veranschlagt. Doch das sind theoretische Berechnungen. Das Wasser könnte jeden Tag kommen. Im Extremfall bliebe gerade noch Zeit, die Asse mit einer chemischen Mixtur, einer Magnesiumchlorid-Lösung zu fluten, um zu verhindern, dass sich das Salz auflöst. Die Grube bliebe dann – vollgepumpt mit Lauge – stabil. Doch Geologe Kreusch hegt auch hier Zweifel. Die Schutzflüssigkeit ließe sich kaum schneller einleiten als das Wasser aus dem Deckgebirge in die Grube stürzen würde. Der Anteil des Grundwassers bliebe vermutlich groß genug, um Decken und Stützen des Grubengebäudes zu zersetzen.
"Und wenn das der Fall ist, dann ist auch natürlich nicht auszuschließen, dass es zu einem Zusammenbruch des Grubengebäudes kommen könnte, bis hin zu einem Tagesbruch. Also die Hohlräume brechen von oben zusammen und das setzt sich fort stapelweise bis an die Erdoberfläche, da hat man nachher einen Krater oben, das hat es bei Salzbergwerken auch schon mal gegeben, das weiß man auch. Das ist extrem unangenehm."
Für die Anwohner der Asse ein Horrorszenario. Denn läge die Asse erst einmal offen, wäre die Gefahr für Umwelt und Menschen kaum mehr kalkulierbar.
"Ich bin eine Tonne, hol mich hier raus! Schönen guten Abend!"
Ein Dutzend Aktivisten stehen auf der breiten Treppe vor dem Eingang der Wolfenbütteler Lindenhalle. Sie stecken in gelben Tonnen aus Stoff und verteilen Flugblätter. Drei Tage nach der offiziellen Ankündigung hat das Bundesamt für Strahlenschutz die Bevölkerung eingeladen, um zu erklären, wie genau die Räumung der Asse nun vonstatten gehen soll.
"Nach derzeitigem Kenntnisstand kann nur für die Option Rückholung die Langzeitsicherheit nachgewiesen werden. Die Rückholung ist daher die beste Option…"
Der Festsaal quillt über. Die Sitzplätze reichen nicht, viele müssen stehen. Oberhalb der Bühne haben die Experten des Bundesamtes eine große Leinwand aufgehängt. In sauberen Animationssequenzen ist zu sehen, wie Roboter Atommüllkammern aufmeißeln, wie ferngesteuerte Greifer gelbe Tonnen aus losem Salzstreu klauben und sie in eine Presse bugsieren, damit sie dann, handlich zusammenquetscht und akkurat verpackt, an die Oberfläche gebracht werden können. 75 Prozent der Arbeiten unter Tage sollen ferngesteuerte Maschinen erledigen. Nur so lassen sich die Strahlenschutzgrenzwerte für die Arbeiter einhalten. Die Asse-Anrainer im Publikum sind skeptisch, dass das mit den Maschinen so einfach ist. Einer fragt bei den BfS-Experten auf der Bühne nach:
"Habe ich das richtig verstanden, dass diese Maschinen auch schon bestellt sind, oder wird dann, wann auch immer die Entscheidung gefallen ist, jetzt können wir das erste Fass hochholen, festgestellt: Au Mist, dann bestellen wir die jetzt erst und warten noch mal ein paar Monate oder Jahre?"
"Die Maschinen sind beschaffbar, sie sind noch nicht da. Das ist eine spätere Phase des Umsetzungsprozesses, jetzt müssen wir zuerst mal genau in die Planungen einsteigen, welche Maschinen wir genau brauchen, und dann werden wir die schnellstmöglich beschaffen."
"Ja, wir befinden uns jetzt auf der 725-Meter-Sohle vor der Kammer 7, das ist eine der Einlagerungskammern, das ist die einzige, wo man im Prinzip noch bis an die Kammer herankommt, wobei auch hier der Zutritt natürlich nicht möglich ist, Das ist ein Strahlenschutzbereich."
Durch ein Metallgitter richtet Ulrich Kleemann seine Grubenlampe auf einen Berg aus gepresstem Salz, das man über die Fässer geschaufelt hat. Hier wurden die Tonnen gegen Ende der Einlagerungszeit in den 70er-Jahren schon nicht mehr gestapelt, sondern nur noch eilig in die Tiefe gekippt. Wahrscheinlich sind sie aufgebrochen, das Salz, das sie umgibt, ist vermutlich kontaminiert. Was, wenn ein Bergungsroboter mit dem Brei aus Müll und Salz nicht zurechtkäme?
"Es darf kein Mensch rein. Dann müssen andere Roboterfahrzeuge dann entsprechend die Reparaturarbeiten vornehmen. Auch das gibt es. Es gibt ja aus dem militärischen Bereich dann solche Fahrzeuge, die auch in solchen Gebieten dann eingesetzt werden, wo kein Mensch hindarf, und diese Technik kann man sich ja zunutze machen."
Ulrich Kleemann hat solche Maschinen selbst gesehen. Er glaubt fest, dass sie die schwierige Situation unter Tage meistern können. Geologe Jürgen Kreusch ist skeptisch:
"Im Bergbau, das muss man wissen, da geht es auch immer wieder mal zur Sache, das ist nicht alles normierbar, das ist nicht alles planbar, im Bergbau treten immer wieder Probleme auf, und da muss man damit rechnen, dass man die Menschen auch vorne hinschickt, an die Front sozusagen, und das kann man nicht alles maschinell machen. Ich glaube, das ist ein Irrglaube."
Wenn die Maschinen in den Sperrbereichen vor den Lagerkammern versagen, dann scheitern auch die Rückholungspläne. Weil sie niemand mehr durchführen kann.
"Reinhängen alles. Ganz nackig machen, Schuhe, alles rein da. Dann gehen wir durch die Schleuse und da ziehen wir uns dann an."
Wer sich im Zwischenlager der Energiewerke Nord, dem ZLN in Lubmin bei Greifswald, die Atommüllpresse ansehen will, muss sich die hauseigene Feinripp-Unterwäsche und einen orangefarbenen Overall anziehen. Strahlenschutz.
""Da sind die Socken, Schlüpfer, Hemd, und dann: Overall über."
Das ZLN ist eines der größten Zwischenlager für schwach- und mittel-radioaktiven Müll in Deutschland. Der meiste Müll hier hat die gleiche Gefahrenklasse wie der in der Asse. Vieles am Schacht dürfte in ähnlichen Dimensionen benötigt werden wie hier an der Ostsee: Eine riesige Betonhalle als Zwischenlager, Konditionierungsanlagen, einen doppelten Stacheldrahtzaun um die Anlage, Wachleute, Personenkontrollen.
"So, hier drinne Sachen immer in der Hand behalten, nichts ablegen, nichts anfassen."
Die Müllpresse ist ein blaues Stahlungetüm von 48 Tonnen. Aus Sicherheitsgründen ist sie mit Wänden umbaut, durch große Glasfenster kann man hineinblicken. In dem Schutzgehäuse könnte man gut einen LKW parken, die Presse ragt fast fünf Meter in die Höhe. Mit einer Kraft von 1200 Tonnen quetscht sie hüfthohe Fässer zusammen, bis sie nur noch halb so flach sind wie ein Autoreifen.
"Wir haben hier Betriebsabfälle, sogenannte Mischabfälle in diesen Fässern, also das können Arbeitsschutzbekleidungen sein, Filter sein, es kann aber auch Reste von Putzlappen sein, die nicht weiter verwertet werden können. Verpressen dient ja dazu: Wir verringern das Volumen, wir haben dadurch hier weniger Lagervolumen, aber auch für eine spätere Endlagerung brauchen wir weniger Lagervolumen dafür."
Marlies Philipp hat im ZLN früher als Ingenieurin gearbeitet. Jetzt führt sie Besucher herum. Eine ähnliche Presse wie hier will das Bundesamt für Strahlenschutz auch in der Asse aufbauen. Unter Tage. Dort sollen die gepressten Fässer nach ersten Plänen auch in Beton gegossen werden, bevor sie die Grube verlassen dürfen. Je besser der strahlende Abfall abgeschirmt ist, ehe er nach oben kommt, um so sicherer für Umwelt und Anwohner.
Im Besprechungsraum des Verwaltungsgebäudes gießt sich Dieter Rittscher, der Chef der Energiewerke Nord, einen Kaffee ein. Mit der Konditionierung von radioaktivem Müll kennt er sich aus wie kein anderer und er sieht die BfS-Pläne zur Räumung der Asse kritisch. Zum Beispiel, dass unter Tage große Maschinen wie Müllpressen aufgebaut werden sollen. Technisch sei das zwar möglich. Aber nur mit riesigem Aufwand. Die Maschinen erzeugten feinen radioaktiven Staub, der aufwändig abgeschirmt und kontrolliert werden müsste. Denn stets bestehe die Gefahr, dass er Menschen unter Tage kontaminiere.
"Ich bin ziemlich sicher, wenn das einem Genehmigungsverfahren unterliegt, wird das alles nicht machbar sein. Es ist ja nicht so, dass man sagt, das machen wir mal so nebenbei. Das ist ein Mammutprojekt, das da auf die Beine kommt, und ich bin ziemlich sicher, wenn die nächsten Papiere vom BfS vorliegen, wird man auch von der Konditionierung unter Tage schon Abstand nehmen."
Dieter Rittscher weiß recht gut, wie es im Schacht Asse aussieht. Während seiner Laufbahn in der Kerntechnikbranche hat er mehrfach für Gesellschaften gearbeitet, die Müll im Bergwerk einlagerten. Im Oktober 2009 sagte Rittscher vor dem niedersächsischen Untersuchungsausschuss zur Asse aus: Die Einlagerer hätten oft billige gebrauchte Behälter gekauft, sie geflickt, neu angestrichen und dann mit strahlendem Abfall befüllt. Die Qualität der Fässer sei mangelhaft, die Wände zum Teil keinen Millimeter dick. Aus anderen Lagern weiß man, dass solche Tonnen in kurzer Zeit durchrosten. Von außen und innen gleichzeitig. Für den Asse-Müll hieße das: Die Fässer dürften heute so gut wie zerfallen sein, der Müll mit dem Salz vermischt. Beides müsste zusammen geborgen werden. Die Konsequenz: Man bräuchte ein entsprechend großes Zwischenlager. Rittscher:
"Wenn wir 100.000 Kubikmeter rechnen, dann hätten wir 25.000 Container. Eins ist mir relativ klar, das sind schon ein paar Fußballfelder. Oder Sie stapeln extrem hoch."
Auf das Asse-Gelände passt eine solch große Halle nicht mehr. Auch nicht auf den benachbarten Parkplatz, der noch zum Areal gehört. Wohin also mit dem Zwischenlager? Die Frage dürfte sich klären lassen – auch wenn dann eine kerntechnische Anlage größter Ausmaße wahrscheinlich direkt vor der Nase der Asse-Anwohner steht. Womöglich für lange Zeit. Nur ein unterirdisches Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll ist bisher zugelassen: Schacht Konrad, wenige Kilometer von der Asse entfernt. Doch weder ist dort genügend Platz, um den Abfall aus dem Schacht neben dem ohnehin anfallenden Müll der Kernkraftwerke aufzunehmen, noch besitzt Schacht Konrad eine ausreichende Zulassung für die speziellen Radionuklide und Gifte in der Asse. Zwar ließe sich eine erweiterte Genehmigung beantragen. Doch bis sie rechtlich durchgeboxt ist, dürften Jahre vergehen. Nicht zuletzt, weil die Anwohner massiven Widerstand leisten.
"Ja, das wollen sie jetzt mit Schacht Konrad machen, da könnte ich so einen Hals kriegen. Muss ich ganz ehrlich sagen."
"Wir können nicht sagen, ach, wir sind froh, dass wir es aus der Asse raus haben und nach dem Sankt-Florians-Prinzip, dann sollen es die in Schacht Konrad nehmen. Und in 30 Jahren stehen dann meine Enkel hier und machen die gleiche Arbeit. Also das ist keine Lösung."
"Es ist uns ganz wichtig, dass wir nicht gegeneinander ausgespielt werden, Asse – Schacht Konrad. Wir ziehen nach wie vor an einem Strang. Das ist nicht so, der eine hat’s der andere hat es nicht. Nein, so sehen wir das nicht, Sie müssen über die Folgen nachdenken, wenn Sie das jetzt wieder endlagern wollen in Schacht Konrad."
Das Bundesamt für Strahlenschutz umgeht die Endlagerfrage in seinen bisherigen Asse-Plänen. Eine Unsicherheit mehr, an der das Mammutprojekt Rückholung letztendlich scheitern könnte, glaubt Atommüll-Fachmann Dieter Rittscher.
"Die Abfälle müssen so konditioniert und so vorbereitet werden, dass sie dann in das Endlager Konrad verbracht werden. Wenn das nicht klappen sollte aus verschiedenen Gründen, ja, dann muss ich dazu sagen: Da wird keiner an das Rausholen der Abfälle gehen, das ist kein ganzheitlicher Weg."
Dieter Rittscher ist Mitglied in der Entsorgungskommission des Bundesumweltministeriums, der ESK. In verschiedenen offenen Briefen hat das Beratungsgremium die Pläne des BfS zur Asse-Räumung kritisiert. Dieter Rittscher bezweifelt sogar, dass die Optionsentscheidung des Bundesamtes haltbar ist: Dass sich nämlich die Langzeitsicherheit der Asse nicht beweisen ließe, bliebe der Müll doch im Berg.
"Ich bin schon der Meinung, das man diese Konzepte noch mal um das Langzeitverhalten, sprich Langzeitsicherheit noch mal genauer untersuchen muss, da bin ich ziemlich sicher, das wird auch getan."
Allein für die Rückholung des Mülls, so hatte das BfS bei seiner Entscheidung argumentiert, lasse sich nachweisen, dass die Umwelt auch in 100.000 Jahren nicht kontaminiert werde. Rein rechnerisch hätte ansonsten die Vollverfüllung im Optionenvergleich gesiegt, bei der die Asse mit Beton und Lauge vollgepumpt würde. Vier von fünf der von BfS und Bürgern zusammen aufgestellten Bewertungskriterien sprachen eigentlich für diese Variante. Sie wäre nicht nur schneller, sondern auch einfacher und sicherer für das Asse-Personal. Und billiger als die für die Rückholung veranschlagten 3,7 Milliarden Euro vermutlich auch. Die Entscheidungsfindung des BfS ist für viele schwer nachvollziehbar. Auch für Klaus-Jürgen Röhlig, Professor für Endlagerung an der TU Clausthal und stellvertretender Vorsitzender der ESK. Er kritisiert,
"dass man sagt: Vollverfüllung ist eigentlich das Beste im Hinblick auf alle Beurteilungsfelder, bis auf eines. Aber dieses eine ist mir das Wichtigste. Dadurch ist letzten Endes auch eine Wertentscheidung vorgenommen worden. Und ich habe das Gefühl, dass diese Tatsache nicht so richtig kommuniziert worden ist."
Ließe sich doch nachweisen, dass die Vollverfüllung langzeitsicher ist, spräche nichts mehr dafür, den Müll aus der Asse zu holen. Dann könnte das Bundesumweltministerium doch noch die Flutung der Asse durchsetzen. Das BfS müsste dem folgen, es untersteht dem Ministerium. Doch die Vollverfüllung fürchtet die Bevölkerung wie der Teufel das Weihwasser. Seit Jahren richtet sich ihr Widerstand gegen diese Option – mit dem Ziel, die Asse zu räumen. Die Entscheidung des Bundesamtes ist auch eine Entscheidung, die der Bevölkerung ihren Willen gibt – und sie beruhigt. Die Bürger mit in die Entscheidung einzubinden, stand und steht auf der Agenda der Strahlenschützer in Salzgitter ganz oben. Zu weit oben, fragt ESK-Experte Klaus-Jürgen Röhlig.
"Es geht ja nicht darum, die Bevölkerung glücklich zu machen, sondern es geht darum, hier möglichst einen sicheren und möglichst unproblematisch und technisch gut durchführbaren Ausweg aus einer verfahrenen Situation zu finden. Ich weiß auch nicht, ob das Glück, oder dieses Glücklichmachen der Bevölkerung im Sinne von Zufriedensein jetzt das Motiv sein kann."
Von Glück und Zufriedenheit ist in der Wolfenbütteler Lindenhalle nicht mehr viel zu spüren. Die Diskussion mit dem Bundesamt für Strahlenschutz verläuft eher ernüchternd. Dass erst einmal Probefässer aus dem Berg geholt werden müssen, um deren Zustand zu prüfen, akzeptieren die meisten am Ende noch. Aber nicht, dass damit erst nächstes Jahr begonnen werden soll. Und die Stimmung im Saal steigt auch dann nicht, als das Publikum die Experten auf dem Podium zum ersten Mal persönlich fragen darf, wie sicher sie sich ihrer Sache überhaupt sind.
"Also, ich bin Frau Huss aus Sottmar und ich möchte gerne wissen, wie die Optionen aussehen, wenn Sie es nicht schaffen, die ganzen Fässer da rauszuholen."
"Wir gehen die Rückholung an, wir werden - wir gehen das jetzt an mit der Rückholung. Wir gehen die Rückholung an. Für den Fall, dass man die Fässer nicht zurückholen kann, also wenn dieser Fall wirklich eintritt, dass man die Fässer nicht zurückholen kann, dann müssen sie drin bleiben – so einfach ist das Leben!"
Was, fragen sich viele Anwohner in der Lindenhalle, nachdem die Bühne geräumt und das Bundesamt abgezogen ist, sollen sie von dessen Ankündigungen eigentlich halten?
"Augenwischerei, in einem Wort gesagt. Das, was die da teilweise bringen, ist nur Bevölkerung beruhigen, und eigentlich an der Realität vorbeiquatschen. Und das tun die Jungs und Mädels der Regierung seit 30 Jahren."
Die emotionalen Wellen schlagen hoch in der Diskussion um die Asse. Doch von welcher Warte aus man es auch betrachtet: Mit der Einlagerung des Atommülls wurde dort einst ein Problem geschaffen, für das es eine "gute" Lösung nicht gibt. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat eher eine Hoffnung geäußert als eine Entscheidung getroffen: Der Müll soll raus aus der Asse.