Nanotechnologie könnte demnächst im Kino von sich hören machen, wenn Michael Crichtons Buch "Beute" verfilmt wird: Schwärme smarter Nano-Partikel schließen sich zu halbintelligenten Wesenheiten zusammen, die ihren Schöpfern auf den Leib rücken, um sich in ihnen einzunisten.
Das wendet den Charakter der Befallenen ins Fiese, was aber immer noch besser ist als die Vision des amerikanischen Nano-Propheten Eric Drexler vom Grauen Schmer, Gray Goo, in die missratene Nanoroboter die Welt verwandeln könnten, wenn diese nicht auf Eric Drexler hört.
Nicht, dass Drexler etwas gegen Nanotechnologie hätte, im Gegenteil: Eric Drexler, ein promovierter Ingenieur, ist in den USA mit der Vorstellung zu Ruhm gekommen, es sei möglich, universelle nanoskalige Roboter zu bauen, wenige Millionstel Millimeter klein, so genannte Assembler, die aus bereit gestellten Rohstoffen programmgesteuert etwas Großes, Neues bauen, mit einer Art Rüssel, Atom für Atom. Etwa so, dass einem mit Assemblern geimpften Brei der richtigen Zusammensetzung nach einem Monat ein Roboter entsteigt. Die Warnung vor missratenen Nanobots soll dem Konzept nur weiteres Gewicht verleihen.
Das Konzept wird von vielen Fachleuten nicht ernst genommen. Richard Smalley etwa, Chemienobelpreisträger des Jahres 1996, macht die Eigenheiten der chemischen Bindung dagegen geltend, so ließe sich eben nicht jedes Atom, jedes Molekül miteinander verbinden.
Das allein mache die Vorstellung eines Nanobots, eines nanoskaligen Roboters, Assemblers, unwahrscheinlich. Dann aber, und vor allem: Wenn ein solcher Assembler Materie Atom für Atom zusammenfüge, müsse er das mit "Fingern" machen, die ihrerseits aus Atomen bestehen und notwendigerweise eine gewisse Mindestdicke haben müssten. Und es wäre nicht nur das erwählte Atom zu greifen, beim Assemblieren wären alle Atome eines Kubiknanometers zu kontrollieren, und da kämen sich die Finger zwangsläufig ins Gehege. Soweit das Fette-Finger-Problem. Hinzu käme das Klebrige-Finger-Problem, die gegriffenen Atome würden sich, sortenabhängig, nicht beliebig greifen und wieder abstreifen lassen, sie würden eben Bindungen eingehen - ein aus dem Alltag bekanntes Phänomen: Es ist nicht so einfach, ein klebriges Kügelchen wieder vom Finger zu bekommen. Und das seien prinzipielle Einwände, an denen kein Weg vorbeiführt. Mit mechanischen Nanobots also könne es nichts werden.
Richard Smalley wird Recht haben, die Furcht, dass sich Heere von missratenen Nanomaschinen über die Welt hermachen könnten, sie in grauen Schmer zu verwandeln, ist unbegründet. Ebenso die Hoffnung, mit Assemblern ließen sich beliebige Gegenstände in Massen produzieren. Warum dann Drexler überhaupt erwähnen ? Weil seine Visionen zu einem guten Teil das allgemeine Bild von Nanotechnologie bestimmen und mittlerweile gar in philosophische Kreise Eingang gefunden haben - Teil zwei dieser Sendung.
Nanotechnologie der soliden Art aber zieht auch immer höhere Kreise; und Einzeldisziplinen dieses - bemerkenswert unscharf - definierten Feldes sind auch schon im Alltag zu finden: Die Leseköpfe für Festplatten, die deren winzige magnetische bit-Muster in verlässliche elektrische Signale umsetzen, funktionieren nur, weil es mittlerweile gelingt, nahezu atomgenau dünne Schichten verschiedener chemischer Elemente und Verbindungen übereinander zu legen, also Nanotechnologie zu machen.
Nanotechnologie - die Definition auf der Web-Seite des Bundesforschungsministeriums:
Rein geometrisch bezeichnet die Vorsilbe "Nano" (griech: Zwerg) einen Größenbereich, der 1000fach kleiner als derjenige derzeitiger Bauelemente des Mikrometerbereiches ist (1nm entspricht dem millionsten Teil eines mm). Dieser Bereich wird sowohl durch Einsatz neuer physikalischer Instrumente und Verfahren auf dem Wege einer weitere Verkleinerung derzeitiger Mikrosysteme erreicht, als auch durch die Nutzung von Bauplänen der belebten und unbelebten Natur zum selbstorganisierenden Aufbau von Materie. Erst wenn es gelingt, diese atomare und molekulare Dimension sicher zu beherrschen, entstehen die Voraussetzungen für die langfristig belastbare Optimierung von Produkteigenschaften im Bereich Energietechnik (Brennstoffzellen, Batterien, Solarzellen, Gasspeicher, etc. ), Umwelttechnik (Materialkreisläufe, Entsorgung, Reinigung, etc. ) sowie der Informationstechnik (hochdichte Speicher, leistungsfähige Prozessoren, etc. ), aber auch der Gesundheit und des Alterns.
Zu dieser Definition passt fraglos das Gebiet der Fulleren-Chemie, obwohl zur Zeit der Entdeckung der "Fußball-Moleküle" von Nanotechnologie noch nicht die Rede war: Die Hohlmoleküle aus Kohlenstoff waren 1985 bei dem Versuch gefunden worden, die Verhältnisse in einer Sternatmosphäre im Labor zu simulieren. Die Laborkuriosität von einst schickt sich jetzt an, zum Geschäft zu werden, vor allem in der Form von Bucky-Röhren, winzigen Kohlenstoff-Schläuchen, die sich zu hochfesten Materialien verspinnen lassen sollten. Die Massen-Produktion solcher Fulleren-Röhren, versicherte Janos Nagy, Professor an der Universität Namur, Belgien, auf der Tagung "Nanotechnology Meets Business" in Frankfurt, sei nurmehr allein eine Frage des Kapitaleinsatzes:
Das Verfahren ist ziemlich einfach. Bei der sogenannten katalytischen chemischen Dampfabscheidung zersetzen wir Kohlenwasserstoffe wie Methangas mit einem Übergangsmetall-Katalysator und kondensieren das Zersetzungsprodukt auf speziellen Unterlagen - Aluminiumoxid, Magnesiumoxid und so weiter. Die Temperaturen sind für mehrlagige Nanoröhren nicht sehr hoch, vielleicht siebenhundert Grad, für einlagige Nanoröhren tausend. Wir lassen also Kohlenwasserstoff durch den Reaktor strömen und die Nanoröhren wachsen ganz von selbst. Am Schluss bekommen wir für jedes Gramm Katalysator vier Gramm Nanotubes. Die Technik kann einfach ausgebaut werden. Wir denken schon an Automatisierung, aber die wird sehr teuer.
Wenn Nanotubes in Massen verfügbar sind, werden sie zunächst in Verbundmaterialien eingesetzt werden.
Diese Kohlenstoff-Nanotubes bringen wir in verschiedene Matrix-Stoffe ein, Silizium zum Beispiel, oder Polymere. Was hat man davon? Da ist die Leitfähigkeit der Nanotubes, man kann statische Elektrizität, Aufladungen damit verhindern. Dann verbessert man die mechanischen Eigenschaften, die Matrix wird durch Nanotubes viel belastbarer. Bei alledem sind Nanotubes sehr leicht, solche Verbundmaterialien taugen also auch für Luft- und Raumfahrt.
Die elektrische Leitfähigkeit von Kohlenstoff-Nanotubes, oder Buckytubes, lässt auch an ganz kuriose Einsätze denken, etwa in der Beleuchtungstechnik.
Kohlenstofffasern wurden schon mal in Glühlampen benutzt, bis sie durch das langlebigere Wolfram ersetzt wurden. Und jetzt könnten wir wieder Kohlenstofffasern nehmen, aus Kohlenstoff-Nanotubes. Man bekommt damit eine viel höhere Lichtausbeute. Im Labormaßstab gibt es diese Lampen schon, für eine kommerzielle Anwendung sind die Kohlenstoff-Nanoröhren noch zu teuer.
Buckytubes könnten wohl auch als Wasserstoffspeicher dienen. Frühere Messungen hatten sich als stark übertrieben herausgestellt, nun aber, versichert Professor Nagy, könne man verlässliche, wenn auch niedrigere Werte vorweisen. Man werde bei Zimmertemperatur immerhin vier Prozent des Gewichts der Nanotubes Wasserstoff speichern können.
Für große amerikanische Autos reicht das nicht, für europäische und japanische schon.
Wenn die Geschäftsideen zündeten, sagt Professor Nagy, werde man in Mengen liefern können. Die Entwicklung aber leidet an einem Problem, das vielen neuen Technologien zu eigen ist: Es müsste ein Markt für das Neue da sein, der aber erst entstehen kann, wenn das Neue in Massen und billig verfügbar ist.
Es ist schwierig, Tonnen zu produzieren, wenn der Markt noch nicht da ist. Wir verbessern also ständig das Verfahren und beobachten den Markt. Es hätte keinen Sinn Nanotubes auf Vorrat zu produzieren, diesind sehr leicht, nehmen also ein großes Volumen ein, fünfundzwanzig Liter pro Kilogramm, man bräuchte eine große Lagerhalle. Wir produzieren also nur auf Nachfrage.
Einem reifen Nanotube-Verbundgarn werden mittlerweile astronomische Zugfestigkeiten und Bruchzähigkeiten zugeschrieben. Mit vollem Ernst lässt die NASA derzeit ein Projekt studieren, das - eine Art indischen Seiltrick nutzend - auf einen "Fahrstuhl zu den Sternen" hinausläuft - tatsächlich ist die bekannte Fahrstuhlfirma Otis involviert, wenn auch nur am Rande. Dr. Bradley Edwards ist der energischste Befürworter der Sache, er schreibt, sinngemäß:
In unserem Szenario würde ein Band aus Nanotube-Verbundmaterial, einen Meter breit und dünner als Papier, mit konventioneller Raketen- und Satellitentechnologie in den Weltraum gespannt. Das eine Ende befände sich in rund 100.000 Kilometern Höhe im Weltraum, das andere wäre an einem äquatornahen Punkt im Pazifik verankert. Die erdwärts gewandte Gravitationskraft und die von der Erde weg gerichtete Zentripetal halten das Band straff. An ihm entlang könnten Nutzlasten von 13 Tonnen in einen Erdorbit und sogar zu Bahnen zwischen Venus und Asteroidengürtel bewegt werden.
In fünfzehn Jahren könne es soweit sein, schreibt Dr. Edwards. Die geschätzten Kosten: 10 Milliarden Dollar. Das Buckytube-Band sei in zwei Jahren verfügbar. Nanotechnologie für etwas ganz Großes.
Mit wesentlich bescheideneren Mitteln, dafür größeren Aussichten auf Erfolg treibt Michael Roukes, Professor of Applied Physics and Bioengineering am California Institute of Technology, etwas gleichermaßen Ehrgeiziges voran, das Labor auf dem Chip. Roukes auf einem Symposium der Forschungseinrichtung Caesar in Bonn:
Das Nanolab würde die Zellbiologie revolutionieren. Heute muss man Milliarden Zellen pürieren, um an die interessierenden Proteine heranzukommen, und natürlich haben die vielen Zellen zu diesem Zeitpunkt alle gerade etwas anderes gemacht, es gibt also ein Durcheinander, man bekommt nur einen statistischen Überblick. Um wirklich hinter die einzelnen Schritte der komplizierten Biochemie zu kommen, darf man nicht über eine Riesenzahl von Zellen mitteln sondern muss sich Zelle um Zelle einzeln vornehmen und sehen, was die so im Detail machen. Mit Nanotechnologie wird das gehen.
Ein virtueller Landeanflug auf ein solches Lab-on-a-Chip würde vielleicht aussehen wie der auf eine akkurat geplante Riesenmetrole, mit zahllosen Kanälen, winzigen Pumpwerken, Kränen, Greifern, Sensoren, Lichtspendern und -empfängern, Informationssträngen, Datenverarbeitungsanlagen, Bibliotheken, Vorratsbehältern etcetera, zusammen nur so groß wie ein Daumennagel, ein Doktor Pille für die Hemdtasche mit dem Wissen der Welt im Rücken, der etwa ein winziges Tröpfchen Blut analysiert und dann ein ganz individuelles Medikament anfordert.
Das Nanolab wird wie ein herkömmlicher Mikrochip aussehen, mit ein paar Änderungen. Heute arbeiten die Wissenschaftler nur mit einzelnen Nanostrukturen, im Nanolab werden es Millionen sein, und alle arbeiten zusammen. Die Einzelelemente sind natürlich winzig, der Chip wird aber ein paar Quadratzentimeter groß werden, weil wir Platz für Leitungsanschlüsse brauchen, um Flüssigkeiten herein und heraus zu bekommen.
Und man werde auch die Zelle zwicken können, sie auf nanoskopischer Skala anregen und auf nanoskopischer Skala analysieren und so allmählich ein Video des Lebens rekonstruieren können, die Gläserne Zelle in Aktion, mit allen Details.
So phantastisch solche Vorstellungen noch wirken mögen - die Mikroelektronik hat eine vergleichbare Entwicklung durchgemacht.
Und für Nanotechnologie wird Geld ausgegeben, versichert Mike Roco von der National Science Foundation und National Nanotechnology Initiative der USA, schließlich seien ab 2010, 2020 für Nanotechnologie-Produkte Jahresumsätze von tausend Milliarden Euro zu erwarten. Die Zahlen halten andere Informierte für eher fabulös, sie hängen auch davon ab, was nun alles Nano zugerechnet wird.
Schließlich, sagte Mike Roco auf der Namix, der "Nano-Micro-Interface Conference" in Berlin, wird das Zusammenwachsen verschiedener Wissenszweige in der Nanotechnologie zu regelrechten Umwälzungen führen:
Nun, diese vier Gebiete - Nanotechnologie, Informationstechnologie, Molekularbiologie und Sinnes-Wissenschaften einschließlich Neurowissenschaften, werden sich verbinden, wobei Synergien freigesetzt werden, die ein sehr dynamisches Element in der Wirtschaft der nächsten zehn, zwanzig Jahre werden. Alle haben die gleiche materielle Basis. Wir können heute Messungen an Nerven oder dem Zellinneren vornehmen, die vor wenigen Jahren nicht möglich waren, wir können Schnittstellen zwischen dem menschlichen Nervenkleid und Maschinen machen und mit einem künstlichen Nervensystem ausgestattete Maschinen; wir können unsere Lernmethoden verbessern, unsere Kommunikationsformen, wir werden unsere Leistungsfähigkeit behalten, wenn wir alt werden - das Zusammenwachsen dieser wichtigen Wissenschafts- und Technikzweige wird große Veränderungen mit sich bringen.
Das sind nun doch starke Worte, die - endlich - auch die Philosophen auf den Plan gerufen haben. "Discovering the Nanoscale - Geisteswissenschaftliche Perspektiven auf die Entwicklung von Nanowissenschaft und -technik" nannte sich eine internationale Konferenz, die Mitte Oktober in Darmstadt stattfand. Alfred Nordmann, Professor für Wissenschaftsphilosophie an der TU Darmstadt, fand an der Nanotechnologie schon mal bemerkenswert,
… dass sie ja gar nicht konkret auf bestimmte Forschungsprogramme zugeschnitten ist. Es ist ja ganz anders als der Krieg gegen den Krebs oder die Künstliche Intelligenzforschung. Nanotechnologie ist so ein Globalbegriff, da soll alles möglich werden, aber auch nichts Bestimmtes. Die Technologie muss also kontextualisiert werden, in bestimmte Zusammenhänge hineingestellt werden und einer dieser Zusammenhänge ist diese Konvergenz mit anderen Technologien, die zur Verbesserung oder Überhöhung der menschlichen Fähigkeiten führen sollen. Da ist beispielsweise gedacht an Implantate aller Art.
Wie von Mike Rocco von der National Nanotechnology Initiative der USA angekündigt.
Aber dann entsteht gleich die nächste Frage: Ja, wenn wir das machen, können wir das dann nicht so arrangieren, dass dieser Rezeptor dann auch Nachtsicht ermöglicht, also auch einen anderen Wellenbereich mit aufnimmt und wir quasi besser sehen könnten, in militärischen Zusammenhängen könnte das sehr relevant sein. Aber genau diese Fragen, inwieweit diese Technologie dann eingebettet wird in einen Forschungszusammenhang, der auch in unsere kognitiven und sensorischen Fähigkeiten, das wäre so eine Frage, die meines Erachtens schon für frühzeitige philosophische Reflektionen nötig ist.
Stanislaw Lem hat das bereits vor vierzig Jahren in Summa Technologiae getan und dabei unter anderem die Kunst der Phantomatik erfunden, die Kunst der Errichtung perfekter Scheinwelten.
Der starke Zweig der Nanotechnologie möchte gar die Natur ein- und überholen:
Wenn es heißt, wir gestalten die Natur Atom für Atom, sagt man ja eigentlich schon, es geht nicht mehr darum, eine Natur, die gibt’s schon, zu verstehen, das ist sozusagen das alte Modell, die bestehende, ewige Natur gesetzlich erfassen zu wollen, sondern man sagt, die Natur ist ein Ingenieur, die Natur, die baut sich Sachen zusammen Atom um Atom und jetzt machen wir das auch. Also erst konstruiert man die Natur als so eine Art Ingenieur und dann sagt man, wir machen die Natur jetzt nach indem wir jetzt selbst ingenieurshaft die Natur aber im Prinzip überholen.
Es genüge nicht, meint Alfred Nordmann, Drexler und seiner Gefolgschaft mit Spott zu begegnen:
Es gibt eigentlich niemanden, der sich hinsetzt und diskutiert, in einem wissenschaftlichen Forum, was ist davon nun möglich und was nicht, kann man vielleicht sogar ganz grundsätzliche Argumente anführen über das, was die Grenzen des technisch Realisierbaren sind. Man möchte da gar nicht so nahe herangehen an diese Geschichte, trotzdem profitiert man gleichzeitig von dem ganzen, von der Aura dieses Unterfangens.
Richard Smalley, immerhin, ist eine rühmliche Ausnahme. Die Zögerlichkeit der Gelehrten mag auch damit zusammen hängen, dass Nano-Visionäre mitunter zum Eifern neigen und unangenehm werden können.
Wie orientiert man sich in dieser Lage ? Mit einem Blick zurück. Arne Hessenbruch ist Wissenschaftshistoriker am Massachusetts Institute of Technology, MIT. Als das Rastertunnelmikroskop erfunden wurde - für viele der eigentliche Beginn von Nanotechnologie - gab es noch starke Vorbehalte; Kritiker wiesen die Möglichkeit eines solchen Instrumentes, das einzelne Atome sichtbar gemacht haben wollte, gar mit dem Hinweis auf die Heisenbergsche Unschärferelation ab:
Als das Rastertunnelmikroskop in den Achtzigern aufkam, sagten viele: Das ist eine Fälschung, das ist unmöglich. Sie sind nach Zürich gefahren und haben den Erfindern gesagt, ihr seid Schwindler. Aber dann konnten mehr und mehr Leute Rastertunnelmikroskope bauen, und ihre Realität war schwerer zu leugnen. Und dann gab es 1986 für die Erfinder den Nobelpreis, und fünf Jahre nach der Erfindung war das Rastertunnelmikroskop vollkommen akzeptiert.
Der Widerstand, sagt Arne Hessenbruch, war zum Teil nur allzu menschlich:
Viele Physiker hatten ein massives Interesse, an bestimmten Techniken zur Analyse von Oberflächen festzuhalten, denn sie hatten dadurch, dass sie diese Techniken anzuwenden gelernt hatten, Karriere gemacht. Und tatsächlich hat das Rastertunnelmikroskop manche der bestehenden Techniken verdrängt und damit auch die dazu gehörenden Experten. Viele sahen das also bedrohlich an und leisteten Widerstand, eine ganz natürliche Reaktion, das geht vielen Leuten so
Zu lernen wäre daraus, dass auch die Wissenschaft nicht allein vom reinen Drang zur Wahrheit, sondern auch von massiven Interessen bestimmt wäre. Dass mithin ein gut Teil der gegenwärtigen Forschungsanträge mit dem Etikett Nano versehen wird, weil das so schön die Börsen öffnet. Dass also nicht überall, wo Nano drauf steht, Nano drin ist, das Ganze mithin eine Blase sein, die platzen könnte. Tatsächlich, sagt Arne Hessenbruch, gäbe es eine große Zahl von Wissenschaftler, die darauf verweisen, dass das Ganze so neu nicht ist. Was stimmt, selbst das Rastertunnelmikroskop hat einen unmittelbaren Vorgänger gehabt, den sogenannten Topografiner. Anderseits: Die Wissenschaften haben durch die ganze Aufregung um Nano unverkennbar einen neuen Schwung bekommen; den großen Anstoß, sagt Arne Hessenbruch, habe wohl ein eher symbolischer Akt bewirkt:
Und dann kam die hochinteressante Geschichte mit Don Eigler. Er nahm also einzelne Xenon-Atome und schob die mit dem Rastertunnelmikroskop auf einer Oberfläche zum Logo seiner Firma zusammen, IBM. Er publizierte das, es kam auf die Titelseiten der großen Wissenschaftsjournale, und das war ein Riesenmedienereignis. Man konnte also einzelne Atome manipulieren. Und das floss mit dem Traum Erich Drexlers zusammen, Moleküle zu synthetisieren, die sich und andere Moleküle vermehren können. DNA-, RNA-Systeme können das ja, sie stellen andere Moleküle her. Und Drexler dachte an so etwas wie winzige Roboter, mit denen man lebensähnliche Systeme machen würde. Eine starke Vorstellung, dafür musste man nur mit Molekülen wie mit Lego-Bausteinen herumspielen und etwas ganz Neues machen können.
So für wahr genommen, hätte Nanotechnologie eine mythische Dimension. Das meinte in Darmstadt auch Rosalyn Berne, Assistant Professor für Religion und Moralphilosphie an der University of Virginia. Sind auch in der gegenwärtigen Wissenschaft Mythen versteckt ?
Natürlich. Und in der Nanotechnologie ist das besonders deutlich, sie nimmt ja geradezu den Charakter einer wissenschaftlichen Revolution an. Es gibt in der technischen Entwicklung immer wieder Höhepunkte, wo man denkt, aha, jetzt haben wir’s, jetzt werden unsere Träume wahr. Das war bei der Elektrizität so, bei der Kernenergie, die so viele Probleme lösen sollte, und jetzt wieder: Wir haben’s geschafft, wir können alles besser machen - die älteste Geschichte auf diesem Planeten.
Die Versprechungen des Drexlerianischen Zweiges der Nanotechnologie sind in der Tat biblisch, ewige Gesundheit, Unsterblichkeit gar, sind darunter - Rosalyn Berne macht alte Sehnsüchte dahinter aus.
Einer unserer stärksten Mythen ist der, dass wir (durch Erkenntnis) Kontrolle über uns und die Welt bekommen. Denn wenn wir daran nicht glauben könnten, müssten wir uns schrecklich fürchten. So, wie unsere fernen Vorfahren die Elemente, Donner und Sturm, fürchteten, weil sie sie nicht verstanden. Und die Furcht ist geblieben, und wir müssen damit fertig werden, wir machen das, indem wir Geschichten erfinden, wie unser Schicksal beherrschbar ist. Wir fürchten uns schrecklich vor unserer Sterblichkeit, dabei können wir uns Unsterblichkeit so gut vorstellen. Man braucht also einen Mythos als Hilfe, wir müssen uns Geschichten über Unsterblichkeit erzählen. Solche Motive tauchen auch in unserer Wissenschaft auf, wie auch anders, sie stecken in unserer Musik, unserer Kunst, unseren Tänzen, in vielen menschlichen Äußerungen.
Wird die Nanotechnologie die Menschen glücklicher machen ? Zunächst einmal würde sie die Gesellschaft umformen, und nicht unbedingt zum Besten; schon so nützlich scheinende Dinge wie Kühlschrank, Mikrowelle und Fertigessen haben Schattenseiten.
Wir formen die Technologie, die Technologie formt uns. So ist in den USA die Tradition der Familie, die am Tisch gemeinsam das Essen und einen Schwatz genießt, so gut wie tot.
In den USA fordert allein die für viele beliebige und sofortige Verfügbarkeit von Lebensmitteln die Sargindustrie heraus - die Leute sind doppelt so breit geworden. Nanotechnologie verspricht noch mehr materiellen Überfluss. Alte Gesellschaften scheinen zu wissen, was das bedeutet, Motivationslosigkeit und rohe Extravaganzen nach Art des alten Adels. So zählt zu den kräftigsten chinesischen Verwünschungen denn auch, angeblich, diese: Mögen alle Deine Wünsche in Erfüllung gehen.
In diesem Licht fällt auf eine eher ungeliebte Einrichtung, die sehr verlässlich Raum für Wünsche offen hält, neuer Glanz: Das Finanzamt. Dem wird sich auch die Nanotechnologie nicht entziehen können.
Das wendet den Charakter der Befallenen ins Fiese, was aber immer noch besser ist als die Vision des amerikanischen Nano-Propheten Eric Drexler vom Grauen Schmer, Gray Goo, in die missratene Nanoroboter die Welt verwandeln könnten, wenn diese nicht auf Eric Drexler hört.
Nicht, dass Drexler etwas gegen Nanotechnologie hätte, im Gegenteil: Eric Drexler, ein promovierter Ingenieur, ist in den USA mit der Vorstellung zu Ruhm gekommen, es sei möglich, universelle nanoskalige Roboter zu bauen, wenige Millionstel Millimeter klein, so genannte Assembler, die aus bereit gestellten Rohstoffen programmgesteuert etwas Großes, Neues bauen, mit einer Art Rüssel, Atom für Atom. Etwa so, dass einem mit Assemblern geimpften Brei der richtigen Zusammensetzung nach einem Monat ein Roboter entsteigt. Die Warnung vor missratenen Nanobots soll dem Konzept nur weiteres Gewicht verleihen.
Das Konzept wird von vielen Fachleuten nicht ernst genommen. Richard Smalley etwa, Chemienobelpreisträger des Jahres 1996, macht die Eigenheiten der chemischen Bindung dagegen geltend, so ließe sich eben nicht jedes Atom, jedes Molekül miteinander verbinden.
Das allein mache die Vorstellung eines Nanobots, eines nanoskaligen Roboters, Assemblers, unwahrscheinlich. Dann aber, und vor allem: Wenn ein solcher Assembler Materie Atom für Atom zusammenfüge, müsse er das mit "Fingern" machen, die ihrerseits aus Atomen bestehen und notwendigerweise eine gewisse Mindestdicke haben müssten. Und es wäre nicht nur das erwählte Atom zu greifen, beim Assemblieren wären alle Atome eines Kubiknanometers zu kontrollieren, und da kämen sich die Finger zwangsläufig ins Gehege. Soweit das Fette-Finger-Problem. Hinzu käme das Klebrige-Finger-Problem, die gegriffenen Atome würden sich, sortenabhängig, nicht beliebig greifen und wieder abstreifen lassen, sie würden eben Bindungen eingehen - ein aus dem Alltag bekanntes Phänomen: Es ist nicht so einfach, ein klebriges Kügelchen wieder vom Finger zu bekommen. Und das seien prinzipielle Einwände, an denen kein Weg vorbeiführt. Mit mechanischen Nanobots also könne es nichts werden.
Richard Smalley wird Recht haben, die Furcht, dass sich Heere von missratenen Nanomaschinen über die Welt hermachen könnten, sie in grauen Schmer zu verwandeln, ist unbegründet. Ebenso die Hoffnung, mit Assemblern ließen sich beliebige Gegenstände in Massen produzieren. Warum dann Drexler überhaupt erwähnen ? Weil seine Visionen zu einem guten Teil das allgemeine Bild von Nanotechnologie bestimmen und mittlerweile gar in philosophische Kreise Eingang gefunden haben - Teil zwei dieser Sendung.
Nanotechnologie der soliden Art aber zieht auch immer höhere Kreise; und Einzeldisziplinen dieses - bemerkenswert unscharf - definierten Feldes sind auch schon im Alltag zu finden: Die Leseköpfe für Festplatten, die deren winzige magnetische bit-Muster in verlässliche elektrische Signale umsetzen, funktionieren nur, weil es mittlerweile gelingt, nahezu atomgenau dünne Schichten verschiedener chemischer Elemente und Verbindungen übereinander zu legen, also Nanotechnologie zu machen.
Nanotechnologie - die Definition auf der Web-Seite des Bundesforschungsministeriums:
Rein geometrisch bezeichnet die Vorsilbe "Nano" (griech: Zwerg) einen Größenbereich, der 1000fach kleiner als derjenige derzeitiger Bauelemente des Mikrometerbereiches ist (1nm entspricht dem millionsten Teil eines mm). Dieser Bereich wird sowohl durch Einsatz neuer physikalischer Instrumente und Verfahren auf dem Wege einer weitere Verkleinerung derzeitiger Mikrosysteme erreicht, als auch durch die Nutzung von Bauplänen der belebten und unbelebten Natur zum selbstorganisierenden Aufbau von Materie. Erst wenn es gelingt, diese atomare und molekulare Dimension sicher zu beherrschen, entstehen die Voraussetzungen für die langfristig belastbare Optimierung von Produkteigenschaften im Bereich Energietechnik (Brennstoffzellen, Batterien, Solarzellen, Gasspeicher, etc. ), Umwelttechnik (Materialkreisläufe, Entsorgung, Reinigung, etc. ) sowie der Informationstechnik (hochdichte Speicher, leistungsfähige Prozessoren, etc. ), aber auch der Gesundheit und des Alterns.
Zu dieser Definition passt fraglos das Gebiet der Fulleren-Chemie, obwohl zur Zeit der Entdeckung der "Fußball-Moleküle" von Nanotechnologie noch nicht die Rede war: Die Hohlmoleküle aus Kohlenstoff waren 1985 bei dem Versuch gefunden worden, die Verhältnisse in einer Sternatmosphäre im Labor zu simulieren. Die Laborkuriosität von einst schickt sich jetzt an, zum Geschäft zu werden, vor allem in der Form von Bucky-Röhren, winzigen Kohlenstoff-Schläuchen, die sich zu hochfesten Materialien verspinnen lassen sollten. Die Massen-Produktion solcher Fulleren-Röhren, versicherte Janos Nagy, Professor an der Universität Namur, Belgien, auf der Tagung "Nanotechnology Meets Business" in Frankfurt, sei nurmehr allein eine Frage des Kapitaleinsatzes:
Das Verfahren ist ziemlich einfach. Bei der sogenannten katalytischen chemischen Dampfabscheidung zersetzen wir Kohlenwasserstoffe wie Methangas mit einem Übergangsmetall-Katalysator und kondensieren das Zersetzungsprodukt auf speziellen Unterlagen - Aluminiumoxid, Magnesiumoxid und so weiter. Die Temperaturen sind für mehrlagige Nanoröhren nicht sehr hoch, vielleicht siebenhundert Grad, für einlagige Nanoröhren tausend. Wir lassen also Kohlenwasserstoff durch den Reaktor strömen und die Nanoröhren wachsen ganz von selbst. Am Schluss bekommen wir für jedes Gramm Katalysator vier Gramm Nanotubes. Die Technik kann einfach ausgebaut werden. Wir denken schon an Automatisierung, aber die wird sehr teuer.
Wenn Nanotubes in Massen verfügbar sind, werden sie zunächst in Verbundmaterialien eingesetzt werden.
Diese Kohlenstoff-Nanotubes bringen wir in verschiedene Matrix-Stoffe ein, Silizium zum Beispiel, oder Polymere. Was hat man davon? Da ist die Leitfähigkeit der Nanotubes, man kann statische Elektrizität, Aufladungen damit verhindern. Dann verbessert man die mechanischen Eigenschaften, die Matrix wird durch Nanotubes viel belastbarer. Bei alledem sind Nanotubes sehr leicht, solche Verbundmaterialien taugen also auch für Luft- und Raumfahrt.
Die elektrische Leitfähigkeit von Kohlenstoff-Nanotubes, oder Buckytubes, lässt auch an ganz kuriose Einsätze denken, etwa in der Beleuchtungstechnik.
Kohlenstofffasern wurden schon mal in Glühlampen benutzt, bis sie durch das langlebigere Wolfram ersetzt wurden. Und jetzt könnten wir wieder Kohlenstofffasern nehmen, aus Kohlenstoff-Nanotubes. Man bekommt damit eine viel höhere Lichtausbeute. Im Labormaßstab gibt es diese Lampen schon, für eine kommerzielle Anwendung sind die Kohlenstoff-Nanoröhren noch zu teuer.
Buckytubes könnten wohl auch als Wasserstoffspeicher dienen. Frühere Messungen hatten sich als stark übertrieben herausgestellt, nun aber, versichert Professor Nagy, könne man verlässliche, wenn auch niedrigere Werte vorweisen. Man werde bei Zimmertemperatur immerhin vier Prozent des Gewichts der Nanotubes Wasserstoff speichern können.
Für große amerikanische Autos reicht das nicht, für europäische und japanische schon.
Wenn die Geschäftsideen zündeten, sagt Professor Nagy, werde man in Mengen liefern können. Die Entwicklung aber leidet an einem Problem, das vielen neuen Technologien zu eigen ist: Es müsste ein Markt für das Neue da sein, der aber erst entstehen kann, wenn das Neue in Massen und billig verfügbar ist.
Es ist schwierig, Tonnen zu produzieren, wenn der Markt noch nicht da ist. Wir verbessern also ständig das Verfahren und beobachten den Markt. Es hätte keinen Sinn Nanotubes auf Vorrat zu produzieren, diesind sehr leicht, nehmen also ein großes Volumen ein, fünfundzwanzig Liter pro Kilogramm, man bräuchte eine große Lagerhalle. Wir produzieren also nur auf Nachfrage.
Einem reifen Nanotube-Verbundgarn werden mittlerweile astronomische Zugfestigkeiten und Bruchzähigkeiten zugeschrieben. Mit vollem Ernst lässt die NASA derzeit ein Projekt studieren, das - eine Art indischen Seiltrick nutzend - auf einen "Fahrstuhl zu den Sternen" hinausläuft - tatsächlich ist die bekannte Fahrstuhlfirma Otis involviert, wenn auch nur am Rande. Dr. Bradley Edwards ist der energischste Befürworter der Sache, er schreibt, sinngemäß:
In unserem Szenario würde ein Band aus Nanotube-Verbundmaterial, einen Meter breit und dünner als Papier, mit konventioneller Raketen- und Satellitentechnologie in den Weltraum gespannt. Das eine Ende befände sich in rund 100.000 Kilometern Höhe im Weltraum, das andere wäre an einem äquatornahen Punkt im Pazifik verankert. Die erdwärts gewandte Gravitationskraft und die von der Erde weg gerichtete Zentripetal halten das Band straff. An ihm entlang könnten Nutzlasten von 13 Tonnen in einen Erdorbit und sogar zu Bahnen zwischen Venus und Asteroidengürtel bewegt werden.
In fünfzehn Jahren könne es soweit sein, schreibt Dr. Edwards. Die geschätzten Kosten: 10 Milliarden Dollar. Das Buckytube-Band sei in zwei Jahren verfügbar. Nanotechnologie für etwas ganz Großes.
Mit wesentlich bescheideneren Mitteln, dafür größeren Aussichten auf Erfolg treibt Michael Roukes, Professor of Applied Physics and Bioengineering am California Institute of Technology, etwas gleichermaßen Ehrgeiziges voran, das Labor auf dem Chip. Roukes auf einem Symposium der Forschungseinrichtung Caesar in Bonn:
Das Nanolab würde die Zellbiologie revolutionieren. Heute muss man Milliarden Zellen pürieren, um an die interessierenden Proteine heranzukommen, und natürlich haben die vielen Zellen zu diesem Zeitpunkt alle gerade etwas anderes gemacht, es gibt also ein Durcheinander, man bekommt nur einen statistischen Überblick. Um wirklich hinter die einzelnen Schritte der komplizierten Biochemie zu kommen, darf man nicht über eine Riesenzahl von Zellen mitteln sondern muss sich Zelle um Zelle einzeln vornehmen und sehen, was die so im Detail machen. Mit Nanotechnologie wird das gehen.
Ein virtueller Landeanflug auf ein solches Lab-on-a-Chip würde vielleicht aussehen wie der auf eine akkurat geplante Riesenmetrole, mit zahllosen Kanälen, winzigen Pumpwerken, Kränen, Greifern, Sensoren, Lichtspendern und -empfängern, Informationssträngen, Datenverarbeitungsanlagen, Bibliotheken, Vorratsbehältern etcetera, zusammen nur so groß wie ein Daumennagel, ein Doktor Pille für die Hemdtasche mit dem Wissen der Welt im Rücken, der etwa ein winziges Tröpfchen Blut analysiert und dann ein ganz individuelles Medikament anfordert.
Das Nanolab wird wie ein herkömmlicher Mikrochip aussehen, mit ein paar Änderungen. Heute arbeiten die Wissenschaftler nur mit einzelnen Nanostrukturen, im Nanolab werden es Millionen sein, und alle arbeiten zusammen. Die Einzelelemente sind natürlich winzig, der Chip wird aber ein paar Quadratzentimeter groß werden, weil wir Platz für Leitungsanschlüsse brauchen, um Flüssigkeiten herein und heraus zu bekommen.
Und man werde auch die Zelle zwicken können, sie auf nanoskopischer Skala anregen und auf nanoskopischer Skala analysieren und so allmählich ein Video des Lebens rekonstruieren können, die Gläserne Zelle in Aktion, mit allen Details.
So phantastisch solche Vorstellungen noch wirken mögen - die Mikroelektronik hat eine vergleichbare Entwicklung durchgemacht.
Und für Nanotechnologie wird Geld ausgegeben, versichert Mike Roco von der National Science Foundation und National Nanotechnology Initiative der USA, schließlich seien ab 2010, 2020 für Nanotechnologie-Produkte Jahresumsätze von tausend Milliarden Euro zu erwarten. Die Zahlen halten andere Informierte für eher fabulös, sie hängen auch davon ab, was nun alles Nano zugerechnet wird.
Schließlich, sagte Mike Roco auf der Namix, der "Nano-Micro-Interface Conference" in Berlin, wird das Zusammenwachsen verschiedener Wissenszweige in der Nanotechnologie zu regelrechten Umwälzungen führen:
Nun, diese vier Gebiete - Nanotechnologie, Informationstechnologie, Molekularbiologie und Sinnes-Wissenschaften einschließlich Neurowissenschaften, werden sich verbinden, wobei Synergien freigesetzt werden, die ein sehr dynamisches Element in der Wirtschaft der nächsten zehn, zwanzig Jahre werden. Alle haben die gleiche materielle Basis. Wir können heute Messungen an Nerven oder dem Zellinneren vornehmen, die vor wenigen Jahren nicht möglich waren, wir können Schnittstellen zwischen dem menschlichen Nervenkleid und Maschinen machen und mit einem künstlichen Nervensystem ausgestattete Maschinen; wir können unsere Lernmethoden verbessern, unsere Kommunikationsformen, wir werden unsere Leistungsfähigkeit behalten, wenn wir alt werden - das Zusammenwachsen dieser wichtigen Wissenschafts- und Technikzweige wird große Veränderungen mit sich bringen.
Das sind nun doch starke Worte, die - endlich - auch die Philosophen auf den Plan gerufen haben. "Discovering the Nanoscale - Geisteswissenschaftliche Perspektiven auf die Entwicklung von Nanowissenschaft und -technik" nannte sich eine internationale Konferenz, die Mitte Oktober in Darmstadt stattfand. Alfred Nordmann, Professor für Wissenschaftsphilosophie an der TU Darmstadt, fand an der Nanotechnologie schon mal bemerkenswert,
… dass sie ja gar nicht konkret auf bestimmte Forschungsprogramme zugeschnitten ist. Es ist ja ganz anders als der Krieg gegen den Krebs oder die Künstliche Intelligenzforschung. Nanotechnologie ist so ein Globalbegriff, da soll alles möglich werden, aber auch nichts Bestimmtes. Die Technologie muss also kontextualisiert werden, in bestimmte Zusammenhänge hineingestellt werden und einer dieser Zusammenhänge ist diese Konvergenz mit anderen Technologien, die zur Verbesserung oder Überhöhung der menschlichen Fähigkeiten führen sollen. Da ist beispielsweise gedacht an Implantate aller Art.
Wie von Mike Rocco von der National Nanotechnology Initiative der USA angekündigt.
Aber dann entsteht gleich die nächste Frage: Ja, wenn wir das machen, können wir das dann nicht so arrangieren, dass dieser Rezeptor dann auch Nachtsicht ermöglicht, also auch einen anderen Wellenbereich mit aufnimmt und wir quasi besser sehen könnten, in militärischen Zusammenhängen könnte das sehr relevant sein. Aber genau diese Fragen, inwieweit diese Technologie dann eingebettet wird in einen Forschungszusammenhang, der auch in unsere kognitiven und sensorischen Fähigkeiten, das wäre so eine Frage, die meines Erachtens schon für frühzeitige philosophische Reflektionen nötig ist.
Stanislaw Lem hat das bereits vor vierzig Jahren in Summa Technologiae getan und dabei unter anderem die Kunst der Phantomatik erfunden, die Kunst der Errichtung perfekter Scheinwelten.
Der starke Zweig der Nanotechnologie möchte gar die Natur ein- und überholen:
Wenn es heißt, wir gestalten die Natur Atom für Atom, sagt man ja eigentlich schon, es geht nicht mehr darum, eine Natur, die gibt’s schon, zu verstehen, das ist sozusagen das alte Modell, die bestehende, ewige Natur gesetzlich erfassen zu wollen, sondern man sagt, die Natur ist ein Ingenieur, die Natur, die baut sich Sachen zusammen Atom um Atom und jetzt machen wir das auch. Also erst konstruiert man die Natur als so eine Art Ingenieur und dann sagt man, wir machen die Natur jetzt nach indem wir jetzt selbst ingenieurshaft die Natur aber im Prinzip überholen.
Es genüge nicht, meint Alfred Nordmann, Drexler und seiner Gefolgschaft mit Spott zu begegnen:
Es gibt eigentlich niemanden, der sich hinsetzt und diskutiert, in einem wissenschaftlichen Forum, was ist davon nun möglich und was nicht, kann man vielleicht sogar ganz grundsätzliche Argumente anführen über das, was die Grenzen des technisch Realisierbaren sind. Man möchte da gar nicht so nahe herangehen an diese Geschichte, trotzdem profitiert man gleichzeitig von dem ganzen, von der Aura dieses Unterfangens.
Richard Smalley, immerhin, ist eine rühmliche Ausnahme. Die Zögerlichkeit der Gelehrten mag auch damit zusammen hängen, dass Nano-Visionäre mitunter zum Eifern neigen und unangenehm werden können.
Wie orientiert man sich in dieser Lage ? Mit einem Blick zurück. Arne Hessenbruch ist Wissenschaftshistoriker am Massachusetts Institute of Technology, MIT. Als das Rastertunnelmikroskop erfunden wurde - für viele der eigentliche Beginn von Nanotechnologie - gab es noch starke Vorbehalte; Kritiker wiesen die Möglichkeit eines solchen Instrumentes, das einzelne Atome sichtbar gemacht haben wollte, gar mit dem Hinweis auf die Heisenbergsche Unschärferelation ab:
Als das Rastertunnelmikroskop in den Achtzigern aufkam, sagten viele: Das ist eine Fälschung, das ist unmöglich. Sie sind nach Zürich gefahren und haben den Erfindern gesagt, ihr seid Schwindler. Aber dann konnten mehr und mehr Leute Rastertunnelmikroskope bauen, und ihre Realität war schwerer zu leugnen. Und dann gab es 1986 für die Erfinder den Nobelpreis, und fünf Jahre nach der Erfindung war das Rastertunnelmikroskop vollkommen akzeptiert.
Der Widerstand, sagt Arne Hessenbruch, war zum Teil nur allzu menschlich:
Viele Physiker hatten ein massives Interesse, an bestimmten Techniken zur Analyse von Oberflächen festzuhalten, denn sie hatten dadurch, dass sie diese Techniken anzuwenden gelernt hatten, Karriere gemacht. Und tatsächlich hat das Rastertunnelmikroskop manche der bestehenden Techniken verdrängt und damit auch die dazu gehörenden Experten. Viele sahen das also bedrohlich an und leisteten Widerstand, eine ganz natürliche Reaktion, das geht vielen Leuten so
Zu lernen wäre daraus, dass auch die Wissenschaft nicht allein vom reinen Drang zur Wahrheit, sondern auch von massiven Interessen bestimmt wäre. Dass mithin ein gut Teil der gegenwärtigen Forschungsanträge mit dem Etikett Nano versehen wird, weil das so schön die Börsen öffnet. Dass also nicht überall, wo Nano drauf steht, Nano drin ist, das Ganze mithin eine Blase sein, die platzen könnte. Tatsächlich, sagt Arne Hessenbruch, gäbe es eine große Zahl von Wissenschaftler, die darauf verweisen, dass das Ganze so neu nicht ist. Was stimmt, selbst das Rastertunnelmikroskop hat einen unmittelbaren Vorgänger gehabt, den sogenannten Topografiner. Anderseits: Die Wissenschaften haben durch die ganze Aufregung um Nano unverkennbar einen neuen Schwung bekommen; den großen Anstoß, sagt Arne Hessenbruch, habe wohl ein eher symbolischer Akt bewirkt:
Und dann kam die hochinteressante Geschichte mit Don Eigler. Er nahm also einzelne Xenon-Atome und schob die mit dem Rastertunnelmikroskop auf einer Oberfläche zum Logo seiner Firma zusammen, IBM. Er publizierte das, es kam auf die Titelseiten der großen Wissenschaftsjournale, und das war ein Riesenmedienereignis. Man konnte also einzelne Atome manipulieren. Und das floss mit dem Traum Erich Drexlers zusammen, Moleküle zu synthetisieren, die sich und andere Moleküle vermehren können. DNA-, RNA-Systeme können das ja, sie stellen andere Moleküle her. Und Drexler dachte an so etwas wie winzige Roboter, mit denen man lebensähnliche Systeme machen würde. Eine starke Vorstellung, dafür musste man nur mit Molekülen wie mit Lego-Bausteinen herumspielen und etwas ganz Neues machen können.
So für wahr genommen, hätte Nanotechnologie eine mythische Dimension. Das meinte in Darmstadt auch Rosalyn Berne, Assistant Professor für Religion und Moralphilosphie an der University of Virginia. Sind auch in der gegenwärtigen Wissenschaft Mythen versteckt ?
Natürlich. Und in der Nanotechnologie ist das besonders deutlich, sie nimmt ja geradezu den Charakter einer wissenschaftlichen Revolution an. Es gibt in der technischen Entwicklung immer wieder Höhepunkte, wo man denkt, aha, jetzt haben wir’s, jetzt werden unsere Träume wahr. Das war bei der Elektrizität so, bei der Kernenergie, die so viele Probleme lösen sollte, und jetzt wieder: Wir haben’s geschafft, wir können alles besser machen - die älteste Geschichte auf diesem Planeten.
Die Versprechungen des Drexlerianischen Zweiges der Nanotechnologie sind in der Tat biblisch, ewige Gesundheit, Unsterblichkeit gar, sind darunter - Rosalyn Berne macht alte Sehnsüchte dahinter aus.
Einer unserer stärksten Mythen ist der, dass wir (durch Erkenntnis) Kontrolle über uns und die Welt bekommen. Denn wenn wir daran nicht glauben könnten, müssten wir uns schrecklich fürchten. So, wie unsere fernen Vorfahren die Elemente, Donner und Sturm, fürchteten, weil sie sie nicht verstanden. Und die Furcht ist geblieben, und wir müssen damit fertig werden, wir machen das, indem wir Geschichten erfinden, wie unser Schicksal beherrschbar ist. Wir fürchten uns schrecklich vor unserer Sterblichkeit, dabei können wir uns Unsterblichkeit so gut vorstellen. Man braucht also einen Mythos als Hilfe, wir müssen uns Geschichten über Unsterblichkeit erzählen. Solche Motive tauchen auch in unserer Wissenschaft auf, wie auch anders, sie stecken in unserer Musik, unserer Kunst, unseren Tänzen, in vielen menschlichen Äußerungen.
Wird die Nanotechnologie die Menschen glücklicher machen ? Zunächst einmal würde sie die Gesellschaft umformen, und nicht unbedingt zum Besten; schon so nützlich scheinende Dinge wie Kühlschrank, Mikrowelle und Fertigessen haben Schattenseiten.
Wir formen die Technologie, die Technologie formt uns. So ist in den USA die Tradition der Familie, die am Tisch gemeinsam das Essen und einen Schwatz genießt, so gut wie tot.
In den USA fordert allein die für viele beliebige und sofortige Verfügbarkeit von Lebensmitteln die Sargindustrie heraus - die Leute sind doppelt so breit geworden. Nanotechnologie verspricht noch mehr materiellen Überfluss. Alte Gesellschaften scheinen zu wissen, was das bedeutet, Motivationslosigkeit und rohe Extravaganzen nach Art des alten Adels. So zählt zu den kräftigsten chinesischen Verwünschungen denn auch, angeblich, diese: Mögen alle Deine Wünsche in Erfüllung gehen.
In diesem Licht fällt auf eine eher ungeliebte Einrichtung, die sehr verlässlich Raum für Wünsche offen hält, neuer Glanz: Das Finanzamt. Dem wird sich auch die Nanotechnologie nicht entziehen können.