Zu viele Fälle, zu wenig Personal, zu viel Papier, zu wenige Hausbesuche bei den Klienten: Eine repräsentative Umfrage der Hochschule Koblenz unter gut 600 Mitarbeitern aus 175 Jugendämtern zeigt, dass sich die Beschäftigten der Allgemeinen Sozialen Dienste der Jugendämter, kurz ASD, überlastet und unterausgestattet fühlen.
Demnach verbringen knapp zwei Drittel der befragten Mitarbeiter maximal eine Stunde bei Terminen in den Familien. Zwei Drittel der Arbeitszeit bringen sie damit auf, ihre Fälle zu dokumentieren. Doch auch das können sie nicht immer bewältigen: Mehr als jeder zweite Fall bleibe mindestens eine Woche unprotokolliert.
Probleme bei der Ausstattung
Auch bei der Ausstattung gebe es Probleme: Ein Drittel der Mitarbeiter habe kein eigenes Büro, um sensible Gespräche mit den Klienten zu führen.
Insgesamt kümmerten sich gut 13.000 Fachkräfte bundesweit um mehr als eine Million Fälle von ambulanten und stationären Maßnahmen. Noch hinzukämen unter anderem Inobhutnahmen sowie Trennungs- und Scheidungsberatung. Das ist zu viel, findet Kathinka Beckmann, Sozialwissenschaftlerin an der Hochschule Koblenz und Autorin der Studie,
"Das kann nicht gut gehen. Das hat auch schon der Beamtenbund festgestellt und er forderte am Anfang des Jahres mehr als 3.000 zusätzliche Stellen in den Jugendämtern, wir sagen es fehlen nicht 3.000, sondern mehr als 16.000 Stellen."
Fallzahlenbegrenzung gefordert
Aber nicht nur mehr Personal müsse eingestellt werden; dies müsse auch Hand in Hand gehen mit einer Fallzahlbegrenzung. Zur Zeit würden Vollzeit-Mitarbeiter meistens bis zu 100 Fälle betreuen, in Ausnahmen auch mehr. Aus fachlicher Sicht seien nur 35 angemessen. Die Leiterin des Jugendamtes von Berlin-Mitte, Monika Goral, begründet das wie folgt:
"Wenn man ein Beratungsangebot bekommt und es dann nicht eingehalten wird, weil dann abgesagt wird, weil etwas Dringenderes zu tun ist, das wollen wir verbessern, wir wollen eine festgelegte Personalzahl die es auch ermöglicht, - ganz schlicht - dem Gesetz entsprechend gearbeitet werden kann."
Die Studie ergab auch, dass für die Einarbeitung von Kollegen wenig Zeit sei. In mehr als der Hälfte der Allgemeinen Sozialen Dienste würden Mitarbeiter in teils komplizierte Fälle in weiniger als drei Monaten eingearbeitet. Zudem sei es schwer, erfahrenes Fachpersonal zu halten. Die Sozialarbeiter stellten schnell fest, dass sie zu wenig Zeit für die Arbeit mit den Familien haben und würden dann den ASD verlassen.
Wo es um mehr Personal geht, geht es auch schnell um das Geld. Laut der Deutschen Kinderhilfe müssten 78 Prozent der Ausgaben für Hilfen zur Erziehung die Kommunen tragen, nur 19 Prozent durchschnittlich übernähmen die Länder und drei Prozent übernähme Bund. Das ist ein Missverhältnis, findet der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, und kritisiert zudem Einschränkungen durch Budgetierungsmodelle:
"Budgetierung bedeutet aber, dass auf ein Jahr im Voraus oder zwei Jahre im Voraus die Gefährdung von Kindern prognostiziert werden soll, wie soll man eine Gefährdung prognostizieren, die von etlichen Faktoren abhängig ist? Das kann so nicht funktionieren und das funktioniert so nicht länger."
Die Kommunen sind für die Ausstattung der Jugendämter verantwortlich. Mit dem 2012 eingeführten Bundeskinderschutzgesetz setzt sich allerdings auch der Bund dafür ein, Hilfen für Familien zu verbessern und verbindliche Standards in der Kinder- und Jugendhilfe durchzusetzen. Kathinka Beckmann, findet daher, dass auch in Finanzierungsfragen der Bund eine größere Rolle spielen sollte:
"Ganz klar: Das ist ein Bundesgesetz und an dieser Stelle sollte der Bund auch die Verantwortung tragen."
Das Bundesfamilienministerium teilte mit, man wolle die Ergebnisse der Studie überprüfen. Das Bundeskinderschutzgesetz würde zudem evaluiert. Der Forderung nach einem Kinderschutzbeauftragten, der gesetzlichen Anspruch und praktische Umsetzung prüfen soll, sieht Frank Kempe, Pressereferent im Bundesfamilienministeriums, skeptisch:
"Aus unserer Sicht ist das so, dass wir uns fragen, ob das wirklich eine Verbesserung bringen könnte, also da sind eher skeptisch. Wir sehen uns selbst und auch die anderen Akteure als Anwälte der Kinder, sozusagen als Kinderschutzbeauftragte."