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Alltagsgeschichte
Orts- und Familiennamen als wertvolle Quellen

Familien- und Ortsnamen können für Historiker zu wertvollen Quellen werden. Denn Namen und Sprache speichern geschichtliche Ereignisse und auch so simple Informationen wie: Welches Tier lebte wo?

Von Cajo Kutzbach |
    Sobald viele Menschen auf einem Fleck zusammenleben, wird es schwierig, sie zu unterscheiden. Deshalb gab es schon im alten Rom erste Familiennamen. Als im Mittelalter in Deutschland die Städte wuchsen und damit die Zahl ihrer Einwohner, geschah dasselbe. Die Verwechslungsgefahr wuchs. In einer mittelalterlichen Namensliste von 291 Mainzern heißen 63, also über ein Fünftel, "Johannes". Dr. Rita Heuser von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz erklärt, wie daraus Familiennamen entstanden:
    "Das Fatale war, die haben auch noch ähnliche Rufnamen oder gleiche Rufnamen getragen, sodass es immer schwerer wurde den Hans"vom anderen Hans zu unterscheiden. Das heißt, man musste irgend was dazu setzen. Das ging erst mal über Beinamen, die waren aber nicht vererblich, die klebten an der Person, also Hans der Große, der war vielleicht wirklich stattlich. Später ging man dann dazu über, diesen Namen zu vererben auf die Nachfahren, und in diesem Moment, wenn der Name sich dann vererbt hat, sprechen wir von Familiennamen."
    Rita Heuser arbeitet am "Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands". Bei etwa 850.000 Familiennamen eine Herkules-Aufgabe. Neben der Verwechslungsgefahr in Städten verlangten auch die zunehmende Mobilität und die wachsende Verwaltung eindeutige Namen, etwa bei Verträgen oder Erbschaften. Natürlich eiferte man auch dem Adel nach, der schon früher Herkunftsbezeichnungen oder Beinamen führte.
    Viele Ortsnamen aus Personen- und Naturnamen zusammengesetzt
    Personennamen spielen auch eine Rolle bei der Entstehung von Ortsnamen, erklärt Dr. Kirstin Casemir, Leiterin der Forschungsstelle "Ortsnamen zwischen Rhein und Elbe - Onomastik im europäischen Raum" an der Akademie der Wissenschaften in Göttingen:
    "Die meisten Ortsnamen, die wir überhaupt haben, sind entweder tatsächlich Namen, die den Besitz einer Person anzeigen, nicht eines Adeligen, sondern irgendjemand, der siedelt da und der Ort heißt dann nach seinem Vornamen. Die Hälfte sind eigentlich Naturnamen, also ein Bach, ein Berg, ein Tal, ein Moor, eine Rohdung, ein Wald, die dann sozusagen Namen-gebend werden."
    Viele Ortsnamen sind aus Personen- und Naturnamen zusammengesetzt. Allerdings nicht immer so klar wie in Marienrohde, Leonberg oder Karlsruhe, sondern oft im Laufe der Zeit bis zur Unkenntlichkeit verkürzt. So wurde aus Sigishardishausen über Sigerdessen heute Sierße.
    Die Beinamen, die später zu Familiennamen wurden, entstanden im Mittelalter vor allem aus fünf Quellen: Dem Beruf, der Herkunft, einer Eigenschaft, wie bei Hans dem Großen, dem Wohnort oder dem Namen von Vater oder Mutter. Etwa Ott, wenn der Vater Otto hieß. Namen können also etwas über diese fünf Gebiete verraten. Rita Heuser:
    "Schröder ist praktisch in unserem Wortschatz ausgestorben als Bezeichnung für den Schneider. Der Schneider hat sich durchgesetzt. Aber in den Familiennamen ist die Zeit stehen geblieben im Mittelalter, also da haben wir noch Reste dieser alten Berufsbezeichnung."
    Viele Berufsbezeichnungen leben in Namen fort, wobei es regionale Besonderheiten gibt: "Maiers" gibt es in Nord- und Süddeutschland. Dazwischen klafft ein Loch, das sich füllen lässt, wenn man für den Gutsverwalter statt "Maier" "Hof-Mann" einsetzt. Auch bei "Müller" ist die Herkunft klar. "Schulze" kommt von Schultheiß, also Ortsvorsteher. Aber was verbirgt sich hinter Bierschneider, Pagenstecher oder Puttschneider? Es ist derselbe Beruf, wie:
    "Nonnenmacher. Hat der Nonnen gemacht? Wohl nicht. Aber was steckt dahinter? Wenn man dann in die Geschichte zurückgeht, kann man erfahren, es ist eine Bezeichnung für einen Kastrator, also einen, der Tiere kastriert hat."
    20 verschiedene Bezeichnungen für Wald
    Der Name für den Kastrator ändert sich je nach Gegend. Ähnlich ist es mit vielen anderen Begriffen. Allein für den Wald gab es rund 20 verschiedene Bezeichnungen. Bei Namen mit "Reute" kann man davon ausgehend, dass es Rohdungen aus dem 8. und 9. Jahrhundert sind. Ereignisse können also auch zu Namen werden. Da außerhalb der Klöster damals kaum jemand etwas aufschrieb, lohnt die Erforschung von Ortsnamen. Kirstin Casemir:
    "Ich komm mit Namen wirklich in ganz alte Schichten, in der es noch keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt. Und ich kann aus diesem Namen zum Beispiel herauslesen, was für Bäume es an bestimmten Stellen gab. Ich kann rauslesen, welche Tiere es da gab. Ich kann feststellen, ob es da ein Moor gab, oder so etwas. Oder wie sich Sprache entwickelt hat und das eben über viele Jahrhunderte. Und das ist sprachlich, historisch gesehen sehr interessant. "
    Vor allem Ortsnamen, die bis 1600 entstanden, sind interessant. Dabei machen Dialekte und der Sprachwandel den Forschern die Arbeit schwer. "Bremke" etwa entstand aus "Bredenbeke" und das heißt auf Hochdeutsch "Breitenbach". Die Erklärungen der etwa 35.000 Ortsnamen des Untersuchungsgebietes werden am Ende der 25 Jahre Forschung etwa 60 Bände füllen. Aber nicht für jeden Ortsnamen wird es eine Erklärung geben. Rund die Hälfte der Orte wurde wieder aufgegeben und zu Wüstungen.
    "Mein schönster Name ist eine Wüstung, die ist genau nur ein einziges mal belegt, die heißt Popfum und: Keine Ahnung, keine Zugänglichkeit. Wir wissen nicht, was es bedeutet. Das kommt eben auch vor, dass wir sagen müssen: Tut uns leid, wir finden nichts Überzeugendes."
    Städter mobiler als Dörfler
    Namen verraten auch etwas über die Siedlungsgeschichte. Etwa durch die Ausbreitung von Herkunftsnamen, die oft nur rund um das Heimatdorf herum geschah.
    "Wir sprechen dann von sogenannten Namen-Nestern, weil auf einer Namenkarte sieht man ganz schön eine Ballung um einen Ort drum herum. Dann kann man sagen, die Leute sind aus diesem Ursprungsort ausgewandert in einem Umkreis von 100 Kilometer und dann findet man die entsprechenden Familiennamen zu diesem Ort dazu."
    Dabei waren Städter mobiler als Dörfler. Namen und Sprache speichern geschichtliche Ereignisse und, etwa bei Einwanderungen, auch kulturelle Einflüsse aus anderen Regionen. Rita Heuser:
    "Wenn man zum Beispiel Namen auf -sky kartiert, vom Typ Grabowsky, Podolsky und so weiter, dann sieht man schön, wo diese polnischen Arbeiter hin gewandert sind im 19. Jahrhundert. Wir können die Einwanderung der französischen Hugenotten, aber nicht nur religiöse Flüchtlinge waren damals unterwegs, sondern auch fleißige Handwerker und Händler, die nach dem 30-Jährigen Krieg ja wieder aufbauen sollten, die Dörfer und die dann wirklich ganze Dörfer besiedelt haben."