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Alte Wetteraufzeichnungen
Die Wetterdatenretter

Haben sich mit dem Klimawandel die Zugbahnen der Stürme verändert? Wer solche Fragen beantworten will, braucht historische Wetterdaten zum Vergleich, die jedoch nur handschriftlich vorliegen. Ein britischer Meteorologe will die Daten nun für Computer lesbar machen - mit Hilfe Tausender Freiwilliger.

Von Lucian Haas |
    Das Satellitenbild des Deutschen Wetterdienstes vom 12.04.2013 zeigt die aktuelle Wetterlage über Europa
    Verglichen mit den detaillierten Satellitenbildern von heute liefern die historischen Wetterdaten bisher nur ein verschwommenes Bild (EUMETSAT / DWD)
    Der britische Wetterdienst UK Met Office wurde 1854 durch den Vize-Admiral Robert Fitzroy gegründet. Dessen Wunsch war es, herannahende Stürme im Voraus erkennen und Schiffe davor warnen zu können. Ed Hawkins, Meteorologe an der University of Reading:
    "Robert Fitzroy hatte die Idee, Barometer zur Messung des Luftdrucks in vielen Häfen rund um die britischen Inseln zu installieren. Sollte der Luftdruck dort plötzlich fallen, könnten die Schiffe vor einem möglichen Sturm gewarnt werden. Die Daten wurden täglich nach London telegrafiert und dort von Mitarbeitern des Met Office zusammengetragen, um ein umfassendes Bild des Wetters rund um Großbritannien zu bekommen."
    Ein Schatz an historischen Wetterdaten
    In die "Daily Weather Reports" flossen nach 1870 auch Daten von Wetterstationen auf dem europäischen Festland ein, darunter Lissabon, Stockholm, Cuxhaven und Frankfurt am Main. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden die Bücher handschriftlich geführt. Sie lagern im Archiv des Met Office. Es ist ein Schatz an historischen Wetterdaten. Ed Hawkins ist dabei, ihn zu heben. "Weather Rescue" heißt sein Projekt, mit dem er die alten Messwerte in moderne Datenbanken übertragen will. So hofft er, die Wettermuster von einst mit denen von heute besser vergleichen zu können.
    "Der Hauptgrund, diese Daten retten zu wollen, liegt darin, ein besseres Bild vom Wetter der Vergangenheit zu gewinnen. Was wir bisher sehen, ist wie ein sehr verschwommenes Foto, verglichen mit den detaillierten Satellitenbildern von heute. Mit dem Zugriff auf die historischen Daten können wir unser Bild und Verständnis des Wetters früherer Zeiten schärfen, und das für jeden einzelnen Tag."
    Mithilfe interessierter Laien
    Wie aber bekommt man Millionen von handschriftlichen Datensätzen in den Computer? Ed Hawkins setzt auf freiwillige Mithilfe von interessierten Laien als Bürgerwissenschaftlern, sogenannte Citizen Scientists. Auf der Webseite weatherrescue.org kann jedermann mitmachen. In einer Eingabemaske bekommt man gescannte Ausschnitte der alten Wetterbücher angezeigt. Nun muss man die handschriftlichen Daten entziffern und die Werte daneben in vorgegebene Kästchen eintippen.
    Diese Arbeit einfach einem Computer mit einem Schrifterkennungsprogramm zu überlassen, wäre Ed Hawkins zu fehleranfällig. Die Handschrift ändert sich oft von Tag zu Tag. Es wäre sehr schwer für einen Computer das maschinell zu lesen, verglichen mit ein paar menschlichen Augen, die sehr effizient darin sind, verschiedene Arten von Handschrift erkennen zu können.
    Um die menschliche Fehlerquote bei der Rettung der Wetterdaten möglichst niedrig zu halten, setzt Ed Hawkins auf Redundanz. Jede Seite aus den Daily Weather Reports wird mindestens drei unterschiedlichen Nutzern vorgelegt. Nur wenn deren Eingaben übereinstimmen, werden sie übernommen, ansonsten gibt es weitere Korrekturschleifen.
    Enthusiasmus der Freiwilligen
    Das Verfahren hat sich schon bewährt. In einem Probelauf ließ Ed Hawkins historische Aufzeichnungen der Daten einer Wetterstation auf Ben Nevis, dem höchsten Berg Schottlands, in gleicher Weise digitalisieren. Ab 1883 hatten Meteorologen 20 Jahre lang dort Tag und Nacht jede volle Stunde Temperatur und Luftdruck festgehalten. 3.700 Freiwillige erfassten die rund 1,5 Millionen Datensätze in nur knapp zehn Wochen. Für Ed Hawkins ist der Enthusiasmus der Teilnehmer einer der spannendsten Aspekte des Projektes.
    "Wir haben Tausende Freiwillige, die begeistert sind, der Wissenschaft zu helfen. Sie stellen auch interessante Fragen, weil sie die Daten selbst besser verstehen wollen. Der Prozess hat also einen doppelten Effekt: Die Menschen lernen etwas über Forschung und liefern uns sehr wertvolle Informationen."