Dirk-Oliver Heckmann: Der Westdeutsche Rundfunk, der hat unter Berufung auf eigene Recherchen und Berechnungen gemeldet: Jedem zweiten Deutschen, der 2030 in Rente geht, droht die Altersarmut. Ist das eine seriöse Einschätzung? Das habe ich vor dieser Sendung Ulrich Schneider gefragt, den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Gesamtverbands.
Ulrich Schneider: Das ist eine seriöse Einschätzung. Man kann jetzt über die eine oder andere Zahl noch mal nachgrübeln, aber in der Richtung stimmt es und es ist auch nicht dramatisiert oder übertrieben. Es ist im Übrigen auch eine Rechnung, die selbst Frau von der Leyen schon mal vor einigen Jahren so aufgemacht hat, um deutlich zu machen, wir brauchen Reformen im Rentensystem, sonst fährt dieses System gegen die Wand.
Heckmann: Aber Reformen hat es ja eine Menge gegeben in den letzten Jahren.
Menschen im Niedriglohnsektor sind nicht im Blick dieser Koalition
Schneider: Ja gut. Es hat aber keine Reform gegeben, die tatsächlich von Altersarmut bedrohten Menschen helfen würde. Wir haben jetzt die große Reform gemacht bei der Rente mit 63; davon profitieren diejenigen, die ohnehin lange eingezahlt haben, die gute Renten haben, die sich das überhaupt leisten können, mit 63 in Rente zu gehen. Wir haben was für die Mütter getan, die Kinder erzogen haben; das hat aber auch keine gravierenden armutspolitischen Effekte. Was die Menschen anbelangt, die im Niedriglohnsektor tätig waren, die langzeitarbeitslos waren, die Menschen, die mehrfach arbeitslos waren, die waren bisher noch überhaupt nicht im Blick dieser Koalition.
Heckmann: War die Absenkung des Rentenniveaus und die Einführung der Riester-Rente ein Programm zur Produktion von Altersarmut?
Schneider: Das war ein Programm zur Produktion von Altersarmut und zur Produktion von Versicherungsreichtum. Die Riester-Rente hat vornehmlich Mitnahmeeffekte, sprich sie wird von denen abgeschlossen, die sie eigentlich nicht zwingend benötigen. Diejenigen, die sie wirklich bräuchten, haben in der Regel kein Geld, um zu sparen, nicht mal zu Riestern, und deswegen werden die Menschen auch gar nicht erreicht. Die Riester-Rente, muss man sagen, ist gefloppt. Da hat Herr Seehofer völlig recht.
Riester-Rente sollte der Ausgleich zur Absenkung der Renten sein
Was die Absenkung des Rentenniveaus anbelangt, so war allen Politikern damals klar: Das führt zu Altersarmut, wenn die Menschen nicht privat Vorsorge treffen. Deswegen wurde ja die Riester-Rente eingeführt. Alle Fachleute sagten aber auch schon damals, das kann gar nicht klappen, denn wovon sollen die Menschen denn vorsorgen, wenn sie nichts haben. Man ist hier ganz sehenden Auges sozusagen ins offene Messer gerannt, weil man wahrscheinlich die Realitäten einfach nicht wahrnehmen wollte.
Heckmann: Sie haben gerade CSU-Chef Horst Seehofer schon erwähnt. Er fordert eine Erhöhung der Rente für breite Schichten. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, dessen Partei ja die Riester-Rente eingeführt hat, der sagt jetzt, die Rentensenkungen, die geplanten und absehbaren, die müssten gestoppt werden. Ist das Ganze eine Kehrtwende der SPD? Wie sehen Sie das? Und wenn ja, mit wie viel Genugtuung beobachten Sie diese Entwicklung?
Keine Rentenreform mehr in dieser Legislaturperiode
Schneider: Bei der SPD mag ich das jetzt nicht einschätzen. Herr Gabriel hat das mal gesagt jetzt. Ich hätte mich gefreut, wenn ihm der Gedanke gekommen wäre, bevor er den Koalitionsvertrag unterschrieben hat. Man muss sehen, wieweit das jetzt trägt. Ich habe ein bisschen den Eindruck, als wird nun die ganz große Rentenreform ausgerufen, die ja in dieser Koalition überhaupt nicht mehr stattfinden kann. Das weiß man auch. In dieser Legislaturperiode wird es sie nicht geben.
Heckmann: Das heißt, Sie glauben nicht an die Reform?
Schneider: Ich glaube an einen Rentenwahlkampf und ich glaube nicht mehr an eine durchgreifende Reform in dieser Legislaturperiode. Das halte ich für nicht möglich und ich denke, hier geht es jetzt schon um Wahlkampfgeplänkel.
Heckmann: Kommen wir noch mal zurück, Herr Schneider, wenn Sie erlauben, auf die Riester-Rente. Als die eingeführt worden war - und sie wurde ja eingeführt, weil klar war, bei immer mehr und älter werdenden Deutschen würden die Rentenbeiträge, die Monat für Monat zu bezahlen sind, explodieren, wenn die Auszahlungen nicht abgesenkt werden und wenn nicht zusätzlich privat vorgesorgt wird. War das denn an den Haaren herbeigezogen?
Zuschüsse der Riester-Rente sollten in die staatliche Rente umgeleitet werden
Schneider: Was heißt hier explodieren? Richtig ist, die Beiträge wären gestiegen. Man hat damals aufgegeben das Prinzip der sogenannten Lebensstandardsicherung in der Rente, dass man sagte, die Beiträge müssen so bemessen sein, dass der Lebensstandard auch auf einem bestimmten Prozentniveau sichergestellt wird, zugunsten des Prinzips der Beitragsstabilität. Man ist hingegangen und hat einfach mal am Ende geschaut, mit welchen Beiträgen kann man sich was überhaupt noch leisten, ohne danach zu fragen, wie geht es denn dann den Menschen, und ohne danach zu fragen, welche Reserven haben wir. Ich halte es für durchaus denkbar beispielsweise, dass wir so verfahren, ähnlich wie in der Schweiz, dass wir die Beitragsbemessungsgrenze noch mal wirklich deutlich anheben von jetzt 5900 Euro im Monat vielleicht um tausend Euro mehr, ohne damit aber den Leistungsanspruch bei dieser Gruppe anzuheben. Sprich, wir müssen Solidarität auch in die Rentenversicherung einbringen.
Heckmann: Der ehemalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm von der CDU, der hat jetzt noch mal ganz aktuell gefordert, dass man die Riester-Rente am besten gleich streichen sollte und die Zuschüsse, die ja in dieses System hineinfließen, in die staatliche Rente umleiten sollte. Ist das eine gute Idee?
Schneider: Das deckt sich eins zu eins mit unseren Forderungen. Wenn alle, wirklich alle zu dem Schluss kommen und jetzt sogar Herr Seehofer, dass diese Riester-Rente gefloppt ist, dann muss man auch endlich die Konsequenzen ziehen. Man kann nicht gutes Geld schlechtem Geld jetzt hinterherwerfen. Man sollte dieses Geld benutzen, um die gesetzliche Rente und insbesondere auch das Rentenniveau zu stabilisieren. Und wir sagen auch ganz deutlich: nicht auf 47 oder 48 Prozent, sondern auf 50 Prozent.
Heckmann: Ulrich Schneider war das, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Gesamtverbands. Herr Schneider, danke Ihnen für das Gespräch!
Schneider: Ich danke Ihnen.
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