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Amnesty-Jahresbericht
Mehr Todesurteile, weniger Hinrichtungen

Nirgendwo werden so viele Menschen hingerichtet wie in China: Im aktuellen Amnesty-Report beklagt die Menschenrechtsorganisation den weltweiten Einsatz der Todesstrafe. Unter den Staaten mit den meisten Hinrichtungen sind auch der Iran, Saudi-Arabien, der Irak und Pakistan. Insgesamt wurden jedoch 2016 weniger Menschen hingerichtet als im Vorjahr.

Von Steffen Wurzel |
    Ein Galgen steht in einem afghanischen Gefängnis 2014 für eine Hinrichtung bereit
    Ein Galgen steht in einem afghanischen Gefängnis für eine Hinrichtung bereit (imago stock&people)
    Die Zahl der Todesurteile, die in China vollstreckt werden, sei schrecklich hoch, betont Amnesty International. Eine genaue Zahl jedoch hat die Menschenrechtsorganisation nicht:
    "Amnesty International estimates continues to sentence and execute thousands of people per year."
    Tausende Menschen werden nach den Worten von William Nee in China jedes Jahr hingerichtet. Er hat die Studie von Hongkong aus mitgeschrieben.
    Amnesty geht von tausenden Exekutionen in China aus
    Und nicht nur die hohe Zahl der Fälle sei beunruhigend, auch die Tatsache, dass die Staatsführung in Peking immer noch so ein Geheimnis um die genauen Zahlen mache. Auch wenn es inzwischen eine online einsehbare Datenbank zu theoretisch allen Gerichtsakten des Landes gebe:
    "In vielerlei Hinsicht ist das eine gute Webseite, das muss man der chinesischen Regierung lassen. Mehr als 20 Millionen Gerichtsdokumente aus dem ganzen Land sind darüber einsehbar. Was wir aber festgestellt haben: Über einen Fünfjahreszeitraum finden sich nur 701 Todesurteile."
    Das sei nur die Spitze des Eisbergs, sagt der Amnesty-Analyst. Und er vermutet: Dahinter stecke systematisches Verschleiern wollen.
    Offiziell können chinesische Gerichte Todesurteile immer noch für 46 verschiedene Verbrechensarten verhängen. Tatsächlich seien es aber nur noch eine Handvoll: vor allem Mord, schwerer Raub, Vergewaltigung und Drogenhandel werden demnach in China noch mit dem Tod geahndet.
    Öffentliches Bewusstsein in China für die Todesstrafe wächst
    Außerhalb Chinas geht die Zahl der vollstreckten Todesurteile spürbar zurück - in China wächst zumindest das öffentliche Bewusstsein für die Frage. Mit dazu beigetragen hat der Fall Nie Shubin aus dem vergangenen Jahr.
    Anfang der 1990er-Jahre hatte ein Gericht in der Provinz Hebei den 20-Jährigen wegen Mordes zum Tode verurteilt. Nies Familie versuchte auch nach dessen Hinrichtung 1995 weiter seine Unschuld zu beweisen. Im Dezember nun bekam die Familie recht. Das oberste Gericht Chinas sprach Nie Shubin nachträglich frei, aus Mangel an Beweisen.
    "Das hat die öffentliche Meinung definitiv verändert. Die Berichte über seine fälschliche Verurteilung wurden chinaweit in Hunderten Zeitungen veröffentlicht. Das sorgte für großes Aufsehen."
    Amnesty International bescheinigt der chinesischen Justiz bedeutende Reformen in den vergangenen Jahren. Es habe sich viel zum Besseren verändert. Es mangle aber immer noch an Transparenz, sagt William Nee:
    "Deswegen liegt hier unser Schwerpunkt. Denn wenn es nicht transparent zugeht, ist es selbst für Leute im Justizapparat schwierig aufzuzeigen: Dies läuft gut, jenes läuft schlecht, um dann Dinge zu verändern. Wenn man sich also fragt: Wie kann man tausende Menschenleben retten, wie kann man dieses System verbessern, dann ist Transparenz der Schlüssel."
    Weltweit gab es 2016 geschätzte 1032 Hinrichtungen
    Weltweit gesehen hat die Zahl der Todesurteile nach Amnesty-International-Angaben 2016 zugenommen, die Zahl der Hinrichtungen ist dagegen deutlich zurückgegangen, und zwar um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Lässt man China und andere intransparente Staaten außen vor waren es weltweit 1.032 Fälle.
    Die USA sind der Studie nach zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren nicht mehr unter den fünf Staaten mit den meisten Hinrichtungen weltweit.
    Amnesty stellt nun folgende fünf Staaten an die Spitze der Liste: China, Iran, Saudi-Arabien, Irak und Pakistan. Zwei Staaten haben die Todesstrafe vergangenes Jahr abgeschafft: Benin in Afrika und Nauru in der Südsee.