"Die Orgel ist kein einfaches Instrument. Das ist das größte Instrument der Welt."
Jacub Sawicki hat Respekt vor der Königin der Musikinstrumente. Dennoch versucht sie der Physiker der TU Berlin möglichst exakt zu verstehen, und zwar mithilfe mathematischer Formeln. Und das nicht nur aus akademischer Neugier, sondern auch aus praktischen Gründen. Denn nicht selten ärgern sich Orgelbauer, wenn sie ein neues Instrument entwerfen, mit störenden Effekten herum, etwa in folgender Situation.
Weniger kann mehr sein
Manchmal ist der Ton einer einzelnen Pfeife im Orgelklang zu leise. Dann greifen die Instrumentenbauer zu einem Trick und sagen sich:
"Wir bauen noch eine zweite Pfeife dazu, dann wird das lauter. Wurde es aber nicht, es wurde leiser!"
Statt also wie beabsichtigt lauter zu ertönen, sind die beiden Pfeifen im Duett plötzlich leiser als eine allein.
"Das war natürlich ein Problem. Dann kamen die auf uns zu und haben gefragt: Was passiert da physikalisch? Wie können wir dem entgehen?"
Sawicki und seine Kollegen machten sich an die Arbeit. Verantwortlich für den Effekt ist die sogenannte Synchronisation der Orgelpfeifen: Wird eine Pfeife gespielt, fließt ein Luftstrom durch sie hindurch und aus ihr hinaus. Dabei kann es passieren, dass sich die Luftströme zweier Pfeifen gegenseitig beeinflussen - und sich im ungünstigsten Fall abschwächen. Besonders wichtig dabei: der Abstand zwischen zwei Pfeifen. Je größer er ist, umso geringer sollte die Wechselwirkung sein - sollte man jedenfalls annehmen, meint Sawickis Chef Eckehard Schöll.
"Dann erwartet man: Okay, die synchronisieren nicht mehr. Aber was tatsächlich auftritt, ist, dass wenn ich den Abstand vergrößere, dass erst eine Synchronisation auftritt und dann wieder nicht auftritt, und dann wieder auftritt."
Mathematisch gesehen ein nichtlineares, geradezu chaotisches Verhalten. Dennoch konnten die Forscher eine Theorie entwickeln, mit der sich das Phänomen näherungsweise berechnen lässt. Damit liefern sie den Orgelbauern Hinweise, worauf sie beim Bau eines neuen Instruments achten müssen.
"Da können wir sagen, wann es passiert und wann es nicht passiert. Wir können schon Distanzen geben, ganz konkrete."
Pfeifen mit falsche Töne
Einen ähnlichen Störeffekt hat Jost Fischer vom Institut für Systematische Musikwissenschaft der Universität Hamburg untersucht.
"Es kann dazu kommen, dass zwei Orgelpfeifen, die gewollt verstimmt sind, sich plötzlich auf eine Frequenz einigen und sozusagen die Intonation zerstören, die der Intonateur in stundenlanger Kleinarbeit zurechtgefummelt hat."
In manchen Orgelregistern sind die Pfeifen bewusst ein wenig verstimmt. Dadurch entsteht eine sog. Schwebung, sie macht den Klang fülliger und reicher. Doch auch hier können nichtlineare Effekte dazwischenfunken. Sie sorgen dafür, dass sich zwei Pfeifen miteinander synchronisieren und nicht mehr mit leicht unterschiedlichen Tonhöhen schwingen, sondern mit identischer Frequenz. Dadurch wird aus dem schwebenden Klang ein dünner, eindimensionaler Ton.
Fischer und seine Leute haben das Phänomen nicht nur im Computer simuliert, sondern auch im Labor untersucht.
"Ein Set-up bestehend aus zwei Orgelpfeifen in einem Akustiklabor. Dann wird gemessen, teilweise auch sehr lang. Und dann werden diese Daten analysiert."
Ein Ergebnis: Manche Pfeifenabstände sind besonders kritisch. Bei ihnen nämlich kann die Situation unvermittelt kippen: Eben noch sind die Pfeifen in Schwebung, dann plötzlich sind sie synchronisiert. Ein chaotisches Verhalten, das die Orgel quasi unberechenbar macht - und das die Instrumentenbauer deshalb tunlichst vermeiden wollen. Dabei können ihnen Jost Fischer und seine Kollegen nun konkret helfen.
"Wir können den Orgelbauern Karten zur Verfügung stellen, die angeben, wo ihre Orgelpfeifen optimalerweise zu stehen haben, damit diese Synchronisierung nicht auftritt."
Und so könnte - zumindest für das geübte Ohr - die Königin der Musikinstrumente künftig sogar noch besser klingen als bisher.