"Unbekannte haben am frühen Freitagmorgen einen Brandanschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim in Brandenburg/Havel verübt. Ein Anwohner habe gegen 4.30 Uhr den Brand eines hölzernen Kellerfensters gemeldet, sagte der Sprecher der Polizeidirektion West, Heiko Schmidt. Die Feuerwehr habe die Flammen schnell löschen können. Größere Schäden seien nicht entstanden. Verletzt wurde niemand. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen."
So beginnt die Meldung der Nachrichtenagentur dpa. Noch Anfang des Jahres hätte der Vorfall Schlagzeilen gemacht, hätte es auf die ersten Plätze der Nachrichten geschafft. Inzwischen ist es nur noch eine Meldung mehr. Brandenburg, Sachsen, Nordrhein-Westfalen - die Anschläge auf geplante oder bereits bestehende Flüchtlingsunterkünfte sind so zahlreich geworden, dass sogar ihr Zählen schwer fällt: Von mehr als 700 Straftaten bis Oktober geht das Bundeskriminalamt (BKA) aus. Die Amadeu Antonio Stiftung hat nur 464 Angriffe auf Unterkünfte dokumentiert, davon 104 Brandanschläge.
Brandanschlag oder Mordversuch?
Bis Mitte des Jahres seien die Zahlen von BKA und seiner Stiftung mehr oder weniger identisch gewesen, sagt Geschäftsführer Timo Reinfrank dem Deutschlandfunk. Seitdem klafften sie auseinander. Reinfrank geht davon aus, dass viele "kleinere Meldungen" inzwischen nicht mehr von den Behörden präsentiert würden. Die Stiftung registriere die über Medien und Soziale Netzwerke dokumentierten Übergriffe.
Ihn mache "wahnsinnig, dass wir nur von Brandanschlägen und nicht von Mordversuchen sprechen", so Reinfrank. Die Qualität der Angriffe habe sich seit Sommer deutlich verändert. Seitdem "die AfD gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel hetzt", erlebe Deutschland eine "Entgrenzung der Gewalt" und eine "inhaltliche Radikalisierung". Das Thema Strafverfolgung erlebt der Politikwissenschaftler als "riesiges Dilemma": Die Polizei versage, indem sie nur auf Gefahrenabwehr setze und dabei die Strafverfolgung vernachlässige.
Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung von September konnte nicht mal bei jedem fünften Brandanschlag ein Verdächtiger ermittelt werden.
Linke: Generalbundesanwaltschaft könnte übernehmen
Ja, das Thema Strafverfolgung sei schwierig, "gerade bei Brandstiftungsdelikten", bestätigt Stefan Caspari vom Deutschen Richterbund uns. Aktuell erlebe man Täter, die "ohne jede Beziehung zu ihren Opfern sind". Wenn nicht zufälligerweise ein Zeuge die Tat beobachtet hat oder "sich jemand verquatscht", hätten die Ermittler große Probleme, überhaupt erst auf mögliche Täter aufmerksam zu werden, so der Dessauer Richter.
Martina Renner von der Linkspartei fragt sich, warum dann nicht mehr getan wird: Bei Ermittlungsverfahren von besonderer Bedeutung sei beispielsweise die Übernahme durch die Bundesanwaltschaft möglich, schreibt die Bundestagsabgeordnete in ihrer Antwort auf unsere Anfrage. Dies wie die Strafandrohung hätte eine Signalwirkung an die Täter. "Es ist eher dem Zufall geschuldet, dass es bei über 700 Angriffen auf Unterkünften noch keinen Schwerverletzten oder Toten gegeben hat."
Renner kritisiert außerdem, dass bisher noch kein Haftbefehl im Zusammenhang mit rechts-motivierter Kriminalität ergangen sei. Dies liegt der Linkenpolitikerin zufolge auch daran, dass die Behörden nicht unter dem Straftatbestand "versucher Mord", sondern "schwere Brandstiftung" ermitteln.
Richter: Urteil wäre wichtig
In der Regel stellten "Brandsätze in bewohnte Häuser einen Anfangsverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt dar", erklärt Richter Stefan Caspari. Aber auch dies müsse im Einzelfall geprüft werden. Und weshalb keine Haftbefehle? Das sei grundsätzlich schwer, so Caspari, "selbst in Fällen von Schwerstkriminalität", wie eben Mord. Konkret bedürfe es im Falle eines mutmaßlichen Brandstifters eines dringenden Tatverdachts und zusätzlich eines Haftgrunds, beispielsweise eine Fluchtgefahr bei dem Verdächtigen oder den konkret belegbaren Plan, Beweismittel zu vernichten.
Soweit die Rechtslage. Persönlich wünscht sich der Richter auch endlich Verfahren und Urteile gegen die Brandstifter. Viele hielten dieses Verbrechen in diesen Tagen "für schick". "Es wäre wichtig, wenn es zu Verhandlungen käme, damit denen mit ähnlichen Absichten klar gemacht wird, was für einen Schaden sie anrichten und was ihnen selbst droht", Caspari.
Die "dauernde Drohung gegen Flüchtlinge und die damit verbundene politische Botschaft eines aggressiven und auch tödlichen Rassismus" muss laut Linkspolitikerin Renner als "Herausforderung für Demokratie und staatliche Institutionen begriffen werden".