Der britisch-deutsche Publizist Alan Posener nennt sein Buch "Benedikts Kreuzzug" eine "Anklage". Er nennt sein Werk "einseitig" und eine "Streitschrift" - umso erfreulicher, dass Posener trotzdem sachlich bleibt, sich mit Emotionen klug zurückhält und lieber Fakten sprechen lässt. Kühl führt er die antimoderne, rückwärtsgewandte Geisteshaltung Joseph Ratzingers alias Papst Benedikt XVI. anhand von dessen eigenen Reden und Schriften vor. Posener belegt alles quellenmäßig genau, so dass er seine These, Ratzinger führe seit Jahrzehnten einen geistigen "Kreuzzug" gegen die moderne westlich-liberale Gesellschaft, sehr gut beweisen kann.
Ob es um Homosexuelle oder Empfängnisverhütung geht, um Frauenrechte oder den laizistischen Staat - der Papst will auf breiter Front "die Revolution der Moderne ungeschehen (...) machen" und nimmt sich heraus, die liberale demokratische Gesellschaft zu bevormunden, sagt Posener:
"Wenn es darum geht, dass der Papst die Demokratie kritisiert als 'Kultur des Todes', oder wenn er sagt, die Demokratie sei eine 'Diktatur des Relativismus' und die Vernunft müsse unter 'Aufsicht der Religion' gestellt werden - das sind alles wörtliche Zitate! - , dann ist ja damit gemeint, dass die Kirche eine tatsächliche Aufsicht oder das letzte Wort darüber bekommt, was in einem demokratischen Staat geht und nicht geht."
Aber überschätzt Posener nicht den Einfluss des Papstes auf die Gesellschaft? In Deutschland sind nur ein Drittel der Bevölkerung Katholiken. Wieso sollte der Papst die nichtkatholische Mehrheit der Gesellschaft etwas angehen?
"Weil der Papst sich anmaßt, nicht nur den Katholiken Vorschriften zu machen, sondern den Staatsbürgern, was sie von Demokratie zu halten haben, wie sie Vernunft zu verstehen haben, was sie von der Aufklärung zu halten hätten. Der Papst mischt sich in die Geschäfte des Staates, der Demokratie und der einzelnen Bürger ein, und die Bürger müssen sich entscheiden, ob sie diese Interpretation des Papstes akzeptieren oder nicht."
Posener macht sich in seinem Buch die Mühe, einige Schriften und Reden Benedikts sehr genau zu analysieren, darunter die berühmte Regensburger Rede. Der Papst hatte sich da nicht nur zu Mohammed geäußert, sondern auch zu dem Aufklärungsphilosophen Kant und ihn dabei - bewusst oder unbewusst - in ein falsches Licht gesetzt, wie Posener nachweist. So behauptete Benedikt, dass Kant von sich gesagt habe:
"Er (Kant) habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben Platz zu machen."
Damit hat der Papst Kant sinnentstellend zitiert, denn Kant hatte in Wirklichkeit gesagt:
"Ich musste das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen"
Das ist freilich etwas ganz anderes, und Posener kommentiert zurecht:
"Kant war ja durchaus der Meinung, dass die Vernunft Begriffe wie Gott, Freiheit, Unsterblichkeit denken könne, ja gar nicht umhinkomme, das 'Unbedingte' zu denken. Er wollte also keineswegs das Denken aufheben, wenn es um den Glauben ging, wie Benedikt unterstellt."
Man muss sich fragen: Ist der von seiner Anhängerschaft als "brillanter Denker" gefeierte Benedikt ein so schlechter Kant-Kenner? Posener jedenfalls schreibt, dass die Beschäftigung mit Benedikts Schriften für ihn eine intellektuelle "Enttäuschung" war.
"Je näher ich diesem Mann kam, desto kleiner erschien er mir. Je mehr ich von ihm las, desto weniger konnte ich das Urteil derjenigen nachvollziehen, die in ihm einen großen Denker zu sehen meinen."
Posener beschäftigt sich auch mit der Moral und Ethik Benedikts - und klagt ihn hart an. Er wirft ihm moralisches Versagen vor, besonders bei Fragen wie Aids, Sterbehilfe oder Abtreibung. Er nennt die Haltung des Papstes "menschenverachtend":
"Als der Papst in Afrika war, hat er den Staat Angola kritisiert, weil dieser Staat einen Vertrag unterschrieben hat zur Hilfe für Frauen, die vergewaltigt worden sind, damit diese Frauen abtreiben können. Benedikt hat diesen Vertragsabschluss in Angola selbst kritisiert; das ist doch zutiefst menschenverachtend, wenn eine Frau Opfer von Vergewaltigung ist - und das ist in Afrika in den Bürgerkriegen systematisch millionenfach der Fall - und es wird ein Vertrag unterschrieben der afrikanischen Staaten untereinander, um diesen Frauen zu helfen auch mit Abtreibung; und das wird von der Kirche kritisiert, dann ist das natürlich menschenverachtend."
Dogmatisch erstarrt, weltfremd, ohne Empathie und mit einem deutlich totalitären Zug - so sieht Posener den Papst und seine Kirche, die sich im exklusiven Besitz des Heils und der letzten Wahrheit wähnen. Posener erkennt die Gefahr einer solchen Hybris für die pluralistische Gesellschaft; er sieht im absoluten Wahrheitsanspruch des römischen Papstes Parallelen zum absoluten Wahrheitsanspruch des Marxismus und des Islam. Die Verteidigung der offenen pluralistischen Gesellschaft gegen solche totalitären Ansprüche ist Poseners Anliegen:
"Spätestens seit 9/11 müssen wir uns fragen: Worin besteht der Wert unserer Gesellschaft? Was verteidigen wir eigentlich ob am Hindukusch oder hierzulande? Wir verteidigen eine offene Gesellschaft; die Gesellschaft der Aufklärung, eine freie Gesellschaft. Es gibt aber Leute, die aus dem Kontakt mit dem radikalen Islam die umgekehrte Schlussfolgerung ziehen: Wir müssen uns scharen um die religiösen Werte, um die Traditionen, um eine ausschließende, intolerante Gesellschaft. Wir müssen also weniger offen sein. Das ist gefährlich; es gefährdet den Bestand unserer Demokratie, die offen ist, die weltlich ist, die pluralistisch ist. Wenn dieses Sich-wieder-schließen Schule macht, verliert Europa das, was Europa ausmacht."
Alan Posener hat mit "Benedikts Kreuzzug" ein sehr gescheites und wichtiges Buch vorgelegt. Vielleicht die scharfsinnigste Analyse, die bislang über den derzeitigen Papst erschienen ist.
Alan Posener: "Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft". Ullstein-Verlag, Berlin 2009, 269 Seiten, 18 Euro (ISBN 978-3-550-08793-6)
Ob es um Homosexuelle oder Empfängnisverhütung geht, um Frauenrechte oder den laizistischen Staat - der Papst will auf breiter Front "die Revolution der Moderne ungeschehen (...) machen" und nimmt sich heraus, die liberale demokratische Gesellschaft zu bevormunden, sagt Posener:
"Wenn es darum geht, dass der Papst die Demokratie kritisiert als 'Kultur des Todes', oder wenn er sagt, die Demokratie sei eine 'Diktatur des Relativismus' und die Vernunft müsse unter 'Aufsicht der Religion' gestellt werden - das sind alles wörtliche Zitate! - , dann ist ja damit gemeint, dass die Kirche eine tatsächliche Aufsicht oder das letzte Wort darüber bekommt, was in einem demokratischen Staat geht und nicht geht."
Aber überschätzt Posener nicht den Einfluss des Papstes auf die Gesellschaft? In Deutschland sind nur ein Drittel der Bevölkerung Katholiken. Wieso sollte der Papst die nichtkatholische Mehrheit der Gesellschaft etwas angehen?
"Weil der Papst sich anmaßt, nicht nur den Katholiken Vorschriften zu machen, sondern den Staatsbürgern, was sie von Demokratie zu halten haben, wie sie Vernunft zu verstehen haben, was sie von der Aufklärung zu halten hätten. Der Papst mischt sich in die Geschäfte des Staates, der Demokratie und der einzelnen Bürger ein, und die Bürger müssen sich entscheiden, ob sie diese Interpretation des Papstes akzeptieren oder nicht."
Posener macht sich in seinem Buch die Mühe, einige Schriften und Reden Benedikts sehr genau zu analysieren, darunter die berühmte Regensburger Rede. Der Papst hatte sich da nicht nur zu Mohammed geäußert, sondern auch zu dem Aufklärungsphilosophen Kant und ihn dabei - bewusst oder unbewusst - in ein falsches Licht gesetzt, wie Posener nachweist. So behauptete Benedikt, dass Kant von sich gesagt habe:
"Er (Kant) habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben Platz zu machen."
Damit hat der Papst Kant sinnentstellend zitiert, denn Kant hatte in Wirklichkeit gesagt:
"Ich musste das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen"
Das ist freilich etwas ganz anderes, und Posener kommentiert zurecht:
"Kant war ja durchaus der Meinung, dass die Vernunft Begriffe wie Gott, Freiheit, Unsterblichkeit denken könne, ja gar nicht umhinkomme, das 'Unbedingte' zu denken. Er wollte also keineswegs das Denken aufheben, wenn es um den Glauben ging, wie Benedikt unterstellt."
Man muss sich fragen: Ist der von seiner Anhängerschaft als "brillanter Denker" gefeierte Benedikt ein so schlechter Kant-Kenner? Posener jedenfalls schreibt, dass die Beschäftigung mit Benedikts Schriften für ihn eine intellektuelle "Enttäuschung" war.
"Je näher ich diesem Mann kam, desto kleiner erschien er mir. Je mehr ich von ihm las, desto weniger konnte ich das Urteil derjenigen nachvollziehen, die in ihm einen großen Denker zu sehen meinen."
Posener beschäftigt sich auch mit der Moral und Ethik Benedikts - und klagt ihn hart an. Er wirft ihm moralisches Versagen vor, besonders bei Fragen wie Aids, Sterbehilfe oder Abtreibung. Er nennt die Haltung des Papstes "menschenverachtend":
"Als der Papst in Afrika war, hat er den Staat Angola kritisiert, weil dieser Staat einen Vertrag unterschrieben hat zur Hilfe für Frauen, die vergewaltigt worden sind, damit diese Frauen abtreiben können. Benedikt hat diesen Vertragsabschluss in Angola selbst kritisiert; das ist doch zutiefst menschenverachtend, wenn eine Frau Opfer von Vergewaltigung ist - und das ist in Afrika in den Bürgerkriegen systematisch millionenfach der Fall - und es wird ein Vertrag unterschrieben der afrikanischen Staaten untereinander, um diesen Frauen zu helfen auch mit Abtreibung; und das wird von der Kirche kritisiert, dann ist das natürlich menschenverachtend."
Dogmatisch erstarrt, weltfremd, ohne Empathie und mit einem deutlich totalitären Zug - so sieht Posener den Papst und seine Kirche, die sich im exklusiven Besitz des Heils und der letzten Wahrheit wähnen. Posener erkennt die Gefahr einer solchen Hybris für die pluralistische Gesellschaft; er sieht im absoluten Wahrheitsanspruch des römischen Papstes Parallelen zum absoluten Wahrheitsanspruch des Marxismus und des Islam. Die Verteidigung der offenen pluralistischen Gesellschaft gegen solche totalitären Ansprüche ist Poseners Anliegen:
"Spätestens seit 9/11 müssen wir uns fragen: Worin besteht der Wert unserer Gesellschaft? Was verteidigen wir eigentlich ob am Hindukusch oder hierzulande? Wir verteidigen eine offene Gesellschaft; die Gesellschaft der Aufklärung, eine freie Gesellschaft. Es gibt aber Leute, die aus dem Kontakt mit dem radikalen Islam die umgekehrte Schlussfolgerung ziehen: Wir müssen uns scharen um die religiösen Werte, um die Traditionen, um eine ausschließende, intolerante Gesellschaft. Wir müssen also weniger offen sein. Das ist gefährlich; es gefährdet den Bestand unserer Demokratie, die offen ist, die weltlich ist, die pluralistisch ist. Wenn dieses Sich-wieder-schließen Schule macht, verliert Europa das, was Europa ausmacht."
Alan Posener hat mit "Benedikts Kreuzzug" ein sehr gescheites und wichtiges Buch vorgelegt. Vielleicht die scharfsinnigste Analyse, die bislang über den derzeitigen Papst erschienen ist.
Alan Posener: "Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft". Ullstein-Verlag, Berlin 2009, 269 Seiten, 18 Euro (ISBN 978-3-550-08793-6)