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Anleiheankaufprogramm
"Die EZB wird die Zinsen 2017 sicherlich noch nicht erhöhen"

Der Ökonom Henrik Enderlein rechnet fest damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) heute ankündigen wird, ihr Ankaufprogramm für Anleihen fortzusetzen: "Die EZB wird die Zinsen sicherlich 2017 noch nicht erhöhen, frühestens 2018", sagte der Professor für politische Ökonomie im Deutschlandfunk.

Henrik Enderlein im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Henrik Enderlein, Regierungsberater und Professor für politische Ökonomie an der Herti School of Governance in Berlin, aufgenommen am 19.02.2015 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema: "Athen gegen alle - scheitert der Euro?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
    Henrik Enderlein, Hertie School of Governance. (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Enderlein prognostiziert, dass die EZB in drei Stufen vorgehen wird. Zunächst werde das Ankaufprogramm verlängert - voraussichtlich bis Ende September 2017. In einem zweiten Schritt, Anfang 2018, werde das Anleiheankaufprogramm zurückgefahren. Und erst in einem dritten Schritt würden die Zinsen dann voraussichtlich wieder steigen. Mit dem Szenario müsse man sich abfinden, auch wenn das für Sparer sicherlich nicht angenehm sei. Grundsätzlich gelte für die Geldpolitik, dass Effekte einer Maßnahme erst neun Monate später zu spüren seien.
    Dennoch unterstrich Enderlein: "Die EZB hat nicht die Aufgabe, Krisenfeuerwehr in Europa zu spielen". Ihr Mandat sei lediglich die Preisstabilität. Für den Umgang mit der europäischen Finanzlage - etwa der Bankenkrise und den hohen Schuldenständen - sei die Politik zuständig.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Der Deutsche Aktienindex hat seine sogenannte Jahres-Endrallye begonnen. Gestern kratzte er fast an den 11.000 Punkten. Ein Grund dafür ist auch, dass Fachleute davon ausgehen, dass die Europäische Zentralbank ihre Anleihekäufe fortsetzt. Eigentlich würde das Programm zum März des kommenden Jahres auslaufen, aber die EZB könnte es um ein halbes Jahr verlängern. Das wird EZB-Chef Mario Draghi heute wohl bei der EZB-Sitzung bekanntgeben. Darüber habe ich vor dieser Sendung mit Henrik Enderlein gesprochen, Professor für politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin, und ich habe ihn gefragt, ob er auch davon ausgeht, dass Draghi das Kaufprogramm verlängern wird.
    Henrik Enderlein: Ich rechne fest damit, dass Mario Draghi das Anleihe-Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank für ungefähr sechs Monate fortsetzen wird. Aber das ist nicht die entscheidende Frage am heutigen Nachmittag. Viel entscheidender ist, ob die EZB, der Gouverneursrat in irgendeiner Form darauf hindeuten wird, dass dieses Programm dann, wenn es bis September 2017 verlängert wird, langsam aufhören wird, oder ob der EZB-Rat sogar schon jetzt sagt, dass man geringere Ankaufbeträge im Jahr 2017 plant. Das ist das viel Wichtigere, was am heutigen Nachmittag zu beobachten ist.
    Büüsker: Wie könnte denn so ein Auslaufen des Programms vonstattengehen?
    Enderlein: Wir müssen erst mal die Frage stellen, warum das auslaufen sollte. Die Inflation im Euroraum liegt heute immer noch bei 0,5 Prozent. Das ist weit von der EZB-Zielgröße von knapp zwei entfernt. Aber die Inflationsdifferenziale, der Unterschied der Inflation in den europäischen Ländern, ist sehr, sehr hoch. Wir haben in Deutschland inzwischen eine Inflation von 0,8, die auch weiter steigen wird, und in einem Land wie Italien liegt man weiter bei null. Und da muss die EZB, die dazwischen diesen Durchschnittswert anpeilt, sich entscheiden, wie man mit dieser Situation umgeht.
    Was die EZB vermeiden möchte ich, dass die Inflationsrate über das Ziel hinausschießt. Und wenn man sich betrachtet, wie gerade in Deutschland der Arbeitsmarkt in Vollbeschäftigung steht, die Immobilienpreise steigen, man hier das Gefühl hat, die Wirtschaft fängt an, wirklich zu boomen, dann muss man sich überlegen, ob man nicht jetzt schon erste Signale setzt. Denn die Geldpolitik …
    "Was die Geldpolitik heute tut, wird erst in neun Monaten in der Realwirtschaft einen Effekt haben"
    Büüsker: Würden Sie dann sagen, dass das Programm von Mario Draghi insgesamt erfolgreich war?
    Enderlein: Das Programm hat dazu beigetragen, dass man von dieser sehr unschönen Situation sich entfernen konnte, wo die Inflationsrate bei null ist. Das ist für Ökonomen gefährlich. Man weiß problemlos, wie man mit einem steigenden Inflationswert umgeht als Ökonom oder als Zentralbanker, aber eine Deflation zu bekämpfen, ist viel, viel gefährlicher. Deshalb muss man jetzt nach vorne schauen und sich überlegen, wie man im Jahr 2017 mit einem Inflationswert umgehen kann, der dann vielleicht schon an der Zielgröße ist.
    Was die Geldpolitik heute tut, oder was sie heute umsetzt, wird erst in neun Monaten in der Realwirtschaft einen Effekt haben, so dass die Zentralbank eigentlich immer neun Monate im Voraus nachdenken muss darüber, wie sich die Wirtschaftslage entwickelt. Das ist die große Herausforderung heute in der EZB, denn was man heute tut, muss eigentlich schon wissen, wie die Lage im Sommer 2017 ist, und das weiß niemand.
    Büüsker: Gerade in Anbetracht der aktuellen politischen Lage. - Lassen Sie uns auf die Folgen des Anleihekauf-Programms gucken. Wir haben im Moment historisch niedrige Zinsen, was ein großes Problem für viele Sparer ist, aber zunehmend auch für die Lebensversicherungen und die Banken. Kann das gefährlich werden?
    Enderlein: Es ist kein normaler Zustand, in dem wir uns befinden. Denn diese Null-Zins-Politik hat nur was damit zu tun, dass dieses Deflationsrisiko, das Risiko fallender Preise in den vergangenen Jahren eine echte Bedrohung war. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die Zinsen sicherlich über das Ende des Ankaufprogramms hinaus weiter bei null bleiben werden.
    Die EZB wird in drei Stufen vorgehen. Die erste Stufe wird sein, man verlängert das Anleihe-Ankaufprogramm noch einmal. Wie gesagt: Ich glaube, 2017 September ist der Zielwert, den wir heute zu erwarten haben. In einem zweiten Schritt wird man dann irgendwann - ob das Ende 2017 oder Frühjahr 2018 ist - dieses Anleihe-Ankaufprogramm zurückfahren, Schritt für Schritt, und dann auf null gehen. Und in einem dritten Schritt werden dann die Zinsen anfangen, wieder zu steigen. Das ist ein Szenario, mit dem man sich so abfinden muss.
    Die Europäische Zentralbank wird die Zinsen sicherlich 2017 noch nicht erhöhen, frühestens 2018, und dann wahrscheinlich eher im Sommer und im Herbst 2018 als schon im Frühjahr 2018. Für Sparer ist das kein angenehmer Kontext, aber die Geldpolitik wird immer so handeln, dass sie den Inflationswert auf zwei Prozent treibt. Dieses Mandat hat der europäische Vertrag ihr gegeben und das muss sie auch umsetzen. Aber ich wünsche mir tatsächlich, dass bald ein Signal kommt, dass zumindest dieses Anleihe-Ankaufprogramm langsam zurückgefahren wird.
    "Die EZB hat nicht die Aufgabe, Krisenfeuerwehr in Europa zu spielen"
    Büüsker: Aber ist das denn überhaupt möglich, gerade wenn wir auf die aktuelle Lage in einem Krisenland wie Italien schauen?
    Enderlein: Natürlich kann die Eurozone immer von einem Schock heimgesucht werden. Aber die EZB hat nicht die Aufgabe, Krisenfeuerwehr in Europa zu spielen. Die EZB hat ein Mandat und das ist die Preisstabilität, definiert als diese knapp zwei Prozent. In Deutschland und in anderen Teilen Europas wird die EZB ja auch kritisiert für das, was sie tut. Ich würde mich mit dieser Kritik sehr zurückhalten, würde aber sagen: Wenn man nicht will, dass die Europäische Zentralbank diese stabilisierende Funktion hat, dann muss man sie an anderer Stelle umsetzen.
    Dann müssen die Regierungen sich die Frage stellen, wie geht man mit Italien um; dann muss sich auch die italienische Regierung die Frage stellen, wie man mit den hohen Schuldenständen und der Bankenkrise in Italien umgeht. Die EZB ist nicht die Institution, die als Krisenmechanismus vorgesehen ist. Sie sollte sich auf das konzentrieren, was ihr einziges Mandat ist, und das ist die Preisstabilität von knapp zwei Prozent.
    Büüsker: Aber dennoch reden wir im Fall Italien von der viertgrößten Volkswirtschaft der EU und wir können uns das ja kaum leisten, Italien fallen zu lassen.
    Enderlein: Es geht auch nicht darum, Italien fallen zu lassen. Es geht darum, eine Rettung für Italien oder eine Stabilisierung von Italien, sollte die nötig werden, über den Europäischen Stabilitätsmechanismus durchzuführen oder andere Kriseninstrumente. Sehen Sie, als die EZB in einer sehr kritischen Situation im Sommer 2012 nach vorne ging und gesagt hat, wir werden alles tun, um den Euro zusammenzuhalten, das war in der damaligen Phase richtig. Aber ich frage mich heute, ob wir ein europäisches Währungssystem haben, eine Europäische Währungsunion, in der jeder weiß, dass man in einer Krisensituation zusammenstehen würde. Die Bankenunion ist noch nicht vollendet, wir haben sie begonnen.
    Wir haben einen Krisenmechanismus, der für Italien immer noch zu klein ist, und das sind Punkte, die jeder Marktteilnehmer kennt, die auch die italienischen Bürgerinnen und Bürger kennen und sagen, nun gut, vielleicht wird eines Tages ein Problem mit Italien entstehen. Da kann man die Gelder auf unseren Konten doch lieber auf die Konten deutscher Banken schieben, dann sind sie sicher. Das sind diese Unsicherheitsfaktoren im Euroraum, die man einfangen muss, bei denen man dafür sorgen muss, dass sie keine Risiken für die Zukunft der Währung darstellen. Aber das ist eigentlich keine Aufgabe der Geldpolitik, sondern eine Aufgabe aller europäischen Regierungen und der Europäischen Kommission, und deshalb muss man die EZB aus ihrer Verantwortung nehmen, die Krisenfeuerwehr zu spielen.
    Büüsker: … sagt Henrik Enderlein, Professor für politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin. Das Gespräch haben wir am Morgen aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.