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Anschläge von Brüssel
"Immer mehr Daten über irrelevante Vorgänge"

In der EU werden zu viele unwichtige Daten gesammelt und zu wenig wichtige ausgetauscht, meint der grüne Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hätten die Geheimdienste immer mehr Datenberge angehäuft, sagte Albrecht im DLF. Die wirklich relevanten Informationen würden aber nicht geteilt.

Jan Philipp Albrecht im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der Grünen-Politiker Jan-Philipp Albrecht
    Jan Philipp Albrecht, der Innen- und Justizpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, hat im Deutschlandfunk Millionen für die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsteams bei Europol gefordert. (Bodo Marks / dpa)
    Albrecht verwies in diesem Zusammenhang auf die Vereinbarung der EU-Staaten zum Austausch von Fluggastdaten, auf deren Verabschiedung im Europäischen Parlament die EU-Innenminister nach den Brüsseler Anschlägen drängen. Auch mit diesem Abkommen würden viele Daten über irrelevante Vorgänge gesammelt. Einen Verpflichtung zum Datenaustausch beinhalte die Vereinbarung dagegen nicht.
    Nationale Datenschutzregelungen erschweren Austausch
    Nötig seien unter anderem einheitliche Regeln in Europa zum Datenschutz, meinte der Grünen-Politiker. Denn auch die unterschiedlichen Datenschutzgesetze in den Mitgliedsstaaten erschwerten den Austausch von Informationen.
    Belebte Marktszene in Molenbeek.
    Islamistischer Brennpunkt: Der Brüsseler Vorort Molenbeek. (picture alliance / dpa / Bride Edouard)
    Der stellvertretende Vorsitzende des Innen- und Justizausschusses des Europa-Parlaments verlangte auch eine bessere europäische Kooperation auf personeller Ebene. So müssten gemeinsame Ermittlungsteams aus unterschiedlichen Staaten und Behörden gebildet werden. Diese könnten etwa ihr Wissen über Brennpunkte wie den Brüsseler Vorort Molenbeek austauschen.
    Anti-Terror-Zentrum besser finanzieren
    Albrecht warnte, Einrichtungen wie das europäische Anti-Terorr-Zentrum nutzten nichts, "wenn man sie nicht mit Leben füllt". Diese müssten auch finanziell viel besser ausgestattet werden, damit sie zu einem sinnvollen Informationsaustausch beitragen könnten.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Die Fahndung nach den Tätern und Hintermännern der Anschläge von Brüssel laufen auf Hochtouren. In Paris konnte offenbar in den vergangenen Tagen der Plan für ein weiteres Attentat aufgedeckt und vereitelt werden, und von dort wiederum führten Spuren nach Brüssel, wobei bei Razzien der Polizei gestern weitere Verdächtige festgenommen werden konnten.
    Was muss Europa jetzt also konkret tun, möglicherweise auch um in Zukunft Anschläge wie die in Paris und Brüssel entweder verhindern zu können oder doch besser aufklären zu können?
    Am Telefon ist Jan Philipp Albrecht, der Innen- und Justizpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen!
    Jan Philipp Albrecht: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    "Geld in gemeinsame Ermittlungsteams stecken"
    Barenberg: Wir haben es gerade gehört von Thomas de Maizière – warum sperren sich auch die Grünen dagegen, die Pläne im Europäischen Parlament für einen Austausch von Fluggastdaten auf die Tagesordnung zu setzen und endlich zu verabschieden?
    Albrecht: Wir sperren uns überhaupt nicht gegen einen Austausch von Fluggastdaten. Das ist aber genau das nicht, was mit dieser neuen Richtlinie zu den Fluggastdaten auf den Tisch gekommen ist. Im Gegenteil, was passieren soll, ist, dass 28 unterschiedliche Datensilos von fünfjährigen Datenspeicherungen aller Fluggastdaten, aller Fluggäste verpflichtend eingerichtet werden sollen, ohne dass dabei irgendein verpflichtender Austausch der Daten unter den Mitgliedsstaaten stattfinden soll.
    Das hat das Europäische Parlament gefordert. Die Minister haben das damals zurückgewiesen. Diese Richtlinie, die Herr de Maizière da fordert, die ist genau das, was wir eigentlich jetzt erkannt haben, dass es der Fehler ist, nämlich dass wir immer mehr Daten sammeln über irrelevante Vorgänge, aber die relevanten Daten überhaupt nicht untereinander austauschen.
    Ich würde sagen, dass genau diese Maßnahme nicht kommen sollte, die kostet mehrere hundert Millionen Euro, und dass dieses Geld auf jeden Fall in gemeinsame Ermittlungsteams unterschiedlicher Behörden, unterschiedlicher Mitgliedsstaaten gesteckt werden sollte, damit da eben endlich Daten wirklich ausgetauscht werden über Verdächtige und Risikomomente.
    "Es braucht einen gemeinsamen Rechtsrahmen zum besseren Datenaustausch"
    Barenberg: Dann lassen Sie uns darüber sprechen, wie Ihre Vorstellungen aussehen. Was an Daten sollte gesammelt und gespeichert werden und dann auch freigegeben werden für den Austausch?
    Albrecht: Wir brauchen eine bessere Auswertung und einen besseren Austausch der Daten, die wir schon heute über Verdächtige und Risikomomente haben. Wir haben es ja eben gehört, es geht wieder darum, dass es bestimmte Informationen bei den Sicherheitsbehörden, bei der Polizei unterschiedlicher Mitgliedsstaaten und auch Partner, mit denen man kooperiert, schon gab. Die wurden schon übermittelt, aber die wurden dann eben nicht zum Anlass weiterer Überwachungsmaßnahmen genommen, die dann konkret gegenüber Verdächtigen ergriffen werden können.
    Das müssen wir jetzt machen. Dafür braucht es nicht nur einen gemeinsamen Rechtsrahmen zum besseren Austausch dieser Daten. Zum Beispiel übrigens auch beim Datenschutz, denn wenn es da keine gemeinsamen guten Regeln gibt, dann tauschen die Behörden untereinander auch nichts aus, weil sie das Gefühl haben, da sind die Regeln nicht ausreichend in den anderen EU-Ländern.
    Da brauchen wir nicht nur gemeinsame Regeln, sondern wir brauchen auch eine Infrastruktur und eine bessere Ausstattung, die das erlaubt, solche Daten dann zu bewerten, auszuwerten, auszutauschen und vor allen Dingen dann entsprechende konkrete Überwachungsmaßnahmen zu ergreifen.
    "Wir brauchen den Datenschutz nicht zu schwächen"
    Barenberg: Je größer die Gefahr, desto eher ist auch ein Eingriff in bestimmte Schutzrechte zu rechtfertigen. Gilt das für die Abwägung von Sicherheitsbedürfnis und dem Recht auf Datenschutz in dieser Situation der Bedrohung?
    Albrecht: Das ist immer so. Und der Datenschutz, der war schon immer kein Gegner der Sicherheitsinteressen und eines anlassbezogenen Ermittlungsverfahrens. Ganz im Gegenteil, es war schon immer so, dass im Datenschutz angelegt war ein verhältnismäßiger Eingriff zum Zwecke der Strafverfolgung, der Verhinderung von Straftaten, der Polizei- und Sicherheitsarbeit war immer quasi eine weite Ausnahme, und so bleibt es auch.
    Aber deswegen brauchen wir den Datenschutz auch nicht zu schwächen, um das zu erreichen, sondern im Gegenteil, wir müssen nur dafür sorgen, dass wir gezielte, effektive Maßnahmen haben, die diese Daten, die wir dann bekommen über Verdächtige, über Risikoanlässe, also verhältnismäßig und zielgerichtet, dass die dann auch wirklich zum Erfolg führen. Und das ist das Problem, dass wir eigentlich jetzt seit dem 11. September 2001 haben, wo wir immer mehr Datenberge angehäuft, aber immer weniger daraus gemacht haben.
    Albrecht: Geld in europäische Zentren und Koordinationssysteme investieren
    Barenberg: Und wir haben auch einige Organisationen gegründet in Europa und anderen hinzugefügt. Inzwischen gibt es nicht nur das EU Counter Terrorism Center, also eine europäische Polizeibehörde im Kampf gegen den Terrorismus, sondern auch einen Zusammenschluss der europäischen Geheimdienste. Manche vertreten ja schon die These, dass es zu viele Organisationen sind und deswegen die Erfolge so gering.
    Albrecht: Ja, zumindest ist es ein Fehler gewesen, dass man nach jedem Anschlag im Grunde genommen nicht evaluiert hat, was sind die sinnvollen Maßnahmen, was sind die weniger sinnvollen Maßnahmen, und den Fokus neu gesetzt hat, sondern jedes Mal wurde im Grunde genommen nach irgendetwas Aufsehenerregendem gesucht, was man präsentieren kann, möglichst schnell, um zu zeigen, dass man handlungsfähig ist und die Leute vielleicht ein besseres Sicherheitsgefühl haben.
    So auch zum Beispiel bei der Einrichtung des Antiterrorzentrums in der Europäischen Union oder auch in Deutschland zum Beispiel. Diese Zentren und die Koordinationssysteme, die man da sozusagen aufgesetzt hat, die nützen einem natürlich überhaupt nichts und die funktionieren auch nicht, wenn man die nicht am Ende mit Leben füllt, und das heißt eben wirklich dann auch, Geld zu investieren, und das heißt wirklich auch, die Informationen miteinander verpflichtend zu teilen.
    Dagegen haben sich aber eben gerade die Minister, die Regierungen in den vergangenen Jahren immer wieder gewehrt. Sie haben das quasi letztendlich als Mauerveilchen da noch stehen lassen.
    "Terrorismusbekämpfung ist auch Polizeiarbeit"
    Barenberg: Was halten Sie also von den Überlegungen, so etwas ins Leben zu setzen wie einen europäischen Geheimdienst, einen europäischen Nachrichtendienst, wo alle dann in einem Raum zusammensitzen und alle über alle Informationen verfügen?
    Albrecht: Zunächst einmal ist, glaube ich, das ganz Wichtige, dass Terrorabwehr und Terrorismusbekämpfung auch Straftatenbekämpfung ist und Polizeiarbeit ist. Das heißt, das müssen Polizei und Strafverfolgungsbehörden jetzt machen. Die sind es, die jetzt da vorne dran stehen, und die Geheimdienste – da müssen wir doch darüber reden, ob es wirklich so sinnvoll ist, innerhalb der Europäischen Union zum Beispiel Geheimdiensttätigkeit in dem Maße, wie wir das heute haben, zuzulassen, oder ob man dies nicht der Polizei übergeben sollte.
    Und dann kann man darüber reden, dass zum Beispiel zum Zwecke der Auslandsaufklärung, also wenn zum Beispiel Kämpfer in Syrien sind oder im Jemen, dass da dann die Aufklärung endlich besser koordiniert wird. Das haben wir in der Vergangenheit auch versucht im Bereich der Außenpolitik, das hat aber nichts damit zu tun, was hier passiert in Europa.
    Da muss die Polizei gestärkt werden und auch die Justiz. Wir haben gesehen, viele Täter wurden in Gefängnissen radikalisiert. Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit vor Ort. Die Polizeibeamten vor Ort müssen besser ausgestattet werden. Das muss im Fokus stehen.
    "Binnen-Schengen-Grenzen zu kontrollieren, ist gegen die Freiheit, die wir verteidigen"
    Barenberg: Nun fordert Innenminister Thomas de Maizière noch etwas anderes, nämlich ein Ein- und Ausreiseregister, dass jeden vermerkt, der in den Schengen-Raum kommt oder ihn verlässt. Nach US-Vorbild wird das seit 2012 schon überlegt. Unterstützen Sie diesen Plan jetzt?
    Albrecht: Die Ein- und Ausreisebewegungen aller Personen festzuhalten – ich sehe daran nur begrenzt den Sinn, aber ich würde sagen, wenn es dazu beiträgt, dass auffällige Ein- und Ausreisebewegungen an den Schengen-Außengrenzen oder an den Außengrenzen der Europäischen Union schneller nachverfolgt werden und schneller ausgetauscht werden und wir eben eine Debatte darum nicht mehr haben, irgendwelche Binnen-Schengen-Grenzen wieder besser zu kontrollieren, was völlig absurd ist und auch gegen die Freiheit, die wir hier verteidigen, dann hielte ich das für eine sinnvolle Maßnahme.
    Nur, dann geht es wirklich um die Frage, wie genau wird das umgesetzt, und wie viel soll das kosten. Denn die Frage ist auch letztendlich eine Frage finanzieller Ressourcen, die wir haben.
    "Paradigmenwechsel im Fokus der Sicherheitspolitik"
    Barenberg: Das heißt, Sie als grüner Politiker sprechen sich dafür aus, die Mittel eben für solche Unternehmen, für Polizeiarbeit und Geheimdienstarbeit aufzustocken?
    Albrecht: Für Polizeiarbeit aufzustocken. Für Geheimdienste, wie gesagt, halte ich hier nicht für den richtigen Ansatzpunkt, aber ich bin auf jeden Fall dafür, dass wir da mehr Geld in die Hand nehmen, übrigens vor allen Dingen da, wo es um gemeinsame Ermittlungsteams bei Europol geht, wo also lokale Behörden, zum Beispiel aus Molenbeek, aus Dinslaken, aus Kopenhagen, also dort, wo es zum Beispiel solche Szenen gibt, in einem Team zusammenarbeiten können, Übersetzungskapazitäten haben, sich treffen können.
    Das gibt es bisher nur in ganz geringem Maße, einige Hunderttausend Euro. Das müsste deutlich aufgestockt werden, da bräuchten wir schon mehrere Millionen, vielleicht sogar zehn, zwanzig oder sogar mehr Millionen Euro, um genügend solcher Ermittlungsteams europaweit aufzusetzen. Das heißt aber wirklich dann einen Paradigmenwechsel auch im Fokus der Sicherheitspolitik.
    Barenberg: Der Innen- und Justizpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Jan Philipp Albrecht, danke für das Gespräch!
    Albrecht: Herzlich gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.