Daniel Heinrich: Ich spreche nun mit Ralf Fücks, Russland-Kenner und Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Herr Fücks, diese Attacke mitten im Herzen von St. Petersburg, mitten in dieser Millionenmetropole, steht Russland im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus?
Ralf Fücks: Es war, denke ich, schon ein klares politisches Signal. Ich glaube, dass der Zeitpunkt und der Ort nicht zufällig waren. Heute hat sich ja Präsident Putin mit seinem weißrussischen Kollegen Lukaschenko in St. Petersburg getroffen. Das heißt erhöhte Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt. Und dass es trotzdem zu diesem Attentat kam, ist, denke ich, schon eine klare politische Botschaft, dass der militante Islam Russland als Gegner identifiziert hat.
Wenn man nach den politischen Hintergründen fragt, drängen sich zwei Spuren auf. Die eine führt nach Syrien, die andere nach Tschetschenien. Man muss wissen, dass in Syrien tausende von Tschetschenen auf beiden Seiten der Front kämpfen. Es gibt Hilfsgruppen für Präsident Assad, die von dem tschetschenischen Diktator Kadyrow entsandt worden sind, und es gibt islamistische Kämpfer auf Seiten des IS. Das heißt, Russland hat im Grunde ein innenpolitisches Problem mit dem militanten Islamismus, das sich jetzt nicht zum ersten Mal in einem Anschlag äußert. Es hat letzte Woche schon ein Attentat gegeben auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien. Russland muss doch große Sorgen haben vor einer inneren Front mit mehr als zehn Prozent Muslimen in der eigenen Bevölkerung. Die sind traditionell eher gemäßigt, aber da hat sich in den letzten Jahren eine deutliche Radikalisierung entwickelt.
"Zunehmendes Problem mit dem radikalisierten Islam"
Heinrich: War das, Herr Fücks, was da passiert ist, vorhersehbar?
Fücks: Das natürlich nie konkret. Aber man konnte schon voraussagen, dass die russische Intervention in Syrien mit den massiven Bombardierungen auch gegen die Zivilbevölkerung zu Gegenreaktionen führen würde. Ob jetzt tatsächlich der IS hinter diesem Anschlag steckt, das ist noch reine Spekulation, aber sicher ist, dass Russland selbst ein zunehmendes Problem mit dem radikalisierten Islam hat.
Heinrich: Wir denken zurück an Anschläge, Herr Fücks. Mir kommt zum Beispiel in den Sinn der Anschlag in der Moskauer U-Bahn 2010, vielleicht, weil es auch wieder eine Metro war, in der der Anschlag sich ereignet hat. Wie gut sind eigentlich russische Sicherheitskräfte auf solche Attacken vorbereitet?
Fücks: Ich denke, kein Staat der Welt ist wirklich gefeit gegen solche Anschläge. Wir wissen auch noch nicht, ob es sich um einen Selbstmordattentäter gehandelt hat. Die Indizien sprechen im Moment eher dagegen. Aber das Problem ist, glaube ich, eher, dass es in Russland wenig Vertrauen gibt in die Integrität der Sicherheitsbehörden. Selbst wenn Täter präsentiert und verurteilt werden, kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass das tatsächlich eine Aufklärung dieser terroristischen Verbrechen ist, sondern eher eine Art Beruhigung der Öffentlichkeit. Ich glaube, es gibt keine absolute Sicherheit gegen solche Anschläge. Insofern hat Russland da kein besonderes Problem.
"Der russische Staat versucht, Stärke zu demonstrieren"
Heinrich: Sie sagen, es gibt kein Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Wie muss ich mir das vorstellen? Was macht das mit einer Gesellschaft?
Fücks: Ein Anschlag auf eine U-Bahn zielt natürlich schon auf ein zentrales Nervensystem der Gesellschaft. Das zielt darauf ab, Furcht und Schrecken zu verbreiten, Unsicherheit zu verbreiten. Der russische Staat versucht ja, Stärke zu demonstrieren, und solche Anschläge sind auch immer instrumentalisiert worden, um politische Freiheiten weiter einzuschränken unter Berufung auf Sicherheit. Trotzdem: Es gibt ja in Russland keinen Rechtsstaat. Es gibt keine Unabhängigkeit der Justiz, der Ermittlungsbehörden. Insofern ist diese Vertrauenskrise in die Institutionen ein Grundproblem der politischen Verfassung Russlands.
Heinrich: Herr Fücks, Sie haben es schon angesprochen. Wladimir Putin hat sich zum Zeitpunkt des Attentats, dieses Unglücks in St. Petersburg aufgehalten. Was denken Sie, wie wird er jetzt reagieren?
Fücks: In der Vergangenheit hat er ja immer fast brutal reagiert. Es gibt schon ein Zitat von ihm, wir werden die Terroristen bis aufs Klo verfolgen und eliminieren. Das ist diese Sprache der Stärke und der Rache. Aber im Moment ist er noch sehr zurückhaltend. Er war wohl am Tatort, hat dort Blumen hinterlegt, aber es gibt, soweit ich weiß, bisher keine offiziellen Statements. Man muss aber aus den Erfahrungen der Vergangenheit befürchten, dass dieser Anschlag genutzt wird, um unter Berufung auf Antiterrorismus die zivilgesellschaftlichen Freiheiten in Russland noch weiter einzuschränken, die ja sowieso schon extrem eingeengt worden sind über die letzten Jahre.
"Der ethnische russische Nationalismus hat immer stärker zugenommen"
Heinrich: Wenn Sie schon von der Zivilgesellschaft sprechen, Herr Fücks. Wir spekulieren gerade, dass es sich um einen islamistischen Hintergrund handelt. Was für Maßnahmen müssen denn beziehungsweise was für Gegenreaktionen müssen denn Muslime allgemein in Russland befürchten nach solchen Anschlägen?
Fücks: Es hat in der Vergangenheit ja immer einen Generalverdacht gegeben nach solchen Anschlägen auf die muslimische Bevölkerung aus dem Nordkaukasus. Das hat zum Teil zu pogromartigen Übergriffen geführt auf Kaukasier in Moskau und anderen Städten. Das ist eine Gratwanderung für Russland. Russland ist eine multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft und jede Eskalation entlang ethnischer und religiöser Konfliktlinien ist hoch brisant für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft. Insofern denke ich nicht, dass die Regierung und Präsident Putin jetzt diese Karte spielen wird. Das wäre ein höchst gefährlicher Sprengsatz für die Einheit Russlands.
Heinrich: Sie haben vorhin angesprochen, Stärke zeigen ist eines der Zeichen der russischen Regierung. Was tut denn die russische Regierung, um solche Gewaltausbrüche zwischen den verschiedenen Religionen zu verhindern?
Fücks: Offiziell gibt es ja nach wie vor diese Ideologie des multikulturellen und des multireligiösen Russlands. Gleichzeitig hat in den letzten Jahren doch der ethnische russische Nationalismus immer stärker zugenommen und die Rolle der Orthodoxie als Staatskirche. Das ist ein potenzielles Konflikt- und Gewaltpotenzial für die Zukunft Russlands. Ich glaube, dass da die offizielle Politik ambivalent ist, weil dieser russische Nationalismus ist gegenwärtig der Kitt, der die Gesellschaft trotz aller sozialen und ökonomischen Probleme zusammenhält. Dazu gehört auch die Intervention in der Ukraine, die diesen großrussischen Nationalismus noch mal angefacht hat. Das ist aber langfristig auch ein innerrussisches Konfliktpotenzial.
Heinrich: Das sagt der Russland-Kenner und Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks. Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.
Fücks: Gerne.
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