Landsberg erklärte, dass es sich bei den fremdenfeindlichen Übergriffen sicherlich um kein flächendeckendes Problem handele. Aber wie in Tröglitz sei auch in Bayern eine im Bau befindliche Flüchtlingsunterkunft angezündet worden. Auch der Oberbürgermeister von Magdeburg habe persönliche Todesdrohungen erhalten. "Es gibt da schon eine Tendenz, dass das zunimmt", sagte Landsberg. Der Staat dürfe nicht zurückweichen.
Landsberg forderte eine andere Informationspolitik. Um Konflikte zu vermeiden, müssten die Kommunen frühzeitig wissen, wann und welche Flüchtlinge kommen würden, um die Bürger darüber informieren zu können.
Zugleich monierte Landsberg, dass zu selten über eine gelungene Integration von Flüchtlingen berichtet werde. Es sei eine Informationsplattform nötig, um positive Aspekte herauszustellen. Als Beispiel nannte er Asylbewerber, die nach drei Monaten in Deutschland arbeiteten und ihre Familie selbst ernährten. Diese Beispiele gebe es tausendfach.
Das Interview in voller Länge:
Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, mit Gerd Landsberg. Guten Tag, Herr Landsberg!
Gerd Landsberg: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: Ist das eine Erfahrung, die Sie bestätigen können, Herr Landsberg, dass bundesweit die Übergriffe auf geplante Asylunterkünfte zunehmen?
Landsberg: Es ist sicher kein flächendeckendes Phänomen, aber das gibt es. Ich erinnere, dass in Bayern auch eine Unterkunft, die noch nicht fertiggestellt war, angezündet worden ist. Wir wissen auch, dass der Oberbürgermeister von Magdeburg persönliche Todesdrohungen bekommen hat. Also es gibt da schon eine Tendenz, dass das zunimmt, und deswegen glaube ich, dass es richtig ist, hier eine klare Ansage zu machen: Null Toleranz bei Übergriffen auf Flüchtlinge und auch bei der Einschüchterung und Bedrohung von Politikern – da darf der Staat nicht zurückweichen.
"Ganz sicher kein ostdeutsches Phänomen"
Breker: Und diese Fremdenfeindlichkeit, Herr Landsberg, ist aus Ihrer Sicht kein ostdeutsches Phänomen?
Landsberg: Das ist ganz sicher kein ostdeutsches Phänomen. Trotzdem fällt natürlich auf, dass diese Vorgänge sich überwiegend in Ostdeutschland konzentrieren. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Erfahrungen in den letzten, ich nenne das mal, 30, 40 Jahren mit Fremden dort geringer ausgebildet ist als in Westdeutschland.
"Menschen möglichst dezentral unterbringen"
Breker: Für Städte und Kommunen wird es immer schwieriger, Unterkünfte für Flüchtlinge bereitzustellen. Ist das richtig?
Landsberg: Das ist richtig. Das Bundesamt geht ja davon aus, dass wir dieses Jahr 300.000 Asylbewerber haben werden, die Länder sagen teilweise 500.000. Das heißt, das ist eine Riesen-Herausforderung. Und wenn man Konflikte vermeiden will, dann sind zwei Dinge ganz wichtig, erstens: Wir müssen frühzeitig wissen, wer kommt, wo kommt er her, warum kommt er, und wir brauchen Zeit, um das auch mit den Bürgern zu kommunizieren. Und der zweite Aspekt, der ist mindestens genauso wichtig: Wir müssen versuchen, diese Menschen möglichst dezentral unterzubringen. Das ist natürlich bei den großen Zahlen leicht gesagt und schwer gemacht. Deswegen fordern wir als Städte- und Gemeindebund auch: Wir brauchen ein Bauprogramm für Flüchtlingsunterkünfte. Denn eins ist sicher: Ein ganz großer Teil dieser Menschen wird nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können, weil dort alles zerstört ist. Und das ist absehbar.
"Informationsplattform von Bund, Ländern und Kommunen notwendig"
Breker: Sie haben die zentrale beziehungsweise Ihre Präferenz für die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge angesprochen, Herr Landsberg. Das sind doch ungeheure Kosten, die da auf jede einzelne Kommune zukommen.
Landsberg: Das ist richtig, das ist deswegen natürlich eine weitere Forderung: Wir sagen, das ist eine kommunale Aufgabe, diese Menschen unterzubringen, sie zu versorgen, aber es ist keine kommunale Aufgabe, dies zu finanzieren. Da sind Bund und Länder gefordert. Da geht es nicht nur um die Unterkunft, da geht es insbesondere um die gesundheitliche Versorgung. Die Menschen sind teilweise schwer traumatisiert, die brauchen nicht nur mal einen Arzt, sondern eine dauerhafte Behandlung. Und das, meine ich, müssen Bund und Länder gemeinsam finanzieren. Und man muss – das ist vielleicht auch der wichtige Punkt – auch in diesem Zusammenhang das Ganze einbetten in eine vernünftige Kommunikationsstrategie. Wenn ich im Moment so höre, natürlich nicht im Deutschlandfunk, sondern auch in anderen Sendern: Es entsteht der Eindruck, als sind die Menschen gegen Flüchtlinge. Das stimmt einfach nicht. Es gibt so viel Hilfsbereitschaft, und die ganz große Mehrheit tut sogar auch ehrenamtlich viel für diese Menschen, nur das wird halt nicht kommuniziert. Und deswegen bin ich der Ansicht: Wir brauchen eine Informationsplattform von Bund, Ländern und Kommunen, wo wir einerseits Kommunen helfen, die bedrängt werden wie jetzt in Tröglitz, wo wir aber auch die positiven Beispiele zeigen, dass einer nach drei Monaten hier arbeitet, sein Geld selbst verdient und seine Familie ernährt. Das gibt es auch tausendfach, nur darüber wird nicht geschrieben und wenig berichtet.
"Wir brauchen ein europäisches Verteilungssystem"
Breker: Diese Kommunikationsplattform, Herr Landsberg, sie fehlt. Stattdessen, das zumindest der Eindruck von außen, schieben sich Bund, Länder und Kommunen gegenseitig die Verantwortung zu, die Forderung nach Geld wird gegenseitig erhoben. Das fördert nicht gerade die Akzeptanz der Flüchtlinge.
Landsberg: Das ist richtig. Man muss aber andererseits doch auch anerkennen, dass der Bund sich bereits bewegt hat. Der Bund stellt eine Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung. Es gibt eine breite Diskussion zwischen Bund und Ländern, und ich bin auch sicher, diese eine Milliarde wird nicht das letzte Wort sein. Wir sind natürlich auch von den Zahlen ein bisschen überrascht, allein, dass Bund und Länder teilweise 200.000 Personen auseinanderliegen. Man muss sich das auch mal vergegenwärtigen: 300.000 – das ist eine deutsche Großstadt zusätzlich jedes Jahr. Dass das ein enormes Organisations- und Umsetzungsproblem hat, das muss man einfach anerkennen. Und deswegen: Dieses Ping-Pong-Spielen, also wir verweisen natürlich als Kommunen auf Länder und Bund, der Bund auf die Länder, das muss ein Ende haben, und wir brauchen letztlich sicherlich auch eine europäische Lösung. Europa macht sich da aus meiner Sicht viel zu sehr einen schmalen Fuß. Wir brauchen auch ein europäisches Verteilungssystem.
Breker: Europas Flüchtlingspolitik, Sie haben sie angesprochen, ist in der Tat ja sehr verwirrend. Einerseits wird das Mittelmeer zum Massengrab, das lässt man einfach so zu, und man kann wirklich nicht erkennen, wo da eine gemeinsame Linie Europas ist in der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, etwa aus Syrien.
Landsberg: Das ist eine Aufgabe auch der Staats- und Regierungschefs, hier neue Vereinbarungen zu finden. Ich weiß, dass das schwierig ist, weil ja nur die Hälfte der EU-Länder überhaupt Asylbewerber aufnimmt und natürlich auch kein großes Interesse daran haben, die Zahlen dazuzunehmen. Aber das ist eine europäische Herausforderung und die wird auch nicht nächstes und übernächstes Jahr beendet sein. Das muss man angehen, auch, wenn es schwierig, kompliziert, langwierig ist und ganz sicher Geld kostet.
Breker: So wird es zu einen Mosaikbild und irgendwo sind da auch Widersprüche drin. Wenn man also als Kommune von Bund und von den Ländern Geld bekommt und modernisiert dann Asylunterbringungsheime, dann stehen vielleicht in dem gleichen Ort Menschen da, die in heruntergekommenen und sanierungsbedürftigen Wohnungen hausen und sagen sich: Für die hat man Geld, für uns hat man nicht.
Landsberg: Das ist einerseits richtig, andererseits: Diese Neid-Diskussion können Sie natürlich durch Aufklärung auch wirksam bekämpfen. Wenn Sie das Einzelschicksal dieser Menschen, die nur mit ihrem Leben geflohen sind und nach Deutschland kommen, darstellen, dann werden Sie kaum jemanden finden, der sagt: Nein, diesen Menschen will ich nicht helfen. Nur: Diese Einzelschicksale müssen eben vor Ort auch beleuchtet werden, man muss sie auch zu Wort kommen lassen. Das abstrakte Diskutieren über Zuständigkeiten löst jedenfalls nicht diese Bedenken, die es teilweise vor Ort gibt. Aber die persönliche Erfahrung hat da eine ganz andere Wirkung.
Breker: Stattdessen beobachten wir, dass einzelne Gruppen wie AfD, Pegida, teilweise auch CSU-Politiker es sich leicht machen und sich gegen Flüchtlinge profilieren.
Landsberg: Da brauchen wir die Solidarität aller Demokraten und müssen klar sagen: Das ist der falsche Weg. Diese Menschen haben unseren Schutz, aber auch unsere Solidarität verdient, und jeder, der die Geschichte Deutschlands kennt, weiß, dass es uns selber ja genauso gegangen ist. Und dafür muss man halt immer wieder werben und die politische Auseinandersetzung muss man führen.
"Nachhaltige Flüchtlingspolitik ohne Schuldzuweisungen"
Breker: Herr Landsberg, Sie haben zu Beginn des Gesprächs eingeführt, dass also viele Bürger initiativ werden und sich um Flüchtlinge kümmern. Dennoch: Brauchen wir da nicht ein Gesamtkonzept? Und wer wäre für dieses Gesamtkonzept verantwortlich? Wer sollte daran arbeiten, wer sollte es initiieren?
Landsberg: Also ich glaube, dass wir ein abgestimmtes Verfahren, eine quasi Neuordnung der Flüchtlingspolitik zwischen Bund, Ländern und Kommunen vereinbaren sollten, wo einerseits klargestellt ist, wer macht was, aber auch, wer finanziert dauerhaft was. So schön jetzt die von mir genannte Milliarde ist – sie ist für zwei Jahre, das sind also dieses Jahr 500 Millionen und im nächsten Jahr. Nur, ich habe es eingangs ja gesagt: Das Problem wird uns über Jahre beschäftigen. Wir brauchen da eine nachhaltige Flüchtlingspolitik ohne Schuldzuweisung.
Breker: Und ein Gesamtkonzept, also es darf nicht nur Geld sein, es muss auch Ausbildung, ärztliche Versorgung, all dieses sein.
Landsberg: Das gehört zweifellos dazu. Wir haben zum Beispiel auch die Erwartung, dass im Prinzip die Menschen, wenn sie in die Erstaufnahme-Einrichtung kommen, die ja die Länder betreiben, innerhalb der ersten zwei, drei Monate definitiv entschieden wird, bekommt er Asyl, bekommt er nicht Asyl, und wenn er in die Kommune dann kommt, dass er sofort arbeiten kann, auch das ist ganz wichtig, und auch Integrationsmaßnahmen wie Sprachunterricht oder Ähnliches bekommt.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg. Herr Landsberg, ich danke für dieses Gespräch!
Landsberg: Bitte schön, Herr Breker!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.