Es sei "eine grundsätzlich bedenkliche Entwicklung", wenn jemand wegen seiner Gesinnung und der vagen Absicht, eine Straftat zu begehen, bereits belangt werden könne, erklärte Baum. Auch der Bundesgerichtshof habe sich sehr kritisch zur Vorfeldstrafbarkeit geäußert. "Unser Strafrecht geht nicht davon aus, dass die bloße Absicht schon bestraft wird." Er glaube, so Baum, dass die geplanten Gesetze kaum praktisch umgesetzt werden könnten, weil es große Beweisschwierigkeiten geben werde.
Der FDP-Politiker betonte zugleich, der Versuch, angehende Dschihadisten zu stoppen, sei richtig. Aber: "Es wäre viel wichtiger, die Prävention zu stärken." Man müsse untersuchen, warum Menschen in unserer Gesellschaft zu Tätern werden wollten.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Wie kann der Vormarsch des Islamischen Staats in Syrien und im Irak gestoppt werden? Die Vereinigten Staaten, die brachten im Herbst letzten Jahres eine Resolution durch den UNO-Sicherheitsrat. Diese verpflichtet alle Mitgliedsländer, Personen zu bestrafen, die sich in einem Terrorlager haben ausbilden lassen oder die ins Ausland reisen, um sich in ein Terror-Ausbildungslager zu begeben oder sich dem sogenannten Dschihad anzuschließen. Justizminister Heiko Maas von der SPD, er bringt dazu ein entsprechendes Gesetz ein, das aber sehr umstritten ist.
Darüber sprechen wir jetzt mit Gerhart Rudolf Baum von der FDP, ehemaliger Bundesinnenminister. Guten Morgen, Herr Baum!
Gerhart Rudolf Baum: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Kurz zusammengefasst noch mal: Bisher stand es ja unter Strafe, Terroranschläge zu begehen, oder sich in einem Terrorlager ausbilden zu lassen. Jetzt soll bereits die Ausreise beziehungsweise der Versuch der Ausreise bestraft werden können, wenn die Absicht dahinter steht, sich dem Terrorkampf anzuschließen, oder sich in ein Terrorlager zu begeben. Dagegen hegen Sie Bedenken. Weshalb? Was ist so schlimm daran, angehende Dschihadisten zu stoppen?
Baum: Ja. Zunächst einmal ist es richtig, dass man das versucht. Dazu gibt es ja - das ist ja eben schon dargestellt worden - eine Reihe von Straftatbeständen. Anschluss an eine terroristische Vereinigung im Ausland ist strafbar. Es gibt eine Vorfeldstrafbarkeit, Vorbereitung schwerer, staatsgefährdender Gewalttaten, Beschaffung von Finanzmitteln, Besuch terroristischer Ausbildungslager. Das alles ist strafbar. Wenn Sie für eine solche IS-Miliz werben, ist das strafbar, denn dies ist hier verboten. Es gibt eigentlich keine Lücke, es gibt keinen Bedarf. Das was der UNO-Sicherheitsrat gefordert hat, haben wir auf unsere Weise umgesetzt.
Hier ist das Problem - und Herr de Maizière hat das ja angesprochen - die Verlagerung der Strafbarkeit ins Vorfeld. Es fand überhaupt noch keine Tat statt, oder keine konkrete Vorbereitung auf eine Tat. Die Strafbarkeit erfolgt auf die Gesinnung hin. Das heißt, jemand kommt in Haft, wenn man ihm nachzuweisen versucht, dass er die Absicht hat, aber nur eine wage Absicht hat, eine Straftat zu begehen. Und der Bundesgerichtshof hat sich in einem Grundsatzurteil im letzten Jahr sehr kritisch zu dieser Vorfeldstrafbarkeit geäußert und hat gesagt, es muss die Tat mindestens in Umrissen konkretisiert sein, der Täter muss fest entschlossen sein und es wird nicht ein bedingter Vorsatz nur akzeptiert. Also auf die Tat kommt es an und nicht auf die Gesinnung.
"Man ist ja ziemlich hilflos gegenüber denen, die reisen"
Heckmann: Aber, Herr Baum, das würden Heiko Maas und Thomas de Maizière, der Innenminister, sicherlich zurückweisen, dass es hier um Gesinnungsjustiz gehe, sondern ihnen geht es um eine Bestrafung der Tat, nämlich die Tat ist eine Reise ins Ausland, um sich in ein Terrorlager zu begeben, oder sich dem Dschihad anzuschließen.
Baum: Das ist ja bereits strafbar. Dazu brauchen sie kein neues Gesetz. Es geht hier wirklich um die Reise. Man ist ja ziemlich hilflos gegenüber denen, die reisen. Im Grunde wäre es viel wichtiger, die Prävention zu verstärken, also zu verhindern den Einfluss auf einzelne gewaltbereite Täter, dass diese überhaupt abreisen. Es geht nicht um konkrete Vorbereitungen, es geht um die Reise an sich, und das geht zu weit. Im Übrigen gibt es ja auch sinnvolle Reisen. Es gibt Menschen, die sich den Freiheitskämpfern der Kurden anschließen.
Heckmann: Aber glauben Sie denn, Herr Baum, dass Personen, die sich von ihrer Familie verabschieden, oder im Internet bei Facebook beispielsweise posten, ich gehe jetzt in den Dschihad, glauben Sie, dass es sich diese Personen auf dem Weg dorthin anders überlegen?
Baum: Das kann ja durchaus möglich sein. Jedenfalls unser Strafrecht geht nicht davon aus, dass die bloße Absicht schon bestraft wird. Wie viele Leute haben irgendeine Absicht, die sie dann nicht umsetzen. Es muss etwas hinzukommen, und dieses Hinzukommen, auf dies wird nicht abgestellt. Die Strafbarkeit wird weit ins Vorfeld hineingelegt, und das ist eine grundsätzlich bedenkliche Entwicklung.
"Die Beweisschwierigkeiten werden groß sein"
Heckmann: Glauben Sie denn, dass das Gesetz möglicherweise gar keine praktische Anwendung findet bei Prozessen dann, weil das gar nicht nachgewiesen werden kann, eine solche Absicht?
Baum: Ja, das glaube ich natürlich, denn die Beweisschwierigkeiten werden groß sein. Wer macht denn, wenn er wirklich entschlossen ist, solche Angaben, die ihm dann vorgehalten werden können? Sie müssen sich vorstellen, in so einem Falle kommt ein solcher Mensch sofort in Haft. Er wird bestraft. Allein wenn er das äußert, wenn er Absichten äußert, wird er schon bestraft und im Grunde wird er aus dem Verkehr gezogen. Das ist ja wohl die Absicht, die dahinter steht. Die Gefährder aus dem Verkehr ziehen, die Gefährder zu bekämpfen, die da hingehen, das ist ein Riesenproblem. Das sehe ich auch. Aber das können Sie mit dem Strafrecht allein nicht lösen. Herr Schily, dessen Ratschlägen ich sonst selten folge, hat gesagt, das Strafrecht hat hier versagt. Man muss wirklich stärker auf Prävention setzen und man muss untersuchen, warum werden oder wollen Menschen, die in unserer Gesellschaft leben, zu Tätern werden, und man muss ihnen helfen, wenn sie sich losgelöst haben - es gibt ja auch einige hundert Fälle -, wieder in diese Gesellschaft zurückzukehren.
Heckmann: Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum von der FDP, live hier im Deutschlandfunk. Schönen Dank, Herr Baum, und schönen Tag.
Baum: Danke!
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