Die Marmor-Skulptur stammt aus dem 5. Jahrhundert vor Christus - ein athletischer Körper eines jungen Mannes, lebensgroß und auf der Seite liegend - der Kopf fehlt. Es handelt sich um den Flussgott Ilissos.
"Ilissos war der Fluss bei Athen, wo nach Angaben Platons Sokrates und Phaidros über den Wert der Schönheit und die Moral der Liebe diskutierten. Es ist nicht bloß eine Figur, sondern ein Symbol für Philosophie", erläutert Neil MacGregor, Direktor des Britischen Museums, als er sich telefonisch bei der BBC aus Sankt Petersburg meldet.
In einer bis zuletzt geheim gehaltenen Mission wurde Ilissos von London nach Russland geflogen. Ein Politikum, nicht nur weil die Briten damit erstmals überhaupt ein Teil der sogenannten Elgin-Marbles ausleihen, die vom Parthenon-Tempel der Akropolis in Athen stammen und von Griechenland zurückgefordert werden.
"Es ist ein sehr großer Moment, denn zum ersten Mal überhaupt kann das russische Volk diesen großartigen Ausdruck europäischer Kunst und Gedankenwelt bewundern."
Anlass für die Leihgabe ist der 250. Geburtstag der Petersburger Ermitage, wo der Flussgott bis Mitte Januar gezeigt wird - trotz der gegenwärtigen politischen Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Das British Museum sei nur fünf Jahre älter als die Eremitage, beides frühe Museen der europäischen Aufklärung und gewissermaßen Zwillinge, sagt Neil MacGregor und "beide Institutionen seien überzeugt, dass man gerade in solchen Momenten im Gespräch bleiben müsse".
Ilissos stammt vom Westgiebel des Parthenon, des Haupttempels der Akropolis. Die Skulptur wurde zusammen mit Dutzenden anderen Marmorfiguren während der türkischen Besatzung Anfang des 19. Jahrhunderts vom britischen Diplomaten Lord Elgin aus dem Tempel entfernt, zum Teil herausgebrochen und nach Großbritannien geschafft. Alles sei rechtens bekräftigen britische Regierungen bis heute und der Museumsdirektor sagte vor zwölf Jahren: "Die Parthenon-Marbles sind im Britischen Museum am für sie bestmöglichen Platz. Sie müssen hier bleiben, wenn das Museum sein Ziel weiter erreichen soll: der Welt die Welt zu zeigen."
Doch die Rechtmäßigkeit des britischen Besitzes wird von Griechenland bestritten. Athen verlangt seit Jahrzehnten ihre Rückgabe und hat inzwischen ein Museum gegenüber der Akropolis gebaut, wo die Originalstücke irgendwann die dortigen Kopien ersetzen sollen.
Das fordern auch viele britische Initiativen oder internationale Prominente wie George Clooney, in dessen Film Monuments Men es um die Rettung und Rückgabe von Nazi-Beutekunst geht.
"Sogar in England zeigen die Umfragen, dass eine Mehrheit für Rückgabe der Parthenon Marbles ist. Es geht darum, ein auseinandergerissenes Kunstwerk wieder zusammen zu fügen. Ich weiß, dass gestern einer gesagt hat, der ist Amerikaner, er versteht das nicht, wahrscheinlich hat er recht- ich bin nicht sehr klug."
Inzwischen hat sich die griechische Regierung für ihre Rückgabeklage den Beistand von internationalen Menschenrechtsanwälten gesichert und darunter ist auch die britisch-libanesische Juristin Amal Clooney, seit Kurzem Ehefrau des US-Schauspielers. Sie erklärte bei einer Pressekonferenz vor wenigen Wochen in Athen: "Ein Reiter hat seinen Kopf in Athen und seinen Körper in London. Der Torso von Poseidon ist aufgeteilt zwischen Griechenland und dem UK. Niemand kann die vereinten Marbles an dem Platz würdigen, woher sie stammen, an dem Monument, das die griechische Antike und die Geburtsstätte unserer modernen Zivilisation repräsentiert."
Doch ein Einlenken der Briten ist nicht in Sicht und für Griechenland dürfte die jetzige Leihgabe an Russland durchaus eine Provokation sein. Das aber sieht Museumsdirektor Neil MacGregor anders.
"Ich hoffe dass die griechische Regierung erfreut sein wird, weil nun ein begeistertes neues Publikum in den Genuss der Zeugnisse des antiken Griechenland kommt, das niemals Athen oder London besuchen konnte und nun hier in Russland die großen Errungenschaften begreift."
Natürlich sei das Britische Museum als großzügiger Leihgeber auch bereit, die Elgin Marbles Athen zur Verfügung zu stellen; doch bislang weigere sich Griechenland, eine Garantie für die sichere Rückkehr nach London abzugeben.