"Die Jüdinnen und Juden und manchmal auch Israel irgendeines Verbrechens zu überführen, das man dann mit den nationalsozialistischen Verbrechen häufig gleichsetzt, ist offensichtlich eine Entlastung für die nationale Seele in der Bundesrepublik."
Meint Dr. Peter Ullrich vom Institut für Protestforschung der TU-Berlin. Das Verhältnis zum Staat Israel und der jüdischen Gemeinschaft spiele für das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Rolle. Dabei stehe entweder die Vereinnahmung der Opfer im Vordergrund, oder aber man versuche im Gegenteil, Verantwortung zu relativieren, den Holocaust zu verharmlosen, oder antijüdische Klischees politisch zu instrumentalisieren.
"Jemand skandalisiert die Erschießung eines palästinensischen Kindes durch einen israelischen Soldaten: Das kann die pure Beschreibung eines bloßen Fakts sein, das kann die Skandalisierung eines politisch klar abgelehnten Aktes sein, das kann explizit aufgegriffen werden, um damit zu belegen, dass der alte Mythos des jüdischen Kindermords sich heute doch wieder bewahrheitet."
Peter Ullrich spricht von der "Grauzone" zwischen Israelkritik und Antisemitismus, zwischen der Bewertung eines politischen Konflikts und einer tradiert-antisemitisch, irregeleiteten Welterklärung. Judenfeindlichkeit sei dabei kein individuelles, sondern ein soziales Phänomen, das sich über Redensarten und kollektiv eingebrannte Bilder transportiere. Antisemiten hätten nach dem Holocaust zwar neue Strategien der Rechtfertigung entwickelt, so Peter Ullrich. Die Vorstellung eines "neuen" Antisemitismus lehnt er dennoch ab.
"Es wird gesagt, der neue Antisemitismus, das seien die Globalisierungskritiker oder die Linken oder die muslimische Bevölkerung. Aber das ist letztendlich eine neue Wahrnehmung eines alten Konflikts. Antisemitismus gab es in der Linken in den 50er Jahren im Stalinismus, in den 70er Jahren teilweise im Antizionismus und in den 80er Jahren. Die Charta der Hamas ist, seitdem sie geschrieben wurde, ein durch und durch antisemitisches Pamphlet, und das ist nicht erst nach den Anschlägen des 11. Septembers aufgekommen."
Dr. Brian Klug, Professor für Philosophie an der Universität Oxford, sieht dagegen zwar durchaus Anzeichen eines "neuen" Antisemitismus. Dieser müsse allerdings gegenüber einer objektiven Kritik am Staat Israel abgegrenzt werden.
"Der neue Antisemitismus wendet judenfeindliche Klischees gegen Israel oder den Zionismus. Ich denke, dass diese Ablehnung dann antisemitisch wird, wenn ein antijüdisches Vorurteil auf Israel projiziert wird, weil Israel ein jüdischer Staat ist, oder auf den Zionismus, weil er eine jüdische Bewegung ist. Aber vieles der Israelkritik hat damit nichts zu tun."
Klug sorgt seit geraumer Zeit mit kritischen Positionen gegenüber dem Staat Israel für teils erbittert geführte Auseinandersetzungen innerhalb der Antisemitismusforschung.
Das Simon-Wiesenthal-Center bezichtigt den Oxfordprofessor anlässlich seines Auftritts im Jüdischen Museum Berlin in einem offenen Brief an Angela Merkel gar der Judenfeindlichkeit und der anti-israelischen Propaganda. In seinem Vortrag betonte Klug, dass Antisemitismus, aber eben auch die betonte Judenfreundlichkeit die falsche Vorstellung eines einheitlichen Judentums voraussetze.
"Ich denke, beide gehören in der Hinsicht zusammen, dass im Zentrum sowohl des Antisemitismus als auch der Judenfreundlichkeit ein vorgefertigtes Bild steht, was es heißt, jüdisch zu sein. Sobald jemand bemerkt, dass ich Jude bin, bin ich keine reale Person mehr. Ich werde größer als das Leben. Ich spiele als Jude dann eine Rolle in einer bestimmten Weltanschauung."
Der Antisemitismus, so war auf der Konferenz in Berlin wiederholt zu erfahren, ist nicht nur ein wissenschaftlich höchst umstrittenes Phänomen. Antijüdische Vorurteile spielen auch im politischen und gesellschaftlichen Leben heutiger EU-Staaten eine teils versteckte, teils offene Rolle. Prof. Dr. András Kovács, Direktor des Instituts für Jüdische Studien an der Europäischen Universität in Budapest, beschäftigt sich mit antisemitischen Tendenzen in Ungarn nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes. Unter dem Einheitszwang der Sowjet-Herrschaft, so Kovács, sei die Thematisierung von Judentum und Antisemitismus tabuisiert und anti-jüdische Klischee so "eingefroren" worden. Nach 1989 habe die nationalistische Bewegung in Ungarn dann begonnen, neue Legitimationsstrategien für antisemitische Einstellungen zu suchen.
"Dieser neue Legitimationsdiskurs versucht die Ressentiments gegenüber den Juden so darzustellen, als ob sie keine Vorurteile sind, sondern Reaktionen auf einen wirklich existierenden Gruppenkonflikt. Dieser Gruppenkonflikt ist, dass die Juden auf die Verfolgungen mit solchen Gruppenstrategien reagierten, die den Interessen der nicht-jüdischen Ungarn gegenüberstehen. Zum Beispiel waren deshalb viele Juden unter den Führern des kommunistischen Systems, und deshalb suchen die Juden jetzt Schutz in den Vereinigten Staaten."
Gerade für Wahlperioden weist Kovács in Ungarn steigende antisemitische Einstellungen auch in gemäßigten Kreisen in Politik und Gesellschaft nach. Ähnliche Mechanismen zeigte auf der Konferenz in Berlin der Historiker Dr. Henrik Bachner für die oft als besonders tolerant geltende schwedische Gesellschaft auf. Nicht nur radikale Islamisten agitierten in Schweden auf Websites und in einschlägigen Medien offen gegen eine "jüdische Weltverschwörung". Bachners Studien belegen zudem, dass die Vorstellung, die jüdische Gemeinschaft übe zu viel Einfluss auf das wirtschaftliche Leben und die Medienlandschaft in Schweden aus, längst den gesellschaftlichen Mainstream erreicht hat. Der heutige Antisemitismus, so kann eine Bilanz der Berliner Konferenz lauten, nutzt einerseits tradierte antijüdische Klischees als Werkzeug neuer nationalistischer aber auch radikalmuslimischer Bewegungen. Dabei ist andererseits zu beobachten, dass auch in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften kollektiv eingebrannte Bilder über "die Juden" im Rahmen diverser politischer und gesellschaftlicher Konflikte mehr oder weniger subtil fortbestehen.
Meint Dr. Peter Ullrich vom Institut für Protestforschung der TU-Berlin. Das Verhältnis zum Staat Israel und der jüdischen Gemeinschaft spiele für das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Rolle. Dabei stehe entweder die Vereinnahmung der Opfer im Vordergrund, oder aber man versuche im Gegenteil, Verantwortung zu relativieren, den Holocaust zu verharmlosen, oder antijüdische Klischees politisch zu instrumentalisieren.
"Jemand skandalisiert die Erschießung eines palästinensischen Kindes durch einen israelischen Soldaten: Das kann die pure Beschreibung eines bloßen Fakts sein, das kann die Skandalisierung eines politisch klar abgelehnten Aktes sein, das kann explizit aufgegriffen werden, um damit zu belegen, dass der alte Mythos des jüdischen Kindermords sich heute doch wieder bewahrheitet."
Peter Ullrich spricht von der "Grauzone" zwischen Israelkritik und Antisemitismus, zwischen der Bewertung eines politischen Konflikts und einer tradiert-antisemitisch, irregeleiteten Welterklärung. Judenfeindlichkeit sei dabei kein individuelles, sondern ein soziales Phänomen, das sich über Redensarten und kollektiv eingebrannte Bilder transportiere. Antisemiten hätten nach dem Holocaust zwar neue Strategien der Rechtfertigung entwickelt, so Peter Ullrich. Die Vorstellung eines "neuen" Antisemitismus lehnt er dennoch ab.
"Es wird gesagt, der neue Antisemitismus, das seien die Globalisierungskritiker oder die Linken oder die muslimische Bevölkerung. Aber das ist letztendlich eine neue Wahrnehmung eines alten Konflikts. Antisemitismus gab es in der Linken in den 50er Jahren im Stalinismus, in den 70er Jahren teilweise im Antizionismus und in den 80er Jahren. Die Charta der Hamas ist, seitdem sie geschrieben wurde, ein durch und durch antisemitisches Pamphlet, und das ist nicht erst nach den Anschlägen des 11. Septembers aufgekommen."
Dr. Brian Klug, Professor für Philosophie an der Universität Oxford, sieht dagegen zwar durchaus Anzeichen eines "neuen" Antisemitismus. Dieser müsse allerdings gegenüber einer objektiven Kritik am Staat Israel abgegrenzt werden.
"Der neue Antisemitismus wendet judenfeindliche Klischees gegen Israel oder den Zionismus. Ich denke, dass diese Ablehnung dann antisemitisch wird, wenn ein antijüdisches Vorurteil auf Israel projiziert wird, weil Israel ein jüdischer Staat ist, oder auf den Zionismus, weil er eine jüdische Bewegung ist. Aber vieles der Israelkritik hat damit nichts zu tun."
Klug sorgt seit geraumer Zeit mit kritischen Positionen gegenüber dem Staat Israel für teils erbittert geführte Auseinandersetzungen innerhalb der Antisemitismusforschung.
Das Simon-Wiesenthal-Center bezichtigt den Oxfordprofessor anlässlich seines Auftritts im Jüdischen Museum Berlin in einem offenen Brief an Angela Merkel gar der Judenfeindlichkeit und der anti-israelischen Propaganda. In seinem Vortrag betonte Klug, dass Antisemitismus, aber eben auch die betonte Judenfreundlichkeit die falsche Vorstellung eines einheitlichen Judentums voraussetze.
"Ich denke, beide gehören in der Hinsicht zusammen, dass im Zentrum sowohl des Antisemitismus als auch der Judenfreundlichkeit ein vorgefertigtes Bild steht, was es heißt, jüdisch zu sein. Sobald jemand bemerkt, dass ich Jude bin, bin ich keine reale Person mehr. Ich werde größer als das Leben. Ich spiele als Jude dann eine Rolle in einer bestimmten Weltanschauung."
Der Antisemitismus, so war auf der Konferenz in Berlin wiederholt zu erfahren, ist nicht nur ein wissenschaftlich höchst umstrittenes Phänomen. Antijüdische Vorurteile spielen auch im politischen und gesellschaftlichen Leben heutiger EU-Staaten eine teils versteckte, teils offene Rolle. Prof. Dr. András Kovács, Direktor des Instituts für Jüdische Studien an der Europäischen Universität in Budapest, beschäftigt sich mit antisemitischen Tendenzen in Ungarn nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes. Unter dem Einheitszwang der Sowjet-Herrschaft, so Kovács, sei die Thematisierung von Judentum und Antisemitismus tabuisiert und anti-jüdische Klischee so "eingefroren" worden. Nach 1989 habe die nationalistische Bewegung in Ungarn dann begonnen, neue Legitimationsstrategien für antisemitische Einstellungen zu suchen.
"Dieser neue Legitimationsdiskurs versucht die Ressentiments gegenüber den Juden so darzustellen, als ob sie keine Vorurteile sind, sondern Reaktionen auf einen wirklich existierenden Gruppenkonflikt. Dieser Gruppenkonflikt ist, dass die Juden auf die Verfolgungen mit solchen Gruppenstrategien reagierten, die den Interessen der nicht-jüdischen Ungarn gegenüberstehen. Zum Beispiel waren deshalb viele Juden unter den Führern des kommunistischen Systems, und deshalb suchen die Juden jetzt Schutz in den Vereinigten Staaten."
Gerade für Wahlperioden weist Kovács in Ungarn steigende antisemitische Einstellungen auch in gemäßigten Kreisen in Politik und Gesellschaft nach. Ähnliche Mechanismen zeigte auf der Konferenz in Berlin der Historiker Dr. Henrik Bachner für die oft als besonders tolerant geltende schwedische Gesellschaft auf. Nicht nur radikale Islamisten agitierten in Schweden auf Websites und in einschlägigen Medien offen gegen eine "jüdische Weltverschwörung". Bachners Studien belegen zudem, dass die Vorstellung, die jüdische Gemeinschaft übe zu viel Einfluss auf das wirtschaftliche Leben und die Medienlandschaft in Schweden aus, längst den gesellschaftlichen Mainstream erreicht hat. Der heutige Antisemitismus, so kann eine Bilanz der Berliner Konferenz lauten, nutzt einerseits tradierte antijüdische Klischees als Werkzeug neuer nationalistischer aber auch radikalmuslimischer Bewegungen. Dabei ist andererseits zu beobachten, dass auch in vermeintlich aufgeklärten Gesellschaften kollektiv eingebrannte Bilder über "die Juden" im Rahmen diverser politischer und gesellschaftlicher Konflikte mehr oder weniger subtil fortbestehen.