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Antiziganismus
"Das ist ein Gesamtproblem des Fußballs"

Rassismus, Antisemitismus, Homophobie: Diese Diskriminierungsformen werden im Sport inzwischen ausführlich diskutiert und mitunter sanktioniert. Bei der Stigmatisierung von Menschen zu "Zigeunern" ist das Gegenteil der Fall. Eine Ausstellung in Berlin möchte den Klischees nun konkrete Biografien entgegen stellen.

Von Ronny Blaschke |
    Zigeuner steht auf einer Hinweistafel am Mahnmal, während durch de Glassscheibe die Bäume zu sehen sind.
    Diskriminierung von Sinti und Roma - Hinweistafel an einem Mahnmal (imago/Florian Schuh)
    Eine Erinnerung an 2015. Darmstadt 98 feiert im Stadtzentrum den Aufstieg in die Bundesliga. Plötzlich stimmen Spieler einen Gesang an und viele Fans schließen sich an "Schuster, du Zigeuner". Eine ironisch gemeinte Respektsbekundung gegenüber Trainer Dirk Schuster. Doch was scheinbar niemand weiß: Viele Sinti und Roma verbinden die rassistische Fremdbezeichnung "Zigeuner" mit dem Holocaust: 500.000 Menschen aus ihrer Minderheit wurden von den Nazis ermordet.
    "Es gab keine öffentliche Thematisierung oder Entschuldigung von Darmstadt 98. Sehr wohl intern, aber nicht öffentlich. Und das zeigt, glaube ich, eine sehr geringe Wahrnehmung für das Thema Antiziganismus."
    Pavel Brunßen, langjähriger Chefredakteur des Fan-Magazins "Transparent" und Forscher zu Diskriminierung im Fußball.
    "Also Fans, die antiziganistische Gesänge singen, wie zum Beispiel ,Zick, zack, Zigeunerpack’. Oder ein Spieler, der dann als Zigeuner bezeichnet wird. Also wir haben diesen sehr schwer historisch belasteten Begriff, mit Stereotypen aufgeladenen Begriff, der da immer mitschwingt im Stadion und relativ einfach gerufen werden kann, in diesem Massenevent. Wir haben Transparente, Banner, wir haben Kommentare, Zwischenrufe. Also es ist nicht nur ein Problem der Fankurve, sondern wir haben das in den VIP-Logen, in den Umkleidekabinen. Das ist ein Gesamtproblems des Fußballs."
    "Abseits im eigenen Land"
    Seit der Osterweiterung der Europäischen Union stellen Sinti und Roma die größte Minderheit des Kontinents, mit rund zehn Millionen Menschen. Fast dreißig Prozent der Deutschen stimmten in einer Studie der Aussage zu, man müsse Sinti und Roma aus den Innenstädten verbannen. Über Jahrhunderte gewachsene Vorurteile führen dazu, dass sich auch im Sport kaum Prominente zur Minderheit bekennen. "Abseits im eigenen Land", so überschreibt daher der Sportpädagoge Andrzej Bojarski seine neue Wanderausstellung über Sinti- und Roma-Sportler.
    "Ich möchte bewirken, dass sich die deutsche Sportgeschichte mit diesem Thema beschäftigt. Ich möchte, dass das eine kleine Initialzündung wird, und dass aus dieser Ausstellung etwas erwächst, in Form von Vorträgen oder Filmen. Den Jugendlichen aus der Minderheit wollte ich das Selbstvertrauen wieder geben. Aber ich hätte gern auch ganz normale Amateursportler interviewt. Aber die haben mir gesagt, sie möchten das nicht."
    Andrzej Bojarski ist Rektor einer Schule im niedersächsischen Nienburg. Dort traf er junge Sinti und Roma, die ihr Selbstvertrauen durch Sport stärken. Bojarski besuchte Archive, las Bücher, schaute Filme. Er wollte sich nicht an Spekulationen über vermeintliche prominente Mitglieder der Minderheit beteiligen. Er interviewte ehemalige Profisportler, die sich zu ihren Sinti-Wurzeln bekennen. Zum Beispiel den Fußballer Walter Laubinger, der mit dem Hamburger SV 1987 Pokalsieger wurde.
    "Am Beispiel von Laubinger: bei den Trainingseinheiten vom HSV standen mehrere Familienmitglieder dabei. Und das hat ein Stereotyp bedient: Die Großfamilie gehört immer dazu. Was überhaupt nicht stimmt, sondern es gibt auch Sinti-Sportler, die auf sich allein gestellt sind. Also er ist auch öfter zum Training zu spät gekommen, er war auch gerne in der Diskothek. Das hat die Presse aufgegriffen. Laubinger, der Breakdancer, der Tänzer. Solche Überschriften, solche Schlagzeilen wurden natürlich aufgeblasen und gern von den Medien genommen. Und diese Stereotypen, der tanzende, singende Zigeuner wurden indirekt damit bestätigt."
    Diskriminierung stand Karriere oft im Weg
    In seiner Ausstellung beschreibt Andrzej Bojarski, wie Diskriminierungen immer wieder der ganz großen Karriere im Weg standen. Am deutlichsten hat das wohl Oswald Marschall zu spüren bekommen. Als Boxer im Weltergewicht war er von Sieg zu Sieg geeilt. Und so hoffte Marschall auf die Teilnahme an Olympia 1976. Er wäre der erste deutsche Sinto bei Olympia gewesen, aber der Boxverband machte vor der Qualifikation klar: Marschall werde auf keinen Fall nominiert. Daraufhin beendete er seine Karriere.
    "Ich habe geweint nachts im Bett, ich war fix und fertig. Sie haben mir die Chance nicht gegeben. Muss man sich mal vorstellen: ich war 22, eigentlich fing meine gute Zeit erst an. Es hat nie jemand versucht, mich zurückzuholen, auch Trainerkollegen nicht. Ich bin auf Box-Veranstaltungen gegangen, da haben sie mich kaum gegrüßt."
    Die Eltern von Oswald Marschall waren im Dritten Reich als "Zigeuner" ausgegrenzt worden. Sie hatten Schulverbot erhalten, mussten Zwangsarbeit leisten.
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    Trainer und Vorsitzender des Boxclubs Minden Oswald Marschall (Ronny Blaschke)
    "Meine Eltern konnten mir schon ab der zweiten, dritten Klasse nichts mehr beibringen. Wir konnten auch keinen Nachhilfeunterricht bekommen, dafür hat das Geld nicht gereicht. Ich kann mich noch gut entsinnen, als ich sechs, sieben Jahre alt war. Mein Vater ist mit dem Auto gefahren und dann: Oh, die Polizei, dann haben wir uns alle geduckt. Ja, warum, wir haben doch gar nichts gemacht. Aber wenn ich heute sehe: ich war in der Universität in Bielefeld. Ich habe das da gesehen, ich habe Gänsehaut bekommen. Da hätte man auch sein können. Aber ich hatte die Chance nicht dazu."
    Als Trainer und Vorsitzender des Boxclubs Minden hat Oswald Marschall etliche Integrationsprojekte angestoßen. Er gehört zu den einflussreichsten Vertretern im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und sprach auch bei der Ausstellungseröffnung von Andrzej Bojarski. Immer wieder erzählt er jungen Fußballfans von seinem Leben. Damit diese wissen, dass der Begriff "Zigeuner" nie lustig gemeint sein kann.
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