Archiv

Anton Kannemeyers Graphic Novel "Papa in Afrika"
Ein Buch, das unter die Haut geht

Anton Kannemeyer ist Illustrator, Comiczeichner und Mitbegründer des einzigen südafrikanischen Comicmagazins "Bitterkomix". Dieser Titel ist Programm. Kannemeyer, der oft unter dem Pseudonym "Joe Dog" veröffentlicht, macht es seinen Lesern nicht leicht. Mit seinen Bildern kommentiert er das politische und gesellschaftliche Geschehen nach dem Ende der Apartheid und provoziert dabei gern mit Stereotypen und Klischees. Nun erscheint mit "Papa in Afrika" zum ersten Mal eine Auswahl seiner Arbeiten in deutscher Sprache: eine seltene Gelegenheit, hierzulande Comics aus Südafrika kennenzulernen.

Von Tabea Soergel |
    "Ich denke, also bin ich gefährlich."
    Mit diesem Satz beginnt Anton Kannemeyers Comicband "Papa in Afrika". Dazu sieht man das stereotype Bild einer fröhlichen Eingeborenen, die den abgetrennten Kopf eines Weißen auf einem Teller hält. Damit ist bereits der Ton des gesamten Buchs angeschlagen, das von Südafrika nach dem Ende der Apartheid erzählt: Im ersten Moment schmunzelt man vielleicht noch. Doch auf den zweiten Blick vergeht einem das Lachen angesichts der schmerzlichen Diskrepanz zwischen vertraut-naiver Bildsprache und den scharfsinnigen, zum Teil bitterbösen Texten Kannemeyers. Da gibt es zwei naturalistische Einzelbilder. Auf dem einen ist ein schwarzes Hausmädchen zu sehen, das grinsend mit Staubwedel in einem teuer eingerichteten Wohnzimmer posiert. Auf dem anderen mäht ein schwarzer Gärtner den Rasen vor einem schmucken Bungalow. Die Unterzeile beider Bilder lautet:
    "Wie könnte jemand unglücklich sein, der in so einem prächtigen Heim lebt?"
    Es lässt sich nur spekulieren, ob Anton Kannemeyer selbst möglicherweise in einem ähnlich prächtigen Heim aufgewachsen ist. Als Sohn weißer, Afrikaans sprechender Südafrikaner ist er 1967 in Kapstadt geboren, von der Apartheid also ebenso geprägt wie von der Zeit nach deren Ende. "Papa in Afrika" versammelt eine Auswahl seiner Werke: Comics, Karikaturen und Gemälde, von der Frühzeit seines Schaffens Anfang der 1990er-Jahre bis in die Gegenwart. Es sind die hartnäckigen Vorurteile und Ängste der weißen Bevölkerung, die ihn in seiner Arbeit von Beginn an umgetrieben haben - denn sie scheint er für eine der Wurzeln der anhaltenden Unterdrückung schwarzer Südafrikaner zu halten. Dem begegnet er in seinen Arbeiten einerseits mit grotesker Überspitzung. Auf der anderen Seite gibt es Comicstrips, die ganz sachlich daherkommen. In ihnen schildert Kannemeyer die Abgründe der weißen Mittelschicht wie häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch. Da reicht manchmal ein einziger Satz, um das Grauen zu umreißen.
    "Sonny ist mit dem Ablauf vertraut: Erst kratzt er Papi den Rücken und dann wird geschlafen."
    Kannemeyers satirische Arbeiten sind häufig eine Mischung aus realistischer und plump-stilisierter Darstellungsweise. Die fratzenhaften schwarzen Gestalten, denen er manchmal ebenso stereotype, manchmal realistische weiße Figuren zur Seite stellt, erkennt man unangenehm berührt als die Buschmänner und Wilden aus den Comicbüchern der eigenen Kindheit wieder, doch fehlt ihnen in diesem Kontext jede vermeintliche Unschuld; hier sind sie das verdichtete Klischee vom schwarzen Mann. Stilistisch orientiert sich Kannemeyer an der "Ligne claire", der klaren Linie von Hergé, dem Erfinder von "Tim und Struppi". Deren Abenteuer im Kongo gelten heute als Paradebeispiel für rassistische Tendenzen im Comic. Einige von Kannemeyers Strips sind zynische Fortschreibungen ihrer Abenteuer.
    Kannemeyer schont niemanden
    Derlei Anleihen sind ein subtiles und sehr effektvolles Mittel, um die Einflüsse eines kolonialistischen Weltbilds auf die herrschende Mentalität offenzulegen; Substanzielles hat sich in Kannemeyers Augen in all den Jahren nicht geändert. Mit kühlem Blick, aus dem oftmals eine glühende Wut spricht, betrachtet er die bigotte weiße Gesellschaft, welche die Apartheidsstrukturen überwunden glaubt, nur um bei der erstbesten Gelegenheit doch wieder in alte Denkmuster zurückzufallen. Eine der bemerkenswertesten Geschichten, die dieser Band versammelt, handelt vom Überfall auf eine augenscheinlich liberale weiße Frau. Bevor sie morgens zu einer Joggingrunde aufbricht, sieht man sie ihrem - selbstverständlich schwarzen - Angestellten Kleider für dessen Sohn schenken. Im Park begegnet ihr ein Fremder. Ein Schwarzer.
    "'Ungefähr 500 Meter hinter dem Eingang zum Kirstenbosch-Park sah ich einen Mann den Pfad herabkommen. Er war um die 30, gut gekleidet und freundlich.' (...) 'Aber er griff nach meinem Arm, riss mich herum und fing an, mir in die Brust zu schlagen.' (...) 'Dann begann er mich zu würgen. Ich würde sterben und dabei hatte ich meine Kinder seit dem Elternabend am Vortag nicht mehr gesehen."
    Die Frau kann sich mithilfe einiger schwarzer Arbeiter retten. Auf dem Polizeipräsidium wird ein Phantombild ihres Peinigers angefertigt. "Oh, ja... Das ist er, definitiv...", bestätigt sie. Das letzte Panel zeigt dieses definitive Phantombild: eine Karikatur des "bösen Schwarzen an sich". Auf oberflächliche Political Correctness verzichtet Kannemeyer in seinen oft drastischen Comics. Er setzt auf methodische Provokation. In seiner Heimat wird ihm deshalb immer wieder Rassismus vorgeworfen. Diese Anschuldigung ist allerdings unhaltbar: Kannemeyer entlarvt Klischees, indem er sich ihrer parodistisch bedient, sowohl auf ästhetischer als auch auf inhaltlicher Ebene. Seine Bilder sind dadurch vielschichtig und widersprüchlich, unbequem und anspruchsvoll. Zugegeben, man muss sie richtig lesen – lesen können –, denn eine Lösung, geschweige denn Erlösung, bietet der Autor nicht. Er lässt den Leser allein mit den eigenen latenten Ängsten und Vorurteilen. Und er konfrontiert ihn mit dessen scheinheiliger Toleranz. Auf einem Bild sieht man vier zähnefletschende Schwarze, die ein weißes Ehepaar in ihrer Gewalt haben. Die Frau ruft in Todesangst:
    "Tu doch was, Harald, diese historisch benachteiligten Männer wollen mich vergewaltigen!"
    Anton Kannemeyer schont in seinen Comics niemanden, auch nicht die schwarzen Profiteure des zutiefst ungerechten südafrikanischen Gesellschaftssystems. Er maßt sich dabei jedoch niemals an, für seine farbigen oder schwarzen Landsleute zu sprechen; seine Perspektive ist unabänderlich die des qua Geburt privilegierten Weißen. Mit seiner Kritik meint er also immer auch sich selbst. Sein Buch ist trotz seiner Vielgestaltigkeit keine heterogene Sammlung, sondern vielmehr ein kleinteiliger, aber kohärenter Korpus. Dem Publikum bringt "Papa in Afrika" die Situation im heutigen Südafrika auf nicht eben erfreuliche oder versöhnliche, aber umso aufrichtigere, wahrhaftigere Weise nahe. Ein Buch, das unter die Haut geht.
    Anton Kannemeyer: Papa in Afrika. Avant-Verlag, 64 Seiten, 19,95 Euro.