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Arbeitnehmervertretungen
"Es wird rauer in den Betrieben"

Die Vertretung der Belegschaften durch Betriebsräte gehe stetig zurück, sagte der Soziologe Martin Behrens im Dlf. Ein Grund seien kompromisslose Unternehmer. "In einigen Ausnahmefällen lösen Arbeitgeber sogar lieber einen Betrieb auf, als die Gründung eines Betriebsrates zu akzeptieren."

Martin Behrens im Gespräch mit Jessica Sturmberg |
    Nach Einbruch der Dunkelheit noch sitzt am Dienstagabend (23.01.2007) ein Angestellter in seinem Büro am Schreibtisch (Mit Zoomeffekt fotografiert).
    "Personalmangel, Leistungsdruck, Gesundheitsprobleme und Arbeitsschutz oder Arbeitsverdichtung": Das seien die Themen, die fast alle Betriebsräte umtreiben, sagt Martin Behrens (picture-alliance/ dpa / Frank Rumpenhorst)
    Jessica Sturmberg: Seit 1. März und bis zum 31. Mai finden in den Unternehmen in Deutschland die Betriebsratswahlen statt. Die sind nur alle vier Jahre und ein ganz wichtiger Bestandteil demokratischer Teilhabe in Unternehmen. Zuletzt wurde darüber im Kontext von rechten Listen gesprochen, also Kandidaten, die von rechtem Gedankengut getragen sind.
    Betriebsräte im Rückzug
    Die Anforderungen an Betriebsräte sind keine geringen, um nicht zu sagen, sie steigen. Es gibt viele Menschen, die sich überfordert fühlen, steigende Belastungen und auch Zukunftssorgen, es gibt Unternehmen, die systematisch Betriebsräte verhindern, mancherorts gibt es aber wiederum auch das Gefühl, dass Betriebsräte Teil des Managements sind. - Darüber habe ich kurz vor der Sendung mit dem Soziologen Martin Behrens vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung gesprochen. Meine erste Frage: Worin liegt für ihn die größere Herausforderung: die Betriebsräte, die gar nicht zustande kommen, oder diejenigen, die zu weit weg sind?
    Martin Behrens: Die größte Herausforderung ist es, zunächst mal dafür zu sorgen, dass überhaupt in einer ausreichenden Zahl von Betrieben Beschäftigte die Chance bekommen, einen Betriebsrat zu wählen. Zurzeit haben wir in überhaupt nur neun Prozent aller Betriebe, die mehr als fünf Beschäftigte haben, die laut dem Gesetz einen Betriebsrat wählen könnten und dürften, einen Betriebsrat etabliert.
    Sturmberg: Ist das ein zunehmendes Problem, oder ist das ein Problem, was fortan besteht?
    Behrens: Die Abdeckungsraten gehen zurück. Das heißt, noch vor etwa 20 Jahren lagen wir deutlich im zweistelligen Prozentbereich und Stück für Stück geht die Vertretung der Belegschaften durch Betriebsräte zurück.
    "Willst Du Deine Rechte wahrnehmen, wirst Du gekündigt"
    Sturmberg: Woran liegt das?
    Behrens: Es gibt viele Gründe. Zum einen Veränderungen in der Betriebslandschaft, neue Branchen wachsen, in denen betriebliche Mitbestimmung noch nicht etabliert ist. Wir haben auch teilweise neue Betriebsstrukturen, Ausgründungen, Auslagerungen und dergleichen mehr. Und nicht zuletzt aber auch zunehmend aggressives Verhalten mancher Arbeitgeber gegenüber der Neugründung insbesondere von Betriebsräten. Zumindest die Fälle, die wir in unseren Forschungen erheben konnten, sprechen schon dafür, dass zunehmend mit härteren Bandagen gefochten wird.
    Sturmberg: Welche sind das denn?
    Behrens: Wir erleben zum Beispiel, dass Arbeitgeber Kandidatinnen und Kandidaten für den Betriebsrat einschüchtern, dass sie versuchen, die Bestellung eines Wahlvorstandes - dieser ist essentiell überhaupt, um eine Wahl durchführen zu können - vereiteln. Es wird auch Kandidaten einfach gekündigt: Willst Du Deine Rechte aus dem Gesetz wahrnehmen, dann wirst Du gekündigt. Auch dies ist eine Ansage mancher Unternehmen, die keine Ausnahme mehr sind. Das geht schlichtweg in einigen Ausnahmefällen zu dem Punkt, wo sogar Arbeitgeber lieber eine Abteilung oder einen Betrieb auflösen, als die Gründung eines Betriebsrates zu akzeptieren.
    Betriebsräte als Teil des Managements?
    Sturmberg: Dann haben wir natürlich auch den ganz anderen Fall. Wir beobachten auch eine zunehmende Entfremdung, so würde ich das jetzt mal nennen, gerade in größeren Unternehmen, wo Betriebsräte von manchen Mitarbeitern schon als Teil des Managements angesehen werden, wo nicht mehr so eine Bodenhaftung gesehen wird. Wie groß ist dieses Problem aus Ihrer Sicht?
    Behrens: Grundsätzlich muss man sagen, wir haben unterschiedliche Typen von Betriebsräten. In Betriebsräte in Einheiten mit zwischen fünf und 20 Beschäftigten, die auch direkt mit den Vorgesetzten und der Belegschaft in Kontakt sind, können sie unmittelbarer und direkter Mitbestimmung praktizieren als in sehr großen Einheiten mit vielen tausend Beschäftigten.
    Dort ist Betriebsratsarbeit eher formalisiert. Das heißt, die einzelne Beschäftigte, der einzelne Beschäftigte sind nur ganz selten im direkten Kontakt mit den Repräsentanten, und das kann im Einzelfall dazu führen, dass Mitbestimmung entpersonalisiert wird, sich mehr in formalen Strukturen ausdrückt, und das finden wir natürlich auch. In Einzelnen geht so eine Entfremdung sicherlich auch so weit, dass es zu Kritik kommt an den handelnden Personen.
    Die Aufgaben der Betriebsräte werden anspruchsvoller
    Sturmberg: Es gibt bei vielen Mitarbeitern auch so ein Gefühl der Überforderung. Die Digitalisierung bedeutet häufig auch einfach Zunahme von Arbeitstätigkeiten in einer Zeit, in der man früher sehr viel weniger erledigen musste, was natürlich dann auch damit einhergeht, dass man ein Gefühl bekommt: Mein Gott, wie soll man das alles noch hinkriegen. Gleichzeitig dann aber auch die Frage: Ist mein Arbeitsplatz eigentlich zukunftssicher. Wie weit ist das bei den Betriebsratswahlen ein großes Thema? Wie spüren Sie das? Ist da die Tuchfühlung da?
    Behrens: Was wir merken, mitbekommen in unseren Erhebungen, die wir regelmäßig durchführen, ist: Es wird rauer in den Betrieben. Die Aufgaben der Betriebsräte werden anspruchsvoller, nicht nur komplexer. Wir haben mal danach gefragt, welches sind eigentlich die Top-Themen der Betriebsratsaktivität. Da wird dann gesprochen von Personalmangel, Leistungsdruck, Gesundheitsprobleme und Arbeitsschutz oder Arbeitsverdichtung. Das sind die Themen, die fast alle Betriebsräte umtreiben, und das ist eine herausfordernde Aufgabe und diese Konstellationen sind nicht weniger geworden.
    Sturmberg: Gibt es dafür eine Lösung?
    Behrens: Es gibt eine Lösung - zum Teil. Zum einen muss man darauf achten, dass man auch diese Person unterstützt. Das ist in der Tat ein Geschäft der Gewerkschaften, und das nehmen die auch sehr intensiv wahr. Zum anderen ist es aber auch wichtig, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes so auszustatten, dass Betriebsräte wirklich Instrumente an die Hand bekommen, gerade wenn es um Digitalisierung geht und den Umgang mit diesen steigenden Herausforderungen, mitreden zu können und nicht gegen Wände zu knallen.
    "Schutz für Initiatoren von Betriebsräten"
    Das bedeutet schon, dass in einer Reihe von Themen, zum Beispiel bei Fragen von Änderungen im Arbeitsablauf, auch beim Datenschutz - das vergisst man immer sehr leicht beim Thema Digitalisierung -, Betriebsräte auch wirklich mit Rechten ausgestattet werden, die es ihnen erlauben, dort auch Gehör zu finden. Das eine ist eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte im Umgang mit Fragen der Digitalisierung - und das andere ist Schutz, Schutz der Initiatoren von Betriebsräten. Es gibt Schutzlücken: Zum einen, dass die Leute, die sich aufmachen, einen Betriebsrat zu gründen, keinen Kündigungsschutz genießen, und zum anderen aber, dass bestehende Schutzrechte im Gesetz nicht sanktioniert werden.
    Sturmberg: Der Soziologe Martin Behrens vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu seinen politischen Forderungen, angesichts der Wahlen der Betriebsräte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.