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Armutsrisiko
"Alleinerziehende brauchen nicht nur finanzielle Unterstützung"

Alleinerziehend zu sein und Kinderarmut seien zwei Seiten einer Medaille, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Carola Reimann im DLF. Neben der finanziellen Entlastung müsse der Zugang für Frauen zum Arbeitsmarkt und eine gute Betreuungsinfrastruktur gewährleistet werden, um Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen, so Reimann.

Carola Reimann im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    SPD-Fraktionsvize Carola Reimann hält eine Rede im Bundestag.
    SPD-Fraktionsvize Carola Reimann im Bundestag (imago/Metodi Popow)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist Carola Reimann, stellvertretende Vorsitzende der SPD, unter anderem zuständig für Familie. Frau Reimann, drei von vier Partnern in Deutschland zahlen keinen oder zu wenig Unterhalt. Ist das Gedöns für die Bundesregierung?
    Carola Reimann: Nein, auf gar keinen Fall. Das Thema Alleinerziehende und Kinderarmut sind ja zwei Seiten der gleichen Medaille und das ist schon etwas, was uns sehr umtreibt, weil etwa 15 Prozent, jedes fünfte Kind ist damit ja auch von Armut bedroht, und in vielen Fällen hängt das zusammen mit dem Unterhalt.
    Heinrich: Warum ist denn die Regierung da nicht mehr hinterher? Das ist ja kein Problem, das heute zum ersten Mal auf den Tisch kommt.
    Reimann: Ja, Kinderarmut und auch die Situation der Alleinerziehenden, so sehr ich die Untersuchung jetzt schätze, liegt ja nicht allein an diesen individuellen Unterstützungsleistungen. Ich glaube, dass Alleinerziehende individuelle finanzielle Unterstützung brauchen, aber nicht nur.
    Sie brauchen auch gute Arbeit, Zugang zum Arbeitsmarkt, insbesondere für die Frauen, und eine gute Betreuungs-Infrastruktur für eine gute Vereinbarkeit. Und da, muss man sagen, ist ja in den letzten Jahren sehr, sehr viel gemacht worden, was den Kita-Ausbau angeht, was die Qualität angeht, und das werden wir auch fortsetzen. Im nächsten Jahr wird das Betreuungsgeld komplett in den Kita-Ausbau gegeben und wir werden 450 Millionen für den Kita-Ausbau wieder zur Verfügung haben.
    Heinrich: Aber genug geschehen ist ja noch nicht. Was wollen Sie denn in Zukunft besser machen?
    Reimann: Wir wollen auch diesen Unterhaltsvorschuss anfassen, und man muss sagen, in den Koalitionsverhandlungen ist darüber auch schon gesprochen worden, und es gab unter den Fachpolitikern sogar eine Einigung und ein Einverständnis. Im Moment ist es ja so, dass man maximal sechs Jahre Unterhaltsvorschuss erhalten kann und nur bis zu einem Alter von zwölf Jahren der Kinder. Das ist etwas, wo alle Fachleute sagen, das ist absoluter Quatsch, das ist sehr, sehr schlecht, und das wollen wir anheben.
    Reimann will Unterhaltsvorschuss auf mindestens 14 Jahre erhöhen
    Heinrich: Und warum ist das dann so?
    Reimann: Das ist einfach eine Sache: Es geht um Geld an dieser Stelle. Die Fachpolitiker haben sich in den Koalitionsverhandlungen darauf auch schon verständigt und wir wollen das nach wie vor. Wir hatten gerade erst eine Anhörung, die noch mal eruiert hat, was ist noch wichtiger, die Verlängerung der Zeit oder die Erhöhung des Lebensalters des Kindes und als Letzteres der zentrale Punkt, und das wollen wir auf mindestens 14 Jahre erhöhen.
    Heinrich: Aha! Aber dann sind ja immer noch die 15-, 16-, 17jährigen dran. Was ist denn mit denen?
    Reimann: Ja, das ist schon etwas, wo man jetzt schrittweise herangehen will. Im Moment haben wir noch nicht mal ein Einverständnis von Schäuble dazu. Es geht um 250 Millionen ungefähr. Ein Drittel davon muss der Bund zahlen. Die Länder und Kommunen sind aber auch da im Boot und wir setzen uns sehr dafür ein und ich finde, in so wirtschaftlich prosperierenden Zeiten muss das möglich sein.
    Heinrich: Ich habe das immer noch nicht verstanden. Warum machen Sie es dann nicht auch für 15-, 16- und 17jährige geltend?
    Reimann: Weil im Moment es politisch noch nicht mal durchsetzbar war in den Koalitionsverhandlungen, zwei weitere Jahre zu erhalten. Ich würde gern erst mal das haben.
    Heinrich: Warum?
    Reimann: Weil das ist gestrichen worden in der letzten Schlussrunde, als es um die Finanzierbarkeit der Leistungen und die Prioritäten ging.
    Heinrich: Dann müssten Sie doch aber eigentlich auch als SPD mehr dahinter sein, weil es trifft ja vor allem Kinder von ärmeren Familien, oder?
    Reimann: Ja, das sind wir auch, und wir hätten auch gerne, wenn wir alleine regieren würden, aber wir sind nun mal der kleinere Koalitionspartner, etwas beim Kinderzuschlag gemacht. Sie können sich vielleicht an die Kindergeld-Diskussion erinnern. Da habe ich sehr gefordert, dass wir den Kinderzuschlag auch anfassen, weil das vor allen Dingen 100.000 Familien im Moment nutzen, die wirklich kleine Einkommen haben und die durch den Kinderzuschlag aus der Grundsicherung und aus der Existenzsicherung kommen. Aber das ist leider im Moment mit dem Koalitionspartner nicht zu verabreden.
    Wir haben es vermocht, den steuerlichen Entlastungsbetrag - der war seit 2004 nicht mehr angehoben worden -, der ist in diesem Jahr endlich angehoben worden, aber auch gegen ganz, ganz große Widerstände, und da hat sich die SPD dann durchgesetzt, dass wir das wirklich auf 1900 Euro erhöht haben. Aber es ist uns nicht vermocht, diesen Kinderzuschlag dann auch noch zu erhöhen. Das wäre uns auch wichtig gewesen.
    "Bisher ist es an Schäuble gescheitert"
    Heinrich: Der Finanzminister hat den Haushalt vorgestellt. Die Kassen sind voll. Da dürfte es jetzt eigentlich keinen großen Diskussionsbedarf mehr geben, oder?
    Reimann: Deswegen werden wir das auch noch mal zum Thema machen. Gut ist, dass eingestellt sind 450 Millionen für die Kita-Betreuung, weil das will ich noch mal sagen. Das eine ist die finanzielle Entlastung der alleinerziehenden Frauen. Das andere ist aber, dass es auch eine gute Infrastruktur braucht, damit die Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung gut vereinbaren können, und da sind die in besonderer Art und Weise betroffen.
    Heinrich: Und was hat die SPD bisher falsch gemacht?
    Reimann: Wir haben hart verhandelt, aber das ist etwas, wo Schäuble natürlich ein Veto hat, und bisher ist es an Schäuble gescheitert. Ich will Ihnen auch noch einen anderen Punkt nennen: Wir hatten einen Umgangsmehrbedarf. Es geht um Bedarfsgemeinschaften, also da, wo die Familie und die beiden betreuenden Elternteile in SGB II sind, in Hartz-IV-Bezug. Da haben wir einen Umgangsmehrbedarf vorgeschlagen. Das ist in letzter Minute in der letzten Sitzungswoche am Finanzminister gescheitert.
    Heinrich: Ich höre heraus: Der Finanzminister ist bisher an vielem schuld?
    Reimann: Ja, bisher hat er da wenig Engagement erkennen lassen.
    Heinrich: Carola Reimann, die stellvertretende Vorsitzende der SPD. Sie ist unter anderem zuständig für Familien. Frau Reimann, danke für das Gespräch.
    Reimann: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.