"Der Fremde in uns" ist eine Analyse überschrieben, in der Arno Gruen auch nach den Ursachen für Ausländerfeindlichkeit fragt. Ralph Giordanos jüngstes Werk handelt von der "Traditionslüge", genauer von dem Kriegerkult in der Bundeswehr. Bogdan Musial glaubt neue Gründe für die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941 gefunden zu haben, und Norman Finkelstein hat mit einem an amerikanische Leser adressierten kleinen Pamphlet über die Holocaust-Industrie das deutsche Feuilleton in Aufruhr versetzt. Das ist das Themenspektrum unserer heutigen Revue politischer Literatur. Am Mikrophon ist Hermann Theißen. Guten Abend.
Wenn Armut alleine Ursache wäre, dann müsste ganz Lateinamerika faschistisch sein. Weil ich arm bin, muss ich einen kaputt schlagen. So eine banale Antwort auf solch eine komplizierte Frage habe ich selten gehört.
So der chilenische Schriftsteller Omar Saavedra Santes in dem bereits erwähnten Feature. - Arno Gruen weiß, dass rechtsradikale Gewalt in Deutschland eine lange Tradition hat. Seine historische psychoanalytische Suche nach den Motiven der Fremdenfeindlichkeit gibt auch Auskunft über die heutige Gesinnungslage der Nation. Willi Jasper:
Das Phänomen der rechtsradikal motivierten Gewalt in Deutschland ist nicht neu. Seit mindestens zehn Jahren gehören die brutalen Ausschreitungen zumeist jugendlicher Skinheads gegen Ausländer und andere Minderheiten zum Alltag vor allem ostdeutscher Regionen. Jahrelang wurden die Übergriffe totgeschwiegen, verharmlost und geduldet. Erst dann, wenn es zu pogromartigen Exzessen und mörderischen Brandanschlägen wie in Hoyerswerder, Rostock, Solingen oder Mölln kam, äußerte sich vorübergehend Betroffenheit und Protest. Aber erst der Bombenanschlag von Düsseldorf scheint die deutsche Öffentlichkeit erstmals wirklich aufgeschreckt zu haben. Die bange Ahnung , dass dieser Terrorakt sich gezielt gegen Juden gerichtet haben könnte, hat Politiker, Publizisten und diverse "Prominente" in eine gemeinsame öffentliche Protestfront gebracht. Plötzlich erscheinen auch die Hetzjagden auf Ausländer in einem anderen Licht. Es geht nicht nur um frustrierte Gewaltkriminalität jugendlicher Banden, sondern um rassistischen Fremdenhaß. Dass die massenmörderische Dimension des Fremdenhasses in Deutschland der Antisemitismus war, ist eine historische Erfahrung. An diese Erfahrung erinnert in beklemmender Aktualität eine neue Studie des 1923 in Berlin geborenen und 1936 in die USA emigrierten Psychologen Arno Gruen. An verschiedenen konkreten Beispielen, zu denen auch die Auswertung der Protokolle des Nürnberger Prozesses gehört, versucht er die terrorisierende Macht des Nationalsozialismus als Erkaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der deutschen Gesellschaft, als "das Fremde in uns" darzustellen.
Die Menschen hatten aus Angst vor dem Lebendigen in sich selbst ihr Inneres zum Fremden gemacht. Trotzdem fühlten sich diese Sklaven frei, weil sie andere eroberten und töteten. Aber es ging ihnen darum, das Lebendige zu töten, denn das bedrohte sie."
Die Hoffnung auf die Existenz einer einen, einfachen, sauberen, klaren und geordneten Welt stellt wohl auch heute das Grundübel dar. Wer es nicht ertragen kann, dass es andere Menschen gibt, andere Sitten, andere Verhaltensweisen, andere Formen, anderes Aussehen, andere Sprachen, die sich nicht einfügen, nicht anpassen, die sich nicht "auf Linie" bringen lassen mit dem, was scheinbar als "zugehörig" definiert wurde, findet leicht zum radikalen Vorurteil. Die Sehnsucht nach Klarheit, nach Überschaubarkeit und nach geordneten Verhältnissen hat den Haß auf das "Unterwegssein" der Migranten , die Verachtung der fremden Sprache ebenso gefördert wie die aggressive Feindschaft gegenüber dem urbanen Leben. So gibt es Landstriche in Brandenburg, in denen ein Auto mit Berliner Kennzeichen bereits als unerträglicher Fremdkörper empfunden wird.
Menschen - so eine einfache und nachvollziehbare These Arno Gruens -, die eine innere Kohärenz entwickeln konnten und daraus ihr Identitätsgefühl beziehen, verlieren auch unter extremen Frustations- und Deprivationsbedingungen nicht ihr Vertrauen und ihren Glauben an sich selbst. Die für die deutsche Kulturgeschichte typische Identität, die auf einer Identifikation mit Angst einflößenden Autoritäten beruht, ist dagegen ständig von Auflösung bedroht. Solche Menschen können ihr Selbst nur durch die Schaffung von Feindbildern konsolidieren. Dabei bedarf es für die Konstruktion des Feindbildes nicht einmal einer realen Erscheinung, sondern nur eines medialen Reflexes. So erschallt der Ruf "Ausländer raus" oft in Regionen, in denen der reale Anteil der Ausländer statistisch kaum wahrnehmbar ist. Auch Antisemitismus ohne konkrete Berührung mit dem Judentum ist eine historisches und aktuelles Phänomen.
Mehrheiten und Minderheiten im Hinblick auf Fremdenfeindlichkeit sind allerdings durchaus zu quantifizieren. Schon vor Jahren sprach der jüngst verstorbene Soziologe Alphons Silbermann vom "normalen" Haß auf die Fremden. In einer repräsentativen Umfrage des Jahres 1993 hatte er ermittelt, dass sich 52 Prozent der befragten Deutschen "etwas" und 36 Prozent "stark" mit einer Haltung identifizieren können, die sich im "Glauben an kulturelle Überlegenheit, der Ablehnung von Multikulturalität und einem wirtschaftlich begründeten Nationalstolz ausdrückt". Der "Stolz" gewalttätiger Glatzen und NPD-Demonstranten, Deutsche zu sein, ist also im Prinzip nichts anderes als die -um es vornehm auszudrücken - "ethnozentristisch-nationalistischen Grundhaltung der Hälfte unserer Bevölkerung. Eine wichtige und konkrete Ergänzung der psychoanalytischen Thesen Gruens ist die empirische Erkenntnis Silbermanns gegen die Auffassung, dass die fremdenfeindlichen Ausschreitungen ausschließlich eine ostdeutsche Besonderheit seien:
"So konnte zeitweise der trügerische Eindruck entstehen, die westdeutsche Teilgesellschaft sei sowohl vor offen gewalttätiger als auch verdeckter Fremdenfeindlichkeit besser geschützt als die ostdeutsche. Angesichts unserer Daten erhebt sich vielmehr die Frage, ob die Westdeutschen, unter denen latent fremdenfeindliche Haltungen letztlich ähnlich weit verbreitet sind wie unter den Ostdeutschen, womöglich nur besser gelernt haben, diese Tendenzen in der Öffentlichkeit - und dazu wären wohl auch Interviewbefragungen zu zählen - zu kaschieren."
Auch für Arno Gruen ist die aktuelle Wirklichkeit einer plötzlich ausbrechenden mörderischen Brutalität gegenüber Schwächeren keine ostdeutsche Besonderheit. Er zitiert aus einem Gespräch, das in einer westdeutschen psychiatrischen Klinik mit einem Skinhead geführt wurde, der einen harmlosen Menschen grausam zu Tode getrampelt hatte, folgende Worte:
"Ärger, Frust, Schmerz, Trauer, die dringen nicht in mein Inneres vor ... Einfach verdrängen, das ist am besten, oder in eisigen Haß umwandeln."
Gruen hat nicht nur therapeutische Vorschläge zur Behandlung der Täter, er appelliert auch an die verantwortlichen Politiker. Sie müssten den Mut haben, den Hass zu erkennen und sich denen entgegenzustellen, die ihn schüren, um Macht zu bekommen. Wenn ihre Stellungnahmen von wirklicher Überzeugung getragen seien, werde sie anderen Menschen Mut machen, sich gegen den Haß zu stellen. Das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass Politik auch aus Symbolik besteht. Warum sind - so möchte man mit dem Autor fragen - deutsche Spitzenpolitiker nie persönlich vor Ort, wenn es gilt, die Flagge der Zivilcourage zu zeigen? Dieselbe Frage stellte sich auch der amerikanische Politiker Henry Kissinger, dessen Eltern bekanntlich als deutsche Juden vor den Nazis fliehen mussten. Nach den Brandanschlägen der neunziger Jahre erkannte er sehr wohl, dass nicht alle Deutsche die Täter waren, aber er wies darauf hin, dass es ein Problem aller Deutscher sei, wenn die Täter Deutsche sind. Die Gesellschaft - so die entscheidende Schlußfolgerung - darf den radikalen Rassisten nicht das Gefühl geben, im Einklang mit einer mehrheitsfähigen Grundstimmung zu handeln. Dabei geht es nicht nur um das Problem der Duldung, sondern auch um unmittelbare Verantwortung. Vor allem die Entscheidung zur Einschränkung des Asylrechts machte das deutlich. Sie ist unter dem Druck der Straße entstanden, die fremdenfeindlichen Gewalttäter dürften dies als Sieg aufgefasst haben. Wer solche Signale gibt, ist für das Ausmaß des gesellschaftspolitischen Infernos, das zur Zeit beklagt wird, in hohem Maße mitverantwortlich. Die Konzentration der Debatte auf das NPD-Verbot klingt manchmal wie der Ablenkungsruf "Haltet den Dieb!" Bundespräsident Johannes Rau hat noch vor dem Düsseldorfer Anschlag gefordert: "Wir müssen die bei uns lebenden Ausländer in unsere Mitte nehmen - nicht nur symbolisch." Das trifft zwar den Kern des Problems, setzt aber voraus, dass die Mitte eine zivilisierte Identität besitzt. Daran muss man zweifeln, auch ohne Psychoanalytiker zu sein. Solange der Mut zu einer schonungslosen Bestandsaufnahme der Mentalität unserer Gesamtgesellschaft fehlt, wird man keine Zivilcourage der Mitte erreichen.
Willi Jasper über Arno Gruen, "Der Fremde in uns", Verlag Klett-Cotta, Stuttgart. 238 Seiten, DM 36,--. Der zweite in dieser Rezension erwähnte Band stammt von Alphons Silbermann und Francis Hüsers, "Der 'normale' Hass auf die Fremden" ist er überschrieben, und erschienen ist er bereits 1995 im Münchener Quintessenz-Verlag.
Wenn Armut alleine Ursache wäre, dann müsste ganz Lateinamerika faschistisch sein. Weil ich arm bin, muss ich einen kaputt schlagen. So eine banale Antwort auf solch eine komplizierte Frage habe ich selten gehört.
So der chilenische Schriftsteller Omar Saavedra Santes in dem bereits erwähnten Feature. - Arno Gruen weiß, dass rechtsradikale Gewalt in Deutschland eine lange Tradition hat. Seine historische psychoanalytische Suche nach den Motiven der Fremdenfeindlichkeit gibt auch Auskunft über die heutige Gesinnungslage der Nation. Willi Jasper:
Das Phänomen der rechtsradikal motivierten Gewalt in Deutschland ist nicht neu. Seit mindestens zehn Jahren gehören die brutalen Ausschreitungen zumeist jugendlicher Skinheads gegen Ausländer und andere Minderheiten zum Alltag vor allem ostdeutscher Regionen. Jahrelang wurden die Übergriffe totgeschwiegen, verharmlost und geduldet. Erst dann, wenn es zu pogromartigen Exzessen und mörderischen Brandanschlägen wie in Hoyerswerder, Rostock, Solingen oder Mölln kam, äußerte sich vorübergehend Betroffenheit und Protest. Aber erst der Bombenanschlag von Düsseldorf scheint die deutsche Öffentlichkeit erstmals wirklich aufgeschreckt zu haben. Die bange Ahnung , dass dieser Terrorakt sich gezielt gegen Juden gerichtet haben könnte, hat Politiker, Publizisten und diverse "Prominente" in eine gemeinsame öffentliche Protestfront gebracht. Plötzlich erscheinen auch die Hetzjagden auf Ausländer in einem anderen Licht. Es geht nicht nur um frustrierte Gewaltkriminalität jugendlicher Banden, sondern um rassistischen Fremdenhaß. Dass die massenmörderische Dimension des Fremdenhasses in Deutschland der Antisemitismus war, ist eine historische Erfahrung. An diese Erfahrung erinnert in beklemmender Aktualität eine neue Studie des 1923 in Berlin geborenen und 1936 in die USA emigrierten Psychologen Arno Gruen. An verschiedenen konkreten Beispielen, zu denen auch die Auswertung der Protokolle des Nürnberger Prozesses gehört, versucht er die terrorisierende Macht des Nationalsozialismus als Erkaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der deutschen Gesellschaft, als "das Fremde in uns" darzustellen.
Die Menschen hatten aus Angst vor dem Lebendigen in sich selbst ihr Inneres zum Fremden gemacht. Trotzdem fühlten sich diese Sklaven frei, weil sie andere eroberten und töteten. Aber es ging ihnen darum, das Lebendige zu töten, denn das bedrohte sie."
Die Hoffnung auf die Existenz einer einen, einfachen, sauberen, klaren und geordneten Welt stellt wohl auch heute das Grundübel dar. Wer es nicht ertragen kann, dass es andere Menschen gibt, andere Sitten, andere Verhaltensweisen, andere Formen, anderes Aussehen, andere Sprachen, die sich nicht einfügen, nicht anpassen, die sich nicht "auf Linie" bringen lassen mit dem, was scheinbar als "zugehörig" definiert wurde, findet leicht zum radikalen Vorurteil. Die Sehnsucht nach Klarheit, nach Überschaubarkeit und nach geordneten Verhältnissen hat den Haß auf das "Unterwegssein" der Migranten , die Verachtung der fremden Sprache ebenso gefördert wie die aggressive Feindschaft gegenüber dem urbanen Leben. So gibt es Landstriche in Brandenburg, in denen ein Auto mit Berliner Kennzeichen bereits als unerträglicher Fremdkörper empfunden wird.
Menschen - so eine einfache und nachvollziehbare These Arno Gruens -, die eine innere Kohärenz entwickeln konnten und daraus ihr Identitätsgefühl beziehen, verlieren auch unter extremen Frustations- und Deprivationsbedingungen nicht ihr Vertrauen und ihren Glauben an sich selbst. Die für die deutsche Kulturgeschichte typische Identität, die auf einer Identifikation mit Angst einflößenden Autoritäten beruht, ist dagegen ständig von Auflösung bedroht. Solche Menschen können ihr Selbst nur durch die Schaffung von Feindbildern konsolidieren. Dabei bedarf es für die Konstruktion des Feindbildes nicht einmal einer realen Erscheinung, sondern nur eines medialen Reflexes. So erschallt der Ruf "Ausländer raus" oft in Regionen, in denen der reale Anteil der Ausländer statistisch kaum wahrnehmbar ist. Auch Antisemitismus ohne konkrete Berührung mit dem Judentum ist eine historisches und aktuelles Phänomen.
Mehrheiten und Minderheiten im Hinblick auf Fremdenfeindlichkeit sind allerdings durchaus zu quantifizieren. Schon vor Jahren sprach der jüngst verstorbene Soziologe Alphons Silbermann vom "normalen" Haß auf die Fremden. In einer repräsentativen Umfrage des Jahres 1993 hatte er ermittelt, dass sich 52 Prozent der befragten Deutschen "etwas" und 36 Prozent "stark" mit einer Haltung identifizieren können, die sich im "Glauben an kulturelle Überlegenheit, der Ablehnung von Multikulturalität und einem wirtschaftlich begründeten Nationalstolz ausdrückt". Der "Stolz" gewalttätiger Glatzen und NPD-Demonstranten, Deutsche zu sein, ist also im Prinzip nichts anderes als die -um es vornehm auszudrücken - "ethnozentristisch-nationalistischen Grundhaltung der Hälfte unserer Bevölkerung. Eine wichtige und konkrete Ergänzung der psychoanalytischen Thesen Gruens ist die empirische Erkenntnis Silbermanns gegen die Auffassung, dass die fremdenfeindlichen Ausschreitungen ausschließlich eine ostdeutsche Besonderheit seien:
"So konnte zeitweise der trügerische Eindruck entstehen, die westdeutsche Teilgesellschaft sei sowohl vor offen gewalttätiger als auch verdeckter Fremdenfeindlichkeit besser geschützt als die ostdeutsche. Angesichts unserer Daten erhebt sich vielmehr die Frage, ob die Westdeutschen, unter denen latent fremdenfeindliche Haltungen letztlich ähnlich weit verbreitet sind wie unter den Ostdeutschen, womöglich nur besser gelernt haben, diese Tendenzen in der Öffentlichkeit - und dazu wären wohl auch Interviewbefragungen zu zählen - zu kaschieren."
Auch für Arno Gruen ist die aktuelle Wirklichkeit einer plötzlich ausbrechenden mörderischen Brutalität gegenüber Schwächeren keine ostdeutsche Besonderheit. Er zitiert aus einem Gespräch, das in einer westdeutschen psychiatrischen Klinik mit einem Skinhead geführt wurde, der einen harmlosen Menschen grausam zu Tode getrampelt hatte, folgende Worte:
"Ärger, Frust, Schmerz, Trauer, die dringen nicht in mein Inneres vor ... Einfach verdrängen, das ist am besten, oder in eisigen Haß umwandeln."
Gruen hat nicht nur therapeutische Vorschläge zur Behandlung der Täter, er appelliert auch an die verantwortlichen Politiker. Sie müssten den Mut haben, den Hass zu erkennen und sich denen entgegenzustellen, die ihn schüren, um Macht zu bekommen. Wenn ihre Stellungnahmen von wirklicher Überzeugung getragen seien, werde sie anderen Menschen Mut machen, sich gegen den Haß zu stellen. Das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass Politik auch aus Symbolik besteht. Warum sind - so möchte man mit dem Autor fragen - deutsche Spitzenpolitiker nie persönlich vor Ort, wenn es gilt, die Flagge der Zivilcourage zu zeigen? Dieselbe Frage stellte sich auch der amerikanische Politiker Henry Kissinger, dessen Eltern bekanntlich als deutsche Juden vor den Nazis fliehen mussten. Nach den Brandanschlägen der neunziger Jahre erkannte er sehr wohl, dass nicht alle Deutsche die Täter waren, aber er wies darauf hin, dass es ein Problem aller Deutscher sei, wenn die Täter Deutsche sind. Die Gesellschaft - so die entscheidende Schlußfolgerung - darf den radikalen Rassisten nicht das Gefühl geben, im Einklang mit einer mehrheitsfähigen Grundstimmung zu handeln. Dabei geht es nicht nur um das Problem der Duldung, sondern auch um unmittelbare Verantwortung. Vor allem die Entscheidung zur Einschränkung des Asylrechts machte das deutlich. Sie ist unter dem Druck der Straße entstanden, die fremdenfeindlichen Gewalttäter dürften dies als Sieg aufgefasst haben. Wer solche Signale gibt, ist für das Ausmaß des gesellschaftspolitischen Infernos, das zur Zeit beklagt wird, in hohem Maße mitverantwortlich. Die Konzentration der Debatte auf das NPD-Verbot klingt manchmal wie der Ablenkungsruf "Haltet den Dieb!" Bundespräsident Johannes Rau hat noch vor dem Düsseldorfer Anschlag gefordert: "Wir müssen die bei uns lebenden Ausländer in unsere Mitte nehmen - nicht nur symbolisch." Das trifft zwar den Kern des Problems, setzt aber voraus, dass die Mitte eine zivilisierte Identität besitzt. Daran muss man zweifeln, auch ohne Psychoanalytiker zu sein. Solange der Mut zu einer schonungslosen Bestandsaufnahme der Mentalität unserer Gesamtgesellschaft fehlt, wird man keine Zivilcourage der Mitte erreichen.
Willi Jasper über Arno Gruen, "Der Fremde in uns", Verlag Klett-Cotta, Stuttgart. 238 Seiten, DM 36,--. Der zweite in dieser Rezension erwähnte Band stammt von Alphons Silbermann und Francis Hüsers, "Der 'normale' Hass auf die Fremden" ist er überschrieben, und erschienen ist er bereits 1995 im Münchener Quintessenz-Verlag.