Wenn man auf der "Art Basel" den Tag inmitten reicher Menschen verbracht hat, die verquast über Kunst reden und Kunst kaufen und verkaufen, wenn man die schrägsten Videos und die wildeste Malerei hinter sich hat und die Gecken und Schwätzer nach getaner Arbeit langsam die Champagnerflaschen öffnen, dann wartet in der riesigen, traurigen und gänzlich leeren Messehalle 3 noch ein Theaterstück, eine Performance, ein Abgrund. Es heißt "Die Metopen des Parthenon", aber es hat, wie immer bei Romeo Castellucci, mit der thematischen Folie, mit den Kampfszenen des Parthenonfrieses wenig zu tun. Es geht um einen anderen Kampf: den Kampf des Menschen, der Kreatur um das bloße Leben.
Irgendwo auf der unendlich großen Betonfläche liegt ein Körper in seinem Blut, das die Requisiteure vor unseren Augen sorgfältig ausgegossen haben. Zuerst eine Frau. Sie hebt klagend den Kopf, benommen, richtet sich auf und stößt einen Wehlaut aus, immer neue Schreie und röchelnde Laute, sie wehrt sich minutenlang gegen den Tod, das Verlöschen, bis sie zusammensinkt. Von ferne hört man Sirenen, ein Rettungswagen fährt ein, Sanitäter rennen zu dem geschundenen Körper. Die Wiederbelebung misslingt, aber sie wird in ihrer ganzen Brutalität vorgeführt. Irgendwann sind die Herztöne weg, verlegen gehen die Helfer beiseite, decken ein weißes Tuch über den Körper. Nach einer Weile steht die Schauspielerin auf, verbeugt sich, geht ab.
Dieses Ritual wird in sechs Varianten wiederholt. Nach dem ersten Mal hofft man, ein Theaterstück möge beginnen. Nach dem zweiten Mal fühlt man sich angegriffen. Nach dem dritten kommt der Wunsch nach einem Charakter auf, nach einem Schauspieler, aber es gibt nur den Körper und das Leid. Man fühlt sich zum Schaulustigen degradiert, man beginnt wegzulaufen, abzuwehren, in der Halle zu wandern. Man kehrt zurück, und neben einem führt einer, dessen Körper gänzlich verbrannt ist, seinen sinnlosen, verzweifelten Veitstanz gegen die Schmerzen auf. Dann kommt wieder der Unfallwagen.
Der blanke Zynismus
Nach den halbseidenen Veranstaltungen der Kunstmesse wirkt diese Performance, dieses Überwältigungstheater, wie ein K. o.-Schlag. Es hat auch nichts mit schon bekannten Formen zu tun, mit den Blutorgien des Hermann Nitsch oder dem Theater der Grausamkeit. Castellucci ist hier ganz nüchtern, ganz konfrontativ. Er zeigt nur vor, wiederholt, geht immer einen Schritt weiter: Sind die ersten Verunglückten noch Schauspieler, schreiende, hechelnde, hyperventilierende, röchelnde Körper, Gefallene, Verbrannte, so tritt uns später eine Frau mit einem echten allergischen Schock entgegen und als letztes eine beinamputierte Punkerin, die ihren eigenen Unfall fassungslos nachspielt, ein grausames Reenactment, und dann auf einem Bein davon hüpft.
Man kann sich rausstehlen und sagen: Der Tod ist im Theater immer beeindruckend. Aber darum geht es gar nicht: Ästhetische Kategorien greifen hier nicht mehr. Die bittere Wahrheit ist, dass einem das, was hier vorgezeigt wird, auf dem Heimweg selbst passieren kann oder wird oder auch nicht - oder der Frau oder den Freunden oder den Kindern. Fatum, Schicksal. Was dann bleibt, ist das reine Nichts, und das will Castellucci spielen. Sterben in der Öffentlichkeit: am Ende kommt die Straßenreinigung und wischt das Blut weg. Und Griechenlandkrise und Homo-Ehe sind plötzlich scheißegal, während Syrien ganz nahe ist. Im Foyer stehen Wein und Häppchen für die Premierenfeier bereit, und das ist der blanke Zynismus. Man will hier nur fort.