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Arte und WDR
Streit um Antisemitismus-Doku

Arte und der WDR wollen einen Dokumentarfilm über neue Formen des Antisemitismus nicht ausstrahlen. Er sei nicht ausgewogen. Das bestreitet der Autor des Films.

Joachim Schroeder im Gespräch mit Brigitte Baetz |
    Ein Teilnehmer einer Kundgebung steht vor dem Brandenburger Tor. Er trägt eine Kippa.
    Der Film "Auserwählt und ausgegrenzt" über die Ausgrenzung von Juden wird vorerst nicht ausgestrahlt. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Der deutsch-französische Sender Arte will die 90-minütige Doku "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" nicht zeigen. Der WDR hatte im Auftrag von Arte die Redaktion für den Film inne, will die Doku aber ebenfalls nicht ausstrahlen.
    Autor weist Vorwürfe zurück
    Dass der Film nicht ausgewogen sei, bestritt der Autor des Films, Joachim Schroeder, im Gespräch mit @mediasres. "Wir haben viele Stimmen. Wir haben viele antisemitische Stimmen und wir haben viele Expertenstimmen und wir haben Stimmen von Opfern. Ich weiß gar nicht, was der Vorwurf soll", sagte Schröder. Zudem habe die für Arte zuständige WDR-Redakteurin den Film abgenommen. Er habe den Eindruck, dass man nicht mehr projüdisch berichten könne.
    Vom Konzept abgewichen
    Arte teilte unserer Redaktion mit, dass der Film unter anderem über das Erstarken des Antisemitismus in Norwegen, Großbritannien, Ungarn und Griechenland hätte berichten sollen. Anfang 2017 habe Arte aber festgestellt, "dass der Film, der sich hauptsächlich auf den Nahen Osten konzentriert und in keiner Weise die vier genannten Länder behandelt, nicht dem angemeldeten Programmvorschlag entsprach".
    Die Autoren waren für den 90-Minüter mehrere Monate unter anderem in Deutschland, Frankreich, Israel und Gaza unterwegs. Dass der fertige Film vom ersten Exposé abgewichen sei, sei völlig klar, sagte Filmautor Joachim Schroeder: "Ein 90-minütiger Dokumentarfilm lebt auch von den Erkenntnissen der Recherche und die stehen meist zum Zeitpunkt der Einreichung nicht fest".

    Das Interview in voller Länge:
    Brigitte Baetz: Kaum etwas Schwierigeres gibt es, als über den Nahost-Konflikt zu informieren. Und das nicht, weil dieser Konflikt so kompliziert wäre, sondern eher, weil er so viele Emotionen auslöst. Geht es beispielsweise um Israel-Kritik, liegt latent der Antisemitismus-Vorwurf in der Luft. Dass es aber auch nicht einfach ist, über Antisemitismus selbst zu sprechen, mussten jetzt Münchner Dokumentarfilmer erfahren. Ein großes Projekt sollte es werden - beziehungsweise wurde es auch: Anderthalb Jahre Arbeit und 165.000 Euro Kosten. Allerdings - die Auftraggeber, sprich: WDR und Arte, zogen ihre Zustimmung zur Ausstrahlung zurück. Die Autoren, so schreibt uns Arte, wären vom ursprünglichen Projekt abgewichen. Joachim Schroeder, Hauptautor der Dokumentation mit dem Arbeitstitel "Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa" ist deshalb empört und erklärt hier erst einmal, was man als Dokumentarfilmer tun muss, um überhaupt für Arte produzieren zu können.
    Joachim Schroeder: Es ist normalerweise so geregelt in Deutschland: Jede öffentlich-rechtliche Anstalt hat eine Arte-Redaktion, über die man eigentlich zu gehen hat. Wenn die Arte-Redaktion, die deutsche Arte-Redaktion das okayt, dann geht parallel die deutsche Arte-Redaktion nach Straßburg, dort wird es nochmal von den Kollegen in Straßburg evaluiert. Wenn ein grünes Licht aus Straßburg kommt, dann kommt, so Gott will, ich sag’ es jetzt verkürzt, der Produktionsauftrag und ein Vertrag des jeweiligen deutschen Senders.
    Brigitte Baetz: Nun hatten Sie ja grünes Licht bekommen, haben aber inzwischen Rotlicht gesehen. Die Kollegen von Arte sagen, dass sie nichts ausstrahlen können, was vom ursprünglich akzeptierten Projekt abweicht.
    Joachim Schroeder: Ja, also, das ist natürlich blanker Unsinn, weil wir haben schon im ersten Exposé oder auch in dem Exposé, was abgesegnet wurde, geschrieben, dass wir uns im Wesentlichen auf Antizionismus, auf die moderne Form des Antisemitismus, der sich heute antizionistisch ausdrückt, kaprizieren und dass wir den untersuchen. Und wir haben auch bereits gesagt, dass ein Dreh in Israel und Palästina denkbar ist. Wir waren uns zu dem Zeitpunkt noch nicht sicher. Aber wissen Sie, ein 90-minütiger Dokumentarfilm, um das auch mal ganz klarzumachen, lebt eben auch von der Recherche und lebt von den Erkenntnissen der Recherche und die stehen meist zum Zeitpunkt der Einreiche normalerweise ja nicht fest, weil die Recherche ist zeitaufwendig und kostet auch Geld.
    Keine Powerpoint-Präsentation
    Brigitte Baetz: Wie viel Aufwand und Geld haben Sie denn in Ihr Projekt gesteckt?
    Joachim Schroeder: Sehr viel mehr, als ich von Arte bekommen habe, kann ich sagen. Ich wurde von Arte auch… Deswegen ist das, was hier behauptet wird, wir hätten das nicht erfüllt, also, das, glaube ich, da widersprechen alle Experten und auch alle, bisher alle so weit Presseartikel dazu, das stimmt schlicht nicht. Wir haben den Nagel auf den Kopf getroffen letztlich. Es gibt eine unabhängige Studie, die dem Bundestag vorgestellt wurde zum Thema Antisemitismus heute, und da wird ganz klar auch der Antizionismus von heute - 40 Prozent der Leute haben antisemitische Ressentiments, allein in Deutschland - wird das dargelegt. Also, insofern kann man nicht behaupten, wir hätten, was Arte insinuiert, eine Themenverfehlung gemacht.
    Brigitte Baetz: Um was sollte es bei dem Projekt denn überhaupt gehen?
    Joachim Schroeder: Um Antisemitismus in Europa. Und wir haben in dem Exposé, um unser Argument zu verstärken, haben wir aufgelistet antisemitische Vorfälle in Europa, nicht nur in Deutschland und Frankreich, auch in England, auch in Skandinavien, what have you… Wir haben in dem Exposé aber nie versprochen, dass wir eine Diashow machen, eine deskriptive Auflistung, Aneinanderreihung von antisemitischen Vorfällen zwischen Oslo und Palermo, London und Minsk. Das haben wir nie versprochen, das wär’ auch kein Film, das ist eine Powerpoint-Präsentation. Uns ging es darum, den alltäglichen Antisemitismus/Antizionismus darzustellen in den zwei Kernländern Deutschland, Frankreich und dann sich die Frage zu stellen: Kann man diese Ressentiments unter Umständen entkräften? Und dafür, um nicht in einer akademischen Diskussion zu bleiben, muss man eben sich auch vor Ort bewegen, in dem Fall nach Israel und Palästina.
    Brigitte Baetz: Ein Stein des Anstoßes scheint ja gewesen zu sein, dass einer Ihrer Berater zum Schluss nicht mehr mit an Bord war. Wie…
    Joachim Schroeder: …es war der Koautor. Aus dem Koautor Ahmad Mansour wurde der Berater Ahmed Mansour. Und ich kenn’ Ahmad über die Jahre. Also, zunächst mal muss ich davon ausgehen, dass das – weil das angemahnt wird, muss ich davon ausgehen, dass die Kollegen bei Arte Frankreich Ahmad Mansour nie gegoogelt haben. Die haben paternalistisch/rassistisch geurteilt: Da ist ein Araber an Bord, ah, dann ist alles gut, dann ist es multiperspektivisch. Wofür Ahmad steht, haben die überhaupt nie rausgefunden, weil sie Ahmad gar nicht kennen. Und es gibt ein Schreiben von Ahmad an Sabine Rollberg, der Arte-Beauftragten beim WDR, unserer zuständigen Redakteurin, wo er sagt: Ich war Berater bei dem… Das ist ja in ihrem Einverständnis passiert, mit der Sabine Rollberg – dass er, weil er keine Zeit hatte und ein Kind bekommen hat –, dass aus dem Koautor der Berater Ahmad Mansour wurde. In Einverständnis mit Sabine Rollberg. Und das ist völlig ausreichend. Da muss sich nicht der Programmdirektor in Frankreich drum kümmern. Und er, in seinem Schreiben von Ahmad Mansour sagt er: Der Film muss gesendet werden; mit mir als Koautor statt Berater wäre er genau so geworden. Also: Where’s the problem? Das will man nur nicht wahrhaben. Weil einen der Film stört. Weil angeblich der Film eben nicht multiperspektivisch sei. Jetzt erklären Sie mir doch, erklären Sie mir bitte, wie man zum Thema Antisemitismus multiperspektivisch sein soll. Also, ich sag’s mal verkürzt, ich frag’ Sie, ob Sie das auch so verstehen: Wenn ich Auschwitz thematisiere, muss ich dann auch die SS zu Wort kommen lassen? Die hatten’s auch nicht leicht. Oder wie ist das zu verstehen?
    "Es kann Angst sein"
    Brigitte Baetz: Es steht ja dann der Verdacht auch im Raum, dass man gerade bei diesem Thema besonders, ja, viele Stimmen braucht. Aber braucht man das? Das ist die Frage.
    Joachim Schroeder: Wir haben viele Stimmen, Entschuldigung, wir haben viele antisemitische Stimmen und wir haben viele Expertenstimmen und wir haben Stimmen von Opfern. Ich weiß gar nicht, was der Vorwurf soll.
    Brigitte Baetz: Können Sie sich vorstellen, was möglicherweise dahintersteht? Ist das Angst?
    Joachim Schroeder: Ich will nicht mutmaßen. Ich will nicht mutmaßen. Es kann Angst sein, es kann sein, dass uns, dass uns..., dass eine projüdische Haltung inzwischen anscheinend nicht en vogue ist. Natürlich haben wir uns…, sind wir tendenziell projüdisch, ist doch klar. Das ist ja ein Film über Antisemitismus.
    Brigitte Baetz: Ist Ihnen sowas schon mal passiert?
    Joachim Schroeder: Nein. Das ist mir in 25 Jahren nicht passiert.
    Brigitte Baetz: Müssen Sie jetzt die Kosten selbst tragen?
    Joachim Schroeder: Nein. Und das hab’ ich nur Sabine Rollberg zu verdanken. Die wurde immerhin intern beim WDR gegrillt, die wurde aufgefordert, die redaktionelle Abnahme zurückzuziehen. Das hat sie nicht getan, tapfererweise.
    Brigitte Baetz: Hätten Sie denn die Möglich…
    Joachim Schroeder: …sie geht aber – Sekunde! –, sie geht aber dafür Ende des Jahres in den Vorruhestand. So viel zum Thema atmosphärisch im WDR.
    Brigitte Baetz: Hätten Sie denn die Möglichkeit, den Film trotzdem irgendwo zu zeigen?
    Joachim Schroeder: Müsste ich offiziell zurückkaufen, zumindest je nachdem, um welche Rechte es sich handelt.
    Brigitte Baetz: Natürlich haben wir den WDR um eine Stellungnahme gebeten, leider aber bis jetzt keine bekommen. Der Dokumentarfilmer Joachim Schroeder war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.