"Auf der nachfolgenden Liste teile ich Ihnen die Namen der Fische mit, welche meinen Teich bewohnen. Sie meinen, das interessiere Sie überhaupt nicht? Sagen Sie nicht selbst, Nichtabschicken ist schwerer denn Abschicken? Die Namen. 1. (rot): Redskin. 2. (weiß mit rotem Hinterhaupt): Redneck. 3. (weiß mit schwarzen Flecken): Panda. 4. (quittegelb): China Man. 5. (schwarz-weiß-rot): Kaiser Wilhelm. 6. (rot und braun): Schirinowski. 7. (quittegelb, sehr klein): China Boy.",
schreibt am 3. Juli 1998 der 70-jährige Dichter Peter Hacks an den eben 30 Jahre alt gewordenen Mainzer Jurastudenten André Thiele, der sich seit kurzem in einer Korrespondenz über literarische Fragen mit dem letzten deutschen Klassiker seit 1832 befindet. Vielmehr: Thiele liefert – Rechercheergebnisse nämlich –; Hacks kommentiert und lässt hie und da seinen Geist über dem Famulus leuchten. Nichts in seiner Rede ist dabei zufällig, bleibt Zeichen ohne Sinn, und die Koi-Karpfen dürfen sich einem derart durchsemantisierten Universum wie dem Hacksschen nicht entziehen. Den Witz liefert der Dichter, indem er Färbungen an Namen reibt ... Schirinowski, der russische Rechtsradikale, muss natürlich rot und braun gefleckt sein, dito macht Schwarzweißrot den Kaiser Wilhelm aus. Warum aber teilt Hacks das mit? Weil ihn jene Eitelkeit kitzelt, die eine Pointe in Mitteilungsdrang ummünzt, auch wenn man damit eigene Distanzgrenzen unterminiert und eine sockelstürzende Intimität zulässt – und das nach knapp einem Dreivierteljahr Korrespondenz! Zum Glück ist Thiele ein Fan mit Duldungsvermögen und bar jeder Heimtücke; er goutiert jeden Kalauer. Oder erspürt er die innewohnende Prüfung, die den Briefwechsel bei falsch gestimmter Antwort jäh zum Erliegen brächte? Hacks kann auch ganz anders, wie ein Zitat aus späteren, briefbeziehungsmäßig gefestigten Zeiten zeigt:
"Wenn ich mich je entschließen sollte, eine Kanone auf Sie zu richten, dann wären Sie nicht in der angenehmen Lage eines in die Luft aufflatternden Sperlings. Was Sie dann sind, ist ein vor die Mündung meines Geschützes gebundener Inder und durchaus außerstande, mir in endlosen Briefen zu erwidern und das Ungerechte an Ihrem Tod zu erklären."
Peter Hacks brauchen wir an dieser Stelle nicht einzuführen; er war ein produktiver Lyriker, Dramatiker, Essayist und Kinderbuchautor, dessen Rang nur aus anderen denn literarischen Gründen angezweifelt werden darf; doch davon später. Sein junger Korrespondent André Thiele erweist sich ebenfalls als so sprachgewandt und intelligent, dass die damals schon plausible Vermutung, aus dem werde noch mal was, inzwischen längst eingetroffen ist; und das hat genuin mit Hacks zu tun. Genauer: Mit dem Beginn des Briefwechsels und einem gewichtigen Teil seines Inhalts. 1988 publizierte Peter Hacks einen Essay über den vergessenen jüdischen Publizisten Saul Ascher.
"Ascher geriet nicht in Vergessenheit, er wurde in sie verbracht." (Peter Hacks "Ascher gegen Jahn" – S. 375)
... der eine Prophezeiung enthält:
"Eine Anstalt für Taschenbücher oder Studienausgaben könnte sich entschließen, zwei Bände zu drucken. (...) Es ist die Herausforderung zur Umbewertung des Hauptabschnittes unseres gehabten Geistes. Ich bin ganz sicher, dass meine Verlegerfreunde sie nicht annehmen werden; sie werden es nicht wagen. Sie werden den Ascher nicht wagen."
Heute verlegt André Thiele in seiner eigenen literarischen Anstalt VAT sehr wohl den Ascher und gehört mit seinem Hacks-philologischen und belletristischen Programm zu den interessanten kleinen Verlagen der Republik. 1997 beginnt der Briefwechsel mit einer Gabe: Thiele schickt dem Dichter ein von diesem verschollen geglaubtes Theaterstück Saul Aschers zu. Wie im Verlauf der Korrespondenz deutlich wird, gründet sich die Verschollenheit so mancher von Hacks erheischter Literatur rein auf dessen Lebensweise als Faulpelz: Der Großdichter will sich nicht selbst auf die Suche machen und sperrt sich auch gegen die bequemen Recherchemöglichkeiten, die das aufkommende Internet bietet.
So schickt André Thiele, dem Hacks sein Eckermann sein wollend, unermüdlich Bibliotheksbücher von Mainz nach Berlin und Brandenburg, die dann, wenn die Leihfrist abgelaufen ist, den Weg retour nehmen. Diese Postkutschenzeitalter-Absurdität passt exakt zur aristokratischen Attitüde, die Peter Hacks zeitlebens pflegte, in der die technische Moderne nur als Störfaktor vorkam. Als sein hilfreicher Lakai einen Fernseher anzuschaffen erwägt, rät er diesem:
"Sie gewinnen Platz für einen Fernsehapparat, indem Sie den Komputer wegwerfen. Wenn Sie auf beide verzichten, können Sie sich eine Stange mit einem Ara leisten, was vom Standpunkt der Erkenntnis natürlich die höchststehende Lösung ist."
So bizarr der Buchverkehr quer durch die Republik auch wirkt, hin und wieder sind Schriftstücke für Hacks tatsächlich nur über seinen Adlatus zugänglich. Denn an manchen Orten ist der Leumund des renitenten – man kann auch sagen: prinzipiell querulantorischen, weil unbelehrbar linksradikalen – Klassikers qua Selbstkrönung ziemlich beschädigt. Zum Beispiel bei der Berliner Akademie der Künste, wo Hacks Einsicht in bestimmte Protokolle der DDR-Zeit nehmen will:
"Wer das Verhältnis zwischen mir und dieser Westakademie kennt, kapiert sofort, dass ich das nicht machen kann. Wollen Sie es für mich unternehmen? Das ist sehr viel Güte gefordert, und Sie werden mir aufrichtig sagen, wenn es zu viel ist. Andererseits weiß ich, dass Sie derartige Sachen können und ohnehin tun. »Wenn sie ja schon 12 Kinder hat«, sagte der Ehemann und machte seiner Frau Drillinge."
Natürlich lehnt André Thiele nicht ab und meldet alsbald Vollzug:
"Das Archiv der Westakademie ist eine Institution zur Verhinderung von Auskünften zur Ostakademie. (...) Die Benutzungsordnung verbietet Gästen wie Angestellten auf das Strengste die Anfertigung von Photokopien. Was in jeder Weltlage gegen Benutzungsordnungen spricht, ist der Faktor Frau. Habe ich Ihnen gegenüber schon einmal erwähnt, dass meine Erfolge in Archiven auf geheimnisvolle Weise damit zusammenhängen, dass die in denen beschäftigten Damen an mir immerzu ihre Liebesfähigkeit entdecken? Kurz, Frau [...] schickt, was wir haben wollen; zwar zitterte ihre Stimme, als sie mir bei ihrem vierten Anruf (nein, nicht meinem) das Versprechen gab, aber das Zittern, bilde ich mir ein, war nur zur Hälfte Angst. Schließen wir sie in unser Nachtgebet mit ein."
Diese hübsche Stelle belegt, dass Eckermann den Goethe zwar nicht plagiiert, aber seinen Tonfall aufzunehmen vermag. Darin liegt der oberflächliche Grund, warum die 500 Seiten des Briefwechsels trotz ermüdender philologischer Details zu Saul Ascher immer wieder amüsieren. Die von Peter Hacks apostrophierte
"Umbewertung des Hauptabschnittes unseres gehabten Geistes"
... die aus der Personalie resultiere, tritt dagegen trotz ihrer quantitativen Gewichtigkeit in den Hintergrund. Weder Hacks' Essay "Ascher gegen Jahn", noch Aschers inzwischen teilweise von André Thiele edierte Schriften enthalten jenen historischen und politischen Sprengstoff, den die beiden Ascher-Ausgräber reklamieren. Im Original ist Ascher stilistisch eher schwerfällig und für heutige Diskurse randständig, verständlich wird seine (Über)-Schätzung nur, wenn man sich dem monomanischen Lebensthema von Peter Hacks verschreibt, das den Kampf zwischen Klassik und Romantik als entscheidende Auseinandersetzung für die Politik und Ästhetik der Neuzeit ansah.
Dabei steht die Klassik für Rationalität, Vernunft, Regelkonformität und einen starken hegelianischen Staat, der gerne dann auch diktatorisch sein darf, während die irrationale, verspielte und versponnene Romantik bei Hacks alles verkörpert, was nur böse sein kann. Dabei war er selbst nicht unböse. Ja Boshaftigkeit, Infamie, Denken in Kategorien von Freunden und Feinden nebst implizitem Vernichtungswillen durchzieht sein publizistisches Gesamtwerk. Als diabolischer Stilist wusste er natürlich, wie man formulieren muss, um selbst für unverhohlene Aggressionen noch Beifall zu finden. Schnell eine Sottise eingestreut, schon ist man nicht mehr Gewalthetzer, sondern nur noch kaltschnäuziger Snob:
"Sagen Sie mir, wer unser Hauptfeind ist. Ich kenne keine Feinde, weil mich Feinde langweilen. Jetzt hätte ich gern einen; denn ich habe seit jüngstem Lust, einen totzuschlagen",
schreibt Hacks an anderer Stelle an den Lyriker Robert Gernhardt im Jahre 2001. Aber genau das, der tiefere Einblick in die Charakterstruktur eines Autors, der alle inneren Ungehobeltheiten in glatten Stil auflöste, verleiht der Lektüre des vorliegenden Briefwechsels ihren Reiz. Es ist unklar, ob wir heute Mitlesenden schon damals als Publikum antizipiert wurden; allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass ein so auf Wirkung bedachter Schriftsteller diese Option nicht automatisch in Erwägung zog. An der gewählten Pose der Überlegenheit, die ja zugleich eine perfekte Larve für öffentliche Auftritte liefert, lässt sich das immer wieder erkennen. Mal kommt diese Pose als elegant gesetzter Stoßseufzer ob der Last der eigenen Bedeutung daher:
"Was nimmt sich diese ganze Weltgeschichte heraus, dass sie unbedingt von mir geschrieben sein will?"
Dann klingt sie gegenüber dem 40 Jahre jüngeren und dichterisch dilettierenden Juristen unverhohlen herablassend, gleichwohl sarkastisch geschliffen:
"Ein Vers kann katalektisch, akatalektisch oder aber hyperkatalektisch sein. Machen Sie sich nichts draus; ich bringe Ihnen gern rasch die Metrik bei, falls Sie sie, beim Bundesgericht oder wo immer, brauchen."
Schließlich wird der Ton huldvoll, wenn Hacks die Entschuldigung seines fernen Gegenübers annimmt, dass dessen Gattin vorangegangene briefliche Unbotmäßigkeiten schon vorweg kritisiert habe:
"Folgendes Dekret ist ergangen: An den Oberhenker der Hauptstadt Babylon. Betr. Delinquent Thiele: Der og. Thiele ist, auf Interpellation seiner Frau Liebsten, wieder herunterzunehmen, falls er noch zappelt."
Wo man hinsieht, regieren Pose, Maske und Spiel; dieser Briefwechsel ist unauthentisch. Das Spannende liegt in der Frage, wo sich dennoch Authentisches nicht verbergen lässt, so sehr sich die Schreibenden auch darum bemühen. Kehren wir noch einmal zu den Koi-Karpfen zurück. In den sechs Jahren Korrespondenz bis zu Peter Hacks' Tod finden sie zwei weitere Male Erwähnung. Einmal als flüchtiger Kalauer André Thieles, ein andermal als Randbemerkung über den Hacksschen Hauskater, der nach dem Al-Kaida-Gründer Bin Laden heißt. Hacks lakonisch:
"Die Kois achtet Osama streng. (Es gibt zwar tatsächlich israelische Kois, aber desgleichen Schund betritt mein Haus nicht)."
Hier stoßen wir zum nackten Kern vor. Ressentiments sind nicht elegant, sie unterlaufen alle Posen. Wo sie wie Eiterbeulen die Oberfläche eines geschliffenen Textes durchbrechen, zeigen sie die Machtlosigkeit des Textschleifers gegenüber eigenen Antriebskräften im Unter- und Hintergrund. Dieser Briefwechsel steckt voller Ressentiments; das antiisraelische ist neben dem antidemokratischen und dem antikapitalistischen das kleinste von Dreien. Im Hacksschen Oevre stellt es allerdings keine Singularität dar; schon der 88er-Essay "Ascher gegen Jahn", ausgerechnet zur Rehabilitation eines deutschen Juden verfasst, enthält einen ebenso mutwilligen wie überflüssigen Seitenhieb auf die erste analytische Veröffentlichung über Ascher in einem Jahrbuch. Einem ausländischen.
"Diese Jahrbücher erscheinen nicht in der DDR. Sie erscheinen in Tel Aviv im Staate Israel, von allen Staaten ausgerechnet in dem. Ich kann gar nicht sagen, wie mich das ärgert."
Wie nun reagiert der junge André Thiele auf diese Ressentiments? Übergeht er sie stillschweigend, stellt er sich ihnen – um die Gefahr des Korrespondenzabbruchs wissend – mannhaft entgegen? Nein.
"Wenn in naher Bälde wir die Atombomben abschaffen, erinnern Sie mich dann bitte daran, eine aufzusparen und auf Jerusalem zu schmeißen, dass da kein Stein mehr erhalten bleibt? Das wäre freundlich",
schreibt er im Herbst 2000 – es ist der Beginn der Zweiten Intifada – und kassiert, wohl unerwartet, eine Abfuhr seines Idols. Aber dessen Worte sind nur auf den ersten Blick eine Abfuhr, eigentlich stellen sie eine Steigerung dar:
"Warum wollen Sie Jerusalem sprengen? Gut, wenn Juden-, Christen- und Allahtum damit definitiv verpulvert wären, würde ich es einsehen. Aber es ist doch ein netter und berühmter Ort mit ein paar hübschen Ruinen, und eine Lösung, wie in Palästina zu leben, lässt sich mit sehr viel Geld und etwas Diktatur des Proletariats immer noch relativ leicht finden."
Es gibt eine Selbstgefälligkeit der Brillanz, die zur Barbarei führt. Man kann nicht auf jeden Gegenstand seinen Witz anwenden wollen, das erzeugt Inhumanität. Auffallenderweise existiert ein reziproker Dialogverlauf ein Jahr zuvor. Da ist es eine Hackssche Politgewaltfantasie.
"Haben Sie da in Mainz den Beck? Ich glaube, Sie bedürften auch einer Landtagssäuberung. Alles äußerst Schöne, Ihr Peter Hacks."
... der Thiele mäßig witzig, doch mäßigend entgegentritt:
"Wenn ich wüsste, wer Beck ist, ich bin sicher, ich stimmte Ihnen zu – und nähme die Säuberung vor. Drum besser ist's, es nicht zu wissen. Beste Grüße Ihres Thiele."
Man könnte zu dem Schluss kommen, dass der Splitter im eigenen Auge nur als Balken beim Gegenüber wahrnehmbar wird, dann aber für ein gewisses Unbehagen sorgt, das nach Korrektur verlangt. Oft kommt das freilich nicht vor, der ganze Briefwechsel ist von kraftmeierischer Politstänkerei auf beiden Seiten durchzogen, wie sie sich bei Erwachsenen nur hält, wenn sich jemand in seiner eigenen – hohen – Selbsteinschätzung ungenügend gewürdigt fühlt. Im Falle Thieles mag der Eckermann-Vorbehalt gelten, dass die Position eines Genie-Vertrauten nicht gratis zu haben ist, Anpassung, Unterwürfigkeit und Selbstverleugnung dazu gehören. Im Falle des Dichters spiegelt der Briefwechsel deutlich jene Isolation wider, in der Hacks sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte. Das den Narzißmus wärmende Feuer öffentlicher Aufmerksamkeit lieferten nur noch die beiden unbedeutenden Postillen "Junge Welt" und "Konkret"; die gesamte Hacksrezeption dieser Jahre fand im linkssektiererischen Milieu statt. Hacks gab den letzten verbliebenen Affen Zucker, indem er weiterhin jenen halsstarrigen Stalinismus predigte, dem er zeitlebens aus Überzeugung treu geblieben war. Feige, wie das Feuilleton ist, setzte die Rehabilitation des Dichters erst nach seinem Tode ein. Da bestand keine Gefahr mehr, dass der Lyrik- und Theaterklassiker seine Laudatoren durch politische Querschlägerei brüskierte. Frank Schirrmachers Abwägung der guten Lyrik gegen die böse Pamphletik in der FAZ ...
"...dass neunzig Worte in der richtigen Reihenfolge mehr wert sind als zehntausend Worte in der falschen..." (Frank Schirrmacher – FAZ v. 10.3.2008)
... lässt sich aber kaum halten. Hätte Hacks die Macht einer seiner beiden adorierten Vorbilder Stalin und Ulbricht besessen.
"Ulbricht war ein genialer Denker, leider kein genialer Schriftsteller."
Hätten 90 falsche Worte in der – von Hacks aus gesehen – richtigen politischen Richtung auch 90 Todesurteile sein können. Sprache in der Hand von Ideologen ist niemals neutral, es verhält sich da wie mit dem Geld: Man kann in Euro rechnen, ohne sich zu fragen, wodurch er gedeckt wird; dann bleibt man unaufgeklärter Konsument und wundert sich, wenn alles irgendwann zusammenbricht. Autoren mögen die Frage nach der Deckung ihrer Sätze durch innewohnende Werte ebenso wenig wie Banker jene nach der Deckung ihrer virtuellen Geldbestände. In beiden Fällen aber geht es um Haftung, also um Moral. Viele scharfsinnige, intellektuell verzückende Sätze von Hacks schrumpfen angesichts seines politischen Fundamentalismus zu ungedecktem Sprachspielgeld, zu eitlen artistischen Nichtigkeiten. Praktisch angewendet, richten sie sich zuweilen gar gegen den Dichter selbst, etwa das Aperçu aus den "Maßgaben der Kunst", niedergelegt in den 70er-Jahren:
"Zur Politik gehört Erfahrung, zur Philosophie bloß Geist, und der Geist ist am Menschen fertig, bevor die Erfahrungen einzutreffen beginnen.”
Hacks hielt seinen Geist schon immer für fertig und hat ihn ein Leben lang von irritierenden Erfahrungen ferngehalten. Das kostete seinen Preis. Zwar kann selbst Verweigerung von Intelligenz noch Intelligenz vorspiegeln, indem sie sich in brillante Sarkasmen hüllt, doch eines kann sie nicht: sich als Vernunft verkleiden. Dieses große Ideal bleibt bei Hacks unerreicht, je verbissener er es als Ziel ausgab. Das Kennzeichen großer Geister besaß er im Übermaß, die Eitelkeit; das Prädikatssiegel reifer Intellektualität errang er aber nie: die Demut. So ist er einer der wenigen Autoren der Literaturgeschichte, die man, je besser man sie kennt, aus Abscheu statt aus Liebe weiterliest. Das hat er natürlich immer gewusst, und es war ihm vermutlich sogar recht. Denn Abscheu stiftet eine Treue, die Liebe oft überdauert.
Felix Bartels (Hrsg.): "Der Briefwechsel zwischen
Peter Hacks und André Thiele 1997-2003"
Eulenspiegel Verlag, 510 Seiten, 24,95 Euro
schreibt am 3. Juli 1998 der 70-jährige Dichter Peter Hacks an den eben 30 Jahre alt gewordenen Mainzer Jurastudenten André Thiele, der sich seit kurzem in einer Korrespondenz über literarische Fragen mit dem letzten deutschen Klassiker seit 1832 befindet. Vielmehr: Thiele liefert – Rechercheergebnisse nämlich –; Hacks kommentiert und lässt hie und da seinen Geist über dem Famulus leuchten. Nichts in seiner Rede ist dabei zufällig, bleibt Zeichen ohne Sinn, und die Koi-Karpfen dürfen sich einem derart durchsemantisierten Universum wie dem Hacksschen nicht entziehen. Den Witz liefert der Dichter, indem er Färbungen an Namen reibt ... Schirinowski, der russische Rechtsradikale, muss natürlich rot und braun gefleckt sein, dito macht Schwarzweißrot den Kaiser Wilhelm aus. Warum aber teilt Hacks das mit? Weil ihn jene Eitelkeit kitzelt, die eine Pointe in Mitteilungsdrang ummünzt, auch wenn man damit eigene Distanzgrenzen unterminiert und eine sockelstürzende Intimität zulässt – und das nach knapp einem Dreivierteljahr Korrespondenz! Zum Glück ist Thiele ein Fan mit Duldungsvermögen und bar jeder Heimtücke; er goutiert jeden Kalauer. Oder erspürt er die innewohnende Prüfung, die den Briefwechsel bei falsch gestimmter Antwort jäh zum Erliegen brächte? Hacks kann auch ganz anders, wie ein Zitat aus späteren, briefbeziehungsmäßig gefestigten Zeiten zeigt:
"Wenn ich mich je entschließen sollte, eine Kanone auf Sie zu richten, dann wären Sie nicht in der angenehmen Lage eines in die Luft aufflatternden Sperlings. Was Sie dann sind, ist ein vor die Mündung meines Geschützes gebundener Inder und durchaus außerstande, mir in endlosen Briefen zu erwidern und das Ungerechte an Ihrem Tod zu erklären."
Peter Hacks brauchen wir an dieser Stelle nicht einzuführen; er war ein produktiver Lyriker, Dramatiker, Essayist und Kinderbuchautor, dessen Rang nur aus anderen denn literarischen Gründen angezweifelt werden darf; doch davon später. Sein junger Korrespondent André Thiele erweist sich ebenfalls als so sprachgewandt und intelligent, dass die damals schon plausible Vermutung, aus dem werde noch mal was, inzwischen längst eingetroffen ist; und das hat genuin mit Hacks zu tun. Genauer: Mit dem Beginn des Briefwechsels und einem gewichtigen Teil seines Inhalts. 1988 publizierte Peter Hacks einen Essay über den vergessenen jüdischen Publizisten Saul Ascher.
"Ascher geriet nicht in Vergessenheit, er wurde in sie verbracht." (Peter Hacks "Ascher gegen Jahn" – S. 375)
... der eine Prophezeiung enthält:
"Eine Anstalt für Taschenbücher oder Studienausgaben könnte sich entschließen, zwei Bände zu drucken. (...) Es ist die Herausforderung zur Umbewertung des Hauptabschnittes unseres gehabten Geistes. Ich bin ganz sicher, dass meine Verlegerfreunde sie nicht annehmen werden; sie werden es nicht wagen. Sie werden den Ascher nicht wagen."
Heute verlegt André Thiele in seiner eigenen literarischen Anstalt VAT sehr wohl den Ascher und gehört mit seinem Hacks-philologischen und belletristischen Programm zu den interessanten kleinen Verlagen der Republik. 1997 beginnt der Briefwechsel mit einer Gabe: Thiele schickt dem Dichter ein von diesem verschollen geglaubtes Theaterstück Saul Aschers zu. Wie im Verlauf der Korrespondenz deutlich wird, gründet sich die Verschollenheit so mancher von Hacks erheischter Literatur rein auf dessen Lebensweise als Faulpelz: Der Großdichter will sich nicht selbst auf die Suche machen und sperrt sich auch gegen die bequemen Recherchemöglichkeiten, die das aufkommende Internet bietet.
So schickt André Thiele, dem Hacks sein Eckermann sein wollend, unermüdlich Bibliotheksbücher von Mainz nach Berlin und Brandenburg, die dann, wenn die Leihfrist abgelaufen ist, den Weg retour nehmen. Diese Postkutschenzeitalter-Absurdität passt exakt zur aristokratischen Attitüde, die Peter Hacks zeitlebens pflegte, in der die technische Moderne nur als Störfaktor vorkam. Als sein hilfreicher Lakai einen Fernseher anzuschaffen erwägt, rät er diesem:
"Sie gewinnen Platz für einen Fernsehapparat, indem Sie den Komputer wegwerfen. Wenn Sie auf beide verzichten, können Sie sich eine Stange mit einem Ara leisten, was vom Standpunkt der Erkenntnis natürlich die höchststehende Lösung ist."
So bizarr der Buchverkehr quer durch die Republik auch wirkt, hin und wieder sind Schriftstücke für Hacks tatsächlich nur über seinen Adlatus zugänglich. Denn an manchen Orten ist der Leumund des renitenten – man kann auch sagen: prinzipiell querulantorischen, weil unbelehrbar linksradikalen – Klassikers qua Selbstkrönung ziemlich beschädigt. Zum Beispiel bei der Berliner Akademie der Künste, wo Hacks Einsicht in bestimmte Protokolle der DDR-Zeit nehmen will:
"Wer das Verhältnis zwischen mir und dieser Westakademie kennt, kapiert sofort, dass ich das nicht machen kann. Wollen Sie es für mich unternehmen? Das ist sehr viel Güte gefordert, und Sie werden mir aufrichtig sagen, wenn es zu viel ist. Andererseits weiß ich, dass Sie derartige Sachen können und ohnehin tun. »Wenn sie ja schon 12 Kinder hat«, sagte der Ehemann und machte seiner Frau Drillinge."
Natürlich lehnt André Thiele nicht ab und meldet alsbald Vollzug:
"Das Archiv der Westakademie ist eine Institution zur Verhinderung von Auskünften zur Ostakademie. (...) Die Benutzungsordnung verbietet Gästen wie Angestellten auf das Strengste die Anfertigung von Photokopien. Was in jeder Weltlage gegen Benutzungsordnungen spricht, ist der Faktor Frau. Habe ich Ihnen gegenüber schon einmal erwähnt, dass meine Erfolge in Archiven auf geheimnisvolle Weise damit zusammenhängen, dass die in denen beschäftigten Damen an mir immerzu ihre Liebesfähigkeit entdecken? Kurz, Frau [...] schickt, was wir haben wollen; zwar zitterte ihre Stimme, als sie mir bei ihrem vierten Anruf (nein, nicht meinem) das Versprechen gab, aber das Zittern, bilde ich mir ein, war nur zur Hälfte Angst. Schließen wir sie in unser Nachtgebet mit ein."
Diese hübsche Stelle belegt, dass Eckermann den Goethe zwar nicht plagiiert, aber seinen Tonfall aufzunehmen vermag. Darin liegt der oberflächliche Grund, warum die 500 Seiten des Briefwechsels trotz ermüdender philologischer Details zu Saul Ascher immer wieder amüsieren. Die von Peter Hacks apostrophierte
"Umbewertung des Hauptabschnittes unseres gehabten Geistes"
... die aus der Personalie resultiere, tritt dagegen trotz ihrer quantitativen Gewichtigkeit in den Hintergrund. Weder Hacks' Essay "Ascher gegen Jahn", noch Aschers inzwischen teilweise von André Thiele edierte Schriften enthalten jenen historischen und politischen Sprengstoff, den die beiden Ascher-Ausgräber reklamieren. Im Original ist Ascher stilistisch eher schwerfällig und für heutige Diskurse randständig, verständlich wird seine (Über)-Schätzung nur, wenn man sich dem monomanischen Lebensthema von Peter Hacks verschreibt, das den Kampf zwischen Klassik und Romantik als entscheidende Auseinandersetzung für die Politik und Ästhetik der Neuzeit ansah.
Dabei steht die Klassik für Rationalität, Vernunft, Regelkonformität und einen starken hegelianischen Staat, der gerne dann auch diktatorisch sein darf, während die irrationale, verspielte und versponnene Romantik bei Hacks alles verkörpert, was nur böse sein kann. Dabei war er selbst nicht unböse. Ja Boshaftigkeit, Infamie, Denken in Kategorien von Freunden und Feinden nebst implizitem Vernichtungswillen durchzieht sein publizistisches Gesamtwerk. Als diabolischer Stilist wusste er natürlich, wie man formulieren muss, um selbst für unverhohlene Aggressionen noch Beifall zu finden. Schnell eine Sottise eingestreut, schon ist man nicht mehr Gewalthetzer, sondern nur noch kaltschnäuziger Snob:
"Sagen Sie mir, wer unser Hauptfeind ist. Ich kenne keine Feinde, weil mich Feinde langweilen. Jetzt hätte ich gern einen; denn ich habe seit jüngstem Lust, einen totzuschlagen",
schreibt Hacks an anderer Stelle an den Lyriker Robert Gernhardt im Jahre 2001. Aber genau das, der tiefere Einblick in die Charakterstruktur eines Autors, der alle inneren Ungehobeltheiten in glatten Stil auflöste, verleiht der Lektüre des vorliegenden Briefwechsels ihren Reiz. Es ist unklar, ob wir heute Mitlesenden schon damals als Publikum antizipiert wurden; allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass ein so auf Wirkung bedachter Schriftsteller diese Option nicht automatisch in Erwägung zog. An der gewählten Pose der Überlegenheit, die ja zugleich eine perfekte Larve für öffentliche Auftritte liefert, lässt sich das immer wieder erkennen. Mal kommt diese Pose als elegant gesetzter Stoßseufzer ob der Last der eigenen Bedeutung daher:
"Was nimmt sich diese ganze Weltgeschichte heraus, dass sie unbedingt von mir geschrieben sein will?"
Dann klingt sie gegenüber dem 40 Jahre jüngeren und dichterisch dilettierenden Juristen unverhohlen herablassend, gleichwohl sarkastisch geschliffen:
"Ein Vers kann katalektisch, akatalektisch oder aber hyperkatalektisch sein. Machen Sie sich nichts draus; ich bringe Ihnen gern rasch die Metrik bei, falls Sie sie, beim Bundesgericht oder wo immer, brauchen."
Schließlich wird der Ton huldvoll, wenn Hacks die Entschuldigung seines fernen Gegenübers annimmt, dass dessen Gattin vorangegangene briefliche Unbotmäßigkeiten schon vorweg kritisiert habe:
"Folgendes Dekret ist ergangen: An den Oberhenker der Hauptstadt Babylon. Betr. Delinquent Thiele: Der og. Thiele ist, auf Interpellation seiner Frau Liebsten, wieder herunterzunehmen, falls er noch zappelt."
Wo man hinsieht, regieren Pose, Maske und Spiel; dieser Briefwechsel ist unauthentisch. Das Spannende liegt in der Frage, wo sich dennoch Authentisches nicht verbergen lässt, so sehr sich die Schreibenden auch darum bemühen. Kehren wir noch einmal zu den Koi-Karpfen zurück. In den sechs Jahren Korrespondenz bis zu Peter Hacks' Tod finden sie zwei weitere Male Erwähnung. Einmal als flüchtiger Kalauer André Thieles, ein andermal als Randbemerkung über den Hacksschen Hauskater, der nach dem Al-Kaida-Gründer Bin Laden heißt. Hacks lakonisch:
"Die Kois achtet Osama streng. (Es gibt zwar tatsächlich israelische Kois, aber desgleichen Schund betritt mein Haus nicht)."
Hier stoßen wir zum nackten Kern vor. Ressentiments sind nicht elegant, sie unterlaufen alle Posen. Wo sie wie Eiterbeulen die Oberfläche eines geschliffenen Textes durchbrechen, zeigen sie die Machtlosigkeit des Textschleifers gegenüber eigenen Antriebskräften im Unter- und Hintergrund. Dieser Briefwechsel steckt voller Ressentiments; das antiisraelische ist neben dem antidemokratischen und dem antikapitalistischen das kleinste von Dreien. Im Hacksschen Oevre stellt es allerdings keine Singularität dar; schon der 88er-Essay "Ascher gegen Jahn", ausgerechnet zur Rehabilitation eines deutschen Juden verfasst, enthält einen ebenso mutwilligen wie überflüssigen Seitenhieb auf die erste analytische Veröffentlichung über Ascher in einem Jahrbuch. Einem ausländischen.
"Diese Jahrbücher erscheinen nicht in der DDR. Sie erscheinen in Tel Aviv im Staate Israel, von allen Staaten ausgerechnet in dem. Ich kann gar nicht sagen, wie mich das ärgert."
Wie nun reagiert der junge André Thiele auf diese Ressentiments? Übergeht er sie stillschweigend, stellt er sich ihnen – um die Gefahr des Korrespondenzabbruchs wissend – mannhaft entgegen? Nein.
"Wenn in naher Bälde wir die Atombomben abschaffen, erinnern Sie mich dann bitte daran, eine aufzusparen und auf Jerusalem zu schmeißen, dass da kein Stein mehr erhalten bleibt? Das wäre freundlich",
schreibt er im Herbst 2000 – es ist der Beginn der Zweiten Intifada – und kassiert, wohl unerwartet, eine Abfuhr seines Idols. Aber dessen Worte sind nur auf den ersten Blick eine Abfuhr, eigentlich stellen sie eine Steigerung dar:
"Warum wollen Sie Jerusalem sprengen? Gut, wenn Juden-, Christen- und Allahtum damit definitiv verpulvert wären, würde ich es einsehen. Aber es ist doch ein netter und berühmter Ort mit ein paar hübschen Ruinen, und eine Lösung, wie in Palästina zu leben, lässt sich mit sehr viel Geld und etwas Diktatur des Proletariats immer noch relativ leicht finden."
Es gibt eine Selbstgefälligkeit der Brillanz, die zur Barbarei führt. Man kann nicht auf jeden Gegenstand seinen Witz anwenden wollen, das erzeugt Inhumanität. Auffallenderweise existiert ein reziproker Dialogverlauf ein Jahr zuvor. Da ist es eine Hackssche Politgewaltfantasie.
"Haben Sie da in Mainz den Beck? Ich glaube, Sie bedürften auch einer Landtagssäuberung. Alles äußerst Schöne, Ihr Peter Hacks."
... der Thiele mäßig witzig, doch mäßigend entgegentritt:
"Wenn ich wüsste, wer Beck ist, ich bin sicher, ich stimmte Ihnen zu – und nähme die Säuberung vor. Drum besser ist's, es nicht zu wissen. Beste Grüße Ihres Thiele."
Man könnte zu dem Schluss kommen, dass der Splitter im eigenen Auge nur als Balken beim Gegenüber wahrnehmbar wird, dann aber für ein gewisses Unbehagen sorgt, das nach Korrektur verlangt. Oft kommt das freilich nicht vor, der ganze Briefwechsel ist von kraftmeierischer Politstänkerei auf beiden Seiten durchzogen, wie sie sich bei Erwachsenen nur hält, wenn sich jemand in seiner eigenen – hohen – Selbsteinschätzung ungenügend gewürdigt fühlt. Im Falle Thieles mag der Eckermann-Vorbehalt gelten, dass die Position eines Genie-Vertrauten nicht gratis zu haben ist, Anpassung, Unterwürfigkeit und Selbstverleugnung dazu gehören. Im Falle des Dichters spiegelt der Briefwechsel deutlich jene Isolation wider, in der Hacks sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte. Das den Narzißmus wärmende Feuer öffentlicher Aufmerksamkeit lieferten nur noch die beiden unbedeutenden Postillen "Junge Welt" und "Konkret"; die gesamte Hacksrezeption dieser Jahre fand im linkssektiererischen Milieu statt. Hacks gab den letzten verbliebenen Affen Zucker, indem er weiterhin jenen halsstarrigen Stalinismus predigte, dem er zeitlebens aus Überzeugung treu geblieben war. Feige, wie das Feuilleton ist, setzte die Rehabilitation des Dichters erst nach seinem Tode ein. Da bestand keine Gefahr mehr, dass der Lyrik- und Theaterklassiker seine Laudatoren durch politische Querschlägerei brüskierte. Frank Schirrmachers Abwägung der guten Lyrik gegen die böse Pamphletik in der FAZ ...
"...dass neunzig Worte in der richtigen Reihenfolge mehr wert sind als zehntausend Worte in der falschen..." (Frank Schirrmacher – FAZ v. 10.3.2008)
... lässt sich aber kaum halten. Hätte Hacks die Macht einer seiner beiden adorierten Vorbilder Stalin und Ulbricht besessen.
"Ulbricht war ein genialer Denker, leider kein genialer Schriftsteller."
Hätten 90 falsche Worte in der – von Hacks aus gesehen – richtigen politischen Richtung auch 90 Todesurteile sein können. Sprache in der Hand von Ideologen ist niemals neutral, es verhält sich da wie mit dem Geld: Man kann in Euro rechnen, ohne sich zu fragen, wodurch er gedeckt wird; dann bleibt man unaufgeklärter Konsument und wundert sich, wenn alles irgendwann zusammenbricht. Autoren mögen die Frage nach der Deckung ihrer Sätze durch innewohnende Werte ebenso wenig wie Banker jene nach der Deckung ihrer virtuellen Geldbestände. In beiden Fällen aber geht es um Haftung, also um Moral. Viele scharfsinnige, intellektuell verzückende Sätze von Hacks schrumpfen angesichts seines politischen Fundamentalismus zu ungedecktem Sprachspielgeld, zu eitlen artistischen Nichtigkeiten. Praktisch angewendet, richten sie sich zuweilen gar gegen den Dichter selbst, etwa das Aperçu aus den "Maßgaben der Kunst", niedergelegt in den 70er-Jahren:
"Zur Politik gehört Erfahrung, zur Philosophie bloß Geist, und der Geist ist am Menschen fertig, bevor die Erfahrungen einzutreffen beginnen.”
Hacks hielt seinen Geist schon immer für fertig und hat ihn ein Leben lang von irritierenden Erfahrungen ferngehalten. Das kostete seinen Preis. Zwar kann selbst Verweigerung von Intelligenz noch Intelligenz vorspiegeln, indem sie sich in brillante Sarkasmen hüllt, doch eines kann sie nicht: sich als Vernunft verkleiden. Dieses große Ideal bleibt bei Hacks unerreicht, je verbissener er es als Ziel ausgab. Das Kennzeichen großer Geister besaß er im Übermaß, die Eitelkeit; das Prädikatssiegel reifer Intellektualität errang er aber nie: die Demut. So ist er einer der wenigen Autoren der Literaturgeschichte, die man, je besser man sie kennt, aus Abscheu statt aus Liebe weiterliest. Das hat er natürlich immer gewusst, und es war ihm vermutlich sogar recht. Denn Abscheu stiftet eine Treue, die Liebe oft überdauert.
Felix Bartels (Hrsg.): "Der Briefwechsel zwischen
Peter Hacks und André Thiele 1997-2003"
Eulenspiegel Verlag, 510 Seiten, 24,95 Euro