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Aufstand gegen Unterrichtsausfall
Berliner Bürgerinitiative startet Volksbegehren

Ein Schuljahr von zehn Schuljahren: Soviel Unterricht soll an Berliner Schulen durchschnittlich ausfallen, hat die Bürgerinitiative "Bildet Berlin" hochgerechnet. Nachdem Protestschreiben und Unterschriftenlisten wenig Wirkung hatten, startet sie nun das Volksbegehren "100 Prozent Unterricht".

Von Claudia van Laak |
    Unterricht an der Heinz-Brandt-Sekundarschule in Berlin-Weißensee.
    "Die Schüler sind die Leidtragenden", kritisiert Berlins Landesschülersprecherin June Tomiak den Unterrichtsausfall und fordert sinnvolle Vertretungen bei Ausfällen. (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Was hast Du heute in Deutsch gemacht? Einen Film geguckt. Und in Mathe? Auch einen Film geguckt.
    Eltern kennen diesen Dialog nach der Schule, Berliner Mütter und Väter ganz besonders, sagt Landeselternsprecher Norman Heise:
    "Grundsätzlich vergeht kein Elternabend, keine Gesamtelternvertretung, keine Bezirkselternausschusssitzung, ohne dass das Thema Unterrichtsausfall auf der Tagesordnung ist."
    Zwei Millionen Unterrichtsstunden finden nicht regulär statt
    Und das schon seit Jahren. Leider ohne Erfolg, bedauert Florian Bublys von der Initiative "Bildet Berlin":
    "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Petitionen, Protestschreiben und Unterschriftenlisten wenig politische Wirkung haben."
    Deshalb startet heute das Volksbegehren "100 Prozent Unterricht". Die Bürgerinitiative hat zunächst ausgerechnet, wie viel Unterricht an Berliner Schulen ausfällt und kommt auf exorbitant hohe Werte. Zwei Millionen Unterrichtsstunden fänden nicht regulär statt, so Bublys:
    "Wenn man das hochrechnet, ist das eben jedes Schuljahr ein ganzer Monat, und in zehn Jahren ist das ein ganzes Schuljahr. Also eine Schülerin und ein Schüler, die von Klasse 1 bis 10 in die Schule gehen, erleben zusammengerechnet ein Jahr, dass Unterricht nicht erteilt wird."
    Berlins Senatsbildungsverwaltung spricht von zwei Prozent Unterrichtsausfall
    Natürlich rechnet die Bürgerinitiative anders als Berlins Senatsbildungsverwaltung. Nach deren Statistik fallen zwei Prozent des Unterrichts aus, weitere acht Prozent werden vertreten. Die Vertretung sei das Problem, sagen die Initiatoren des Volksbegehrens. Lehrer zeigen Spielfilme, reichen Arbeitsblätter in die Klasse und kümmern sich nicht weiter um die Schüler, in der Grundschule werden Erzieher in den Unterricht geschickt. Berlins Landesschülersprecherin June Tomiak kennt das aus eigener Erfahrung:
    "Sobald ein einziger Lehrer krank ist, gibt es Unterrichtsausfall. Egal wie gut die Koordinatoren versuchen, allen Schülern Unterricht zu ermöglichen. Das ist ein Zustand, der ist nicht tragbar, finde ich."
    Deshalb haben sich sowohl Landesschüler-, als auch Landeselternvertretung dazu entschieden, das Volksbegehren zu unterstützen und ab heute Unterschriften zu sammeln. Sechs Monate haben sie Zeit, um 20.000 Unterstützer zu suchen, danach muss sich das Parlament mit dem Thema beschäftigen. June Tomiak ist der Ansicht:
    "Dass die Schüler die Leidtragenden sind der ganzen Geschichte und lernen möchten und dass es denen auch zugestanden werden muss. Wir wollen richtige Vertretung und nicht nur Betreuung."
    Initiative fordert 110 Prozent Lehrpersonal
    Die Initiative "Bildet Berlin" will mit dem Volksbegehren erreichen, dass die Schulen der Hauptstadt besser personell ausgestattet werden – mit 110 Prozent Lehrerinnen und Lehrern. Florian Bublys:
    "Berliner Schülerinnen und Schüler haben ein Recht auf 100 Prozent Bildung. Und wenn 10 Prozent des Unterrichts nicht regulär richtig erteilt werden, dann brauchen wir 10 Prozent Reserve, um damit 100 Prozent des Unterrichts erteilen zu können."
    Politische Unterstützung hat die Initiative bislang nur von den oppositionellen Piraten. Die Gewerkschaft GEW teilt die Ziele der Bürgerinitiative, glaubt aber nicht, dass sich eine Unterrichtsgarantie gesetzlich festschreiben lässt.