17.2.2016, kurz nach elf Uhr war es soweit: im Kölner Funkhaus des Deutschlandfunks wurden die "Vergessenen Nachrichten des Jahres 2016" vorgestellt. Hier zunächst einige Eindrücke im Bewegtbild. Bitte beachten Sie, dass die Videos nicht aus professionell gemeinter Filmarbeit stammen - der DLF ist kein Fernsehsender. Es sind Ausschnitte aus der Liveübertragung der Veranstaltung bei "Periscope".
Das erste Video zeigt DLF-Redakteurin Rita Vock, die die Auswahl des nach Ansicht der Jury wichtigsten der vernachlässigten Themen begründet: die Finanzierung von Nuklearwaffen über deutsche Banken:
Ein Nutzer bei "Periscope" fragte: "Warum gerade zehn Themen?" Hier die Antwort:
Wie werden die "Top Ten" ermittelt? Prof. Dr. Hektor Haarkötter, Geschäftsführer der "Initiative Nachrichtenaufklärung" klärt auf:
Immer mehr Einreichungen haben einen verschwörtungstheoretischen oder politisch extremistischen Hintergrund. Hektor Haarkötter erläutert:
Einer der Gäste der Veranstaltung war Gottfried Bohl, Nachrichtenchef der "Katholischen Nachrichtenagentur", hier im Gespräch mit DLF-Redakteur Marco Bertolaso über die Arbeit der "KNA".
Die "Vergessenen Nachrichten" waren heute auch Thema in unseren Programmen.
Rita Vock war zu Gast in der Deutschlandfunk-Sendung "Deutschland heute"
Bei den Kollegen von
Deutschlandradio Kultur berichtete Marco Bertolaso über die Bedetuung für die DLF-Nachrichtenredaktion.
Die Top Ten der vernachlässigten Nachrichten 2016
Die Jury der Initiative Nachrichtenaufklärung e. V. präsentiert jährlich zehn Nachrichten oder Themen, die in der medialen Berichterstattung zu kurz gekommen sind. Es handelt sich um Themen, die für die deutsche Öffentlichkeit relevant sind, über die aber bislang in Presse, Funk, Fernsehen und Internet kaum Debatten geführt werden. Hier können Sie einen eigenen Themen-Vorschlag einreichen. Die Top Ten des Jahres 2016 wurden am 17. Februar im Deutschlandfunk in Köln vorgestellt. Die Präsentation können Sie auch als Multimedia-Reportage auf den Internet-Seiten des Deutschlandfunks ansehen.
Top 1: Finanzierung von Atomwaffen
Deutsche Finanzinstitute stehen in Geschäftsbeziehung zu den größten Konzernen, die Atomwaffen entwickeln, herstellen und warten. Banken und Versicherungen nehmen dadurch in Kauf, dass sie laufende Modernisierungsprogramme für Nuklearwaffen fördern. Eine im Jahr 2015 erschienene internationale Studie zur Finanzierung der atomaren Rüstung nennt zehn deutsche Finanzinstitute, die in Milliardenhöhe in entsprechende Unternehmen investiert haben. Aus Firmen, die auch Streumunition oder Landminen herstellen, haben sich viele Investoren inzwischen zurückgezogen. Für Atomwaffen gilt das bisher oft noch nicht. Über die zitierte Studie und die Fragen, die sich daraus ergeben, wurde in Deutschland kaum berichtet.
Top 2: EU und Euratom: Verpflichtet, die Kernkraft zu fördern
Der Euratom-Vertrag ist ein Fossil: Er wurde 1957 unterzeichnet und hat seitdem keinerlei Reformen erfahren. Recherchen zeigen, dass die Strukturen von Euratom ihren Aufgaben nicht mehr gerecht werden. Deutschland leistet nach wie vor Zahlungen an das Bündnis, dessen erklärtes Ziel ist, die Atomindustrie aufzubauen und zu entwickeln - trotz des beschlossenen Atomausstiegs. Ein klassisches Beispiel für ein langfristig relevantes, aber vernachlässigtes Thema.
Top 3: K.O.-Tropfen: Lieferung frei Haus und ganz legal
Sogenannte K.O.-Tropfen können kinderleicht und ganz legal auch in erheblichen Mengen übers Internet per Post bestellt werden. K.O.-Tropfen sind auch als "Liquid Ecstasy" bekannt, gelten als Vergewaltigungsdroge und werden meist in Diskotheken, auf Partys oder in Bars in offene Getränke gemischt. Die Opfer werden so betäubt und anschließend ausgeraubt oder vergewaltigt. Deutsche Medien berichten zwar immer wieder reißerisch über den Einsatz von K.O.-Tropfen, dass sie aber völlig legal in Deutschland erhältlich sind, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Rechercheure der INA haben den Test gemacht und die Lieferung dokumentiert.
Top 4: Der Xerox-Fehler: Computer vertauschen Zahlen
Der deutsche Informatiker David Kriesel entdeckte 2013, dass Xerox-Scankopierer bestimmter Baureihen beim Scannen von Dokumenten Zahlen vertauschen. Xerox hat den Fehler später eingeräumt und stellt inzwischen ein Update bereit, um ihn zu beheben. Der Weltmarktführer hat seine Kunden jedoch nicht direkt kontaktiert, so dass heute niemand wissen kann, wie viele Geräte immer noch fehlerhaft arbeiten - und wie viele falsche Dokumente noch in Archiven liegen. In amerikanischen Medien wurde relativ breit über den Xerox-Bug berichtet, in deutschen dagegen nur wenig. Angesichts des Trends zur Digitalisierung von Datenbeständen aller Art stellen sich hier Fragen, die über den konkreten Fall hinausgehen.
Top 5: Handy-Betrug: Wer verdient am WAP-Billing?
Jeder Smartphone-Besitzer kann auf seiner Telefonrechnung plötzlich zehn oder 20 Euro zusätzlich entdecken: Nur durch unabsichtliches Anklicken eines manipulierten Werbebanners. Wer das mobile Bezahlen mit dem Handy nicht extra durch eine sogenannte Drittanbietersperre einschränken lässt, ist dieser Gefahr ausgesetzt. Alle großen Mobilfunkanbieter wissen von diesem Problem – und verdienen auch daran mit. Die Masche läuft schon seit acht bis zehn Jahren. Medien haben auch schon häufiger darüber berichtet, aber bisher wurde kaum der Frage nachgegangen, wer die Kriminellen sind, die diesen Betrug über ein großes Netz an Scheinfirmen aufziehen. Die INA hat recherchiert - und ruft Journalisten auf, den Hinweisen nachzugehen.
Top 6: Simulierte Videoüberwachung: Wenn der Betriebsrat nichts zu melden hat
Niemand fühlt sich gerne überwacht - auch nicht am Arbeitsplatz. Der Beobachtung von Mitarbeitern mit Überwachungskameras sind deshalb enge Grenzen gesetzt. Diese gelten aber nicht, wenn es sich nur um Kamera-Attrappen handelt. Laut einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern ist für den Einsatz von Attrappen keine Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Diese Gerichtsentscheidung vom November 2014 wirft die Frage auf, inwieweit Rechte des Betriebsrats und der Mitarbeiter berührt werden, auch wenn sie die Überwachung nur vermuten oder befürchten müssen. Die Datenschutzgesetze der einzelnen Bundesländer sind in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich. Über das Urteil und seine Folgen wurde nur unzureichend berichtet.
Top 7: Arbeitsbedingungen zu selten ein Thema
Die Wirtschaftsteile deutscher Zeitungen - langweilige Satzschachteln für Experten oder verbraucherorientierte Aufklärung? Während Unternehmensporträts, die Fieberkurven der weltweiten Börsenplätze und die bunte Konsumwelt breiten Niederschlag im Wirtschaftsjournalismus zu finden scheinen, sind Berichte aus der Arbeitswelt deutlich seltener. Außerhalb der großen Tarifauseinandersetzungen werden die Arbeitsbedingungen journalistisch kaum thematisiert. Rechercheure der INA haben diese These mit einer Inhaltsanalyse geprüft.
Top 8: "Betonspritzen" in der Psychiatrie
Ehemalige Mitarbeiter und Patienten aus psychiatrischen Kliniken berichten von einer medikamentösen Ruhigstellung mit der so genannten "Betonspritze". Diese werde auch gegen den Willen der Patienten verabreicht und könne schwere und langandauernde Nebenwirkungen haben. Die Betroffenen berichten von ihren konkreten Einzelfällen und vermuten dahinter zugleich ein strukturelles Problem. Abgeschlossene Bereiche wie die Psychiatrie sind generell nur schwer für Recherchen zugänglich. Die INA hat mit Betroffenen gesprochen und fordert Journalisten auf, diesen Berichten nachzugehen.
Top 9: Mangelernährung bei Krebs: Krankenhäuser könnten mehr tun
Über 50.000 Krebspatienten sterben jedes Jahr an Mangelernährung, dennoch verfügen in Deutschland nur vier Prozent aller Krankenhäuser über ein Ernährungsteam. In anderen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien, gehört ein Screening auf Mangelernährung bei der Aufnahme ins Krankenhaus zur Pflichtuntersuchung. Deutschland hinkt in diesem Bereich hinterher. Die Bedeutsamkeit der Ernährung für den Erfolg der Behandlung ist vielen nicht bewusst. In den Medien wird immer wieder über Einzelfälle berichtet. Über Möglichkeiten, dieses Risiko zu senken, gibt es bisher jedoch keine Debatte.
Top 10: Polizeigewalt: Ein Fallbeispiel aus Köln
Übertriebene Härte bei Polizeieinsätzen, auch bei kleineren Delikten, ist immer wieder ein Thema. Betroffene werfen den Polizisten auch Formen von Selbstjustiz vor. Eine juristische Verfolgung ist aus strukturellen Gründen schwierig. Auch in den Fällen, die öffentlich werden, folgt nur selten eine Verurteilung. Die INA ist einem drastischen Fall aus Köln nachgegangen, in dem ein Opfer von Polizeigewalt sich juristisch gewehrt hat. Über die Geschehnisse haben lokale Medien berichtet, überregional könnten sie jedoch stärker beachtet werden.
(Hinweis der Redaktion: Bis zum 18.2. stand hier versehentlich eine alte, unredigierte Fassung der Top-10-Themen. Diese wurde jetzt ersetzt. Wir bitten um Entschuldigung.)