Lassma anfangen. "Besonders schnellebig ist das Lexikon einer Sprache", sagt Heike Wiese, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Potsdam und Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsche Sprache der Gegenwart dem DLF. "Hier können neue Elemente einfach aufgenommen werden." Die Beispiele reichen quer durch die Sprachen, von tablet aus dem Englischen über lan (türkisch für "Typ" oder "Kerl") bis wallah (arabisch, wörtlich "bei Gott"). Verwendet werden sie so, "dass sie in das sprachliche System des Deutschen passen", schreibt Wiese auf der Internetseite kiezdeutsch.de, die sie in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium betreibt.
Das klingt dann in etwa so: Und da stand und hat mir seine Hand gegeben. Wallah."Er!", möchte man rufen, und auch das Schreibprogramm des Computers meldet sich mit Vorschlägen. Aber das Verschwinden von Pronomen ist Teil der Sprachveränderung, die wir gerade erleben, bestätigt auch Uwe Hinrichs, Professor für Linguistik an der Universität Leipzig. "Mächtig ansteigen werden die Varianten des Migrantendeutschs, in denen die Grammatik zurückgefahren wird und das dominiert, was man für die Kommunikation braucht." Also auch weniger Kasus, einfache Wortfolge: Kommst du hier. Machst du rote Ampel. (Komm her. Geh bei Rot über die Straße). Hinrichs fügt hinzu: "Ich erwarte, dass in 20 bis 30 Jahren die korrekten Kasus kaum noch große Bedeutung haben werden." Stattdessen werde es mehrere Varianten geben, etwas auszudrücken: nicht nur Philipps Auto, sondern auch das Auto von Philipp und sogar Philipp sein Auto.
Ischwör, Alter, war so
Eine weitere Besonderheit sind Ausdrücke oder Partikel, wie es korrekt heißt, wie ischwör – die, schreibt Wiese, auf eine typisch deutsche Entwicklung zurückgehen: Von glaube ich zu glaubich ist es ein ähnlicher Weg: Endung gekürzt, Pronomen ans Verb gehängt, fertig ist der Partikel, der sich im gesprochenen Standarddeutsch etabliert hat.
Auch die Struktur der Sätze fällt auf. "Das Verb wandert vom Satzende in Nebensätzen nach vorn", sagt Hinrichs, "also: Er kommt nicht, weil er hat keine Zeit." Neue Steigerungsformen seien ebenfalls häufiger zu hören, etwa: Er ist mehr aufgeregt als sein Kollege - mittlerweile auch in den Medien, etwa in der Formulierung mehr zugänglich. Grundsätzlich aber, da sind sich die Linguisten einig, nehmen solche Veränderungen ihren Anfang in der Umgangssprache. "Die formelle Standardsprache ist eher behäbig, was Veränderungen angeht", sagt Wiese, "weil sie besonders starken Normierungen unterworfen ist, etwa durch die Schule."
Sprache als Indikator für Integration
Auch die Sprache derer, die ankommen, verändert sich unter dem Eindruck des Deutschen – sogar eher als umgekehrt, weil Deutsch im deutschen Alltag ja die dominierende Sprache sei, argumentiert Wiese. Beobachten könne man das etwa in der zweiten und dritten Generation türkischer Migranten. So habe das Türkische, das in Deutschland gesprochen wird, viele Ausdrücke aus dem Deutschen entlehnt. Das sei zum Beispiel der Fall, wenn Personalpronomen verwendet würden, wie es eigentlich so nur im Deutschen üblich sei, ergänzt Hinrich, etwa ben gidiyorum – türkisch: Ich gehe – oder oni priechali – russisch: Sie sind gekommen.
Ausnahmen gibt es nach Hinrichs Worten nur dann, wenn sich kompakte Parallelgesellschaften bilden und es viele Kontakte ins Herkunftsland gibt. Deshalb sei der Einfluss zweier Sprachen aufeinander auch ein Maß für Integration: "Sind die Kinder gut sozialisiert, sprechen sie zwei Muttersprachen. Sind sie schlecht sozialisiert, werden sie keine Sprache richtig sprechen." Und die Jugendlichen selbst? Kiezdeutsch.de zitiert: "Im Endeffekt sind wir Kreuzberger – Berliner – Deutschländer – Weltbürger!"
Bis dieser Sprachwandel in den Nachrichtensendungen des Deutschlandfunks ankommt, wird es vermutlich noch eine Weile dauern. Aber auch wir haben schon täglich damit zu tun: bei Interviewpartnern oder auch in Mails von Hörerinnen oder bei Reaktionen und Fragen in den Sozialen Medien. Und dass sich die Welt generell verändert, das wissen wir Nachrichtenmenschen natürlich sowieso am besten. Ischwör.